Rehabilitation einer Epoche
Die dritten Festtage Alter Musik in Basel zeichneten ein differenziertes Bild der Jahrzehnte zwischen Barock und Klassik.
Mit Joseph Haydns Schöpfung in einer mitreissenden Aufführung unter René Jacobs gingen Ende August die dritten Festtage Alter Musik in Basel zu Ende. Begonnen hatten sie acht Tage zuvor mit J. S. Bachs Erstem Brandenburgischem Konzert mit den Ensembles Café Zimmermann und Ripieni Festivi. Bach und Haydn waren auch inhaltlich die Eckpunkte des Festivals, das sich in zahlreichen Konzerten, mit Vorträgen und Stadtführungen den Jahrzehnten zwischen Barock und Wiener Klassik widmete. Peter Reidemeister, der frühere, langjährige Direktor der Schola Cantorum Basiliensis (SCB), hatte bereits zum dritten Mal als Künstlerischer Leiter zusammen mit dem tatkräftigen Unternehmer Renato Pessi die Festtage organisiert und klug und kenntnisreich ein qualitativ herausragendes Programm zusammengestellt. Getragen wurde es vom Verein zur Förderung von Basler Absolventen auf dem Gebiet der Alten Musik. Finanziert wurde es zu rund einem Drittel von der öffentlichen Hand, zu zwei Dritteln von Stiftungen und privaten Sponsoren.
- Foto: Susanna Drescher
Reidemeister hatte die drei Ausgaben der Festtage als Trilogie der musikalischen Übergangszeiten konzipiert und dabei immer auch auf Basel bezogen. So waren beim ersten Festival 2011 die Musik des Basler Konzils und der Übergang vom Mittelalter zur Renaissance Thema. Zwei Jahre später zeigte er das Nebeneinander von traditioneller Polyphonie und «moderner» Monodie um 1600. Unter dem Titel Vom Barock zur Klassik leuchtete er nun in eine lange vernachlässigte Epoche. Erst in den letzten Jahrzehnten hat sich das Interesse von Wissenschaftlern und Musikern dieser aufregenden, an inneren Widersprüchen reichen Zeit zugewandt, in der neben dem «galanten» Stil des Rokoko die kühnen harmonischen und formalen Experimente der Bach-Söhne und anderer Stürmer-und-Dränger und die schlichteren, innigeren Töne der Empfindsamkeit standen, in der bestehende Gattungen, wie die Oper, reformiert wurden und neue, das Streichquartett und das Melodrama etwa, entstanden.
Dass dieser Wandel kein Bruch war, dass das Alte neben dem Neuen weiterlebte, betonte Reidemeister im Gespräch. Zu erleben war es in einem Konzert des Quatuor Mosaïques mit Streichquartetten von Matthias Georg Monn, Haydn und Ludwig van Beethoven, die Fugen enthalten, und so die barocke Form par excellence in die neue Gattung integrieren. Die vier Musiker spielten hochdifferenziert und mit grosser Intensität; besonders packte die subtile Ausgestaltung des Capriccio aus Haydns C Dur-Quartett 20/2. Einen weiteren Höhepunkt setzten das Freiburger Barockorchester und der Cembalist Andreas Staier mit leuchtkräftigen Aufführungen von Suiten und Concerti; neben einander gesetzte Werke von Vater Johann Sebastian und Sohn Carl Philipp Emanuel Bach machten den Stilwandel unmittelbar deutlich. Dem Clavichord, einem Lieblingsinstrument der Epoche, war ein Konzert mit dem frei improvisierenden Tastenmusiker Dirk Börner und der Rezitatorin Roswitha Schilling gewidmet. Selbst die Oper fehlte nicht im vielfältigen Programm: Unter der Leitung von Daniela Dolci führte das Basler Barockensemble Musica fiorita mit handverlesenen Sängern Domenico Cimarosas Buffa L’Impresario in angustie auf, leichtfüssig und mit viel Witz. Eine Zeitreise war die Aufführung des Melodramas Ariadne auf Naxos von Georg Benda, eines Theaterhits seiner Zeit. Sigrid T’Hooft, Spezialistin für historische Bühnenpraxis, hatte es im Stil der Epoche, mit mehr musikalischer als psychologisch-realistischer Deklamation und ausufernder barocker Gestik inszeniert. Franziska Ernst als Ariadne und Meinhardt Möbius als Theseus waren nicht nur ausgezeichnete Sprecher, sondern hatten auch die Gebärdensprache so verinnerlicht, dass sie in ihrer eleganten Umsetzung nichts Unnatürliches hatte. In einer Reihe von Mittagskonzerten stellten sich begabte Absolventen der Schola Cantorum vor. Die Geigerin Plamena Nikitassova brillierte in hochvirtuosen Sonaten des Genfers Gaspard Fritz und die Harfenistin Giovanna Pessi spielte weich und beseelt Musik des Böhmen Johann Baptist Krumpholtz, die schon weit in die Romantik vorausweist.
- Foto: Susanna Drescher
Ein besonderes Augenmerk galt dem Basler Musikleben des 18. Jahrhunderts. Im Zentrum stand die leider nur noch zu einem Drittel erhaltene Musikaliensammlung des Kaufmanns Lucas Sarasin (1730 -1802), in dessen barockem Stadtpalais, dem «Blauen Haus» am Rheinsprung regelmässig Konzerte stattfanden, bei denen er selber mitwirkte. Einiges davon war im Konzert zu hören. Und die diesjährige, beim Label ARS Produktionen erschienene Festival-CD Zu Gast im Blauen Haus mit dem jungen, an der Schola Cantorum entstandenen Ensemble Der musikalische Garten bringt Musik aus Sarasins Sammlung.
Mit dem Ende seiner Trilogie trat Reidemeister als Künstlerischer Leiter zurück. Damit ist die weitere Existenz des Festivals ungewiss. Pessi ist glücklicherweise bereit die Reihe – wohl in kleinerem Umfang – weiterzuführen und steht in Kontakt mit möglichen Nachfolgern.
Details zum Festival
www.festtage-basel.ch