Jahresgespräch mit dem KMHS-Präsidenten
In dieser Ausgabe wollen wir mit unserem Präsidenten Stephan Schmidt auf das zurückliegende Jahr schauen und einen Ausblick wagen.
MvO — Seit 2012 ist Stephan Schmidt in einem Doppelmandat Direktor der Hochschule für Musik FHNW und der Musik-Akademie Basel. Seit 2017 ist er Präsident der KMHS.
Stephan Schmidt, bei unserem letzten Gespräch 2017 nannten Sie die Umsetzung des Verfassungs-artikels 67a als wichtige Heraus-forderung der KMHS. Was hat sich da bisher getan?
Die Umsetzung des Verfassungsartikels ist aktuell noch wenig befriedigend. Im Rahmen der Vernehmlassung der neuen Kulturbotschaft 2021-2024 haben wir die bisherige Umsetzung als «durchzogen» bezeichnet, nehmen jedoch wahr, dass der Bundesrat gewillt scheint, weitere Elemente der Musikförderung aufzubauen, wenn auch noch nicht in dem Masse, wie es erforderlich wäre. Insbesondere ist es aus unserer Sicht dringend, für die Begabtenförderung (inkl. PreCollege) endlich eine klare Rechtsgrundlage und Finanzierung zu schaffen.
Es war Ihnen damals ein wichtiges Anliegen, Politik und Gesellschaft mehr und besser über die Realitäten des Berufsfeldes Musik aufzuklären. Ist dies in der Zwischenzeit besser gelungen?
Das ist sicherlich ein laufender Prozess, und jede Musikhochschule ist darin an ihrem Standort individuell gefordert. Unsere Aufgabe, Akzeptanz für das Berufsfeld Musik zu schaffen, durchdringt alle unsere Tätigkeitsbereiche, speziell gerade auch in Bezug auf «heisse Eisen», wie der notwendige Ausbau des niederschwelligen Zugangs zur Musikförderung, die Notwendigkeit musikalischer und pädagogischer Exzellenz, die langfristige Aufgabe, die grundsätzliche Internationalität sowie die Anforderungen an den Musikberuf verständlich zu machen und nicht zuletzt auch das Profil von Lehrpersonen verpflichtend zu machen.
Wie steht es um das Hochschul-förderungs- und Koordinationsgesetz HFKG, welches seit 1. Januar 2015 gilt und für Universitäten, Pädago-gische Hochschulen und Fachhoch-schulen (mit Musik) einen einheit-lichen gesetzlichen Hochschulraum geschaffen hat? Wie würden Sie da die Bilanz ziehen?
Betrachtet man rückblickend die Entwicklung von den städtisch/kantonalen Konservatorien bis hin zu den Hochschulen auf Basis des HFKG, wird erkennbar, dass die Entwicklung insgesamt positiv verlaufen ist. Der Leistungsauftrag der Musikhochschulen basiert dank dem Gesetz auf einer stabilen und nachhaltigen Rechtsgrundlage, die früher so nicht gegeben war und ermöglicht langfristig neue Freiheiten und Möglichkeiten in Bezug auf die Ausbildungssystematik. Gleichzeitig muss man aber auch sagen, dass die Schweizer Lösung der Unterstellung der künstlerischen Musikhochschulen unter den Fachhochschultypus international eine schwer vermittelbare Ausnahme darstellt und in Verbindung mit der Integration in übergeordnete grosse Fachhochschul-Cluster auch Nachteile mit sich gebracht hat: viele, unsere Arbeit betreffende Entscheide werden auf höheren Ebenen getroffen, und es fällt dem Bereich Musik heute schwerer als früher, sich als Fachkonferenz jeweils rechtzeitig Gehör zu verschaffen bzw. Einfluss auf solche Entscheide zu nehmen, da die KMHS z.B. bei Vernehmlassungen keine direkte Ansprechpartnerin mehr ist, sondern nur noch die grossen übergeordneten Fachhochschulen als Ganzes einbezogen werden. Hier wird die KMHS zukünftig ihre Rolle als Fachkonferenz weiter klären und schärfen müssen.
Was war aus Ihrer Sicht – als KMHS-Präsident – ein Höhepunkt des vergangenen Jahres?
Ganz klar die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Verband Musikschulen Schweiz vms sowie die Etablierung und Verankerung des Labels PreCollege. Das scheint mir sehr gut gelungen, und ich erkenne darin eine deutliche Stärkung der Musikhochschulen, wie auch des VMS, weil sich aus dieser Zusammenarbeit sinnvolle und nachhaltige Entwicklungen ergeben.
Und Ihr persönlicher, musikalischer?
Wenn ich auf das Jahr 2019 zurückblicke, stelle ich überrascht fest, dass es in der Tat ein paar Höhepunkte gab, obwohl ich künstlerisch zur Zeit nicht sehr aktiv sein kann: Im Januar fand die in einem Forschungsprojekt erarbeitete Neu-Edition und Erstaufführung der «Ballata des Oscen» (1985) von Alfred Wälchli in der ursprünglichen Version für Gitarre solo statt, dann durfte ich zusammen mit Mats Scheidegger bei Helmut Lachenmanns «my melodies» mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle mitspielen, gefolgt von der Uraufführung einer mikrotonalen Komposition für Gitarre von Matthias S. Krüger in Tallin mit einer speziell dafür gebauten Gitarre, die Aufführung der drei Lieder op. 18 von Anton Webern mit Sarah Maria Sun und Kilian Herold. Abschliessend ist vielleicht noch die Aufführung und Aufnahme der Arpeggione-Sonate von Franz Schubert zu erwähnen, welche ich mit viel Freude gemeinsam mit dem Cellisten Christoph Dangel auf einer speziell dafür gebauten Kopie eines 10-saitigen Instruments von Johann Georg Stauffer um 1823 erarbeitete.
Welches sind wesentliche Meilen-steine für die Schweizer Musik-hochschulen in diesem Jahr und den darauffolgenden?
Grössere Herausforderungen erfordern immer eine kontinuierliche Thematisierung und Diskussion über einen längeren Zeitraum. Aktuell sind das Themen wie die dringende Notwendigkeit einer schweizweiten Anerkennung von Monofachausbildungen Musik im Bereich der Volksschulen, die momentan leider nur in wenigen Kantonen existiert.
Ebenfalls aktuell ist die an allen Hochschulen lancierte Diskussion der Balance von Fachlichkeit und Interdisziplinarität, die eine ziemliche Herausforderung für unsere recht traditionellen Ausbildungsgänge darstellt. Wir stellen fest, dass Fragen nach individuellen und zukunftsfähigen Berufsbildern tief in unsere Studienstrukturen dringen und wir Antworten auf Forderungen nach zusätzlichen Kompetenzen, Offenheit und Flexibilität in der Studienstruktur sowie die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit finden müssen.
Da wir nicht nur von unserer Gesellschaft getragen werden, sondern Teil von ihr sind, stellt sich natürlich auch die Frage, welche Relevanz unsere Arbeit in der Gesellschaft hat … da ist es für mich klar, dass eine isolierte Betrachtung der Rolle der Musikhochschulen und ihrer Ausbildungsformen nicht mehr zeitgemäss ist.
Wie haben sich Ihre Erwartungen aus KMHS-Perspektive hinsichtlich des PreCollege erfüllt und wo sehen Sie noch Verbesserungspotential?
Das PreCollege konnte in der Zwischenzeit als Label platziert werden, die Zusammenarbeit – wie bereits gesagt – mit dem VMS funktioniert bestens. Verbesserungen sind aber auf rechtlicher Seite notwendig. Damit verbunden werden wir die Frage nach der Finanzierung dieses Vorstudiums weiter vorantreiben.
In Luzern wird in diesem Jahr ein neuer Campus eröffnet. Was bedeutet ein solcher Neubau für die Ausstrahlung der Musik-hochschulen in der Schweiz?
Neue Gebäude sind immer positive Signale der Entwicklung nach innen und nach aussen, eröffnen neue Dynamiken und sind so Herausforderung, Risiko und Chance zugleich. Primär geht es uns allen natürlich in erster Linie um die Inhalte der Ausbildung, allerdings haben sich gerade deswegen in den letzten Jahren die Anforderungen an Gebäude und Infrastruktur stark verändert, und es zeigt sich, wie z.B. die klassischen Konservatoriumsbauten Mühe haben, diesen neuen Anforderungen gerecht werden zu können, deshalb mit neuen Konzepten weiterentwickelt werden oder gar abgelöst werden müssen. Diese interessante Entwicklung wird sicher an weiteren Standorten weitergehen…
Die Schweiz steht immer wieder im Fokus, wenn es um die europäische Integration geht. Wie beurteilen Sie die Lage der Schweizer Musikhochschulen im europäischen und weltweiten Vergleich?
Aus meiner Sicht stehen die Schweizer Musikhochschulen gut da und sind für Studierende sehr attraktiv. Sie profitieren von und leiden gleichzeitig unter der geopolitischen Situation wie übrigens andere Institutionen auch – gerade auch deshalb, weil wir primär international orientierte Institutionen sein müssen. Ab- und Ausgrenzungen jeglicher Art machen im seit Jahrtausenden internationalisierten Berufsfeld Musik keinen Sinn.
In bestimmten Punkten besteht sogar die Gefahr, dass sich die Musikhochschulen der Nachbarländer besser entwickeln können. Dass Schweizer Musikhochschulen z.B. keinen eigenen Dritten Zyklus anbieten können, erachte ich als bedeutende und nachhaltige Schwächung des Hochschulplatzes Schweiz. Da ist die Politik gefordert, bessere Lösungen als die bisherigen zu ermöglichen, damit unser Land nicht den Anschluss verpasst. Bedauerlicherweise sind aber die aktuellen Signale aus der Politik nicht sehr vielversprechend.
Wir spüren, dass diese Frage-stellungen rasch an Bedeutung ge-winnen.
Bei uns an der Musik-Akademie Basel/Hochschule für Musik FHNW hat sich im letzten Semester spontan eine übergreifende Arbeitsgruppe aus Studierenden und Lehrpersonen formiert, die inzwischen Kontakt mit der Leitung aufgenommen hat und deutliche Fragen bezüglich Nachhaltigkeit und nach möglichen Verbesserungsmassnahmen stellt. Gerade die Musikszene spürt ja nicht nur die ökologische, sondern auch die sie direkt betreffende wirtschaftliche Relevanz. Es tut sich also etwas, Studierende und Dozierende sind alert, und das freut mich sehr. Gleichzeitig stellen sich natürlich grosse Herausforderungen daran, was von den vielen Ideen wirklich sinnvoll und in nützlicher Frist umsetzbar ist.
Das Jahr 2020 ist noch jung: welches sind aus Ihrer Sicht Höhepunkte des diesjährigen Musikhochschuljahres?
In diesem Jahr, allenfalls in 2021, ist zu erwarten, dass alle Musikhochschulen der Schweiz über das HFKG institutionell akkreditiert sein werden, das ist aus institutioneller Sicht ein bedeutender Schritt und sehr erfreulich. Das führt zu einer Professionalisierung der Institutionen, gleichzeitig auch zu mehr Aufwand, der veränderte Organisationsformen und Berufsbilder fordert.
Künstlerische und pädagogische Höhepunkte, die uns Sinn und Inspiration geben, tragen uns dabei mit ihren Flügeln über alle institutionellen Fragen hinweg…
… und dann findet im November die ELIA Biennial Conference in Zürich statt. Was ist von dieser zu erwarten?
Themen wie Fragen nach Balance zwischen Disziplinarität, Interdisziplinarität und Anschlussfähigkeit sind brennende und zentrale Themen der nächsten Jahre. Deshalb kann die ELIA-Konferenz eine sehr interessante Plattform sein, diese Themen nicht nur zu adressieren, sondern voranzutreiben, und mir scheint deshalb auch die ZHdK als Austragungsort sehr passend.
Das Motto der Konferenz lautet «Expanding the Arts», ist insofern vielleicht entwickelnd von innen gedacht, während die Frage der Anschlussfähigkeit ja eine übergreifende ist, welcher wir zukünftig viel Beachtung schenken müssen.