Musiker/innen im Gespräch
Frank-Thomas Mitschke im Interview mit der Sopranistin Christiane Oelze und dem Pianisten Bernd Goetzke (Teil 2).
Frank-Thomas Mitschke — Christiane Oelze arbeitet weltweit mit berühmten Orchestern und Dirigenten zusammen, z. B. mit den Berliner Philharmonikern und Sir Simon Rattle. Sie ist Solistin bei renommierten Festivals wie den BBC Proms, in Glyndebourne, bei den Salzburger Festspielen, beim Schleswig-Holstein Musik-Festival, dem Lucerne Festival,in Tanglewood und bei Mostly Mozart Festival New York. In Liederabenden aufgetreten ist Oelze mit ihrem langjährigen Klavierpartner Eric Schneider und mit Solopianisten wie Mitsuko Uchida (in der Carnegie Hall) und Pierre-Laurent Aimard (u. a. bei der Mozartwoche Salzburg und beim Aldeburgh Festival). Sie unterrichtet Gesang an der Kalaidos Musikhochschule.
Christiane Oelze , du hast eine reiche Erfahrung als Musikerin! Wie hat die Interpretin Christiane Oelze die Dozentin Christiane Oelze beflügelt und wie umgekehrt?
Mein eigenes Singen fiel mir lange so leicht, dass ich mich nicht so gut in Schüler hineinfühlen konnte, vielleicht wenig Geduld hatte. In gewisser Weise unterrichtet man sich selbst ja zuerst, lernt sich selbst zu verbessern und Dinge zu erarbeiten. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich dieselbe Leidenschaft wie im Singen im Unterrichten vermittle.
Gibt es eine «Methode Oelze»?
Durch 34 Jahre Sänger-Tätigkeit in diesem Beruf bildet sich wohl so etwas wie eine eigene Methode. Mein Steckenpferd war wohl immer mein besonderes Stilempfinden, der Instinkt, wie man welches Lied, welche Arie gestaltet.
Worauf legst du bei jungen Sängern/innen Wert, wenn sie bei dir studieren wollen?
Ich nehme jeden, der/die sich ernsthaft mit Gesang beschäftigt, und bereit ist, mit einer gewissen Regelmässigkeit zum Unterricht zu kommen. Je öfter ein Training, desto besser. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch ein Recht auf guten Gesangsunterricht hat!
Wie geht man mit stimmlichen Krisen um?
Am besten, indem man sie überwindet. Singen in dieser Liga ist ein Hochleistungssport, und wie man an Spitzensportlern sieht, jeder verletzt sich mal, muss pausieren. Wehret den Anfängen, kann man vielleicht sagen. Möglichst eine gesunde Funktion des Stimmapparates (also des ganzen Körpers…), eine gesunde Balance von Körper, Geist und Seele bewahren, dies beinhaltet eine Menge an Dingen. Und – es gibt auch ein Leben neben, oder besser mit – dem Singen.
Gibt es bezüglich des Repertoires, das du mit Studierenden erarbeiten möchtest, einen Fokus?
Natürlich empfehle ich geeignete Literatur, gehe mit Repertoire auf die stimmliche und musikalische Entwicklung ein. Mit Studenten, die ihren Bachelor/Master vorbereiten, versuche ich, einen ausgeglichenen Plan mit Oper/Oratorium/Lied, zu erarbeiten. Es gibt so viel Repertoire; die Stunde in der Woche reicht kaum aus, um alles zu er- bzw bearbeiten. Der Studierende muss auch selbst viel Repertoire studieren.
Welchen Stellenwert hat die (deutsche) Sprache im Gesangsunterricht?
Für klassischen Gesang ist die deutsche Sprache unerlässlich, es sei denn, man lebt in Italien und singt absolut nur italienisches Opernrepertoire. Sprache überhaupt: Gegenüber den Instrumenten haben wir den Vokal als Träger des Klangs, die klingenden Konsonanten quasi als Kettenglieder dazwischen.
Hast du eine Art «pädagogisches Credo», das du deinen Studierenden auf den Weg gibst?
Ja, habe ich: Dient immer der Musik, singt immer mit dem Herzen, hört immer der Musik, Pianist, Orchester zu, folgt dem Duktus der Komposition in Melodie, Sprache und Rhythmus, und es erschliesst sich euch.
Bernd Goetzke, Sie haben u. a. bei Arturo Benedetti Michelangeli studiert. Sehen Sie sich auch als Bewahrer dieser Klaviertradition? Worin besteht diese Tradition?
Interessanterweise habe ich in jüngster Zeit mehrfach über diesen Punkt etwas schreiben und sprechen müssen.
Dinge, die mir von jeher heilig waren – seit Kindestagen, durch mein Studium, gerade auch bei Michelangeli – können offensichtlich ganz einfach verloren gehen. Ich schöpfe Hoffnung daraus, dass es nach wie vor die wunderbaren Zentren der Ausbildung gibt, in denen wenigstens eine Minderheit der oft so begabten und motivierten Klavieradepten betreut werden kann. Aber außerhalb dieser «Nester» gibt es viel Bedenkliches.
Dass Michelangeli hier eine Autorität der höchsten Stufe war, wird man kaum bestreiten können. Aber er hat unendlich viel mehr als dies vermittelt: Musik richtig zu «lesen», auch mit den Augen eines Komponisten oder auch Dirigenten, Hintergrundwissen zu den Kompositionen, eine lebendige Imagination… Das ist mehr als «Tradition», es sollte grundsätzliches pädagogisches und künstlerisches Allgemeingut sein, unabhängig von der Tatsache, dass nichts bleiben kann, wie es mal war.
Was ist Ihr künstlerisch/pädagogisches Credo? Was geben Sie Ihren Studierenden mit auf den Weg? Und was raten Sie ihnen ganz pragmatisch, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen sollen – davon ausgehend, dass nicht alle von ihrer Tätigkeit als ausübende Künstler leben können?
Ich treffe meine Studierenden in einer Phase, in der es noch unabdingbar ist, alles auf eine Karte zu setzen. Irgendwann werden es dann vielleicht zwei oder drei Karten: Gedanken an das Unterrichten – etwa auf einer möglichst guten Position in ihrer jeweiligen Heimat (ich habe zu 90 % ausländische Studierende) kommen hinzu, das neue und hochinteressante Feld des Selbstmanagements, die Kammermusik, Liedbegleitung, eine Mischung aus all dem… Übrigens halte ich es für eine meiner Aufgaben, gegebenenfalls vor einem Studium von selbigem abzuraten. Dies kommt heute sehr viel häufiger vor als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Vorrangig gehören hierzu die Erziehung zur Selbstständigkeit, die Vermittlung von Werten, bei denen das Ego nicht unbedingt im Zentrum steht, ein charakterliches, künstlerisches Rüstzeug, mit dem man durchs Leben kommt.
Gegen Spezialisierung ist nichts zu sagen, außer, dass sie nicht zu früh einsetzen sollte. Zunächst gilt es, seine Fühler weit genug in alle Richtungen auszustrecken. Dann wird man schon sehen…