Musikalische Bildung und Politik: Eine Chronik
Die Geschichte davon, wie die musikalische Bildung einen eigenen Artikel in der Bundesverfassung bekam, liest sich wie ein Krimi. Ein Krimi mit mit Hochs und Tiefs, mit zähen Passagen, aber auch mit einer Ode an starke Beziehungen zwischen Verbänden.
Im Herbst 2012 gingen Jubelrufe durch die Musikszene in der Schweiz – Volk und Stände hatten die Initiative „jugend+musik“ mit überwältigender Mehrheit angenommen. „Ein absolutes Glanzresultat“, sagt Christine Bouvard, die als ehemalige VMS-Präsidentin im Abstimmungskampf und der Umsetzungsarbeit an vorderster Front beteiligt war. Sie gab soeben im Auftrag des VMS eine Chronik heraus, die die wichtigsten Etappen festhält. „Wir waren alle sehr berührt“, sagt sie. „Und doch war uns klar, dass die Arbeit damit nun erst richtig anfing.“ Im Folgenden ein Auszug der wichtigsten Etappen.
2008: Volksinitiative „Jugend und Musik“ wird eingereicht
Mehr als zwanzig Schweizer Musikverbände schliessen sich zusammen und entwickeln den Initiativtext mit einem politisch breit abgestützten Komitee – mit dem Ziel, die musikalische Bildung in der Schweiz zu fördern. Die Forderungen umfassen folgende Bereiche:
- Breitenförderung: Chancengerechtigkeit und ein gesicherter Zugang zur musikalischen Bildung für alle Kinder und Jugendlichen in Schulen, Musikschulen und im Laienbereich
- Grundförderung: Hohe Qualität der musikalischen Bildung bis und mit tertiärem Bereich
- Talentförderung: Förderung junger Musiktalente im Rahmen eines nationalen Konzepts
Die Initiative wird mit über 150’000 Unterschriften eingereicht. Es gibt einen ersten Rückschlag: Bundesrat und Parlament sind mit dem Eingriff in die Kompetenz der Kantone in Sachen Bildung nicht einverstanden.
2012: Gegenvorschlag des Bundes
Der Bundesrat spricht sich für einen Gegenvorschlag aus. Das Initiativkomitee wägt sorgfältig und entscheidet sich schliesslich dafür, die Volksinitiative zurückzuziehen – in der Hoffnung, dass die Umsetzung gemäss der ursprünglichen Forderungen geschieht.
23.9.2012: Drei Viertel sagen Ja!
Mit 72.7% wird der Gegenvorschlag des Bundes zur musikalischen Bildung angenommen. Die Verbände erlauben sich zu feiern – im Bewusstsein, dass dies nur ein erster Meilenstein ist.
2018: Breitenförderung mit „Jugend und Musik“
Mit dem Programm „Jugend und Musik“ legt der Bund einen Grundstein für die Breitenförderung. Zudem soll mit Artikel 12a im Kulturförderungsgesetz die Tarifierung an Musikschulen reguliert werden. Der zweite Punkt wird von den Musikverbänden sehr kritisch beurteilt, weil er unter anderem das ursprüngliche Ziel der schweizweiten Harmonisierung der Beiträge der öffentlichen Hand verfehlt. Eine erste Evaluation des BAK von 2019 gibt dem Programm „Jugend und Musik“ ein gutes Zeugnis, während die Tarifierung und der Artikel 12a als nicht erfolgreich beurteilt werden. 40% der befragten Musikschulleitenden (Umfrage des BAK an allen VMS-Musikschulen) sagen aus, dass der Zugang an ihre Musikschule nicht chancengerecht sei.
2022: Talentförderung mit „Junge Talente Musik“
Mitte 2022 lanciert das BAK das Rahmenkonzept zu „Junge Talente Musik“. Es definiert inhaltliche und formale Vorgaben von musikalisch Begabten und regelt die finanzielle Unterstützung, die der Bund an Kantone ausschüttet.
Grundförderung: Wie geht es weiter?
Der Bundesrat überlässt die Umsetzung des Bundesverfassungsartikels 67a zur Grundförderung (Absatz 2) vollumfänglich den Kantonen. Zehn Jahre nach der Abstimmung sind leider noch keine wesentlichen Veränderungen erkennbar. In der Vernehmlassung zur Kulturbotschaft 2025 – 2028 regt der VMS einen runden Tisch mit allen zuständigen Musikverbänden, Bund und EDK an.
Nach dem Abschluss der Arbeit an der Chronik (zum Download auf der Website) bleibt für Christine Bouvard vor allem eine Erinnerung: die Solidarität zwischen den Verbänden. „Es war ein Schulterschluss für eine gemeinsame Sache“, sagt sie. Im Hinblick darauf, dass die ursprünglichen Ziele esonders in der Umsetzung von Art 67a, Absatz 2 noch nicht erreicht werden konnten, ergänzt sie: „Politische Arbeit ist nicht wie ein Bauprojekt – sie entwickelt sich immer weiter, es geht einen Schritt vorwärts, manchmal auch einen zurück.“ Den Präsident:innen der Musikverbände wünscht sie weiterhin viel Mut und Ausdauer dafür, sich für die musikalische Bildung in der Schweiz einzusetzen.