Angst vor dem GAV?

Während viele Berufsorchester bereits einen Gesamtarbeitsvertrag abgeschlossen haben, ist das Konservatorium Winterthur die einzige Musikschule mit GAV.

Der GAV habe einen Kulturwandel ausgelöst, sagt Benjamin Kellerhals, Präsident des Vereins der Lehrpersonen am Konservatorium Winterthur. Weil sie in allen wichtigen Belangen Mitspracherecht haben und sie in Entscheidungen eingebunden werden, solidarisieren sich die Lehrpersonen stärker mit ihrer Musikschule, und sie identifizieren sich eher mit gefällten Entscheidungen.

Ganz offenbar ist sowohl die Arbeitnehmer- wie die Arbeitgeberseite sehr zufrieden mit diesem Modell, und so stellt sich die Frage, warum sich nicht mehr Musikschulen ernsthaft mit diesem Thema befassen. Liegt es daran, dass alle Musiklehrpersonen in der Schweiz sehr zufrieden sind mit ihrer beruflichen Situation und gar nichts ändetn wollen, ist es Angst, die eigene Anstellung zu gefährden, wenn man der Schulleitung sagt, man möchte in GAV-Verhandlungen eintreten oder ist der Respekt vor der grossen Arbeit, die die Ausarbeitung eines solchen Vertrags mit sich bringt, einfach zu gross?

Bereits 2002 erhielt das Lehrpersonal des Konservatoriums Zürich einen Gesamtarbeitsvertrag. Die NZZ schrieb damals, dieser GAV „dürfe als richtungsweisend für die gesamtschweizerische Musikschullandschaft betrachtet werden.“ Wegen der Fusion des Konservatoriums Zürich mit der (öffentlich-rechtlichen) Jugendmusikschule Zürich zur MKZ wurde der GAV aufgelöst; nur privatrechtlich organisierte Musikschulen können einen GAV haben.
Seit dem 1. Januar 2006 gibt es am Konservatorium Winterthur einen GAV, der bis heute gut funktioniert.

Ich spreche mit Hans-Ulrich Munzinger, dem ehemaligen Direktor des Konservatoriums Winterthur, in dessen Amtszeit der GAV ausgehandelt wurde.

Herr Munzinger, was gab den Anstoss dazu, am Konservatorium Winterthur einen GAV auszuhandeln?

Einige Lehrpersonen haben mir mitgeteilt, dass sie solche Verhandlungen wünschten, und da ist es ganz klar, dass die Musikschulleitung darauf eingehen muss. Es gab ja schon erste Erfahrungen aus Zürich, und der fünf Jahre dauernde Prozess wurde vom MuV, vom VPOD und vom SMPV unterstützt. Sibylle Schuppli vom MuV war neben Martha Gmünder vom SMPV Initiantin des Zürcher GAVs, und sie konnte diese Erfahrung in die Winterthurer Verhandlungen einbringen.

Hat sich die grosse Arbeit gelohnt? Was bringt der GAV dem Lehrpersonal und der Musikschulleitung heute?

Das hat sich auf jeden Fall gelohnt! Schon der Verhandlungsprozess war sehr wichtig. Lehrpersonal und Schulleitung mussten sich genau in die Situation des Gegenübers hineindenken: die Schulleitung bekam alle Anliegen und Probleme des Lehrpersonals zu hören, und dieses wiederum erfuhr, welche Auflagen von Behördenseite und von der Politik für die Arbeit der Schulleitung bestimmend sind.

Danach galt es bei allen Streitpunkten sich gegenseitig zu überzeugen, bis schlussendlich ein Konsens gefunden werden konnte. Durch die Verhandlungen und den daraus resultierenden GAV erreichten wir eine sehr hohe Transparenz, was zu einer grösseren Zufriedenheit auf beiden Seiten führte.
Wir haben z.B. eine Lohnskala nach Alter eingeführt. Somit ist allen klar, wer wann wieviel verdient und dieses Rästeln drüber, warum wer wie eingestuft sein könnte, bleibt aus. – Die Lohnfrage muss man in einem GAV natürlich nicht so lösen; wichtig sind einfach klare Vorgaben und absolute Transparenz.

Hat die Schulleitung noch Handlungsspielraum mit einem GAV?

Natürlich bleibt ein gewisser Handlungsspielraum, man will ja auch etwas formen und gestalten. Wir haben den GAV bewusst schlank gehalten und regeln Details zusätzlich in einem „Anwendungsheft“, in dem einzelne Punkte, wenn sie sich in der Praxis nicht bewähren, mit dem Einverständnis von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite leichter verändert werden können.
Zudem kann die Schulleitung punkto Auswahl von zusätzlichen Kursen, besonderen Events und dem Auftritt der Schule nach aussen immer noch viel gestalten.
Übrigens hat auch das Lehrpersonal grosse Gestaltungsmöglichkeiten, was Stil und Inhalt des Unterrichts angeht, und die eigene künstlerische Tätigkeit ist explizit erwünscht und wird auch gefördert, indem z.B. Urlaube gewährt werden.

Welche Punkte im GAV oder im Anwendungsheft finden Sie in der Praxis besonders wichtig?

Da gibt es einige: z.B. dass bei Mitarbeitergesprächen allfällige Kritikpunkte im Voraus bekannt gegeben werden, damit sich die Lehrperson auf das Gespräch vorbereiten kann. Dass langjährige Lehrpersonen eine Pensengarantie für drei Semester basierend auf dem Durchschnitt der Stundenzahl der letzten vier Semester bekommen können. Und zentral: dass die Lehrpersonen klar wissen, was zu ihrer erwarteten Arbeitsleistung gehört, nämlich Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Schülerkonzerte, Teilnahme am Konvent, Weiterbildung und nicht zuletzt das eigene Üben auf dem Instrument. Das führt dann zu einem Lohnfaktor Unterrichtsstunden zu Arbeitsstunden von 1.75.

Was geschieht in einem Streitfall?
Es gibt die paritätische Kommission (PaKo), die entscheidet. Wenn sie zu keinem Ergebnis kommt, geht der Fall zur behördlichen Schlichtungsstelle, deren Entscheid bindend ist. Wir mussten aber zum Glück nie an sie gelangen. Das zeigt auch, wie gut der GAV funktioniert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Liebe Leser*innen, wie stehen Sie zum Thema GAV? Der SMPV freut sich auf Zuschriften an marianne.waelchli@smpv.ch!
Als Berufsverband ist er u.a. dazu da, Mitglieder, die an ihrer Musikschule einen GAV aushandeln möchten, darin zu unterstützen.

Konservatorium Winterthur Foto by Oliver Pailer

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