PreCollege – Zeit der Orientierung
In der musikalischen Bildungslandschaft Schweiz entstan-den in den letzten Jahren PreColleges, die die Vorstudien oder Vorkurse an den früheren Konservatorien oder allgemeinen Abteilungen ergänzen oder ablösten. Im Zentrum dieser Programme steht das Ziel, talentierte Jugendliche optimal auf die hohen Anforderungen der Eignungsprüfung an einer Musikhochschule vorzubereiten und sie für die Inhalte des heutigen Bachelorstudiums zu sensibilisieren.
Eva-Maria Neidhart — Das PreCollege an der Hochschule der Künste Bern ist ein vorbereitendes Angebot, wie es in ähnlicher Form auch an anderen Schweizer Musikhochschulen existiert. Es wurde vor gut fünf Jahren mit Blick auf die gewachsene internationale Konkurrenz bei der Studienplatzvergabe und den stark globalisierten Musikmarkt gegründet. In erster Linie fungiert es als letzte Wegstrecke vor einem Musikstudium und unterstützt dabei insbesondere Schweizer Talente. Das PreCollege Bern HKB vermittelt und fördert musikalische Kompetenzen, versteht sich aber auch als Ort der Begegnung und des Austauschs unter Gleichgesinnten; hier treffen sich junge Menschen mit dem gleichen Studienziel, mit derselben Motivation: Wer früher an Musikschulkonzerten das Glanzlicht des Abends war, erfolgreich an Wettbewerben teilnahm und die Sommerferien lieber im Musik- statt im Pfadilager verbrachte, verabredet sich nun zum Üben oder für Kammermusik an der Hochschule, begegnet sich im samstäglichen Theorieunterricht und in anderen vielseitigen Modulen, hört und kommentiert sich gegenseitig in Klassenstunden und verbessert in zahlreichen Konzerten seine Auftrittskompetenz. Rund 90% dieser Jungstudierenden belegen auch ihr Kernfach an der HKB und sind dadurch über ihre Dozierenden auch Teil der Instrumental-, Gesangs- oder Kompositionsklassen. Sie erleben den direkten Kontakt mit den Dozierenden, mit Bachelor- und Masterstudierenden aus aller Welt als Bereicherung und als Inspirationsquelle für ihre persönliche Entwicklung. Dabei schulen sie den Blick für ihr eigenes Können, ihr künstlerisches Potential und bereiten sich vor für kommende Herausforderungen als Berufsstudierende. Sie üben sich in Selbstreflexion durch den Spiegel einer pulsierenden Umgebung, die Realitäten aufzeigt und gleichzeitig Perspektiven schafft.
An unserer transdisziplinären Kunsthochschule sensibilisieren sich die PreCollege-Jungstudierenden auch für andere künstlerische Ästhetiken und Haltungen. Sie beschäftigen sich mit Themen aus der Forschung oder erleben aktuell laufende Projekte unseres Fachbereichs, etwa aus den Bereichen Théatre Musical, Musikvermittlung oder Neue Musik. Um den verschiedenen Bedürfnissen, den zeitlichen Ressourcen (PreCollege parallel zum Gymnasium oder im Zwischenjahr?) und dem jeweiligen Ausbildungsstand Rechnung zu tragen, stellen wir je nach Interesse und Möglichkeiten das Programm individuell zusammen. Für gewisse Jungstudierende ist die ein- bis zweijährige Zeit am PreCollege eine Phase der Orientierung, des Suchens nach dem eigenen Studienwunsch oder nach den musikalischen Perspektiven. So besteht beim Eintritt ins PreCollege in nicht seltenen Fällen Unsicherheit, ob das Herz tatsächlich am meisten für die Musik schlägt, ob man das prästieren kann und will oder ob letzten Endes eine andere Studienrichtung besser passt.
Für mich als Leiterin des PreCollege Bern HKB sind das wegweisende und wichtige Entscheidungsprozesse im Leben eines jungen Menschen, die ich mit Interesse beobachte und fasziniert persönlich begleite. Manchmal kristallisiert sich trotz einer soliden Leistung heraus, dass Musik auch in Zukunft ein Hobby bleiben wird. Auch das macht als Erkenntnis Sinn: Wenn die Leidenschaft nicht ausreichend vorhanden ist, wenn dieses innere Feuer für die Auseinandersetzung mit Musik nicht lodert und die Begeisterung und Ausdauer trotz vorhandenem Potential und technischem Geschick fehlen… Wer weiss, vielleicht wird hier eine zukünftige Neurologin dank der künstlerischen Kompetenzen, die sie aus dem PreCollege zweifelsohne mitnimmt, eine besondere Empathie für Patient*innen oder innovative Forschungsmethoden entwickeln.
Pro Jahr besuchen zurzeit 22 Jungstudierende unser PreCollege. Die Hälfte sind Musiker*innen, die ein Bachelorstudium Klassik anstreben. Je ein Viertel sind junge Frauen und Männer, die sich auf zwei andere an der HKB geführte Bachelorstudiengänge, Musik und Bewegung (Rhythmik) und Sound Arts, vorbereiten wollen. Das Profil der Klassiker*innen ist meist homogen: Im Durchschnitt sind es 19-jährige Jugendliche mit angehendem oder bereits vollendetem Matura- oder seltener Lehrabschluss. Musik ist ihr intensivstes Hobby. Knapp die Hälfte der antretenden Kandidat*innen bestehen die Aufnahmeprüfung ins PreCollege. Dennoch haben viele keine genaue Vorstellung davon, wie das Leben als Studierende an einer Musikhochschule aussieht. Wie es sich anfühlt, wenn Musik zur Hauptbeschäftigung wird, wenn das Feilen an Bogentechnik oder Ansatz nicht mehr an der gymnasialen Sinuskurve und der Blechtrommel vorbeibalanciert werden muss. Manche sind überrascht von der energetischen und emotionalen Dichte einer rein künstlerischen Ausbildung. Die Auseinandersetzung mit sich selbst und mit den im Studium schon weiter fortgeschrittenen Kolleg*innen stellt oft eine Herausforderung dar. Ob von der grossen Musikerkarriere träumend, bereits musikalisch erfolgreich unterwegs oder noch unsicher, ob es nicht doch ein Universitätsstudium sein soll – nach der Zeit am PreCollege ist die Wahl klar. So schafften seit der Gründung des PreCollege Bern HKB im Jahre 2016 jedenfalls fast 100% dieser Jungstudierenden den Sprung in ein Bachelorstudium bei uns an der HKB oder an einer anderen Schweizer Hochschule.
Wer sich für Musik und Bewegung interessiert, bringt ein gutes musikalisches Grundverständnis und eine solide Schulbildung mit, ist kreativ oder improvisatorisch begabt, tanzt sich durch verschiedene Stilrichtungen oder kann sich für das zukünftige Berufsleben die pädagogische Arbeit mit Kindern vorstellen. An Sound Arts Interessierte sind fasziniert von elektronischen Klängen aller Art, schreiben Musik zu Filmszenen, tüfteln gern mit Tonspuren und Aufnahmen aus dem Alltag oder kommen aus der DJ-Szene. Das grosse Spektrum reicht in diesen zwei Bereichen von der musikalischen Kinderzirkuspraktikantin bis zum Flamencotänzer, vom improvisierenden Harfenisten mit Loopgerät bis zur komponierenden Gymnasiastin mit Faible fürs Elektronische.
Junge Musiker*innen, die sich auf ein Bachelorstudium Jazz vorbereiten möchten, finden im Raum Bern mit der Swiss Jazz School eine auf Hochschulvorbereitung spezialisierte Talentschmiede, mit der wir als Hochschule auch im Rahmen der Talentförderung des Gymnasiums Hofwil eine intensive Kooperation pflegen. Beim Hofwiler Talentprogramm erhalten Jugendliche parallel zum 5-jährigen Gymnasium in einer spezialisierten Talentklasse Unterricht bei unseren Hochschuldozierenden (Kernfach, Theorie und Gehörbildung, Improvisation) und absolvieren so bereits während der Schulzeit Teile des Bachelorstudiums Klassik oder Jazz. Ein Weg, der auf eine frühere, in feiner Abstimmung mit dem Schulstundenplan konzipierte und auf institutioneller Ebene per Leistungsvereinbarung festgelegte Förderung setzt.
Ob man mit dem Ziel Bachelorstudium diesen, jenen oder einen ganz anderen Weg wählt und damit Erfolg hat, mag von verschiedenen Faktoren abhängen. Die Zeit am PreCollege bringt einen Szenenwechsel und setzt einen letzten Schliff vor der Eignungsprüfung Bachelor. Was sich an dieser Schwelle zum Berufsstudium an musikalisch, technischem und persönlichem Fortschritt entfaltet, ist manchmal verblüffend. Dies ist nur möglich, wo vorgängig hochqualifizierte Instrumentallehrpersonen Talente mit unermüdlichem Einsatz von der ersten Unterrichtsminute an im richtigen Mass fördern und fordern. Und dabei nicht nur das grundlegende instrumentale Handwerk vermitteln, sondern die Gratwanderung zwischen längerfristigen Zielen und kleinen Erfolgen individuell anpassen. Gleichzeitig halten die Musiklehrer*innen die innere Motivation einer ganzen Schar verschieden begabter Schüler*innen am Leben, sind oft eine wichtige Ansprechperson in den verwirrenden Jahren der Pubertät und schaffen im Unterrichtszimmer ein Ambiente des Vertrauens. Sie packen die Komplexität instrumentalen Könnens und musikalischen Verständnisses in eine Wochenlektion und ordnen sich dabei dem Blockzeitenstundenplan der Volksschule unter.
Dort wo der Förderung musikalischen Talents in der Vergangenheit strukturell wenig Bedeutung beigemessen wurde, entstehen glücklicherweise neue Programme oder bilden sich kantonale Zusammenschlüsse, um den Aufbau einer strukturierten Talentförderung ab Kindesalter über regionale oder institutionelle Grenzen hinweg zu gestalten. Diese Entwicklung scheint mir von eminenter Wichtigkeit: Sind doch für die musikalische Entfaltung, für ein erfolgreiches Musikstudium und für eine mögliche zukünftige Musikerlaufbahn die in den ersten etwa zehn Jahren gemachten Erfahrungen am Instrument und die sich in dieser Zeit ausbildenden neurologischen und emotionalen Verknüpfungen prägend.
Es bleibt eine Herausforderung für uns alle, in einem schweizerisch traditionell auf Breite und späte Spezialisierung ausgerichteten Bildungssystem eine durchgehende Linie einer musikalischen Laufbahn zu spinnen. Dies kann nur im Wissen um die Verschiedenartigkeit der Potentiale, Ressourcen und Möglichkeiten von Individuen und Institutionen gelingen. Als gemeinsame Aufgabe und mit dem ständigen Bemühen darum, den musikalischen Nachwuchs im Zentrum zu sehen.
Eva-Maria Neidhart
…ist Leiterin PreCollege an der Hochschule der Künste Bern und vertritt die KMHS in der Fachkommission Klassik des Schweizerischen Jugendmusikwettbewerbs.