«Ich nenne es Mut»

Ob Volksmusik oder Klassik – Hauptsache eine Frau steht im Mittelpunkt: In Bern fand das Festival Femmusicale vom 20. bis 29. November zum zweiten Mal statt.

Symbolbild. Foto: agsandrew – fotolia.com

Frauenförderung in der klassischen Musikbranche hat mittlerweile schon so etwas wie Tradition: Wettbewerbe, Förderpreise, Dachverbände, Festivals etc. Doch noch immer ist das Ungleichgewicht zwischen Komponistinnen und Komponisten auf den Konzertprogrammen der Orchester und Ensembles gross. Seit letztem Jahr gibt es nun noch einen Veranstalter mehr, der diesen Missstand zum Thema macht. Bei den Konzerten des Festivals Femmusicale in Bern soll jeweils eine Frau im Mittelpunkt stehen. Die Initiative stammt vom Pianisten Patrizio Mazzola, der an den Hochschulen in Bern und Luzern unterrichtet. Ihn hat es besonders gestört, dass sich so wenige Männer für komponierende Frauen interessieren und einsetzen. Nun möchte er mit gutem Beispiel vorangehen. Auf ein Genre hat sich der Veranstalter dabei nicht festgelegt. Ob Volksmusik, Romantik, zeitgenössisch experimentelle oder auch poppige Klänge, insgesamt gab es die Musik von 22 Komponistinnen zu hören. Zugegebenermassen waren einige darunter, die man nicht erst seit gestern kennt: Fanny Mendelssohn, Clara Schumann, Lily Boulanger, Sofia Gubaidulina. Sie gehören zu den wenigen Frauen, die ihren Platz im klassischen Repertoire bereits erobert haben. Sie sind die Spitze eines unentdeckten Eisbergs, wie Christine Fischer bei einer Diskussionsrunde anmerkte, in der Festivalkünstlerinnen über die Rolle der Frau in der westlichen Musik diskutierten. Die Co-Präsidentin des Forums Musik Diversität bezog sich auf die unerforschten Jahrhunderte, in denen möglicherweise viel mehr Frauen kompositorisch aktiv waren, als wir heute wissen. Ob Frauen aber im aktuellen Musikschaffen wirklich noch solche Förder-Plattformen brauchen? Sind nicht junge Komponistinnen bereits dank der Chancengleichheit in der Ausbildung längstens anerkannt und ebenso erfolgreich wie ihre männlichen Kollegen?

Umwege
Dass viele Frauen trotzdem eher über Umwege zum Komponieren kommen, bestätigt die Geschichte von Gabrielle Brunner. Obwohl die 1963 Geborene in einer Musikerfamilie aufwuchs und selbst eine hervorragende Geigerin ist, kam sie erst 2007 zum Komponieren. Von ihr gab es am Festival zwei kraftvolle und dramatisch mitreissende Kompositionen für Solovioline zu erleben, die sie selbst mit scharfen Akzenten und hoher Intensität spielte: Lema I und Lema II. Auch für die Entdeckung unbekannter Komponistinnen setzt sich Brunner ein, forschte dazu in der Musikmediensammlung des FMD, die in der Musikbibliothek der Hochschule der Künste Bern HKB lagert, und produzierte eine CD.
Eine Raritäten-Entdeckung aus heutiger Zeit war der Auftritt von Ruth Dürrenmatt zur Festivaleröffnung. Sie präsentierte mit beeindruckendem Selbstbewusstsein ihr eigenwilliges Gesamtkunstwerk: improvisierend am Klavier sang sie zu Beginn einen inbrünstigen, souligen «Muh»-Song. Nach diesem augenzwinkernden Einstieg wurde es ernsthaft: Ihre selbst geschriebenen Texte sind gesellschaftskritisch, klagen Umweltverschmutzung und gewissenlosen Kapitalismus an, beschäftigen sich mit Tabuthemen wie Alter und Tod. Besonders beeindrucken ihre Kindheitsgeschichten, die von einer überaus lebendigen Fantasie zeugen. Wenn sie von einem Feuerdämon erzählt, der auf Bäumen lebt oder dem Wegfliegen ihrer Seele ins Traumland, dann scheint sie ganz bei sich. Begleitet von Cello und Klavier (Brigitt Sahi und Patrizio Mazzola) singt die ausgebildete Opernsängerin mit voll röhrender Stimme und heftigem Impetus. Ihre Zeichnungen und Bilder zieren das Programmheft. Ruth Dürrenmatt, die jüngste Tochter des berühmten Dichters Friedrich Dürrenmatt, ist eine künstlerische Naturgewalt im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ihr gesamtes Schaffen ist geprägt von einer ungezwungenen und natürlichen Naivität. Darauf legt sie sogar besonders Wert, wie sie dem SRF2 in einem Interview verriet: «Wehe dem Künstler, der zu sehr erwachsen ist.» Und wenn auch ein Grossteil des Publikums vor allem aus Neugier gekommen war zu hören, was die Tochter von Dürrenmatt so treibt, ist das Bühnengeschehen eine Grösse für sich. Eine Portion Trotz schwingt immer darin mit. Denn obwohl sie bereits als Kind am Klavier improvisierte, wurde die heutige 64-Jährige nie ermutigt, sich kompositorisch zu entwickeln. So war es für sie ein langer Weg, sich von den traditionellen Geschlechterrollen ihrer Erziehung zu lösen und zu ihrem persönlichen künstlerischen Ausdruck zu finden: «Ich nenne es Mut», kommentiert sie selbst diesen teils kämpferischen Weg.
Mut hat auch der Veranstalter Patrizio Mazzola mit der Lancierung seines Festivals bewiesen. Wenn sich seine Botschaft weiter verbreiten soll, braucht es jedoch noch einiges mehr, angefangen von einer professionelleren Kommunikation bis hin zu einem inhaltlich schärferen Programm. Dann dürfte es auch mehr Publikum geben.

www.femmusicale.ch
 

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