Marta Walter Preis
Die SMG verleiht den Marta Walter Preis (vormals Hand-schin-Preis) an Dr. Stephan Klarer, der mit seiner Dissertation «Pater Roman Bannwart und die Einsiedler Choralpraxis» an der Universität Graz und der Zürcher Hochschule der Künste promoviert wurde.
Helen Gebhart — Im Interview gibt er Einblick in seine Arbeit.
Stephan Klarer, welche Bedeutung hat der Marta Walter Preis für Sie?
Der Preis ist für mich eine grosse Ehre und in mehrfacher Hinsicht eine riesige Freude: Eine Prämierung im Bereich der Gregorianik-Forschung, die eher ein Randgebiet der Musikwissenschaft in der Schweiz darstellt, ist überaus erfreulich. Dass ich als Kandidat mit einem Fachhochschul-Hintergrund diesen renommierten Preis gewinnen darf, macht mich sehr stolz. Es zeigt, dass in unserem Fachgebiet die alten institutionellen Gräben überwunden scheinen und man sich als gleichwertige Partner wahrnimmt.
Sie sind Kirchenmusiker, Kapellmeister, haben auch Fagott studiert und lehren als Dozent an der ZHdK. Inwiefern beeinflussen Ihre vielseitigen Ausbildungen und Erfahrungen ihre Forschung?
Da ich erst nach über zwei Jahrzenten künstlerischer und pädagogischer Tätigkeit zur Wissenschaft gekommen bin, ist mir der Transfer zwischen Forschung und musikalischer Praxis sehr wichtig. Ich suche nach Berührungspunkten und fördere den aktiven Austausch auch in meiner täglichen Berufspraxis.
Aufgrund meiner Themenwahl für die Dissertation sowie meiner Lehrtätigkeit im Profil Kirchenmusik an der ZHdK hatte die geistliche Musik bisher ein gewisses Übergewicht in meiner Forschungsarbeit. Ich möchte aber meine Erfahrungen als Instrumentalist und Dirigent in Zukunft ebenfalls in meine Forschungsprojekte einfliessen lassen. Ideen habe ich viele, die Zukunft wird zeigen, welche sinnvoll umsetzbar sind.
Wie sind sie zum Thema «Pater Roman Bannwart und die Einsiedler Choralpraxis» gekommen?
P. Roman Bannwart war mein Gregorianik-Lehrer. Seine Persönlichkeit, seine Begeisterungsfähigkeit und sein didaktisches Geschick haben mich immer beeindruckt. Es war für mich auch selbstverständlich, dass ich in meiner Praxis – ich leite seit über 30 Jahren Gregorianik-Ensembles – in seinem Sinne arbeite. Meine Lehrtätigkeit und mein Engagement in der AISCGre (Associazione Internazionale Studi di Canto Gregoriano) haben mich allerdings auch mit anderen Gregorianik-Spezialisten und deren Interpretationspraxis in Kontakt gebracht. So begann ein persönlicher Entwicklungsprozess, bei dem aber Bannwart stets die Vergleichsgrösse blieb. Irgendwann wollte ich genauer wissen, was denn das Besondere an seiner Art Choral zu singen war. Ich besprach dies mit Dominik Sackmann, meinem Kollegen an der ZHdK, und er ermutigte mich, dieser Fragestellung in einem Dissertationsprojekt auf den Grund zu gehen.
Könnten Sie einige zentrale Erkenntnisse aus Ihrer Arbeit zusammenfassen?
Als Gregorianik-Interpret war Roman Bannwart in erster Linie Musiker. Der Fokus seiner Arbeit lag auf der vokalen, klanglichen, formalen und spannungsmässigen Umsetzung der einstimmigen Gesänge, weniger auf den theologischen Hintergründen der Texte. Eine weitere wichtige Grundlage seiner Interpretationspraxis war die von ihm selber oft zitierte «Tradition des Hauses», die in meiner Arbeit zum ersten Mal genauer untersucht und konkretisiert werden konnte. Auf diesen zwei Grundpfeilern entwickelte Bannwart seine Gesangspraxis in den eindrücklichen 60 Jahren seiner Tätigkeit auch immer weiter, stets orientiert an neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Wie wurde das musikalische Leben des Klosters Einsiedeln in der Musikgeschichte bisher reflektiert?
Es gibt einige Veröffentlichungen zur allgemeinen Musikgeschichte des Klosters und zu Musikalien aus der Musikbibliothek (u.a. in der Reihe Musik aus Schweizer Klöstern der SMG). In der breiten Musikgeschichte kommt Einsiedeln allerdings nur im Zusammenhang mit der Entstehung der Neumenschrift und den ersten Handschriften aus dem 10. Jahrhundert vor. Über den weiteren Weg, den die Gregorianik in späteren Jahrhunderten gegangen ist, findet man kaum etwas, geschweige denn über die Geschichte der Einsiedler Gregorianik im 19. und 20. Jahrhundert. Diese Lücke konnte ich mit meiner Arbeit ein Stück weit schliessen.
Gibt es etwas, was Sie in Ihrer Forschung zum Kloster Einsiedeln besonders fasziniert hat?
Es war beeindruckend, die Neugier und die Schaffenskraft der musikverantwortlichen Mönche in hunderten von Archivalien in der Musikbibliothek zu entdecken. Da wurde nicht einfach eine Pflicht erfüllt, sondern die Klostermusiker strebten nach künstlerischer Qualität, meist auf der Basis von damals aktuellen Forschungsergebnissen.
Ebenfalls Eindruck gemacht hat mir die Hilfsbereitschaft und Offenheit der Verantwortlichen in Einsiedeln, allen voran Pater Lukas Helg, der ehemalige Stiftskapellmeister und Musikbibliothekar. Ich durfte mich als erstes in P. Romans Mönchszelle umsehen, in der sich noch etliche interessante und wichtige Unterlagen und Dokumente befanden. Auch die Bestände der Musikbibliothek standen mir zur Verfügung, sämtliche Bücher, aber auch Manuskripte mehrerer Generationen von Klostermusikern.
Woran arbeiten / forschen Sie aktuell?
Aktuell arbeite ich an der Buchproduktion meiner Dissertation, die in der Reihe Zürcher Musikstudien erscheinen wird. Zudem bereite ich zwei weitere Forschungsprojekte vor, eins zur Musikförderung durch Zürcher Zünfte und eins zur Gesangbuchgeschichte in Zürich.