Vom Beruf zur Berufung …
… aber die Bildungs-Strukturen für «Lebens Lange Lernen» stimmen oft (noch) nicht.
Ein Studium in fortgeschrittenem Alter ist oft nur möglich, wenn dieses individuell an die familiäre und berufliche Situation angepasst werden kann und keine Altersguillotine erbarmungslos zuschlägt.
Die nachfolgenden Interviews zeigen, dass ein Berufsstudium in der Lebensmitte dank gereifter Lebensphilosophie, Lebenserfahrung und Erwartungen auf einen sehr fruchtbaren Boden fällt.
Der Megatrend «Lebens Langes Lernen» ist wohl die offensichtlichste Konsequenz darauf, dass wir gesünder älter werden und die Freizeit nicht primär zur Erholung, sondern zum Vergnügen, Reisen oder eben zur Weiterbildung nutzen können. Da ist es nicht überraschend, dass viele auch mit 30, 40 oder gar 50 Jahren noch einen Berufswechsel anstreben und so die Berufung zum Beruf machen wollen.
Dass ein Berufsstudium auch in fortgeschrittenem Alter möglich ist, zeigen die konkreten Fälle von Isabelle Schmied (42) und Dr. Andrea Schmidinger (51), die heute praktizierende Fachärztin für Neurochirurgie ist. Beide haben sich entschieden, bei der Kalaidos einen Bachelor of Arts in Music zu absolvieren, weil sie hier ihr Studium mehr als an anderen Hochschulen den persönlichen Gegebenheiten individuell anpassen können.
Michael Bühler hat sich mit ihnen unterhalten.
Was hat Sie bewogen, noch einmal die Schulbank zu drücken und ein Musikstudium zu absolvieren?
Isabelle Schmied: Auch wenn mich die Liebe zur Musik seit früher Kindheit begleitete, fand ich erst mit 21 Jahren zum klassischen Gesang. Der Wunsch eines Gesangsstudiums schlummerte lange in mir, doch erst als ich Anfang 30 zu meiner Lehrerin fand, die mir endlich die richtige Technik für ein freies und natürliches Singen vermittelte, fasste ich den Entscheid, diesen lange gehegten Traum wahr werden zu lassen. Es mussten noch zehn Jahre vergehen, bis die Lebensumstände
gepasst hatten.
Andrea Schmidinger: Ich habe schon im-mer Geige studieren wollen, mich dann aber für die Medizin entschieden. Nach Studium, Facharztausbildung und familiären Herausforderungen nehme ich mir seit ein paar Jahren Zeit für professionellen Unterricht. Letztes Jahr durfte ich mit dem Amateur-Orchester, in dem ich spiele, Wieniawskis 2. Violinkonzert als Solistin aufführen. In dem Kontext wurde mir klar, dass nun der richtige Zeitpunkt für das Musikstudium gekommen ist.
Welche Voraussetzungen mussten für Sie erfüllt sein, damit Sie Ihr Studium mit Ihrem Beruf oder Ihrer privaten Situation überhaupt vereinbaren können?
IS: Für mich waren die örtliche und zeitliche Flexibilität zentral, damit ich meine vielfältigen Engagements als Leiterin von 3 Chören, meine gleichzeitige Ausbildung zur Jodelchordirigentin, wie auch meiner Teilzeit-Anstellung bei der schweizerischen Chorvereinigung unter einen Hut bringe. Die Möglichkeit, einen Teil meines Studiums mit online-Unterricht zu absolvieren, ist mir deshalb sehr wichtig.
AS: Am wichtigsten ist für mich zum einen die Möglichkeit, das Studium modular gestalten zu können; zum anderen ist sicher ein sehr gutes Zeitmanagement wichtig, ein Raum, in dem man jederzeit üben kann und last but not least: ein sehr toleranter Partner.
Wie hat Ihr privates Umfeld auf Ihren Entscheid reagiert?
IS: Meine Familie und Freunde haben sich ausnahmslos über den Entscheid für mich gefreut, da sie genau wissen, dass ich mir damit einen lang gehegten Traum erfüllen kann.
AS: Aus meinem engsten Familien- und Freundeskreis kamen durchweg unterstützende, positive Rückmeldungen.
Wird Ihr Entscheid, in einen Hochleistung-Beruf einsteigen zu wollen, von anderen Musiker:innen ernst genommen oder belächelt?
IS: Bis jetzt habe ich eigentlich nur positive Rückmeldungen erhalten. Und was andere über meinen Entscheid denken, spielt für mich eine untergeordnete Rolle, denn ich weiss meine beruflichen Möglichkeiten einzuschätzen und habe realistische Erwartungen.
AS: Die Musiker:innen, mit denen ich befreundet bin, finden das prinzipiell gut, wenngleich sie es auch nicht so ganz verstehen, da ich ja auch schon einen tollen Beruf habe.