Schweizer Jahrbuch: Identität und Kreativität

Das Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft komplimentiert mit seiner aktuellen Ausgabe die Trilogie zum Thema «Musik in Krisenzeiten».

Welche Rolle spielt die Musik zuzeiten von persönlichen Krisen? Wie geht man mit Schaffenskrisen um? Und wie werden Identitätskrisen in der Musik porträtiert? Diesen und weiteren spannenden Fragen geht der neuste Band des Schweizer Jahrbuchs für Musikwissenschaft nach, der soeben als dritte Publikation im Golden Open Access Format erschienen ist. Die vier Editorinnen Margret Scharrer, Vincenzina Ottomano, Lea Hagmann und Laura Möckli, die in ganz unterschiedlichen Bereichen der Musikwissenschaft zuhause sind (historische Musikwissenschaft, Musiktheaterwissenschaft, Musikethnologie), komplimentieren damit ihre Trilogie zum Thema «Musik in Krisenzeiten».

Die Begriffe «Krisen» und «Musik» werden dabei weit gefasst. So behandelte der erste Band der Trilogie (Bd. 38, 2021) als Reaktion auf die Covid-19 Pandemie vor allem Pandemien (Covid-19, AIDS), während sich der zweite Band (Bd. 39, 2022) Konflikten und Kriegen (Belliphonie, SARS, Grenzkonflikten etc.) widmete. In ihrer Einleitungen zum aktuellen Band Identität und Kreativität (Bd. 40) schreiben die Herausgeberinnen: 

Krisensituationen gehören zum festen Bestandteil der menschlichen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Erfahrung. Sie stellen zwar Ausnahmesituationen dar, sind aber dennoch überall anzutreffen, nicht nur in Gebieten, die von Hunger, Krieg und Krankheit heimgesucht werden, sondern auch in wohlhabenden Gesellschaften. Krisen manifestieren sich in den unterschiedlichsten Formen und werden auf unterschiedliche Weise wahrgenommen und bewältigt. (SJM, Bd. 40, S. 7)

Der Hauptartikel im aktuellen Band von Naomi Matsumoto (Goldsmiths, University of London), Representing Insanity and the Crisis of Identity through Henry Purcell’s «Bess of Bedlam»  beschäftigt sich mit Henry Purcells Ballade Bess of Bedlam (1683), an deren Beispiel Matsumoto illustriert, wie im 17. Jahrhundert das Konzept des Wahnsinns dargestellt wurde in einer Liedgattung, die als «mad song» bezeichnet wird. Als weiteren Artikel untersucht Florian Besthorns «Ihr Völker lernt gefährlich leben». Mit Katastrophenmusiken auf dem Weg zum Frieden? Jörg Widmanns Oratorium Arche in Bezug auf die Themen Glaube, Göttlichkeit und persönliche Verantwortung, und fragt, wie eine Gesellschaft in Zeiten der Krise neue Antworten auf die Frage nach einer gerechteren Welt finden kann. Martin Pensas Artikel Die Welt in einem neuen Licht sehen – Gustav Mahlers Spätwerk als Symptom einer persönlichen Krise? wirft einen genaueren Blick auf das Spätwerk Gustav Mahlers und die komplizierten Zusammenhänge mit der persönlichen Krise des Komponisten im Jahr 1907 – als er sowohl seine Tochter Maria Anna als auch seine Stelle als Direktor der Wiener Hofoper verlor und gleichzeitig von seinem unheilbaren Herzversagen erfuhr.

Neben den drei Hauptartikeln, beschäftigen sich Autor*innen in der Rubrik «Zeitzeugen» mit weiteren Aspekten von Identitäts- und Schaffenskrisen, etwa im Interview mit der Komponistin Manuela Kerer, im Gespräch mit dem Regisseur Alexander Nerlich, im Projekt Music as Empowerment, das mit Sound-Projekten Sprachbarrieren zwischen Schweizer Forschenden und jungen Geflüchteten im Kanton Luzern zu überwinden sucht, oder in der Bühnenproduktion von Lea Luka Sikau und Nat Jobbins, die sich mit psychischer Gesundheit, Queerness, Wahnsinn, Scheitern und Kreationsprozessen beschäftigt. Die Rubrik «Werkstatt CH» komplementiert den Band mit Berichten zu aktuellen musikwissenschaftlichen Projekten an Schweizer Universitäten und Hochschulen, sowie Tagungsberichten und Buchrezensionen.

DOI:
doi.org/10.36950/sjm.40

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