Forschung: Ein- und Ausblicke
Im folgenden Beitrag berichten die Musikhoch-schulen von Zürich, Genf und Bern über aktuelle Trends ihrer Forschungsbereiche, welche glücklicherweise weniger von den Auswirkun-gen der COVID-19-Krise betroffen sind.
Martin Neukom — Das Institute for Computer Music and Sound Technology ICST ist eines der beiden Forschungsinstitute des Musikdepartements der ZHdK. Es arbeiten 15 Personen, meist in Teilzeitanstellungen, an unterschiedlichsten Forschungsprojekten. Im Toni-Areal stehen dem Institut Forschungsräume, Studios und Büros zur Verfügung. Aus den unterschiedlichen Schwerpunkten der Mitarbeiter, wie Ingenieurwissenschaften, Wahrnehmung, Informatik, Mathematik, Tontechnik, Generative Kunst, Medienkunst, Musikwissenschaft, Musiktheorie, Performance und Komposition entstehen Projekte, in denen das Verhältnis zwischen Technologie und musikalischer Praxis in Auseinandersetzung mit der Tradition zeitgenössischer und elektroakustischer Musik mit Methoden der Wissenschaft und der künstlerischen Forschung untersucht werden. Aktuelle Forschungsbereiche des ICST sind Interfaces & Augmented Instruments, Network-Based Composition and Performance Systems, Interactive Movement and Music, Musical Notation and Representation, Sonification/Acoustic Ecology und Immersive and Virtual Environments.
So unterschiedlich die Projekte, so unterschiedlich sind die benötigten Mittel und die eingesetzten Methoden. Entsprechend konnten im vergangenen Semester problemlos Anwendungen programmiert und Texte verfasst werden, jedoch die Möglichkeiten, Infrastruktur zu nutzen, zu proben, Experimente durchzuführen oder externe Wissenschaftler und Komponisten einzuladen, waren sehr eingeschränkt. Deutlich wurde dabei, dass nicht nur der (digitale) Austausch unter Forschenden wichtig ist, sondern auch das Aufbereiten und Archivieren von Forschungsergebnissen. Die folgenden Beispiele zeigen, wie einzelne Forschungsgruppen auf die besonderen Herausforderungen reagiert haben.
«The Art of Diagram», die Nachfolgerin des SNF-Projekts «Sound Colour Space – A Virtual Museum» (https://www.zhdk.ch/forschungsprojekt/sound-colour-space-426348), hat grosse Fortschritte erzielt. Das internationale Team von Daniel Muzzulini befasst sich mit historischen Diagrammen aus der Antike über das Mittelalter bis in die Neuzeit, die das Begriffsfeld Klang, Ton, Tonhöhe, Klangfarbe erforschen und veranschaulichen. Eine grosse Sammlung von Diagrammen und wissenschaftlichen Begleittexten wurde 2017 in einem virtuellen Museum veröffentlicht und für die weitere Forschung zugänglich gemacht. Im letzten Semester hatte das ICST entschieden, die Ergebnisse unter dem Titel «The Art of Diagram» im Format Gold Open Access ePub (Online und Print) zu publizieren. Gleichzeitig werden die Inhalte des virtuellen Museums aktualisiert und neue Präsentationsformen erarbeitet. Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftler aus verschiedenen europäischen Staaten und den USA sind sehr daran interessiert, an diesem Publikationsvorhaben mitzuwirken. ZOOM-Meetings, die von Susan F. Weiss (Baltimore) gehostet und dokumentiert werden, dienen dem Austausch von Forschungsergebnissen. Um diese Zusammenarbeit zu institutionalisieren haben Daniel Muzzulini und Susan F. Weiss die Aufnahme der Forschungsgruppe als Study Group Musical Diagrams der International Musicological Society IMS beantragt.
Beim SNF-Forschungsprojekt «Performing Live Electronic Music» (2018-2022, Leitung Germán Toro Pérez) gab es keine wesentlichen Einschränkungen, weil dieses Halbjahr als Dokumentationsphase gedacht war, in welcher das Team ausführliche Berichte zu den 12 bisher realisierten Kompositionen verfasst und die Audio- und Videodokumentation vervollständigt. Dies wurde hauptsächlich aus dem Homeoffice gemacht, was gut funktioniert hat. Verschoben werden mussten einige geplante Aufnahmetermine für die nächste SACD. Die 12 Artikel werden bis Ende August in der «Performance Practice Database» publiziert.
Lucas Bennett und Tobias Gerber haben mit dem Medien- und Informationszentrum MIZ ein Konzept für die Erfassung und Archivierung der Materialien aus den ICST-Residenzen erarbeitet und sind daran, die Datensätze im Medienarchiv MADEK zu erfassen. Das SNF-Projekt «Haptic Technology and Evaluation for Digital Musical Interfaces» (HAPTEEV) fokussiert auf die Entwicklung und Evaluation von digitalen Musikinterfaces mit haptischem Feedback. Aktuelle Forschungsthemen sind Design, Vibrationscharakterisierung und experimentelle Evaluation sowohl von neuen wie von entsprechend erweiterten kommerziellen Interfaces. Die technische Arbeit und Messungen konnten durchgeführt werden, als die Werkstatt des ICST wieder benutzt werden konnte. Ein geplantes Experiment mit ZHdK-Studierenden als Teilnehmende musste jedoch verschoben werden. Schon seit der Gründung des ICST beschäftigen sich Programmierer und Komponisten mit der Entwicklung von Tools für die Produktion und Wiedergabe von 3D-Sound. Im letzten Jahr haben Johannes Schütt und Christian Schweizer die ICST Ambisonics Plugins version 2.0 entwickelt (https://ambisonics.postach.io/page/icst-ambisonics-plugins). Programmierung und Test konnten durchgeführt werden. Sehr wichtig für die Beurteilung der Brauchbarkeit dieser Plugins und der dokumentierten Arbeitsabläufe sind Praxistest mit Kompositionsstudenten und Gastkomponisten, die ihre eigenen Vorgehensweisen und Klangvorstellungen haben. Diese Tests mussten leider verschoben werden.
Martin Neukom
… ist Dozent am DMU der ZHdK und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institute for Computer Music and Sound Technology.
Actualités et perspectives de recherche à la HEM de Genève
Rémy Campos — Depuis plusieurs années, la Haute école de musique de Genève soutient des projets de recherche dans l’ensemble des secteurs artistiques couverts par ses enseignements. Nous n’en évoquerons ici que trois parmi les plus récents.
Le premier est un projet international consistant à imaginer un outil informatique d’aide à l’orchestration. Intitulé ACTOR (Analysis, Creation and Teaching of Orchestration), il a été initié par Stephen Mac Adams (McGill University) et associe des universités, des centres de recherche et des écoles d’art en Amérique du Nord et en Europe. A Genève, Éric Daubresse a animé une équipe composée d’enseignants et d’étudiants en composition (à la suite de la disparition prématurée de notre collègue en octobre 2018, c’est Gilbert Nouno qui a repris la responsabilité du projet). L’originalité du logiciel est de permettre de tester des combinaisons de timbres en utilisant l’ordinateur comme un orchestre virtuel.
Dans un tout autre domaine, William Dongois s’est efforcé de percer les énigmes d’un traité de musique écrit par Silvestro Ganassi et édité à Venise en 1535 : la Fontegara. Premier ouvrage consacré uniquement à l’art de la diminution, il expose l’art d’orner les mélodies qui s’est perdu au cours des siècles. Avec le concours de nombreux partenaires et en mêlant artistes et chercheurs confirmés avec des musiciens en formation, le projet a varié les approches depuis la conception d’un logiciel d’analyse des formules de diminution jusqu’au dialogue avec des traditions musicales éloignées de l’Italie de la Renaissance (Inde, Balkans, etc.).
Enfin, le projet réalisé par Jérôme Albert Schumacher se penche sur l’utilisation des outils numériques en contexte pédagogique. L’étude a pour objectif de définir la place et le rôle que les professeurs d’instrument et de chant donnent aux nouveaux instruments d’apprentissage. Le préalable est un recensement des différents usages dans les hautes écoles de musique des ressources et outils disponibles avec un accent particulier mis sur les technologies numériques quotidiennes (applications pour smartphone et/ou tablettes).
On peut se demander jusqu’à quel point la crise sanitaire récente peut entraver les chantiers engagés. Les projets ambitieux ne reposent-ils pas sur une circulation intense des idées et des personnes ? Les outils de travail à distance dont nous avons tous fait l’expérience dans les derniers mois montrent déjà que le ralentissement des mobilités ne devrait pas mettre un terme aux grandes entreprises collaboratives. Par ailleurs, la recherche artistique suppose – comme la pratique musicale qu’elle prend pour objet – des rencontres régulières avec un public. Dans ce domaine aussi, les limites ne cessent d’être repoussées.
Il y a donc fort à parier que, dans les années qui viennent, la recherche artistique dont l’innovation est le terrain privilégié sorte plutôt renforcée d’une période où les formes du métier de musicien devront se réinventer.
Rémy Campos
… est coordinateur de la recherche à l’HEM.
Aktuelles aus dem Institut Interpretation der Hochschule der Künste Bern
Martin Skamletz — Die Berner Fachhochschule BFH hat 2019 ein Repositorium für die vermehrt im Open Access zugänglichen Publikationen aus der Forschung eingerichtet und die bisherigen Forschungsschwerpunkte der Hochschule der Künste Bern HKB in Institute umbenannt. Das so entstandene Institut Interpretation legt den Schwerpunkt seiner Aktivität weiterhin auf Drittmittelprojekte und setzt alles daran, ihre Ergebnisse innerhalb der Hochschule und in Zusammenarbeit mit externen Partnern langfristig fruchtbar zu machen. So ist die «Geisterhand»-Projektserie zu Interpretationsaufzeichnungen auf Welte- und anderen Papierrollen als „Magic Piano“ in die Phase breit angelegter Vermittlungsaktivitäten im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds SNF finanzierten Agora-Projekts eingetreten – unter Federführung von Thomas Gartmann, der sich ausserdem für Projekte zum Archiv des Schweizerischen Tonkünstlervereins STV und zu einer von der HKB übernommenen Sammlung von Bootleg-Aufnahmen der 1970er- bis 2000er-Jahre aus New Yorker Opernhäusern einsetzt. Hierzu gibt es Anfang September eine online durchgeführte Tagung, während ein internationaler Welte-Vernetzungsanlass in Zusammenarbeit mit der Stanford University – schon für vergangenen Juni geplant, aber aus naheliegenden Gründen verschoben – hoffentlich 2021 in Bern und im Museum für Musikautomaten Seewen stattfinden kann.
Ein weiteres Agora-Projekt auf Basis einer bis in die Anfänge der HKB-Forschung zurückreichenden Projektserie zu historischen Blasinstrumenten wird demnächst abgeschlossen. Es hat die Sonderausstellung «Fresh Wind» im Klingenden Museum Bern erarbeitet, das in Personalunion mit dem HKB-Forschungsfeld „Musikinstrumente“ durch Adrian v. Steiger geleitet wird. Die schon länger erfolgreichen Initiativen, den Studierenden der HKB die Möglichkeit zum Spielen auf historischen Instrumenten aus dem Museum zu bieten, werden aktuell durch eine Stiftungsförderung auf eine langfristige Basis gestellt.
Im Transfer von Forschungsergebnissen in die Lehre sind auch die Dozierenden Musiktheorie sehr aktiv, die im gleichnamigen Forschungsfeld gemeinsam mit dem Musikwissenschaftler Claudio Bacciagaluppi an Projekten zur institutionellen Entwicklung des Theorieunterrichts im 19. Jahrhundert teilnehmen.
Das Forschungsfeld «Aufführung und Interpretation» wird von Annette Kappeler koordiniert, die selbst im Rahmen eines SNF-Projekts die Erforschung eines bislang wenig bekannten norditalienischen Theaters des frühen 19. Jahrhunderts vorantreibt. Das Beethovenjahr begehen wir in Zusammenarbeit mit dem Conservatorio della Svizzera italiana in Form eines von Leonardo Miucci initiierten Symposiums «Beethoven and the Piano» Anfang November in Lugano.
Die letzten Jahre haben eine Zunahme der Aktivitäten rund um «Schnittstellen der zeitgenössischen Musik» mit sich gebracht. Sie werden von Leo Dick entwickelt, der in seinem SNF-Ambizione-Projekt «Avanciertes Musiktheater und kollektive Identitätsbildung in der Schweiz seit 1945» untersucht. In den Kontext dieses Forschungsfeldes gehören auch Roman Brotbecks Mikroton-Projekt in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Basel und Chris Waltons Auseinandersetzung mit der Schweizer Kulturpolitik in Südafrika während der Apartheid. Die Weiterentwicklung der in den letzten Jahren von Immanuel Brockhaus aufgebauten Popularmusikforschung hat diesen Sommer Andreas Schoenrock übernommen, der als Leiter des MAS Pop & Rock auch die Zusammenarbeit mit der HKB-Weiterbildung sicherstellen wird. Das Doktoratsprogramm «Studies in the Arts» in Zusammenarbeit mit der Universität Bern läuft erfolgreich; mit dem Studienjahr 2021/22 beginnt zudem die Teilnahme der HKB am künstlerisch-wissenschaftlichen Doktoratsprogramm der Anton Bruckner Privatuniversität Linz, und weitere Kooperationen sind in Planung.
Martin Skamletz
… ist Leiter des Instituts Interpretation an der HKB.