Musik in Krisenzeiten
Mit dem Titel «Musik in Krisenzeiten: Pandemien» ist ein neuer Band des Schweizer Jahrbuchs für Musikwissenschaft erschienen. 16 vielfältige Artikel, ein neues Konzept und neu ge-staltetes Layout markieren das neue Kapitel in der Geschichte des Jahrbuchs.
Helen Gebhart — Die verschiedenen Weltgeschehnisse der letzten Jahre wie die Klima- und Flüchtlingskrisen, Kriege und die Covid-19 Pandemie veranlassten die vier Herausgeberinnen dazu, als Oberthema der neuen Ausgabe Musik in Krisenzeiten zu wählen. Im Zentrum dieses Themas steht die These, dass sich Musik und Krisen in einem komplexen, wechselseitigen Verhältnis befinden. Auf den Call for Papers folgten über 40 Beitragsvorschläge, nicht nur aus der Schweiz und Europa, sondern auch aus den USA, Nigeria und Hong Kong. Aufgrund dieser Fülle an eingereichten Vorschlägen entschieden sich die Herausgeberinnen Lea Hagmann, Laura Möckli, Vincenzina Ottomano und Margret Scharrer, gleich drei Bände zu verschiedenen Unterthemen zu publizieren. Der erste vorliegende Band beschäftigt sich mit Pandemien, während der zweite und dritte Band sich um Konflikte und Kriege sowie Schaffenskrisen drehen.
Musik in Krisenzeiten: Pandemien enthält 16 Artikel in vier verschiedenen Sprachen: deutsch, französisch, italienisch und englisch. Dabei sind die Hauptartikel im ersten Teil der Zeitschrift nicht nur auf die Covid-19 Pandemie beschränkt, sondern behandeln auch weitere Gesundheits- und Gesellschaftskrisen wie die AIDS-Pandemie oder die Klimakrise. Wie gehen Musiker und Musikerinnen in Griechenland, deren Situation sich schon mit der Finanzkrise verschlechtert hatte, mit der Covid-19 Pandemie um? Wie kann Live-Musik als Krisenprävention fungieren und in welchem Verhältnis stehen Sound und Umweltverschmutzung, Umweltkatastrophen und Musikwissenschaft? Diese und viele Fragen mehr werden in den Artikeln von Ioannis Tsioulakis, Michael Huber et al., und Lisa Herrmann-Fertig diskutiert.
Weitere facettenreiche Zeugnisse zu Pandemien sind unter anderem in den Beiträgen von Cathrine E. Struse Springer, Lea Hagmann und Sharonne Specker in der Rubrik «Zeitzeugen» des Jahrbuchs zu lesen. Das Plakat mit dem Titel «Uneven Bulgarian Rhythms Explained by Covid-19 Related Vocabulary» entschlüsselt komplexe bulgarische Rhythmen mittels einem im Jahr 2020 alltäglichen Vokabular wie «lockdown» oder «quarantine», während in den zwei verschiedenen Interviews die Situation von dem Schweizer Musikfestival Alpentöne in der Pandemie und die Entstehung von dem YouTube Mitsingprojekt «Einsingen um 9» während des Lockdowns besprochen werden. Einen Einblick in die aktuellste Forschung mit Bezug zur Schweiz geben die Texte in der Rubrik «Werkstatt-CH», wie «EVENTI: un’indagine sulla resilienza delle istituzioni musicali della Svizzera italiana in tempi di pandemia», «Musikkognitive Erkenntnisse zum Jodeln im Appenzell und Toggenburg» sowie «Die Sweelinck-Tradition im schweizerischen Engadin». Die Nachwuchsförderung ist ein grosses Anliegen des SJM Teams. Aus diesem Grund runden Beiträge von Nachwuchs-Forschenden, wie « ‹Brincar Musical› : origines étymologiques et observations sur le terrain au Brésil » von Emma Charlotte Dickson Band 38 ab.
Diese Publikation ist das Ergebnis der intensiven Arbeit der vier Herausgeberinnen und der Journal-Managerin Helen Gebhart, welche das Jahrbuch von Grund auf neu gestaltet haben. Im Jahr 2020 haben sie die Herausgeberschaft des Jahrbuchs von Luca Zoppelli und Andrea Garavaglia übernommen, welche die Geschicke dieser Publikation über Jahre geführt haben. Die in Bern und Venedig tätigen Forscherinnen bringen alle unterschiedliche Spezialgebiete in Bereichen der historischen Musikwissenschaft, der Musiktheaterwissenschaft und der Ethnomusikologie mit, sodass diese Expertisen für ein vielfältiges Jahrbuch eingesetzt werden können. Die mehrsprachige Publikation ist interdisziplinär ausgerichtet und beinhaltet neben den traditionellen Bereichen der historischen Musikwissenschaft auch künstlerisch angewandte Forschung, Anthropologie und Systematik. Auch der Beitragsform sind keine Grenzen gesetzt. Neben den herkömmlichen Artikelformaten besteht auch die Möglichkeit, Beiträge als Poster, in einem Interview oder in Zukunft auch als Podcast zu veröffentlichen. Neu ist das Jahrbuch in drei Rubriken aufgeteilt. In der Rubrik «Hauptartikel» sind längere Texte zum jeweiligen Oberthema enthalten, während in «Zeitzeugen» kürzere Beiträge zum Thema zu finden sind. Die Rubrik «Werkstatt-CH» ist ein Schaufenster für Musikforschung in der Schweiz, in welcher kürzere Beiträge zu aktuellen Forschungsthemen publiziert werden können.
Open Access
Um das neue Kapitel in der Geschichte des Jahrbuchs auch visuell zu markieren, wurde das Layout inklusive des Umschlags komplett neu gestaltet. Das Titelbild ziert nun ein sogenanntes Wasserklangbild von Alexander Lauterwasser. Dieses weist auf die editorische Vision der vier Herausgeberinnen hin: Klänge aller Arten und deren Nachwirkungen, wie sie in einem Wasserbild dargestellt werden, sollen im Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft berücksichtigt werden. Neben den neuen Rubriken und dem Layout gibt es auch in der Publikationsart eine grosse Veränderung: Das Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft wird ab Band 38 nicht mehr von einem Verlag im Druck publiziert, sondern ist auf einer eigenen Publikationsplattform im Full Open Access verfügbar. Diese Website zur Verwaltung und Publikation von Zeitschriften wird von Bern Open Publishing der Universitätsbibliothek Bern zur Verfügung gestellt und für das SJM benutzt. Durch dieses Publikationssystem ergeben sich eine Reihe von Vorteilen, allen voran der kostenfreie Zugang für alle interessierte Personen, wie auch die Möglichkeit, die Artikel in verschiedenen Dateiformaten bereit zu stellen. Während das Jahrbuch vorher gedruckt wurde und später als Digitalisat verfügbar war, ist das neue SJM von Anfang an online lesbar und auch per print on demand bestellbar.