Kunst und Forschung sind kein Widerspruch!
Die Musikpädagogin und Forscherin Silke Kruse-Weber berichtet über ihre neuen Forschungsergebnisse und die Bedeutung des Forschungsunterrichts an Musikhochschulen.
Silke Kruse-Weber ist Dozentin an der Kalaidos Musikhochschule und war bis September 2022 Professorin für Instrumental- und Gesangspädagogik an der Kunstuniversität Graz. Ab Herbst 2023 wird sie eine Vertretungsprofessur in Augsburg innehaben. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u. a. in der Entwicklung der Instrumental- und Gesangspädagogik als Wissenschaftsdisziplin und im Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis durch Reflective Practice. Ihr neues Reflexionstools Reflect! ist gerade erschienen.
Silke, du hast gerade neue musikpädagogische Forschungserkenntnisse publiziert, kannst du sie kurz zusammenfassen?
Danke der Nachfrage! Über meine Publikationen freue ich mich gerade sehr. Während Theorie und Praxis in der Musikpädagogik oft als gegensätzlich gesehen werden, werden sie durch Reflect!, ein Beobachtungs- und Reflexionstool für den Instrumental- und Gesangsunterricht, verbunden. Ein spielerisches und künstlerisch angelegtes Kartenset inspiriert zu einer forschenden Haltung und zu einem selbstbestimmten Austausch über die Qualität von instrumentalem und vokalem Lehren und Lernen.
Bei meiner Studie Reflective Practice in Innovative Music Schools handelt es sich um ein Wissenstransferprojekt, in dem Musikschullehrende, Forschungsteam und Lehrende einer Universität in dichtem Austausch stehen. Auch hier geht es um den Bezug zwischen Theorie und Praxis, insofern als neueste Entwicklungen aus der Forschung in die Praxis übertragen werden – z. B. die Ausrichtung auf Schüler:innen-Zentriertheit oder eine
Öffnung für verschiedenste Sozialformen von Unterricht.
Es geht also darum, die eigenen musikpädagogischen Kenntnisse zu reflektieren, wie vermittelst du das deinen Studierenden?
Reflexion lässt sich lernen und muss nicht einsam erfolgen, sie funktioniert am besten als kollaborative Praxis, bei der Peers voneinander lernen. Es ist wichtig, Zeit und Raum für Reflexion zu schaffen. Ich zeige in Seminaren und Fortbildungen oft Ausschnitte aus Unterrichtsvideos und frage nach einer Beschreibung der Situation. Fast immer wird stattdessen bewertet. Beschreibungen ohne Bewertung sind schwierig. Lehrende fokussieren gerne auf Defizite der Schüler:innen. Wir überlegen, was negative Bewertungen bewirken und stellen fest, dass Lernende dabei oft auf Verteidigungskurs gehen und die offene Bereitschaft zum Lernen verloren geht.
Welche Kompetenzen sind entscheidend, um die eigenen Kenntnisse zu reflektieren und zu erweitern?
Ich denke, es handelt sich um aufeinander aufbauende Kompetenzen: forschende, reflexive und wissenschaftliche. Eine forschende Haltung bietet die Grundlage für Reflexion. Reflexive Kompetenzen erfordern Neugier, Offenheit sowie Empathie, um neue Perspektiven einnehmen zu können und einen Sachverhalt zu durchdringen. Sie äussern sich in differenziertem Fragen. Eine Wissenschaftsorientierung ist eine weitere Grundkompetenz. Sie erlaubt es, aus Erkenntnissen und Theorien für einen bestimmten Zweck eine plausible und stimmige Auswahl zu treffen. Wissenschaftliche Forschung z. B. in Masterarbeiten basiert schliesslich auf einem mehr regelgeleiteten Arbeiten.
Sind diese Kompetenzen auch für Performance-Studierende wichtig?
Gerade Performance-Studierende profitieren von reflektierenden Praktiken! Beim Üben und Musizieren ist es wichtig, immer wieder neue Handlungsalternativen zu entwickeln. Stereotypes Üben ist nicht effizient. Studien haben gezeigt, dass man effizienter übt, je mehr man sich mit den eigenen Zielsetzungen auseinandersetzt und Übeprozesse evaluiert. Außerdem ist es wichtig, in der eigenen Karriere offen zu sein. Berufsfelder ändern sich gerade stark, und Musiker:innen sollten mit Komplexität und Unvorhersehbarkeit umgehen können. Reflective Practice kann Veränderung und Anpassung an Situationen begünstigen. Das ist das Spannende für jede Person, Künstler:innen und Pädagog:innen.
Wie helfen Reflexionsvermögen, Neugierde und wissenschaftliches Denken dabei, gute Künstler:innen oder Pädagog:innen zu sein?
Reflective Practice ist eine Schlüssel-kompetenz für gutes Lehren, pädagogisches Handeln und eine gelungene kreative Praxis. Wir brauchen heute besonders Musiker:innen und
Pädagog:innen, die kritisch denken, verantwortungsvoll und flexibel sind.
Wissenschaftliche Erkenntnisse sind hingegen nicht direkt auf die Praxis des Unterrichtens oder Spielens übertragbar. Jede Unterrichtssituation und jede Musiziersituation ist sozial und somit unvorhersehbar. Wissenschaftliche Erkenntnisse geben nur eine Sichtweise vor, wie man Praxis beleuchten kann.
Seit du Forschungsdozentin bist, gehen unsere Studierenden gerne in den sonst oft ungeliebten Forschungskurs, und die Qualität der Masterarbeiten ist gestiegen – was ist dein Geheimnis?
In diesem Kurs geht es darum, Studierende für Forschung zu begeistern. Sie lernen z. B. eigene Forschungsfragen zu stellen und für diese wissenschaftliche Recherchen anzustellen. Sie lernen eine bestimmte Art der Reflexion und Wertschätzung im Hinblick auf die Darstellung von
wissenschaftlichen Ergebnissen, auch wie man mit Gedankengut und Erkenntnissen einer wissenschaftlichen Community umgeht und wie man von ihr lernen kann. Nicht selten eröffnet eine wissenschaftliche Arbeit Studierenden neue Perspektiven, wohin die Ausbildung gehen kann. Die Studierenden fragen sich zu Beginn des Kurses immer, warum sie das Verfassen von wissenschaftlichen Arbeiten lernen sollen. Aber das sehe ich nicht als Problem, sondern als Aufforderung, neue Perspektiven zu entwickeln.
Detaillierte Infos zu den Neuerscheinungen kann man auf dieser Website erhalten: www.kruse-weber.com