Dyslexie und Dyskalkulie im Musikunterricht
Die Jury des Good-Practice-Wettbewerbs des VMS vergab ihren ersten Preis an ein Projekt der EJMA Valais: eine spezialisierte Abteilung, die seit fünf Jahren Studierende mit körperlichen oder psychischen Gesundheitsproblemen aufnimmt.

„Ich habe mein kleines Labor zuhause“, sagt Sarah Perruchoud-Cordonier, „Ich habe Dyslexie und Dyskalkulie und bin Mutter von drei kleinen Mädchen, die ebenfalls ‚multi-dys’ sind.“ Sarah Perruchoud-Cordonier nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie erklärt, warum sie sich für das Unterrichten von Kindern mit Lernschwierigkeiten interessierte und warum sie bei EJMA Valais die erste spezialisierte Abteilung für diese Kinder eröffnete.
Seit August 2020 ermöglicht dieser Bereich allen Kindern, unabhängig von ihrem kognitiven und intellektuellen Niveau, mit Behinderungen oder Krankheiten, den Zugang zum Musiklernen. Schüler:innen können Unterricht in Akkordeon, Schlagzeug, Klavier, Gesang, Cello, Flöte, Keyboard sowie in musikalischer Einführung und Musiksprache nehmen. Neun Lehrpersonen haben sich im Rahmen eines CAS auf dieses Fachgebiet spezialisiert. Und dieser CAS wurde ihnen von M4All verliehen, dem Verein, den Sarah Perruchoud-Cordonier selbst gegründet hat: „An Musikhochschulen gehört eine solche spezialisierte Ausbildung nicht zum Grundlehrplan. Ich hatte Schüler:innen, mit denen es nicht gut lief, aber anstatt sie aufgeben zu lassen, versuchte ich, Schlüssel zu finden und sie in meinen Unterricht zu integrieren. Mein Heimlabor hat mir geholfen. Dann absolvierte ich eine DOLCE-Ausbildung mit dem Schwerpunkt auf pädagogischer Musiktherapie für Kinder mit Lernschwierigkeiten, gefolgt von einer Spezialisierung in Paris. Ich versuchte aufzulisten, was möglich war, und fasste diese pädagogischen Instrumente zu einer Methode zusammen, die ich Les Clés de la Pédagogie M4all nannte, und gründete sofort eine Ausbildungsorganisation, M4all Formation Sàrl.“
Interagieren lernen
Die Idee dieser Schulung besteht darin, einen Unterricht im Aktions-Reaktions-Stil anzubieten, der auf Fallstudien und an die jeweiligen Eigenheiten angepassten Lehrmitteln basiert. Es geht darum, den Umgang mit dem Kind als Individuum zu erlernen – statt zu lernen, wie man ihm Musik beibringen kann. Ein Schüler mit Legasthenie wird beispielsweise sein ganzes Leben lang Legastheniker sein, auch beim Notenlesen. Gemeinsam mit dem Schüler oder der Schülerin klären die Musikpädagog:innen ab, wie die Teilnahme am Unterricht und an Konzert ermöglicht werden kann.
Die Schüler:innen des jeweiligen Fachbereichs werden in schulübergreifende Projekte eingebunden. Sie nehmen an Workshops, Gruppenkursen und sogar Konzerten teil, „und niemand merkt etwas“, sagt Sarah Perruchoud-Cordonier. „Wir geben Gruppenunterricht mit echter Bildung für andere. Wir erklären zum Beispiel, was das Down-Syndrom ist. Wir tun so, als ob wir glauben würden, dass sich diese unterschiedlichen Kinder in die normale Gesellschaft integrieren werden. Und wenn die Behinderung zu schwerwiegend ist, suchen wir nach einer Lösung. Es muss für alle ein Gewinn sein.“
Rund hundert Kinder und Jugendliche konnten seit der Gründung dieses Bereichs der EJMA Valais von angepasstem Musikunterricht profitieren. Und einige der ausgebildeten Musikpädagog:innen wenden die Methode heute auch in anderen Musikschulen der Westschweiz an.
Mehr über das Projekt erfahren Sie hier.