Achtsamkeit allein ist zu wenig
Fabio Dorizzi ist in Steinach am Bodensee aufgewachsen. Er studiert Gesang im Studiengang Bachelor of Arts an der Kalaidos Musikhochschule und konnte letztes Jahr mehrere Erfolge feiern: Er gewann den 1. Preis des Kertész-Wettbewerbs und konnte auch in seiner ersten Rolle am Zürcher Opernhaus auftreten.
Annette Kappeler und Xavier Pfarrer — Fragt man ihn nach seiner Lieblingsmusik, erwähnt er Depuis le jour von Marc-Antoine Charpentier (Interpretation Montserrat Caballé) und Time waits for no one von Freddy Mercury. Er bezeichnet sich als leidenschaftlicher «Power Napper», Feldenkrais-Fan und liebt es, in Clubs zu tanzen.
Fabio Dorizzi, was hat sich während der Pandemie in Ihrem Leben verändert? Was waren die grössten Herausforderungen?
Die Pandemie war eine turbulente Zeit. Auf einmal standen viel Angst und Trauer im Raum. Viele Leutehaben nahestehende Menschen verloren, Beziehungen gingen in die Brüche, Arbeitsverhältnisse änderten sich… Aber auch Begriffe wie «Solidarität» und «Entschleunigung» wurden lauter. Das fand ich schön. Darüber hinaus hat sich für mich während der Pandemiezeit ein Traum erfüllt, als ich an der Oper Zürich singen durfte.
Herzliche Gratulation! Wie ist es zu diesem Engagement gekommen?
Ein Agent hat mich angefragt. Danach habe ich in Zürich vorgesungen und die Rolle bekommen. Ich bin mega-dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte und habe alles wie ein Schwamm in mich aufgesogen und viel Neues dazugelernt. Mein nächstes Ziel ist es nun, in ein Opernstudio zu kommen.
Die Bühne scheint Sie zu faszinieren. Bereits in der 3. Klasse haben Sie die Hauptrolle eines Schulmusicals gesungen. Letztes Jahr das Opernhaus Zürich… Was verbindet für Sie diese beiden Stationen?
Das sind zwei wichtige Momente meines Lebens. Bei beiden habe ich mich sehr intensiv gespürt und mich auf meinem Weg bestärkt gefühlt. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen! Wenn man damit noch Menschen glücklich machen kann: Jackpot!
Können Sie mit Ihrer künstlerischen Tätigkeit ihr Studium und ihr Leben finanzieren, oder arbeiten Sie auch in anderen Bereichen?
Ich hatte während meines Studiums Nebenjobs und werde von Stiftungen und Privatpersonen unterstützt. Momentan kann ich noch nicht 100% vom Gesang leben. Dieses Ziel verfolge ich weiter und werde nicht davor zurückscheuen, Nebenjobs anzunehmen. Man ist ja nicht weniger Künstler, nur weil man sein Einkommen aus anderen Quellen generiert.
Da sind wir uns einig. Zudem ist das Studium an der Kalaidos nicht subventioniert. Was sind (neben den Studienkosten) Vor- und Nachteile einer Hochschule wie Kalaidos, die stark auf Flexibilität und Selbstständigkeit der Studierenden setzt?
Ich schätze die zeitliche und örtliche Unabhängigkeit der Kalaidos! Aber keine Rose ohne Dornen: Gerade am Anfang des Studiums hatte ich Mühe damit, mir meinen Studienalltag zu strukturieren. Heute bin ich froh darüber, dass ich dies im Rahmen meines Studiums gelernt habe.
Sie nennen mit der Strukturierung des Studienalltags einen wesentlichen Punkt. Trotzdem kann es immer wieder zu stressigen Phasen kommen. Sie haben eine Maturaarbeit über Achtsamkeit geschrieben – spielen solche Techniken für Ihre künstlerische Arbeit eine Rolle?
Absolut! Achtsamkeit ist für mich eine Grundvoraussetzung für jedes Lernen! Aber während des Studiums habe ich auch gelernt: Achtsamkeit allein ist zu wenig. Ich glaube, dass man sein Leben nicht im «Beobachtermodus» verbringen soll, sondern sich immer wieder im Leben und in den eigenen Rollen verlieren darf… Die Mischung macht wach und lebendig.
Sie haben einmal formuliert: «Ich lebe heute schon aus der Musik. Mein Traum ist es, in Zukunft auch von der Musik zu leben». Was bedeutet dieses Aus-der-Musik-Leben heute für Sie?
Ich glaube, es gibt keinen menschlichen Zustand, der sich nicht in Musik fassen lässt. Das Umgekehrte ist genauso gültig: Wenn man sich von der Musik berühren lässt, kann man sich in viele «Menschlichkeiten» hineinspüren. Das hat etwas sehr Befreiendes, finden Sie nicht?