Kräftemessen beim Bachfest Schaffhausen

Über das Auffahrts-Wochenende fand das 25. Internationale Bachfest statt. Personelle und strukturelle Veränderungen in jüngster Zeit beleuchten das Konfliktpotenzial zwischen der Stadt Schaffhausen und der Bachgesellschaft.

Das Ensemble La Venexiana. Foto: Selwyn Hoffmann/Schaffhauser Nachrichten

Prunkvoll beginnt das Orchestervorspiel der Kantate Dem Gerechten muss das Licht: In strahlendem D-Dur wetteifern drei Trompeten, zwei Pauken, zwei Traversflöten, zwei Oboen, die Streicher und die Continuo-Gruppe. Die Instrumentalisten, die da in der Schaffhauser Stadtkirche St. Johann musizieren, sind Mitglieder des italienischen Ensembles La Venexiana. Nun müssten die Solisten und der Chor einsetzen. Doch wo bleibt der Chor? Schnell wird klar, dass die vier Vokalsolisten auch die Ripieno-Partien singen, so dass der von Bach intendierte Wechsel zwischen solistischen und chorischen Abschnitten eingeebnet wird. Darüber hinaus haben die Sopranistin Francesca Boncompagni, der Countertenor Raffaele Pè, der Tenor Alessio Tosi und der Bass Tomáš Král gegenüber dem Orchester einen schweren Stand. Hervorragend klappt die Balance hingegen in der Kantate Der Herr denket an uns, deren Begleitung nur mit Streichern auskommt. Gleich drei der fünf Hochzeitskantaten von Johann Sebastian Bach präsentiert der Dirigent Claudio Cavina mit seinem Ensemble in diesem Konzert. Und gerade die dritte, die zweiteilige Kantate Gott ist unsere Zuversicht mit ihren originell instrumentierten Arien, zeigt, dass diese Werkgruppe Bachs zu Unrecht vernachlässigt wird. Einen Kontrast zu den unbekannten Vokalkompositionen bildet die beliebte vierte Orchestersuite. La Venexiana begeistert hier mit einem hohen technischen Niveau, mit Farbigkeit des Klangs und ansteckender Spielfreude. Das Ensemble sucht indes nicht, wie beispielsweise Il giardino armonico, die radikale Zuspitzung, sondern bevorzugt einen gerundeten, warmen Klang.

«Bach festlich» lautete das Motto des diesjährigen Internationalen Bachfestes Schaffhausen, das während fünf Tagen am Auffahrts-Wochenende stattfand. Anlass für das Motto bot die 25. Durchführung in diesem Jahr. Einen Schwerpunkt bildeten die weltlichen Kantaten Bachs, so beim Ensemble Mitteldeutsche Hofmusik und beim Konzert des Schaffhauser Oratorienchors mit dem Ensemble La fontaine. Zum Jubiläum hat die Bachgesellschaft Schaffhausen dem Musiker Rudolf Lutz einen Kompositionsauftrag erteilt. Seine Schaffhauser Festkantate mit Texten von Karl Graf ist eine liebevolle, humoristische Charakterisierung der Stadt Schaffhausen, musikalisch im Gewand einer Bach-Kantate. Die Absicht, ein neues und jüngeres Publikum anzulocken, zeigte sich im Orgelkonzert der Jazzerin und Improvisatorin Barbara Dennerlein im Münster und in der Performance Red Bull Flying Bach im Stadttheater, wo die Breakdance-Gruppe Flying Steps unter der Regie von Christoph Hagel zu den Klängen von Bachs Wohltemperiertem Klavier tanzte.

Die Krise von 2012
Das Bachfest wurde im Jahr 1946 als Zeichen der Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen. Gründer waren der damalige Stadtpräsident Walter Bringolf und ein Kreis von Kulturexponenten, woraus die Internationale Bachgesellschaft Schaffhausen (IBG) hervorging. Diese Doppelurheberschaft besteht also seit den Anfängen, und bis heute werden die Bachfeste von der Stadt Schaffhausen in Zusammenarbeit mit der Bachgesellschaft veranstaltet. Der Musikwissenschaftler und Bach-Forscher Hans-Joachim Hinrichsen, Vorstandsmitglied und bis 2012 Präsident der IBG, räumt ein, dass die Formulierung «in Zusammenarbeit mit» Konfliktpotenzial in sich birgt. Hinrichsen erklärt, dass die Bachgesellschaft für das Inhaltliche, die Stadt für das Finanzielle und Organisatorische zuständig ist. Etwas anders sieht es Jens Lampater, der Kulturbeauftragte der Stadt Schaffhausen, der beim Bachfest die Rolle des Geschäftsführers einnimmt: «Die Stadt ist für den ganzen operativen Teil zuständig», sagt er, «und die Bachgesellschaft ist dabei eine Art von Think Tank.»

Mit dieser Sicht gar nicht einverstanden ist der Musikologe Dominik Sackmann, der bis 2012 Vizepräsident der IBG und von Hinrichsen als dessen Nachfolger vorgesehen war. Sackmann, der für das Programm des Bachfestes 2012 eine Schlüsselrolle gespielt hat, sagt klar: «Das Know-how liegt bei der Bachgesellschaft.» Sie solle deshalb Motto, Inhalte und Interpreten alleine bestimmen, um schlüssige und künstlerisch anspruchsvolle Programme zu garantieren. Sackmann lehnte es insbesondere ab, dass sich Lampater und Heini Stamm in inhaltliche Fragen einmischten. Stamm, Präsident des Musik-Collegiums Schaffhausen, ist von der Stadt für das Konzertmanagement der Bachfeste angestellt. Zudem wollte Sackmann für das Bachfest den Posten eines Intendanten schaffen, der von der IBG bestimmt würde. Nachdem Sackmann mit seinen Ideen abgeblitzt war, warf er das Handtuch, verzichtete auf das Präsidium und trat aus dem Vorstand der Bachgesellschaft aus. Und Hinrichsen, der seinen Rücktritt schon lange angekündigt hatte, war nicht bereit, seine Präsidentschaft zu verlängern.

In dieser Krisensituation wurde der Jurist Andreas Bohrer-Peyer als Mediator zwischen der Stadt Schaffhausen und der Bachgesellschaft berufen. In der Folge wurden die Zuständigkeiten neu geregelt. Bei der IBG stellten sich als Notlösung Andreas Heieck und Peter Liebmann für ein Co-Präsidium zur Verfügung. Nach Heiecks Wegzug übernahmen 2013 der Architekt Christoph G. Froehlich, der vorher Sekretär der IBG war, und Andreas Bohrer das Co-Präsidium der Gesellschaft. Froehlich, der die Bachfeste seit ihren Anfängen mitverfolgt hat, sieht sein Amt klar als Übergangslösung. «Wenn wir einen geeigneten Nachfolger finden», sagt er, «trete ich 2017 zurück.» Inzwischen hat er bereits einige jüngere Kräfte in den Vorstand geholt.
Für Inhalte und Interpreten der Bachfeste ist nun eine neu bestellte Programmkommission zuständig. Ihr gehören seitens der Bachgesellschaft Christoph G. Fröhlich, der Kirchenmusiker Johannes Strobl, die Dirigentin Annedore Neufeld sowie der Arzt und Musiker Peter Liebmann an. Die Stadt ist mit Jens Lampater und Heini Stamm vertreten. Für die Gesamtorganisation ist ein OK verantwortlich, dem Lampater, Stamm, Froehlich und Stadtpräsident Thomas Feurer angehören. Übereinstimmend erklären verschiedene Beteiligte, dass die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Bachgesellschaft inzwischen wieder sehr gut funktioniere.

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