Marignano musikalisch-couturistisch
Am 14. und 15. April trat das Klangbox-Ensemble mit seiner Produktion «XiViX Op. 1515» in der Berner Dampfzentrale auf.
Initiiert von der Pro Helvetia findet unter dem Namen Viavai, eine Reihe von kulturellen Austauschprojekten zwischen der Schweiz und der Lombardei statt. (Wir haben berichtet.) Eines davon ist XiViX Op. 1515. Der Leiter der Künstlerplattform Klangbox, Pascal Viglino, hat es in Zusammenarbeit mit der Akademie Brera der Schönen Künste in Mailand entwickelt. Als Thema wurde die Schlacht von Marignano gewählt – zu einem Zeitpunkt, als das mediale Auslegungsgezänk noch nicht so laut tobte. Je elf Designer und Musikerinnen schufen in grenzüberschreitenden Zweiergruppen jeweils ein musikalisch-couturistisches Teilstück. Regisseur Stefan Hort fügte diese zu einem Musiktheaterabend zusammen.
Soweit die etwas strapaziös wirkende Ausgangslage, bei der man den Gedanken nicht ganz loswird, es sei auch an ein möglichst breites Feld von potenziellen Sponsoren gedacht worden. Und weil die Aufführung den Untertitel «pour mannequins & ensemble» trägt, fürchtet man sich ein bisschen vor einer monströsen Kriegsmodenschau, bei der ein ausgefallener musikalisch-textiler Aufzug den vorhergehenden zu überbieten suchen wird.
XiViX Op. 1515 ist dann zum Glück ein recht stiller Abend. Still trifft es nicht ganz, denn Klänge begleiten das Bühnengeschehen ständig, sind sozusagen der Fluss, auf dem Bild um Bild vorbeiströmt: oft blosse Geräusche, Rhythmen auf Perkussionsinstrumenten, kurze musikalische Fragmente, einige Phrasen aus dem Marignano-Lied, Trommeln und Pfeifen. Flötenklänge. Sie verdichten sich und dünnen dann wieder aus. Einmal dringt Marschmusik aus den Lautsprechern, die, immer langsamer abgespielt, bald nur noch scheppert. Es sind auch nur vier Personen, zwei Frauen und zwei Männer, erfahrene Performer, die die Vorstellung musikalisch wie darstellerisch tragen: Elisabeth de Mérode (Flöte, Stimme), Damien Darioli (Schlagzeug, Flügelhorn), Anja Füsti (Schlagzeug) und Pascal Viglino (Schlagzeug, Leitung).
Auf der perkussiv-flötistisch-stimmlichen «Tonspur» lassen sie Bilder entstehen und vergehen, evozieren Schlachtengetümmel, Grossspurigkeit und Leid. Wohl könnte man die einzelnen Beiträge der Designer-Musiker-Paarungen noch auseinanderdividieren, aber man folgt willig den immer neuen Assoziationen. Manchmal suchen sie die Nähe zum historischen Geschehen, etwa wenn die beiden Männer des Ensembles in bunten Uniformversatzstücken sich einen rhythmischen Zweikampf an der grossen Pauke liefern oder wenn zwei Darsteller die Landkarte zwischen sich aufgespannt auf die Bühne bringen: Territorium, das zur Sache, zum Streitobjekt geworden ist. Andere Szenen deuten eine symbolische Dimension des Themas an: wenn mit Klebeband immer hastiger Dutzende von Kreuzen an die Wand geklebt werden, wenn eine Kippfigur durch einen Handgriff von Weiss auf Rot wechselt (eine etwas platte Symbolik allerdings), wenn die Verblendung und Eitelkeit des Krieges als starre, mit lauter Spiegelscherben beklebte Figur erscheint.
Zu Beginn wird es langsam hell über einer sanften Hügellandschaft. Entfernte Schüsse sind zu hören. Oder wird doch nur Luft ausgestossen? Mit zunehmendem Licht entpuppt sich die Landschaft als riesiges Tuch, die Hügel als die Körper der Darsteller. Später recken sie sich aus Löchern heraus, betätigen nun sichtbar ihre Flöten, die diese mehrdeutigen Geräusche machen. Wir sehen, wie ein Effekt erzielt wird. Dieses Prinzip lässt sich im Laufe der 70 Spielminuten immer wieder ausmachen. Es führt zu einer gewissen Distanz – und ermöglicht dadurch Reflexion. In XiViX Op. 1515 sind keine Marignano-Meinungstreiber zu Gange, hier lässt sich nachdenken über den Sog der Trommeln, die Bitterkeit des Sterbens und die Hohlheit des Siegs.