Pop/Rock/Jazz oder Klassik in der Musikpädagogik
Während die Ausbildung zum klassischen Musikpädagogen / zur klassischen Musikpädagogin eine lange Tradition hat, ist die Musikpädagogik Pop/Rock und bedingt Jazz noch eine relativ junge Disziplin. Auch wenn erste Schritte unternommen wurden, könnte die Zusammenarbeit der beiden Abteilungen sicher noch intensiviert werden.
Je ein Kollege aus beiden Fachrichtungen hat mich kürzlich darum gebeten, gelegentlich einen Artikel zum Thema zu schreiben:
Wünsche aus der Abteilung Pop/Rock/Jazz
Sebastian Mäder ist freischaffender Musiker Pop/Rock, unterrichtet an der Musikschule
Mutschellen eine Drumset-Klasse, leitet an der Musikschule Rüschlikon den Fachbereich Pop/Rock/Jazz und unterrichtet an der HKB Kompetenzen in Popular Music. Ihm ist es ein grosses Anliegen, dass mehr Lehrpersonen im Bereich Pop/Rock/Jazz gut ausgebildet werden. Es geht ihm dabei nicht primär um technisch anders ausgebildete Lehrpersonen sondern um solche, die stilistische Kompetenzen in der Musikrichtung haben, die Volksschulkinder täglich hören.
So können Kinder und Jugendliche aus (musikalisch) bildungsfernen Familien dort abgeholt werden, wo sie stehen. Die Lehrpersonen sollen fähig sein, für Volksschulkinder ohne Vorkenntnisse das Zusammenspiel in einer Gruppe so einfach zu gestalten, dass sie unkompliziert miteinander auf verschiedenen Instrumenten musizieren können, dass sie anfangen zu improvisieren und dass sie dabei auch eigene Ideen entwickeln. Die Freude am Tun soll im Vordergrund stehen, damit sie miteinander in einen Flow kommen, der sie dann wiederum motiviert weiterzuspielen. Weil es dabei nicht darum geht, richtig oder falsch zu spielen und zu singen sondern darum, es einfach zu tun, entstehen bei einem solchen Einstieg in den Musikunterricht keine Versagensängste.
Er denkt, dass von diesem Punkt aus musikpädagogische Brücken in jede stilistische Richtung gebaut werden können und dass ein solcher Einstieg dabei hilft, die Kinder überhaupt fürs Musizieren zu begeistern. So sind sie später eher bereit, sich auch auf andere Musikstile einzulassen. Der Ausbau der Pop-/Rock-/Jazz-Kompetenzen könnte also schlussendlich auch den klassischen Bereich befruchten.
Sehr wichtig sind auch die Kompetenzen im Bereich Audio-Produktion mit dem Ziel, eigene musikalische Ideen und Soundvorstellungen aufnehmen zu können. Dafür brauchen Musikpädagog*innen ein fundiertes Verständnis für die unterschiedlichen Sounds der diversen Subkulturen von Pop/Rock/Jazz.
Etwa 80% der angehenden Musikpädagog*innen werden in der Abteilung Klassik ausgebildet, und Sebastian Mäder findet dass es für Musikpädagog*innen im Bereich Pop/Rock/Jazz unbedingt mehr Studienplätze geben müsste. Er ist sich bewusst, dass es dabei einen Konkurrenzkampf mit der Abteilung Klassik um die finanziellen Resourcen gibt. Da in den nächsten fünf Jahren sehr viele Musikschullehrpersonen pensioniert werden, müssten aber grundsätzlich dringend mehr Musikpädagog*innen ausgebildet werden.
Bedenken in der Abteilung Klassik
Wolfgang Pailer ist Sänger, klassischer Gesangspädagoge und pensionierter Sekundar- und Gymnasialmusiklehrer. Er beobachtet mit Unbehagen, dass an renommierten Musikschulen und Gymnasien Gesangslehrerstellen zunehmend nur noch für Pop-/Rock-/Jazz-Sänger*innen ausgeschrieben werden. Er befürchtet, dass Kinder und Jugendliche, die meist nur Musik aus dem Bereich Pop/Rock hören, gar nicht zur klassischen Musik finden können, wenn sie sogar an subventionierten Musikschulen und Gymnasien nie mit klassischer Musik in Berührung kommen. Er findet, diese subventionierten Schulen hätten doch einen Bildungsauftrag, und sie müssten Kinder und Jugendliche auch an Musik heranführen, der diese im täglichen Umfeld nicht oder kaum begegnen. Denn erst wenn sie auch klassische Musik im weitesten Sinne gehört und gespielt hätten, könnten sie aus dieser Erfahrung heraus selbst entscheiden, welche Musik sie schlussendlich mehr fasziniert. Dann könnten sie gezielt eine Lehrperson aus der Abteilung Klassik oder Pop/Rock/Jazz auswählen. Der SMPV als musikpädagogischer Verband müsse auf diese Problematik aufmerksam machen und sich dafür einsetzen, dass klassische Musik von den Musikschulen und Gymnasien nicht vernachlässigt werde.
Synergien finden
Ich denke, dass diese Problematik je nach Instrumentenart unterschiedlich gross ist.
Die Blockflötistin und der Hornist z.B. müssen sicher weniger befürchten, Schüler*innen an die Kolleg*innen aus dem Bereich Pop/Rock/Jazz zu verlieren als der Sänger und die Gitarristin. Vielleicht sollte sich der SMPV dafür einsetzen, dass bei Instrumenten, die sich dafür eignen, grundsätzlich vorgesehen wird, dass Musikschüler*innen in einem noch zu definierenden Rahmen, auch Unterricht in der jeweils anderen Abteilung nehmen müssen, oder dass alle Musikschüler*innen grundsätzlich in ein Projekt einbezogen werden, in dem sie spielerisch praktische Erfahrung mit den Musikstilen der anderen Abteilung machen können.
Musikpädagogik ist keine exakte Wissenschaft. Sie entwickelt sich auf der Grundlage ihrer Tradition, die in der Klassik natürlich weiter zurückreicht als bei Pop/Rock/Jazz, sie wird beeinflusst von pädagogischen Modeströmungen oder von neuen technischen Möglickeiten. Sie entwickelt sich aber auch ständig durch die Menschen, die Musikunterricht erteilen und durch die, die diesen Unterricht positiv oder negativ erleben.
Im Gespräch mit Sebastian Mäder habe ich mich plötzlich ans letzte Symposium von Swissmedmusica erinnert, bei dem mehrere Referent*innen darüber gesprochen haben, wie erschreckend viele Hochschulstudierende Auftritte und Prüfungen nicht ohne Beta-Blocker oder ähnliches bewältigen können. Vielleicht könnte der von Pop/Rock/Jazz-Pädagog*innen propagierte nicht wertende Zugang zum Musizieren auch uns Klassiker*innen helfen, bei allem Streben nach Exzellenz keine Versagensängste zu entwickeln. Ganz sicher lohnt es sich für beide Abteilungen, sich in musikpädagogischen Fragen auszutauschen und unvoreingenommen voneinander zu lernen.
Welche Meinung haben Sie zu diesem Thema?