Sänger sind Schauspieler
Der Meisterkurs Chor von Paul Phoenix im Künstlerhaus Boswil ist einzigartig in der Schweiz. Er bringt Chören bei, unter sich und mit dem Publikum zu kommunizieren.
Paul Phoenix ist ein bekannter britischer Tenor. Bis vor vier Jahren war er Mitglied der King’s Singers aus Cambridge. Die sechs Sänger dieses Vokalensembles sind nicht nur durch die ganze Welt getourt, sie haben mit ihren originellen Crossover-Programmen auch schon mehrere Grammy-Awards gewonnen. Mit dem berühmten Ensemble gastierte Phoenix zweimal in Boswil. Seit er nicht mehr mitsingt, konzentriert er sich auf seine pädagogische Tätigkeit und tritt als begehrter Performance Coach sogar in China auf. Seinen Meisterkurs Chor hat er vor vier Jahren speziell für Boswil entwickelt, er nennt ihn lieber Performance Coaching. Gleichzeitig gründete er die Purple Vocals, einen «Vocal Coaching Service», der auch online Coaching über Skype anbietet: www.purplevocals.com
Am Wochenende vom 8. bis 10. Mai war Phoenix nun bereits zum vierten Mal für einen Meisterkurs in Boswil. Der Kammerchor C21 unter der Leitung von Michael Schraner und das Vokalensemble Cantemus unter der Leitung von Judith Flury liessen sich beraten, ein spannender Lernprozess, der zu einem inspirierten Schlusskonzert führte. «Ich finde, das Künstlerhaus ist mit seiner familiären Atmosphäre ein idealer Ort für einen Chorkurs», meint Phoenix im Gespräch, «hier kann man zusammen arbeiten, essen, Zeit verbringen, und es braucht keine besonderen Instrumente, es ist eigentlich ganz einfach, wir singen zusammen. Das heisst: zusammen atmen, auf Details achten, dynamisch arbeiten.»
Verstehen, erzählen, strahlen
Das Besondere an diesem Meisterkurs ist, dass er nicht von einem Chordirigenten gegeben wird, sondern eben von einem Sänger. Was muss man sich unter Performance Coaching vorstellen? Bedeutet das mehr Show, pfiffige Kleidung, spezielle Chor-Aufstellungen? Paul Phoenix geht es nicht um Show, wie ich bei einem Kursbesuch am Samstagmorgen feststellen konnte, ihm geht es um eine bessere Kommunikation mit dem Publikum. Meist spiele sich alles nur zwischen Choristen und Dirigentin ab, das Publikum werde vergessen.
Das Vokalensemble Cantemus von Judith Flury wird in einer Woche in zwei Konzerten ein originelles Shakespeare-Programm präsentieren, der Chor ist top vorbereitet, es geht in diesem Kurs um den letzten, den Meister-Schliff. Die englische Sprache ist nicht einfach zu singen, vor allem das «th» darf nicht zu einem «t» werden. Three words heisst eine Ballade von Juhani Komulainen: ein sehr ruhiges, klanglich schillerndes Stück Musik. «Ihr singt das wie ein Madrigal in der Kirche. Ich vermisse eure Leidenschaft», greift Phoenix ein, «versteht ihr, was ihr singt? Das ist ein Liebeslied, das zwischen Leidenschaft und Resignation schwankt.»
Phoenix liest den Text vor, rezitiert ihn fast so, als würde er ihn singen, die three words sind: I love you. Und tatsächlich, die 24 Sängerinnen und Sänger beginnen zu erzählen. Sie lösen sich vom Notentext, werden freier, der weiche Chorklang gewinnt an Bedeutung und Kontur. «Weshalb schaut ihr alle so ernst drein?», meint Phoenix in seiner sympathisch humorvollen Art und zieht eine Grimasse. «Lächeln, die Augen müssen strahlen, fühlt euch wohl, habt Vertrauen!»
Tempo, Kommunikation
Es ist sehr schwer, im Chor ruhig liegende Klänge zu singen, ohne intuitiv langsamer zu werden. «Ihr verliert so an Spannkraft, der Ausdruck verschwimmt. Achtet gut darauf, dass ihr im Tempo bleibt.» Und siehe da, trotz Piano und liegendem Klang hört man den Sängern plötzlich gespannt zu. Dann fordert Phoenix die Dirigentin Flury auf, sich ganz hinten in den Saal zu stellen und den Chor von dort aus zu dirigieren. Das wirkt, sie singen deutlich spürbar in den Saal hinaus.
Nicht nur die Sängerinnen und Sänger, auch die beiden Dirigenten bekommen einige Tipps: «Ihr steht üblicherweise ja mit dem Rücken zum Publikum. Wendet euch auch mal um, sprecht mit dem Publikum, begrüsst es und sagt lieber ein paar Sätze zu den Stücken, als dass ihr Programmtexte schreibt. Das wirkt enorm.» Und dann das Intonieren: ab Stimmgabel und vorsingen, oder lieber am Klavier? Phoenix rät zu einer kleinen Mundharmonika oder Stimmpfeife, das sei sicherer als das Singen, man gebe sich so auch keine Blösse.