Im Klang taumelnd

«Dynamik im Fluss» heisst das Motto eines Konzerts, das auf das Oloid, einem von Paul Schatz entwickelten organischen Körper, anspielt. Das Konzert wird am 6. März in Untersiggenthal und am 2. Mai in Biel wiederholt.

Abrollendes Bronze-Oloid auf blauem Pigment. Foto: Paul-Schatz-Stiftung, Pressemappe 2013

Wer kennt schon Paul Schatz? Er war sowohl Künstler, Wissenschaftler wie Erfinder. Geboren wurde Schatz 1898 in Konstanz am Bodensee. 1927 zog er ins schweizerische Dornach, wo er unter anderem ein sogenanntes Oloid entwickelte – einen organischen Körper, der schön anzuschauen ist und sogar Zwecke erfüllt: Als Schiffsantrieb kann das Oloid dienen wie auch als Vorrichtung, die Flüssigkeiten umwälzt. Nicht gewaltsam wie eine schnell drehende Schraube, sondern ganz sachte, eben organisch.

Das klingt eher nach steinerscher Anthroposophie und Mechanik als nach Musik. Die Brücke zu Schatz und seinem Oloid schlägt das Ensemble Neue Horizonte Bern mit dem Konzertmotto: «Dynamik im Fluss» heisst es und auf dem Programmzettel folgt die nähere Erklärung: «Sämtliche Kompositionen beschäftigen sich mit den Themenkomplexen Fluss-Wasser-Hafen, aber auch Strömung-Schleuse-Handelsumschlagplatz-Schwäne-Rhein, Donau, Moldau und weiteres Nahe oder Entlegene.» Mit unverkennbarem Seitenblick zum Tschechen Bedřich Smetana nannte die Pianistin des Ensembles, Erika Radermacher, ihr für Quintett und Tonband 1984 entstandenes Stück Die Moldau. Urs Peter Schneider komponierte 2003 Element Wasser für Fagott und Begleitung, dazu kommt Schöne blaue Donau in Form eines Tonbandstücks der polnischen Komponistin Joanna Bruzdowicz und Le Rhin Allemand, das Roland Moser als Ensemblemitglied für Klavier schrieb.
 

Stärken und Schwächen

Das Ensemble Neue Horizonte Bern ist schon seit den späten 1960er-Jahren bekannt für komponierte Programme. Auch im Binnenschifffahrtsmuseum Duisburg schaffen sie «im Fluss» etwas Bündiges. Stücke von Ensemblemitgliedern sind dabei und Kompositionen von konzeptuell orientierten englischen Komponisten. Meist bruchlos, attacca, gehen die Stücke ineinander über. Sehr verschiedene sind es, manch Skurriles ist darunter, auch Stärkeres und Schwächeres. Verborgen bleibt der Reiz einer Schleusenerklärung, die Erika Radermacher den etwa 30 Besuchern im Grundschullehrer-Duktus nahebringt. Auch so manche Umsetzung von Textpartituren, das heisst, wortreicher musikalischer Handlungsanweisungen, schmeckt schal…, strahlt wenig Vitalität aus. Überzeugender sind die strengen und sehr dicht komponierten Werke des Ensembleleiters Urs Peter Schneider. Nur an der Oberfläche verspielt ist Element Wasser, dessen Ton der Fagottist Marc Kilchenmann perfekt trifft. Auch Schneiders Klavierstück Weisse Dunkelheit überzeugt – trotz Wiedergabe auf einem E-Piano, das schlicht kunstfremd klingt.
Es wäre verfehlt, ein Konzert des Ensembles Neue Horizonte Bern zu bewerten nur nach der Qualität einzelner Stücke. Besser wäre, man liesse sich treiben vom Geschehen, entdeckte hier oder da eine kleine Geschichte, liesse sich ein auf Fragen und Rätsel, die manch radikales Werk oder der Konzertfluss insgesamt offenbaren. Doch das Eintauchen gelingt in Duisburg nicht. Es liegt nicht an der Musik und den Musikern, aber an den Begleitumständen. Ein – zumal billiges – E-Piano ist eine Zumutung für Pianisten wie Zuhörer. Dazu kommt ein Raum, der für akustische Experimente und als Ausstellungsraum geeignet sein mag, nicht aber für Konzerte. Enorm entfaltet sich der Hall im Gewölbe. Insbesondere für den sachlich-objektiven Ansatz des Ensembles ist es mehr als nur kontraproduktiv, wenn ein Staccato zum Legato wird, wenn sich manche Frequenzen so überlagern, dass einem blümerant wird.
 

Klangliches Eigenleben

Das Stück Swell Piece, vom Engländer James Tenney im Jahr 1967 für Melodicas geschrieben, entfaltet unter diesen Bedingungen besondere Eigendynamik. Stechend überlagern sich die Obertöne, schrill schallt es im Kopf. Der «taumelnden Bewegung des Oloids» sollte sich das variable Konzertprogramm anpassen, das das Ensemble auf seiner Tournee in je verschiedener Reihenfolge der Stücke gab. Was in Duisburg blieb, war ein im Klang taumelnder Zuhörer – und die schlichte Einsicht, dass Musik nicht jeden Raum verträgt. Unter hoffentlich besseren Bedingungen ist «Dynamik im Fluss» erneut zu hören: am Sonntag, den 6. März, in Untersiggenthal (Garnhaus am Wasserschloss) und in Biel am Montag, 2. Mai, im Atelier Pia Maria.  

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