Conductors
Women conductors are increasingly present in the world of classical music. This article aims to awaken vocations by reflecting on this phenomenon with the conductor Graziella Contratto.
Antoine Gilliéron – After almost twelve intense years at the head of the music section of the HKB, Graziella Contratto has just left this position. She tells us about her vision of the feminization of the profession as well as support for the next generation of women.
Graziella Contratto, wie blicken Sie auf Ihre Jahre an der KMHS zurück?
Als ich vor bald 12 Jahren in der Nachfolge von Romand Brotbeck die Leitung des Fachbereichs Musik an der HKB übernommen habe, wusste ich – und das erging wahrscheinlich vielen Kolleg*innen meiner Generation so – nicht präzise, was mich erwarten würde: Ich traf auf eine eher kleine, dafür hochindividualisierte Hochschule mit mehreren Nischenangeboten, auf eine Kunsthochschule, in der Transdisziplinarität von Anfang an als eine Basis für künstlerisches Arbeiten und Ausbilden angelegt worden war. Aber ich spürte auch, dass viele der genialen Visionen meines Vorgängers noch der Umsetzung harrten. Ich selbst war damals vor allem als Dirigentin und Festivalleiterin unterwegs, hatte einige Doziererfahrungen als Musiktheoretikerin vorzuweisen und während mehr als zehn Jahren in Berlin und in Frankreich gearbeitet – es war also ganz persönlich betrachtet gleichzeitig eine Heimkehr und eine Ankunft in offenem Terrain. Dasselbe galt auch für meine Mitwirkung an der KMHS.
Quel regard portez-vous sur les femmes cheffes d’orchestre aujourd’hui et les défis qu’elles doivent encore affronter ?
Die aktuelle Dirigentinnengeneration erlebt gerade eine fantastische Förderphase – von Dirigierdozierenden höre ich sogar, dass junge Orchesterleiterinnen sofort eine Agentur finden, während gleichaltrige junge Männer sich zum ersten Mal um eine schärfere Profilierung kümmern müssen. Aber wie auch schon in früheren Jahren möchte ich diese Frage nicht auf die Genderebene reduzieren – wir sehen, dass Diversität auch in der Dirigierwelt angekommen ist. Noch nie war die kulturelle Herkunft der Dirigent*innen so vielfältig, nach einer längeren südamerikanischen ‚Dudamelisierung‘ und einer starken baltischen Generation werden neuerdings Chef*innen mit afrikanischen, indischen, maorischen Wurzeln viel stärker wahr- und ernstgenommen – dies belebt das interpretatorische Feld ungemein, ist aber auch eine schwere Hypothek. Für mich persönlich gilt auch in diesem Kontext, die Würde der Musik soll im Zentrum stehen, nicht die kulturelle Zugehörigkeit des oder der Dirigentin; das dirigentische Metier ist und bleibt eine Herausforderung – psychologische, ästhetische, technische und leadership-Kompetenzen bilden einen komplexen Mix, getragen von einer künstlerischen Reife, die sich nicht abkürzen lässt…..auch nicht durch ein aggressives Management….
Sie waren die erste Frau in der Konferenz: Wie zufrieden sind Sie mit den Fortschritten, die die KMHS in dieser Hinsicht gemacht hat?
Ich habe mich als weibliches Mitglied der KMHS immer sehr akzeptiert gefühlt, aber es gab natürlich Themen, in denen ich oftmals mit einer mediterranen Emotionalität reagierte – ob dies nun besonders weiblich war, müssten die Kollegen beantworten. Die Diskussionen waren belebt, anregend, auch wenn wir uns einmal nicht einig wurden. Man darf auch nicht vergessen, dass viele meiner Kollegen schon seit über zehn, zwanzig Jahren in der KMHS gewirkt hatten – ich war wirklich Anfängerin und musste mir zuerst einmal einen Überblick verschaffen. Die Ansprüche an eine Hochschulleitung sind seit Bologna immens gewachsen – die Komplexität der Verantwortlichkeiten, auch als eine Art Zwischengremium mit Interaktionen zwischen Bund, Kanton und den Swiss Universities, zwischen den sozialen und kulturellen Wirklichkeiten der Studierenden und den Finanzierungsgrundlagen der Hochschulen, zwischen den Anbindungen an Fachhochschulen und dem künstlerischen Wunsch nach einem akademieähnlichen free-floating Dasein – ich war oft froh, dass jedes KMHS- Mitglied sich in spezifischen Fragen besonders gut auskannte, und das Vertrauen ineinander ist ständig gewachsen. Noémie L. Robidas – und neu ganz frisch auch Béatrice Zawodnik – besitzen genau jene Qualitäten als engagiert und souverän ( sicher bedächtiger als ich) agierende Künstlerinnen und Leitende, die sie zu idealen Kolleginnen der KMHS machen – und ich wünsche beiden, dass sie sich wie ich auch vor zwölf Jahren als neue, kraftvolle Stimmen im Gremium einbringen.
Worauf blicken Sie mit Stolz zurück, wenn Sie an Ihre Arbeit als Fachbereichsleiterin Musik an der HKB denken?
Besonders stolz bin ich auf vier Entwicklungen und Studienangebote, die ich gemeinsam mit meinem fantastischen Team realisieren durfte: Einerseits die Etablierung des europaweit ersten Master Specialized Performance Studiengangs mit Vertiefung Music in Context, was einer spezifischen Berner Variante der Musikvermittlung entspricht, andererseits das PreCollege Bern HKB für Klassik, sound arts und Musik&Bewegung mit einer 100%igen Erfolgsquote. Als drittes Herzensprojekt würde ich die Weiterentwicklung des Opernstudios erwähnen, das mit den Bühnen in Biel und Bern einen Kooperationsvertrag eingehen durfte und in naher Zukunft die Opernregie als einmaliges Angebot für Opernsänger*innen anbieten wird. Auf der Ebene der Hochschule der Künste Bern freue ich mich, dass immer mehr Studierende der Musik anschliessend ein Doktoratsstudium in der Kooperation zwischen der Universität Bern und der HKB Forschung / SINTA in Angriff nehmen. Die SINTA ist ein schweizweit einzigartiges, künstlerisch-gestalterisches und wissenschaftliches Doktoratsprogramm der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern HKB.
Quels ont été les plus grands accomplissements réalisés et les principaux défis relevés par l’association durant ce temps-là ?
Die KMHS hat sich als Gremium etabliert, in allgemeinen Fragen im Hochschulkontext immer stärker für eine gemeinsame Positionierung und Kommunikation eingesetzt, hat politisch anspruchsvolle Themen intelligent, teilweise innerhalb von Task Forces, Arbeitsgruppen oder aber auch durch die einzelne Initiativen von Mitgliedern zu synergetisch getragenen Visionen gewandelt. Auf dieser KMHS- Seite der smz kann man jeden Monat nachlesen, dass Themenkomplexe wie Forschung, Dritter Zyklus, Berufspraxis, Talentförderung und Vorbilung, neue Mastermodelle und Fragen zu Interkulturalität, Diversity, Digitalität und Künstler*innenprofilen der Zukunft als Vielfalt und Diversifikation im Gremium der KMHS gestaltet, kommuniziert und weiterentwickelt wurden und werden. Aktuell entfaltet die KMHS auch intern neue Strategien, nicht zuletzt durch die Schaffung eines Generalsekretariats und einer durch das Präsidium von Noémie L. Robidas und dem Vizepräsidenten Valentin Gloor angestossenen Weiterentwicklung der Aktivitäten und Ziele der KMHS. Mir ist aufgefallen, wie agil die KMHS in der Pandemie gearbeitet hat – es war bei aller Belastung wirklich beeindruckend zu beobachten, wie rasch, effizient und kooperativ die früheren Konkurrent*innen sich um Lösungen bemüht haben.
Avec votre riche expérience à la direction du département musique de la HKB, quelle vision avez-vous quant au développement de l’enseignement supérieur de la musique en Suisse pour les prochaines années ?
L’enseignement supérieur semble se développer à merveille où l’on trouve un mélange équilibré entre qualité et ouverture, pratique et recherche, conscience artistique et socioculturelle, analogue et digitale. Sense and sensibility – un magnifique titre d’un roman de Jane Austen, souvent mal traduit d’ailleurs – reflète pour moi exactement cette tension positive et pleine d’inspiration de l’enseignement du futur. Le sens en tant que perception multisensorielle de notre existence pour rendre audible notre art comme musique/son/installation/improvisation/mouvement/geste/vision sonore, etc. La sensibilité comme raison, réflexion et miroir de la réalité qui entoure nos étudiant.es et dans laquelle les musicien.nes futur.es vont exprimer leur art et rendre leurs idées à la société plus tard. Pour la tradition, je crois que les exigences de la musique classique liées à l’interprétation à haut niveau des œuvres du canon musical devraient continuer à être respectées, elles font partie de notre patrimoine, certes, mais offrent toujours une base magnifique pour développer autre chose, un autre monde musical, plus tard.
Quels conseils donneriez-vous à de jeunes musicien.nes désirant réaliser des études supérieures de musique ou étant en train de les accomplir actuellement ?
Actuellement, la génération Z entre aux Hautes Ecoles – souvent d’une incroyable ouverture d’esprit, de connaissance de plein de tendances même éphémères, fortement formées par une multiperspective diverse, nourrie par une volonté de communication permanente, je me sens évidemment un peu vieille en proposant ceci : pour suggérer à votre public futur un narratif qui tienne la route, il faut essayer de se connaître et de connaître les racines de l’art, de la culture et de la musique dans lesquelles on aimerait exceller un jour. Un narratif se développe – à mon avis – grâce à une recherche et une critique permanente des sources – et un questionnement ludique, mais pertinent, du message que vous voulez faire passer. Un philosophe allemand vient de dire que le zapping et le swiping nous empêchent de développer un narratif parce que nous nous laissons sans cesse distraire par différentes options, par des étincelles qui disparaissent après avoir illuminé pour deux secondes notre attention… Donc : le sens critique, l’introspection silencieuse pour approfondir l’enquête de votre Art, et après la joie inouïe de partager le narratif avec d’autres êtres humains – c’est ce que je souhaite à la nouvelle génération de musicien.ne…
À votre avis, que peuvent faire les Hautes Écoles de Musique suisse pour favoriser encore davantage l’égalité des genres dans les formations qu’elles dispensent et peut-être aussi dans leur articulation avec les formations initiales et préprofesionnelles ?
Ich persönlich erlebte die Durchmischung der Geschlechter an der HKB als selbstverständlich, obwohl z.B. in der Rhythmik immer noch mehr Frauen, im Jazz mehr Männer das Studium antreten. Die aktuelle Generation der Millennials, die das Musikstudium aktuell von innen her mit ganz neuen Ansprüchen, Erfahrungen und – ich nenne es so – postdialektischen Erwartungen füllt, überlagert ja den alten Genderdiskurs mit einer Art Diversity-Hyperbel, mit einer neuer Alertness, die blitzschnell auf mögliche Benachteiligungen, Ungerechtigkeiten oder nicht mehr vertretbare Haltungen im politkünstlerischen Kontext reagiert. Diese spezifische Energie ist für die Hochschulen eine Herausforderung (und die KMHS wird sich strategisch intensiv mit diesem Phänomen auseinandersetzen) und eine Chance. Wenn ich ganz ehrlich sein darf, erschloss sich für mich die Lösung in Genderfragen nur selten im ideologischen Entwirren von teils diffusen Anschuldigungen, sondern viel eher in der Ermutigung für Studierende, die Thematik künstlerisch anzugehen – in transdisziplinären Settings, kreativen Prozessen, in Momenten des Scheiterns ebenso wie des Erfolgs, und immer: in der Begegnung mit dem Anderen, vorher Verdächtigen, dann Nahen.
“Musicians conquering their image”, published in Hémisphères, a Swiss review of research and its applications.