Das musikalische Fundament legen
Musik und Bewegung oder Rhythmik? Musikgrundschule oder Elementare Musikpädagogik? Dieses Berufsfeld hat viele Namen. Aber immer geht es um das Herzstück der Musikpädagogik, am Puls der Gesellschaft.
Wer mit einem solchen Bachelor- oder Master-Diplom in der Tasche die Musikhochschule verlässt, ist gefragt, ja begehrt. Denn die meisten Kantone kennen diesen besonderen Musikunterricht in der Primarschule, die Schüler :innenzahlen steigen, und erweiterte Angebote im Rahmen der Ganztagesschule führen zu zusätzlichem Lehrpersonenbedarf. So arbeitet denn der Grossteil der Absolvent :innen des Fachbereichs Musik und Bewegung (auch) an der Volksschule. Dort erfüllen sie einen wesentlichen Teil des Bildungsauftrags im Fach Musik. Ohne ihr Engagement steht die musikalische Bildung still. In einer Gesellschaft, in der das aktive Musizieren nicht automatisch Teil des Familienlebens ist, legen diese Musiklehrpersonen das Fundament für den allgemeinen, aktiven Zugang zur Musik – und mehr als das : « Es werden sensorische, soziale, kreative und visionäre Kompetenzen geschult, die Basis der so dringend gefragten ’future skills’ » meint Claudia Wagner von der HKB.
Die Praxis der Chancengerechtigkeit
Gemeinsam mit dem Kollegium der Primarschule setzen sich die Musiklehrpersonen Tag für Tag für die Chancengerechtigkeit im realen Leben ein, jenseits grosser Worte und Konzepte. Die Heterogenität in den Klassen ist gross und wächst weiter. Hier ist pädagogisches Handwerk gefragt. Alle Schweizer Musikhochschulen tragen diesen Anforderungen in ihren Ausbildungen Rechnung. So sagt Dominique Regli-Lohri von der Hochschule Luzern – Musik : « Die Pädagogik wird gestärkt, damit unsere Studierenden im Berufsalltag bestehen und ihr gelerntes Wissen weitergeben können. Dazu gehören nicht nur fachspezifische Aspekte, sondern beispielsweise auch Kenntnisse über Klassenführung, Konfliktlösung und Kommunikation. »
Ein breites Berufsfeld
Dass diese Spezialist :innen für musikalische Frühförderung an Schulen so begehrt sind, verstellt vielleicht den Blick auf die weiteren Berufsoptionen. Aber auch sie sind von grosser Bedeutung : « Ich finde, der Vorschulbereich müsste auch stärker abgedeckt werden, für 2-, 3-, 4-Jährige », sagt Stefanie Dillier, Präsidentin von Rhythmik Schweiz. « Ich habe etwas Bedenken, dass dieser Bereich verloren geht, wenn die altgedienten Rhythmikerinnen in den kommenden Jahren in Pension gehen. Aber wenn man mit kleinen Kindern im Elementarbereich nicht Musik macht, wenn man nicht mit ihnen singt und sich bewegt, dann verpasst man etwas. » Zudem stellen Ruth Frischknecht, Edith Stocker und Christian Berger von der ZHdK fest : « Ausserschulisch entstehen immer mehr neue Berufsfelder in den Bereichen Community Arts, Musikvermittlung, Aktivierung usw. »
Föderalismus
Es ist klar : Ohne diese grundlegende musikpädagogische Arbeit ist kulturelle Teilhabe in der Musik undenkbar. Die Schweizer Bundesverfassung hält daher in Artikel 67a, Absatz 2 fest : Bund und Kantone « setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für einen hochwertigen Musikunterricht an Schulen ein ». Die Verbände im Bereich Musikalische Bildung sind nicht der Meinung, dass dies heute schon erreicht ist. Sie setzen sich intensiv für Verbesserungen ein. Denn im Berufsfeld Volksschule besteht noch keine gesetzliche Basis für einen schweizweit einheitlichen, verbindlichen Einbezug der bestens qualifizierten Musiklehrpersonen mit Musik und Bewegung-Abschluss ins Kollegium. So unterscheidet sich die Handhabung von Kanton zu Kanton, ja von Gemeinde zu Gemeinde. Basel-Stadt gilt dabei als vorbildlich, wird doch Musik und Bewegung über alle sechs Jahre der Primarschule in Halbklassen unterrichtet. Das findet Katrin Rohlfs von der Hochschule für Musik Basel erfreulich. « Dass kantonale Bestimmungen so unterschiedlich sind, spricht aber nicht für eine Chancengleichheit in der kulturellen Bildung, wie sie in der Bundesverfassung verankert ist », merkt sie kritisch an.
Ausblick
Es bleibt also wichtige politische Arbeit zu leisten. Aber das Berufsfeld ist schon heute inspirierend und vielfältig wie kaum ein zweites. Alle Verantwortlichen für die Ausbildungen in Musik und Bewegung an Schweizer Musikhochschulen weisen darauf hin, dass auch das musikalisch-künstlerische, stilistische Spektrum sehr breit ist, dass mit Menschen in jedem Alter gearbeitet werden kann und dass die solide musikpädagogische und künstlerische Ausbildung mit einem Blick auf die Entwicklungen unserer Gesellschaft laufend erweitert wird, natürlich auch im Bereich digitaler Zugänge.
Im Zentrum stehen aber weiterhin die Menschen als sinnliche Wesen, oder in den Worten von Florence Jaccottet von der Haute Ecole de Musique de Genève : « L’approche de la musique par le mouvement fait écho à une demande actuelle forte dans un paysage musical en pleine transformation, ou l’innovation se traduira peut-être de plus en plus par le désir du musicien de faire appel non pas à l’intelligence artificielle mais bien physique et sensible. »
Prof. Dr. Valentin Gloor
… ist Direktor der Hochschule Luzern – Musik.