Neue Entwicklungen in der Musikschulgesetzgebung diverser Kantone

Der Schweizer Föderalismus hat zur Folge, dass sich die Musikschulgesetzgebung von Kanton zu Kanton unterscheidet. Als Gewerkschaft für Musikpädagog*innen hat der SMPV die Aufgabe, diese Entwicklungen zu verfolgen und in Verhandlungen die Interessen der Musiklehrpersonen zu vertreten.

Marianne Wälchli Musikpädagogik steht im Spannungsfeld zwischen Kultur und Bildung, und bei der Ausarbeitung eines neuen Musikschulgesetzes muss man das Kulturförderungs- und das Volksschulgesetz des entsprechenden Kantons mitberücksichtigen. Ein ideales Musikschulgesetz legt die Grundlage dafür, dass möglichst viele Kinder und Jugendliche einzeln oder allenfalls in  Gruppen ausserschulischen Musikunterricht besuchen können und dass Kinder bildungsferner und finanzschwächerer Familien nicht benachteiligt werden. Es sorgt für transparente und faire Anstellungsbedingungen, regelt die Qualitätssicherung und legt die Grundlage für eine optimale Talentförderung. Zum Thema Qualitätssicherung gehört auch, dass möglichst viele Musikschullehrpersonen sowohl künstlerisch wie pädagogisch ausgebildet sind, sie also einen Master of Arts in Musikpädagogik oder ein gleichwertiges Diplom haben.

Die wunderbarsten Anstellungsbedingungen auf dem Papier bringen nichts, wenn Stundenpläne Musikunterricht nur z. B. zwischen 16.00 und 19.00 Uhr ermöglichen, Musiklehrpersonen also gar nicht auf eine vernünftige Lektionenzahl pro Woche kommen können. Da ist es entscheidend, dass die Volksschule und die Musikschulen vernünftig miteinander verhandeln.
Musikunterricht ist idealerweise  Einzelunterricht, der von hochqualifizierten Lehrpersonen erteilt wird. Und für den Unterricht benötigt man genügend geeignete Unterrichtsräume. Es ist offensichtlich, dass das kostenintensiv ist. Und auch wenn inzwischen allgemein bekannt ist, wie wichtig Musikunterricht für die geistige und seelische Entwicklung ist, gibt es vermeintlich findige Sparfüchse, die dann die Minutenzahlen pro Kind so sehr kürzen, dass sinnvoller Unterricht nicht mehr möglich ist. Oder sie verordnen Gruppenunterricht, wo er nicht praktikabel ist. In solchen Situationen muss sich der SMPV für die betroffenen Mitglieder einsetzen.

In den folgenden Abschnitten möchte ich auf die Entwicklung der Musikschulgesetzgebung in einzelnen Kantonen eingehen:

 

Tessin
Die neusten Entwicklungen im Kanton Tessin lassen Musiklehrpersonen und Musikschüler*innen hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.
Zur Erinnerung: Die Initiative „100 giorni per la musica“, die verlangt, dass Musikunterricht für Kinder und Jugendliche subventioniert wird, wie es Artikel 67a der Bundesverfassung vorschreibt, wurde 2023 von einem Initiativkommitee eingereicht, dem auch SMPV-Mitglied, Emilio Pozzi, angehört. Im Moment übernimmt der Kanton Tessin erst rund 25% der Kosten anerkannter Musikschulen. Das führt dazu, dass Eltern von Musikschüler*innen rund 75% der Kosten selbst tragen müssen, während Eltern in der übrigen Schweiz durchschnittlich etwas mehr als 30% bezahlen. Kinder und Jugendliche finanzschwächerer Familien werden dadurch faktisch vom ausserschulischen Musikunterricht ausgeschlossen, was dem Artikel 67a klar widerspricht.
In der ersten Augustwoche wurde nun bekannt, dass der Tessiner Staatssrat in Zusammenarbeit mit dem Initiativkommitee einen Gegenvorschlag ausgearbeitet hat.
Die Regierung vertritt nämlich die Meinung, dass ein Gesetz über den ausserschulischen Musikunterricht, wie das Initiativkommitee es gefordert hat, „nicht geeignet und zweckmässig ist, um auf die von der Initiative aufgeworfenen gemeinsamen Herausforderungen eine zufriedenstellende Antwort zu geben“. Der Gegenvorschlag sieht dagegen eine Teiländerung des Kulturförderungsgesetzes vor, die unter anderem folgende Punkte beinhaltet:

  • Es soll eine unabhängige Qualitätskommission eingesetzt werden, die Qualitätskriterien definiert, die eine Musikschule erfüllen muss, um in den Genuss von Subventionen zu kommen.
  • Ausserschulischer Musikunterricht von Kindern und Jugendlichen bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit oder für jungeErwachsene bis zum vollendeten 25. Lebensjahr, wenn sie sich in einer Ausbildung befinden, soll substantiell subventioniert werden.
  • Musikschüler*innen aus Familien mit geringem Einkommen sollen zusätzlich unterstützt werden.
  • Räumlichkeiten der kantonalen öffentlichen Schulen sollen für Musikunterricht kostenfrei benutzt werden können.

Für die Versuchsphase von 2026 – 2028 rechnet die Regierung mit jährlich wiederkehrenden Kosten von total 1.5 Mio. Die Kosten würden in dieser Versuchsphase komplett vom Swisslos-Fonds getragen.
Sollte dieser Gegenvorschlag vom Parlament angenommen werden, ist das Initiativkommitee bereit, die Initiative zurückzuziehen. Es ist also möglich, dass sich die Situation für Musikschüler*innen und Lehrpersonen im Kanton Tessin schon 2026 massiv verbessert!

 

Thurgau
Am 1. Januar 2024 trat im Kanton Thurgau eine revidierte Musikschulverordnung in Kraft. Der Weg dazu wurde als „lang und emotional“ beschrieben.
Im Juni 2018 wurde vom Thurgauer Volksschulamt eine Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern des Kantons und des Verbands Thurgauer Musikschulen VMTG eingesetzt, mit dem Ziel, «die Finanzierung und die Qualitätssicherung der Musikschulen zu überprüfen». An der Vernehmlassung hat sich auch der Vorstand des SMPV Thurgau beteiligt und u.a. gefordert, dass der Unterricht für junge Erwachsene, die sich in Ausbildung befinden, bis zum vollendeten 25. (statt 20.) Altersjahr subventioniert werden sollte, was leider nicht bewilligt wurde. In diesem Punkt könnten also bald Tessiner Musikschüler*innen bessergestellt sein als die Thurgauer.
Positiv zu bewerten ist die vom SMPV gewünschte Erhöhung des Anteils von diplomierten Musiklehrpersonen. Dieser muss jetzt statt der Hälfte mindestens zwei Drittel betragen. Für die Musiklehrer*innen gelten, wie bisher, die Besoldungstabellen Lohnband 2 und 3 der Volksschule, wobei für die diplomierten Lehrpersonen die Lohnkategorie A gilt und für die undiplomierten Kategorie B. Neu werden Lehrpersonen, die sich noch im Masterstudium befinden als „diplomiert“ eingestuft.
Eine wesentliche Neuheit ist zudem die Aufteilung des Kantonsbeitrags in eine Besoldungspauschale pro Unterrichtsstunde und in eine Betriebspauschale mit einem variablen Anteil, weil öffentlich rechtliche Musikschulen ja Schulräumlichkeiten kostenfrei benutzen dürfen, privatrechtlich organisierte Musikschulen hingegen für Unterrichtsräume bezahlen müssen. Der Kanton rechnet mit jährlichen Mehrkosten von rund 600’000 Franken.
Obwohl nicht alle Forderungen und Wünsche der Musikschulen erfüllt wurden, kann die total revidierte Musikschulverordnung als wichtiger «Meilenstein» für die musikalische Bildung im Kanton Thurgau bezeichnet werden.


Graubünden
Hier ist die Musikschulgesetzgebung im Kulturförderungsgesetz geregelt. Als dieses 2018 in Kraft trat, brachte es den Musikschulen eine klare Verbesserung. Die Regionen wurden verpflichtet, ein flächendeckendes Angebot an Sing- und Musikschulen zu führen. Dafür unterstützt der Kanton die Musikschulen jährlich mit 410’000 zusätzlichen Franken zu den Beiträgen der Regionen von ca. 550’000 .- Franken.
Der SMPV OSO möchte allerdings Details in der Umsetzung des Gesetzes optimieren. So beteiligt sich der Kanton aufgrund der Berechnungsart mit Schülerpauschalen manchmal nicht mit den in der Verordnung festgelegten 30% an den Musikschulkosten sondern nur mit 25%, und die Gemeinden müssen dann das Defizit tragen, obwohl der Kanton sein Budget nicht ausgeschöpft hat. Zweitens stört sich der SMPV OSO daran, dass der Lohn von Musiklehrpersonen mit Vollpensum zwar dem Primarlehrerlohn mit Vollpensum entspricht, dass die Musiklehrer-Lektion aber 60 Minuten dauert, während die Primarlehrer-Lektion nur 45 Minuten lang ist, Musiklehrpersonen also faktisch 25% weniger verdienen.

 

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