Macht der Bilder – Macht der Töne

Um Liebe, Intrigen und Tod in einer Welt der Medienmanipulation geht es in Daniel Mouthons Oper «Liquid Crystal Display». Sie wurde vom 17. bis 23. Oktober im Kirchgemeindehaus Hottingen aufgeführt.

Foto: Martin Stollenwerk,Foto: zVg,Foto: Martin Stollenwerk,Foto: Martin Stollenwerk,Foto: Martin Stollenwerk,Foto: Martin Stollenwerk

Wo es in Zürich um ein nicht opernhaftes, nicht narratives Musiktheater geht, ist in den letzten Jahrzehnten Daniel Mouthon durch seine kontinuierliche und sich erneuernde Theaterarbeit aufgefallen. Regelmässig hat der 1952 geborene Sänger, der in den Achtzigerjahren durch seine akrobatischen Stimmkünste bekannt wurde, aussergewöhnliche Projekte vorgelegt, in denen es um gesellschaftskritische und politische Ansätze ging: Stücke nach James Joyce oder Marcel Duchamp (oder im kommenden Jahr zum Jubiläum mit Dada). Eigen ist ihnen die diskursive Auseinandersetzung mit Texten und Theorien, mit der Kunst ganz allgemein – und damit ist er ein Vorläufer jener Diskurskompositionen, die ein Patrick Frank heute vorlegt. Solche Kompositionen begnügen sich nicht mehr mit dem Töne-Schreiben, sondern wollen eine Diskussion über Kunst und ihre Rolle in der Welt auslösen.  

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Daniel Mouthon

Das Utopische im Musiktheater ist deshalb für Daniel Mouthon von zentraler Bedeutung: nicht als etwas Abgehobenes, sondern als etwas Zugängliches. Da mutet einen Mouthons jüngstes Werk in dieser Sparte doch ungewöhnlich an, denn Liquid Crystal Display ist eine echte, geradezu traditionelle Oper, erzählend, mit Sängern und Kammerorchester, fast vollständig gesungen und durchkomponiert – und ohne Brüche. Es gibt keine theoretischen Einschübe, keine reflektierende Metaebene, keine Intermezzi. Alles ist ins Libretto integriert, das der Zürcher Schriftsteller und Journalist Daniel Suter verfasst hat. Und Mouthon, der sonst oft mitsingt und an der Regie zumindest beteiligt ist, hat sich ganz in die Rolle des Komponisten und Produzenten zurückgenommen. 

Opernemotionen treiben an

Die Oper handelt von einem Staatspräsidenten und einer sektenartigen Volksbewegung mit einer charismatischen Führerin, von institutionalisierten Medien und offenen Social Media, von Intrigen und gefälschten Medienbildern. Wer die Macht über die Bilder hat, bestimmt. Persönlichkeiten, wie wir sie aus den Nachrichten kennen, spiegeln sich in den Figuren. Tatsächlich: Es ist ein Plot, der der Oper gut ansteht – und der dennoch aus unserer Zeit heraus spricht, denn Mouthon bringt Musiktheater und moderne Lebenswelt zusammen und stellt in der Oper die Fragen unserer Zeit, diskursiv, aber auch auf sinnliche Weise. Liquid Crystal Display ist eine Parabel auf eine Demokratie, die sich im Zeitalter der totalen Medialisierung verändert.  

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Robert Koller (Bassbariton) sang eine Doppelrolle als Präsident P und Transmitter T

Das Paradoxe an dem Stück ist, dass es zwar von der Allmacht der Medien erzählt, dass aber die Sinnfälligkeit des Werks weitaus stärker von den guten alten Opernqualitäten Liebe, Emotion, Eifersucht, Macht und Intrige lebt als von der alles beherrschenden Medientechnik. Mag sein, dass der Spielort, ein Kirchgemeindesaal, denn doch zu nüchtern ist und dass die technischen und finanziellen Möglichkeiten zu gering waren, um die überhandnehmende Technologie in ihrer Überlebensgrösse darzustellen. In der emotionalen Tiefe liegt die Stärke des Werks, sowohl musikalisch als auch in der Inszenierung von Stefan Nolte, die fast ganz ohne Bühnenbild auskommt. Mouthon beruft sich dabei auf jenes «Kraftwerk der Leidenschaften», wie Alexander Kluge einmal die Oper nannte: Der künstlerische Gesang vermag die Emotionen zu überhöhen; er äussert, was tief drinnen im Menschen steckt und dort vielleicht verborgen bliebe. Musik ist ein Auslöser, und Mouthon will diese so elitäre Kunstform näher an unsere Lebensrealität heranführen.  

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v.l.n.r.: Chasper-Curò Mani (Bariton) als Boss des Medienkonzerns B, Daniel Bentz (Tenor) als Agitator A und Catriona Bühler (Sopran) als Goldene Meisterin M

Gefühle lassen stolpern

Dieses Kraft- oder Triebwerk ist allenthalben in der Musik spürbar. Das Mini-Orchester – das Ensemble für neue Musik Zürich unter Leitung von Sebastian Gottschick – trägt den Gesang weniger, als dass es ihn antreibt. Vor allem in den ersten beiden Akten ist diese Musik ruhelos, sie enthält immer wieder vertraute Elemente, die aber so rasch an uns vorbeischiessen, dass man sie kaum halten kann, nervös, obsessiv geradezu. Das macht den Einstieg auch etwas schwierig, denn in dem überakustischen Saal dringt und drängt die Musik und auch der Gesang sehr unmittelbar auf den Hörer ein. Die Textverständlichkeit schwindet, es ist ein Zuviel an Eindrücken – wohl gewollt so.

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Franziska Andrea Heinzen (Sopran) als Creative Designerin C

Ein engagiertes Vokalensemble ist da unterwegs mit Robert Koller als Staatspräsident P, Catriona Bühler als Sektenführerin M, Daniel Bentz als ihrem Chefideologen A, Chasper-Curò Mani als Medienboss B sowie Franziska Andrea Heinzen als Creative Designerin C. Und diese letzte Figur ist es schliesslich, durch die sich das Stück eigentlich erst richtig entfaltet. Anfangs erlebt man sie in einer untergeordneten administrativen Rolle beim Medienkonzern. Durch ihre einstige Liebe zu A jedoch kommen Gefühle ins Spiel, die das Intrigenspiel von B durchkreuzen. Ihre Auseinandersetzung mit M im vierten und letzten Akt ist der Höhepunkt des knapp zweistündigen Werks. Wenn C dort M bedrängt, gerät ihr Gesang ins Stocken und bricht dann umso heftiger hervor: Die Töne werden zu tötenden Pfeilen. Das ist grandios. Hier zeigt sich, wie sehr Mouthon aus der Stimme, aus ihrer Körperlichkeit heraus komponiert. Tatsächlich: das «Kraftwerk der Leidenschaften» ist, unerwartet gerade an diesem Ort, von enormer Wirkung.  

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Die grossflächigen Videoprojektionen von Georg Lendorff spielten eine zentrale Rolle.

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