Opfer übermächtiger Mütter
Im Rahmen einer sechsteiligen Tournee zeigte der Luzerner Komponist Thomas K.J. Mejer sein Musiktheater «Macula matris» in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz– gezwungenermassen allerdings in einer problematischen reduzierten Fassung.
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Eigentlich war ja alles ganz anders gedacht: Für eine weite (Industrie-)Halle hatte der Luzerner Komponist und Saxofonist Thomas K.J. Mejer sein 1995/96 komponiertes rund siebzigminütiges Musiktheater Macula Matris konzipiert. Das Publikum sollte sich frei zwischen sieben Stationen bewegen, an denen jeweils ein Musiker und ein Tänzer agieren und ein Sprechtext zu hören sein sollten. Das war finanziell nicht zu realisieren. Jetzt, zwanzig Jahre nach der Entstehung, wurde das Werk konzertant an diversen Orten in der Suisse Romande und der deutschsprachigen Schweiz aufgeführt – mit einem Abstecher ins badische Freiburg. Der vorliegende Bericht basiert auf dem Gastspiel in der Basler Gare du Nord vom 5. Dezember 2015. Auf die ursprünglich beabsichtigte räumliche Wirkung musste dabei fast ganz verzichtet werden. Einzig die Sprechstimmen sind aus Lautsprechern rund um das Publikum zu hören; die Musiker sitzen nebeneinander vor einer Video-Leinwand, auf der die Tänzer zu sehen sind.
Der Stücktitel Macula Matris (Muttermal) meint hier nicht das körperliche Merkmal, sondern die Prägung jedes Menschen durch seine Mutter, die der Psychoanalytiker C. G. Jung, auf den sich Mejer explizit bezieht, als «Mutterkomplex» bezeichnet hat. Jung unterscheidet verschiedene Ausprägungen dieses Komplexes, und Mejers Auswahl literarischer Texte folgt dieser jungschen Typologie. Es geht um eine erwachsene Frau, die in der totalen Kontrolle durch ihre Mutter seelisch verkümmert, um ein homosexuelles Muttersöhnchen, einen Frauenhelden, eine Nymphomanin; Erotik und Sexualität sind also wesentliche Themen des Stücks. Diese inhaltlichen Angaben entstammen einem nachträglichen Mail des Komponisten; in der Aufführung sind die Texte nur teilweise zu verstehen, oft werden sie geflüstert oder unhörbar mit den Lippen geformt. Während sie in der ursprünglich vorgesehenen Halle nebeneinander herlaufen würden, so dass man immerhin einem einzelnen folgen könnte, überlagern sie sich hier und werden zum diffusen sprachlichen Rauschen. Im sonst vollmundigen Programmheft sind sie nicht abgedruckt, ja noch nicht einmal nachgewiesen. Damit ist das im selben Heft angekündigte «Spiel um Geist, Körper und Seele, um Ursache und Wirkung, um Ausdruck und Analyse» vom Publikum zu einem wesentlichen Teil nicht nachzuvollziehen. Sinnvoll ist das nicht.
Text, Musiker und Tänzer sind jeweils Aspekte einer einzigen Figur, die isoliert von den anderen in sich selbst gefangen ist. Das findet seinen Ausdruck in der Musik und in der Choreografie von Angelika Ächter. Die Partitur für Flöte(n), Klarinette, Fagott (auch Kontrafagott), Posaune, Harfe, Cello und Schlagzeug gibt jedem Instrumentalisten ein enges Repertoire von Klanggesten, die er quasi manisch wiederholt. In der Weite eines Raums, in dem sich für die Zuhörenden bei jedem Schritt das Klangbild verändert, fächert sich diese Musik immer wieder anders auf. Auf dem Podium der Gare du Nord summierten sich die sieben Solopartien zu einem beim ersten Hören weitgehend einheitlichen Klangbrei fast ohne Höhepunkte und ohne Kontraste, die hätten Spannung schaffen können. Ein wilder Paukenwirbel, ein lautstarker Ausbruch des Kontrafagotts, ein aparter kurzer Dialog von Harfe und Xylophon weckten hier und da die Aufmerksamkeit. Auch die Zuordnung der Instrumente zu den Texten und den Tänzern war nicht auszumachen. Da half auch das engagierte Spiel des von Jürg Henneberger einstudierten Basler Ensembles Phoenix nicht weiter. Es hätte sich unbedingt gelohnt die veränderte akustische Situation zu akzeptieren und die Partitur auf dieser Basis neu zu fassen.
Eine solche Neufassung ist dafür bei der Choreografie gelungen. Analog zu den Musikern lässt Ächter die Tänzer markante Körperbewegungen repetieren. Der Videokünstler Stefan Bischoff hat ihre Arbeit zur Grundlage eines eigenständigen Kunstwerks aus hochästhetischen Bildern gemacht. In weichen Beige- und Brauntönen, die an alte Illustrierten-Fotos erinnern, lässt er die Tänzer wie aus dem Nichts erscheinen, lässt sie nebeneinander agieren, überlagert ihre Bewegungen, blendet sie langsam wieder aus. Er zeigt die fast nackten Körper den Texten entsprechend als Objekte der Begierde. Da lässt ein Mann seine kräftige Rückenmuskulatur spielen, ein anderer streicht sich selbstverliebt über Gesicht und Oberkörper, eine Frau lässt ihre wohlgeformten Brüste vibrieren und spielt mit ihrem langen Haar. Dabei sind die vier Frauen und drei Männer klar den vier Sprecherinnen und drei Sprechern zugeordnet. So ist Bischoffs Film der beste Teil eines sehr ambitionierten, aber in der halbherzigen Umsetzung nicht überzeugenden Projekts.
Trailer zur Produktion: www.maculamatris.com/trailer.html