Für mehr Biodiversität in der Musik
Die Pianistin Simone Keller hat nach jahrelanger engagierter Mitarbeit die Fachkommission des Schweizerischen Jugendmusikwettbewerbs verlassen und wendet sich anderen Aufgaben und Projekten zu. Hier ein paar Einschätzungen von ihr zu Themen rund um den Wettbewerb.
Heinrich Baumgartner — Ein Musikwettbewerb ist so gut wie seine Jurys. Verstehen diese, sich in die Teilnehmenden zu versetzen und sie aus einem reichen Erfahrungsschatz zu unterstützen, sind die Schrecken des Wettbewerbs für die Teilnehmenden abgeschwächt und die Möglichkeiten des Wettbewerbs ausgeschöpft.
Dem Jugendmusikwettbewerb ist es gelungen, in den Jahren und Jahrzehnten des Bestehens ein grosses Netz von kompetenten Jurymitgliedern aufzubauen, die verantwortlich dafür sind, dass die Bewertungen und die Feedbacks an die Teilnehmenden fair ausfallen.
Die Pianistin Simone Keller ist eines der Jurymitglieder, die jahrelang mit grossem Engagement in Jury und Fachkommission mitgewirkt und nun entschieden hat, sich vermehrt anderen Projekten zu widmen. Wir haben diesen Weggang zum Anlass genommen, sie noch um ein paar Einschätzungen zu grundlegenden Themen rund um den Wettbewerb zu bitten. Trotz ihres prall gefüllten Auftrittskalenders in diesen Tagen, hat sie sich Zeit genommen, schriftlich ein paar Stellungnahmen zu formulieren:
Simone Keller, was sind Deine wichtigsten Erfahrungen mit dem Jugendmusikwettbewerb als Teilnehmende, Jury- und Fachkommissionsmitglied (Positives, Negatives, Veränderungen)?
Für mich ganz persönlich ist ein Wettbewerb erstmal nicht nur positiv konnotiert. Insbesondere in der Kunst bin ich der Ansicht, dass vermeintlich absolute Messbarkeit und verbissener Konkurrenzdruck äusserst kontraproduktiv sein können. Mein Verhältnis zu Musik-Wettbewerben war daher schon immer ambivalent. Da es aber nicht von der Hand zu weisen ist, dass meine eigene musikalische Entwicklung sehr gefördert wurde durch das Wetteifern am Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb, setze ich mich gerne für die positiven Aspekte des Wettbewerbes ein. Ich durfte in den letzten Jahren eine sehr differenzierte Gesprächskultur in der Fachkommission erleben und einen sehr sorgfältigen Umgang mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe.
Was bedeuten Dir experimentelle und interdisziplinäre Formate persönlich. Wie hast Du den Zugang gefunden? Erfahrungen mit unterschiedlichen Mitmusizierenden und Publika? Erfahrungen mit Free Space?
Als ich früher als Kind beim SJMW mitgemacht habe, war für jede Kategorie in jeder Disziplin ein sogenanntes «Pflichtstück» eines modernen Schweizer Komponisten vorgeschrieben. Ich war jeweils total begeistert von dieser kleinen Horizonterweiterung, die mir wie das Erlernen einer neuen Fremdsprache vorkam. Wenn man dann beim Wettbewerb auf die anderen Teilnehmenden traf, konnte man hören, wie unterschiedlich die Interpretationen klangen und daraus viele Anregungen für das eigene Spiel beziehen. Ich fand das ganz wunderbar und hatte nie irgendwelche Abneigungen oder Berührungsängste gegenüber neuen Klängen, sondern fand es ganz natürlich, dass musikalische Ausdrucksweisen sehr verschiedenartig sein können. Vielleicht hing das auch damit zusammen, dass ich auf einem Bauernhof aufgewachsen bin, wo Artenvielfalt gelebter Alltag war.
Ich würde mir wünschen, dass diese «Biodiversität» zukünftig noch stärker hör- und sichtbar wird in unserem FreeSpace. Wir haben zwar bereits sehr vielfältige Beiträge erhalten, aber hoffen, dass wir in den kommenden Jahren noch mehr Kinder und Jugendliche motivieren können, sich mit unkonventionellen Ideen zu exponieren und uns mit ihrer Musik zu überraschen.
Du hast eine internationale Sicht auf Themen der Kulturförderung und der Musikpädagogik. Gibt es für Dich Entwicklungen, die bei uns grundsätzlich in die richtige oder in die falsche Richtung laufen?
Grundsätzlich nehme ich sehr viele positive Entwicklungen der musikalischen Förderung von Kindern und Jugendlichen und der kulturellen Teilhabe in unserer Gesellschaft ganz generell wahr. Gelegentlich sehe ich aber auch einen überhöhten Wettbewerbsdruck an den Schweizer Hochschulen, wo Angst entstehen kann, von ausländischer Konkurrenz überrollt zu werden, statt dass wir das hohe internationale Niveau als Bereicherung sehen können.
Durch die weltpolitischen Veränderungen der letzten Jahre werden wir uns zukünftig intensiver mit der Fluchtthematik befassen müssen. Aus diesem Grund habe ich gemeinsam mit anderen Musiker*innen den Verein SYM – Save Young Musicians – gegründet, mit dem wir musikalische Jugendliche aus Krisengebieten unterstützen wollen, weshalb ich mich aus der Mitarbeit beim SJMW zurückziehen werde, um mich auf diese neue Aufgabe stärker konzentrieren zu können.