Schreiben über Musik an einer MusikhochschuleVom Hören und Lesen von Musik
Wir bringt man heute Musikthemen journalistisch an Leserinnen und Leser? Wie kann man Höreindrücke in einem Text formulieren? Anja Wernicke und Manuel Bärtsch berichten von den Musikhochschulen Basel und Bern.
Manuel Bärtsch — Wie schon Carl Philipp Emanuel Bach anno 1759 schrieb: «So viele Vorzüge die Musikhochschule besitzet, so vielen Schwürigkeiten ist diesselbe zu gleicher Zeit unterworffen» (Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art, an einer Musikhochschule zu unterrichten. Zweyte Auflage, Erster Theil, Berlin 1759. Vorrede, I. Oder glauben Sie das etwa nicht?)
Die Vorzüge wären leicht daraus zu erweisen, dass komplexe Umgebungen fesselnde Texte hervorbringen, und auch die Schwürigkeiten ergeben sich aus den Spannungsfeldern, die an einer Musikhochschule herrschen. Diese möchte ich hier umreissen, aus meiner Perspektive als Musiker, Mentor und Forschungsdozierender an der HKB Bern.
Wie überall sind die problematischen Seiten einfach zu benennen. Das Schreiben über das eigene musikalisch-performative Tun ist, zumindest anfangs, nicht unbedingt die erste Priorität für Musikstudierende; entsprechend intensiv fallen bisweilen die Bemühungen aus, ihnen argumentative Grundregeln und inhaltliche Verbindlichkeiten näherzubringen. Auch die Zügelung allzu kreativer Fremdtextübernahmen, wie sich eine in der Eröffnung dieses Texts findet, ist nicht zu unterschätzen; jedenfalls erfordern unterschiedliche kulturelle, sprachliche und soziale Hintergründe ständige intellektuelle Transferleistungen aller Beteiligten. Andererseits erweitert diese Ausgangslage auch den Horizont: Eine Diskussion über gendergerechte Sprache, wie ich sie kürzlich mit russischen und chinesischen Studierenden erlebt habe, scheint mir wegen der radikal unterschiedlichen linguistischen Voraussetzungen ihrer Muttersprachen viel interessanter als die Kommentierung deutscher Regelwerke. Und auch die eigene Sprache profitiert manchmal von dieser Internationalität: Unvergessen bleibt zum Beispiel, wie eine japanische Studentin einen wissenschaftlichen Text als «langwortreich» bezeichnete. Recht hatte sie, diese Wortschöpfung habe ich übernommen und versuche seither, Ansammlungen von Langwörtern zu vermeiden.
Ein weiteres Spannungsfeld eröffnet sich zwischen den vielen unterschiedlichen Textsorten, die eine Musikhochschule produziert. Eine wichtige Gattung bildet dabei alles, was nicht in erster Linie dem reinen Erkenntnisgewinn, sondern der Aufführung von Musik dient. Hier scheint es mir wichtig, die Studierenden dazu zu bringen, das Verfassen dieser Ermöglichungsliteratur zur Reflexion des eigenen Tuns zu benutzen; oft entdecken sie beim Schreiben über ihre eigenen Programme, welche ästhetischen Standpunkte sie eigentlich vertreten, und was ihnen diese schon lange bekannten Stücke im Grunde bedeuten.
Dieser vorwiegend kreativen und spontanen Schreibwelt stehen die wissenschaftlichen Formate gegenüber. Hierher gehört das musiktheoretische Schreiben, im deutschen Sprachraum eine Kernaufgabe der Musikhochschulen und eine besonders herausfordernde Textsorte: Es ist im eigentlichen Sinne eine Kunst, harmonische, kontrapunktische oder formale Analysen zu verfassen, die jenseits hermetischer Komplikationen oder unzulässiger Vereinfachung Leserinnen und Leser fesseln. Grosses Gewicht haben an der HKB auch die Publikationen in den Themenfeldern Interpretationsforschung, Komposition und Organologie; dabei arbeiten Alumn*ae, Doktorierende und Dozierende eng zusammen. Auch auf dieser Ebene gibt es ein Spannungsfeld, denn die meisten Schreibenden stehen auch auf der Bühne; ihre Fragestellungen, Methoden und Lösungen werden dabei oft intensiv von ihrem direkten Zugriff auf den performative Aspekt des Objekts geprägt; es bleibt eine ausser-ordentlich spannende methodische und stilistische Herausforderung, aus dieser doppelten Expertise intellektuelle Funken zu schlagen.
Insgesamt ist also für eine bunte und anregende Schreiblandschaft gesorgt; die Herausforderung besteht darin, dass alle von dieser Situation profitieren, die Studierenden von den Forschenden, die Dozierenden von den Studierenden, kreuz und quer. Einen besonderen Platz nimmt in Bern der Specialized Master Music Performance mit Forschungsvertiefung ein. Hier verfolgen Interpretinnen und Interpreten, die ein hohes künstlerisches Niveau mitbringen, ihre eigenen Forschungsprojekte; Kernfach- und Forschungsdozierende helfen, ihre aufführungspraktischen, organologischen oder quellenkritischen Vorhaben in Klang und Wort umzusetzen; oft lernen sie dabei ebenso viel wie die Studierenden.
Die Musikhochschulen sind also gute Habitate für interessante Schreiberinnen und Schreiber. Es lohnt sich, die dort auftretenden spezifischen Spannungen auszuhalten, denn das Schreiben über Musik wird sie um wichtige Dimensionen bereichert. Das kommt uns beim Lesen, beim Konzertbesuch, in der Forschung zugute, und für die Studierenden tun sich neue Berufsfelder auf, als Verfasser*in von Konzertprogrammen, als Mitarbeitende beim Radio, als künstlerische Leitung von Ensembles, oder aber als zugleich forschende und spielende Künstlerinnen, – «insomma: als complette Musici*ae; man lässet sich durch die Schwürigkeit nicht abschrecken, das Schreiben über Musik zu pflegen, da es durch seine vorzüglichen Reitze die darauf verwandte Mühe und Zeit völlig ersetzet» (C.F.Bach ibidem, zumindest fast). Die Begeisterung ist, nach getaner Arbeit, für gewöhnlich gross bei allen Beteiligten.
Manuel Bärtsch
… ist Pianist, Professor und Forschungsdozent an der Hochschule der Künste Bern.
Anja Wernicke — Das Musikerlebnis lässt sich nicht gänzlich in Worte fassen und trotzdem prägt Sprache, wie wir Musik wahrnehmen. Ein Vortrag von Johannes Kreidler gibt Denkanstösse. Und ein neues Weiterbildungsangebot der Hochschule für Musik FHNW behandelt das Verbalisieren von Musik als Teil der kuratorischen Praxis.
Beginnen wir mit einem kleinen Experiment: Schalten Sie Musik ein und achten Sie auf den ersten Begriff, das erste Wort, das Ihnen einfällt. Aha. Vielleicht haben Sie innerlich an den Namen des Instruments gedacht, das sie hören oder den Gattungsbegriff oder den Aufbau. Was wir über Musik wissen, können wir beim Hören nie ganz ausschalten. Wenn wir Musik hören, verknüpfen wir das Gehörte immer gleich mit Begriffen. So lautet die These des Komponisten Johannes Kreidler. Bei einem Vortrag an der Hochschule für Musik FHNW in Basel am 10. März dieses Jahres hat der neu ernannte Professor für Komposition unter dem Titel «Begriffliches Hören» für einen radikalen Umgang mit der sprachlichen Interpretation von Musik geworben. «Beim Musikhören könnte man von Klanglektüre sprechen», so Kreidler. Zur Begründung zog er zahlreiche philosophische Aussagen heran, wie beispielsweise Martin Heidegger: «Wir sprechen stets; auch dann, wenn wir kein Wort verlauten lassen, sondern nur zuhören …»
Gegen eine solche Auffassung steht besonders das Paradigma der absoluten Musik, wie es unter anderen der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus vertrat. Im Zeitalter der Postmoderne hält Kreidler eine solche Sichtweise hingegen für nicht mehr gültig. Er argumentiert, dass wir immer auch die Bedeutung eines Musikstücks «mithören» oder vielmehr lesen, dass im Grunde alles auf Zitaten und Referenzen beruht. Beethovens 9. Sinfonie ist eben immer auch die Neunte mit all ihrer Geschichte und der ihr zugeschriebenen Aura. In John Cages 4’33 wird nicht einfach nur Stille wahrgenommen, sondern Stille wird vorgeführt. Die Reflexion darüber, was Stille überhaupt ist, wird angeregt.
Doch das gesamte Musikerlebnis lässt sich dabei sicher nicht in Worte fassen. Der Komponist Peter Ablinger nimmt die Sinnlichkeit jenseits der Semantik in den Blick. In einem Vortrag im Rahmen der Frühjahrstagung des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung in Darmstadt im Jahr 2018, die sich in der Mai Ausgabe der Zeitschrift Positionen im Jahr 2019 nachlesen lässt, stellt er fest: «(s)innliche Gegebenheit und Wissen schließen sich also aus». Für ihn krankt besonders die zunehmende konzeptbasierte Bildende Kunst daran, dass Begründungen und Bedeutungszuschreibungen stets im Zentrum der Werke stehen und das sinnliche Erleben zum Teil gar nicht mehr vorkommt. «Im Prinzip wird alles, was passiert, ,gesagt’ nicht mehr ,gezeigt’», argumentiert Ablinger, es entstünde eine «Kunst des guten Grundes». Genau wie Johannes Kreidler möchte aber auch Peter Ablinger diese Problematik produktiv nutzen. Für Ablinger ist der gegenseitige Ausschluss von Kunst und Wissen eine interessante Bruchstelle. Für ihn wird Kunst erst jenseits von Bedeutungen richtig spannend. Könnte man also sagen, dass Kunst erst jenseits von Sprache beginnt? Das ist sicher zu kurz gedacht. Denn auch Peter Ablinger selbst hat besonders viele Textpartituren kreiert und ist sicher nicht gegen die Nutzung von Sprache im Zusammenhang mit Kunst. Vielmehr geht es beiden – Kreidler und Ablinger – um einen kreativen Umgang mit Sprache im Zusammenhang mit Musik.
So appelliert Johannes Kreidler an diejenigen, die über Musik schreiben, es auf möglichst kreative und vielleicht sogar künstlerische Weise zu tun. Die Musikkritik solle weniger urteilen, als vielmehr das Gehörte kreativ interpretieren. Aber das Hörerlebnis wird nicht nur davon geprägt, was hinterher über Musik lesen. Auch was wir vorher über Programmtexte, Einführungsvorträge, Werbung usw. aufnehmen, gehört dazu. Johannes Kreidler hat hierfür den Begriff «präpariertes Hören» geprägt und den Mechanismus der Vorprägung in Werken wie «Fremdarbeit» künstlerisch beleuchtet.
Die zu erzählende Geschichte und das Framing von Musikveranstaltung sind ein Teil der kuratorischen Arbeit, welche im Rahmen eines neuen Ausbildungsangebots an der Hochschule für Musik FHNW mit einem dezidierten Fokus auf zeitgenössische Musik behandelt wird. Der CAS-Lehrgang mit dem Titel Curating Contemporary Music startet im Januar 2021 und baut nicht zuletzt durch seine inhaltliche und personelle Anbindung an die Forschungsabteilung der Hochschule auf dem früheren Lehrgang Musikjournalismus auf, der in den Jahren 2011 bis 2016 mehrmalig durchgeführt wurde. Neben den Inhalten und der angewandten Praxisarbeit in Kooperation mit dem Festival ZeitRäume Basel – Biennale für neue Musik und Architektur, wird den Teilnehmern des neuen Lehrgangs insbesondere auch ein professionelles Netzwerk geboten. Unter den Dozierenden sind neben Johannes Kreidler renommierte Kurator*innen der zeitgenössischen Musik wie Björn Gottstein, Christine Fischer und Daniel Ott. Das kreative Schreiben über die musikalischen Inhalte, sei es nun mit dem Ziel, sie begrifflich fassbar zu machen, oder gerade mit ihrer Unfassbarkeit, ihrer Flüchtigkeit sprachlich umzugehen, wird dabei in jedem Fall eine zentrale Rolle spielen.
Anja Wernicke
… ist wissenschaftliche Assistentin an der Hochschule für Musik FHNW / Abteilung Forschung und Entwicklung.
Links zum Thema
> www.hkb.bfh.ch/de/studium/master/specialized-music-performance-klassik/
> www.sonicspacebasel.ch
Hier finden sich weitere Informationen zum Weiterbildungsangebot der Hochschule für Musik FHNW sowie der Online-Vortrag von Johannes Kreidler.
> www.hslu.ch/reviewimpact
An der Musikhochschule Luzern wurde zwischen 2016 und 2019 das Forschungsprojekt Between Producers and Consumers: Music Critics’ Role in the Classical Music Market realisiert. Es ist Teil einer grösseren Forschungsreihe über die Rolle von Musikkritik im Klassikmarkt.