«Kultur und Digitalisierung» – die Ergebnisse

Auf Anregung des Schweizer Musikrates gab die Stiftung TA-SWISS drei Teilstudien zum Thema «Kultur und Digitalisierung» in Auftrag. Die Resultate haben zum Teil überrascht.

Wahrgenommene Veränderungen in der Folge der Digitalisierung, Organisationen (Anteile in Prozent). Fallzahl je nach Frage zwischen 201 und 224. Grafik: Stiftung TA-SWISS

Veränderungen im Kultursektor durch die Digitalisierung beschäftigten den Schweizer Musikrat schon seit längerem. Die Pandemie führte jedoch drastisch vor Augen, wie schnell ganze Wirtschaftszweige bedroht sein können – und wie rasch zumindest in Teilbereichen durch die Digitalisierung Ersatz geschaffen werden kann. Die Frage nach den Chancen und Risiken, welche die digitalen Entwicklungen bieten, wurden mit einem Schlag sehr aktuell.

Vor diesem Hintergrund schrieb die Stiftung TA-SWISS, die im Auftrag des Bundes Chancen und Risiken von neuen Technologien untersucht, im Dezember 2021 eine Studie zum Thema «Kultur und Digitalisierung» aus. Der erste Abschnitt aus dieser Ausschreibung umreisst die Thematik: «Mit der interdisziplinären Studie sollen die Chancen und Risiken der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Kultur und auf unsere gesellschaftliche Entwicklung abgeschätzt werden. Sie will versuchen, technische, rechtliche, gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche, ökologische und ethische Fragen zu beantworten. Wegen dieser Vielfältigkeit kann sie auch aus mehreren Teilprojekten bestehen.»

Drei Teilstudien – Digitalisierung in der Musik als wichtiges Thema

Den Zuschlag erhielten die Hochschule Luzern HSLU, der Schweizer Musikrat SMR sowie das Dezentrum Zürich. Während sich die HSLU mit den sozialen, wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Auswirkungen der Digitalisierung auf verschiedene Kulturbereiche beschäftigte, fokussierten die beiden anderen Studien auf die Kunst (Dezentrum) und die Musik (Schweizer Musikrat SMR). Die Studien sind sowohl in Buchform als auch online verfügbar.[1] Gerade für die Fachverbände dürften die Studien wertvoll sein, geben sie doch Hinweise darauf, inwiefern die Digitalisierung in der Verbandstätigkeit ein Thema sein sollte.

Im Zentrum der SMR-Studie zum Musikbereich standen die folgenden Fragen:

– Wie schätzen die Betroffenen die Digitalisierung allgemein ein: Überwiegt die Wahrnehmung von Risiken oder werden eher die Chancen hervorgehoben?

– Welche digitalen Technologien werden genutzt und wie werden sie beurteilt?

– Welche Wirkungen hat die Digitalisierung auf verschiedene Aspekte des Musikschaffens? Wie sieht es beispielsweise mit der Organisation und Durchführung von Konzerten, der Aufnahme und Vermarktung von Musik oder den Erwerbsmöglichkeiten aus?

– Welche zukünftigen Entwicklungen werden erwartet? Hier wird beispielsweise nach der Entwicklung von Live-Auftritten, Musikunterricht oder der Vielfalt des Musikschaffens gefragt.

– Sehen die Betroffenen politischen Handlungsbedarf – und falls ja: welchen?

Um diese Fragen zu beantworten, wurden mittels einer Online-Befragung sowohl die Einschätzungen von Organisationen, welche im Schweizer Musiksektor tätig sind, als auch von Musikschaffenden (professionelle und Amateurmusiker:innen, Lehrpersonen, Mitarbeitende von Organisationen, welche im Musikbereich aktiv sind) erfasst.

Optimismus und Zuversicht überwiegen

Die Befragungen erbrachten stellenweise überraschende Befunde. Dass nur etwas über 6 Prozent der Musikschaffenden und weniger als 2 Prozent der Organisationen des Musikbereichs in der Digitalisierung überwiegend Risiken sehen, konnte vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Pandemie nicht erwartet werden. Insgesamt erweisen sich die Organisationen der Digitalisierung gegenüber als noch etwas optimistischer als die Musikschaffenden, unter denen die Amateur:innen noch etwas häufiger die Chancen hervorheben als die professionellen Musikschaffenden.

Mit Blick auf die Nutzung digitaler Technologien zeigt sich, dass diese sowohl von Musikschaffenden als auch von Organisationen breit genutzt werden und eine bemerkenswerte Offenheit für künftige, neue Entwicklungen besteht. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass digitale Technologien in der Wahrnehmung der Befragten eher zu Vereinfachungen als zu Erschwerungen des musikalischen Lebens führen. Die nachstehende Abbildung 2 zeigt diesen Befund anhand der Antworten der Organisationen.

Bei vielen der abgefragten Aspekte verzeichnen die Organisationen kaum Änderungen, aber gerade wenn es um das Aufnehmen von Musik, die Verbreitung digitaler Aufnahmen und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen geht, ist der Anteil derjenigen, die Vereinfachungen konstatieren, erheblich. Nur bei der Wahrnehmung durch die Medien und den Verdienstmöglichkeiten ist jeweils rund eine Fünftel der Organisationen mit grösseren Schwierigkeiten konfrontiert waren. Dass sich beim «Geld verdienen» fast die Hälfte der Organisationen nicht äussert, hängt damit zusammen, dass an der Befragung viele Vereine und Verbände teilgenommen haben, bei denen diese Zielsetzung keine hohe Priorität hat.

Nicht nur die aktuellen Entwicklungen, sondern auch die Zukunftsperspektiven waren Gegenstand der Studie. Werden die Musikschaffenden und im Musikbereich aktiven Organisationen danach befragt, wie sie die Zukunft verschiedener Teile des Musikbereichs beurteilen, so gelangen sie insgesamt zu einer eher optimistischen Einschätzung. In der Wahrnehmung einer Mehrheit der Befragten führt die Digitalisierung zu einer vielfältigeren Musikwelt, in der Live-Musik weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird. Pessimistische Haltungen überwiegen allerdings bezüglich der Zukunft der Musikvereine und des Instrumentalunterrichts, und ein erheblicher Teil der Musikschaffenden und Organisationen befürchtet, dass das musikalische Leben in Zukunft härter werden könnte.

Aus Sicht des Musikrates war die Frage nach der Wünschbarkeit von politischer Intervention im Kontext von Musik und Digitalisierung wichtig, ist doch die Einflussnahme in Bern eine der Kernaufgaben des SMR. Auch hier fiel die Antwort anders aus als erwartet. Die nachstehende Graphik zeigt, dass die meisten Musikschaffenden und Organisationen keinen unmittelbaren Interventionsbedarf sehen:

Allerdings zeigten sowohl die Detailanalyse als auch die vielen individuellen Kommentare, dass dieser Befund zu differenzieren und nicht dahingehend zu verstehen ist, dass es keinerlei Handlungsbedarf gibt. Dies deshalb, weil die Digitalisierung sowohl innerhalb der Wertschöpfungskette (Kreation, Distribution, Rezeption) als auch in den Bereichen des Amateur- und des professionellen Musikschaffens, der musikalischen Bildung sowie in der Musikwirtschaft bestehende Problemfelder zusätzlich verschärft.

Handlungsempfehlungen aufgrund der Gesamtstudie

Es gehört zu den Aufgaben der Stiftung TA-SWISS, aufgrund von Studienresultaten Empfehlungen an die Politik zu formulieren. Dazu zählen mit Blick auf die Digitalisierung im Kultur- und Musikbereich unter anderem:

– Das Thema Digitalisierung ist vom Kultursektor zusammen mit der öffentlichen Hand und der Gesellschaft proaktiv anzugehen, um für weitere Entwicklungen gewappnet zu sein. Institutionen und Verbänden kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu.

– Die Digitalisierung sollte als mehrjähriger Schwerpunkt auf die Agenda des Nationalen Kulturdialogs gesetzt werden.

– Die in der Kulturbotschaft 2025 – 2028 vorgesehenen Massnahmen «Faire Einkommensbedingungen im digitalen Umfeld» sollten rasch umgesetzt werden.

– Die Digitalisierung proaktiv angehen heisst auch, sie als festen Bestandteil in der Aus- und Weiterbildung zu etablieren. Auch hier können die Verbände eine wichtige Rolle spielen.

– Das Thema Urheberrecht ist ein Dauerbrenner, bekommt aber durch die rasante Entwicklung wie etwa in der Künstlichen Intelligenz ganz neue Fragestellungen. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sollten deshalb laufend überprüft und angepasst werden.

– Die Amateurvereine, gerade in der Musik bzw. Kultur, bilden gewissermassen den Humus, auf dem das musikalische / kulturelle Leben gedeihen kann. Sie sollten deshalb weiterhin auf allen Staatsebenen gezielt gefördert werden. Zudem bräuchte es ein konstantes Monitoring, um die Entwicklung dieser wichtigen Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens genau beobachten zu können.

– Bereits heute ist die Musikerziehung aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung unter Druck. Die Digitalisierung verstärkt diesen, weshalb die Musikschaffenden schwere Zeiten auf die Musikerziehung zu kommen sehen. Um dem entgegenzuwirken, müssen die Lehrpersonen befähigt werden, digitale Hilfsmittel zu beherrschen und zielgerichtet einzusetzen.

Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger, welcher die Begleitgruppe der drei Studien präsidierte, äussert sich zur Thematik wie folgt[2]:

«Die Digitalisierung prägt unser Denken und Fühlen. Sie ist zu einer unverzichtbaren Dienerin unserer Kultur geworden, hat gleichzeitig jedoch längst den Taktstock in die Hand genommen. Damit sie sich nicht zur alleinigen Dirigentin aufschwingt, sind wir gehalten, ihre Chancen und Gefahren auszuloten und den Takt selbst zu bestimmen.»

Eine Besonderheit dieser Studie ist, dass die zentralen Inhalte auf einer Plattform interaktiv erlebbar / erfahrbar sind, mit je einem interaktiven Raum pro Teilstudie: https://www.proofofculture.ch/

 

Fussnoten

1. TA-SWISS Publikationsreihe (Hg.)(2024): Kultur und Digitalisierung. Zollikon: vdf. Der Text und eine Kurzfassung finden sich online unter: https://www.ta-swiss.ch/kultur-und-digitalisierung

2. Vgl. die weiter oben erwähnte Publikation von TA-SWISS, S. 7.

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