Bearbeitung von freien Werken
Es lohnt sich, bei musikalischen Bearbeitungen die urheberrechtlichen Fallstricke zu kennen, da ein Straucheln unter Umständen teuer zu stehen kommen kann.
Sich von anderen inspirieren zu lassen, bestehende Werke für andere Besetzungen aufzubereiten oder gar ganze Teile einer bestehenden Komposition in einem neuen Werk zu verwenden, ist eine alte Tradition. Was gilt es aus urheberrechtlicher Sicht bei der Bearbeitung eines freien Werkes zu beachten?
Was ist eine Bearbeitung?
Die Bearbeitung ist gemäss Urheberrechtsgesetz ein «Werk zweiter Hand». Für eine schutzfähige Bearbeitung gelten die gleichen Bedingungen, wie sie beim «Werk» definiert sind: Bearbeitungen eines Werkes, die persönliche geistige Schöpfungen des Bearbeiters sind, werden wie selbständige Werke geschützt. Die schöpferische Leistung entsteht durch die erkennbare Umformung, Veränderung oder Erweiterung der musikalischen Substanz der Vorlage.
Eine Bearbeitung liegt folglich vor, wenn ein neues Musikwerk unter Verwendung eines bestehenden Werkes so geschaffen wird, dass das verwendete Musikwerk in seinem individuellen Charakter erkennbar bleibt. Die neugeschaffenen Elemente müssen jedoch ebenfalls einen individuellen Charakter haben. Typische Beispiele für Bearbeitungen sind Arrangements von Werken für eine andere Besetzung oder die Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache.
Nicht alle Veränderungen von Werken gelten als Bearbeitungen. Im Verteilungsreglement der SUISA findet sich ein ganzer Katalog von Arbeiten, die keine schutzfähige Bearbeitung ausmachen. Dazu gehören beispielsweise das Hinzufügen von dynamischen oder agogischen Bezeichnungen, das Übertragen in eine andere Tonart oder Stimmlage (Transpositionen), das Weglassen, Austauschen oder Verdoppeln von Stimmen oder die Zuweisung von bestehenden Stimmen an andere Instrumente (einfache Transkriptionen). Der vollständige Katalog kann im SUISA-Verteilungsreglement unter Ziff 1.1.3.5 nachgesehen werden. In der Praxis hat sich diese Aufstellung vielfach bewährt.
Bearbeitung bei der SUISA anmelden?
Musikalische Werke, die urheberrechtlich frei sind, können ohne Zustimmung bearbeitet und verändert werden. Bei der Anmeldung einer Bearbeitung eines freien Werkes, muss ein Belegexemplar des neuen Werkes sowie die benützte Vorlage eingereicht werden, damit der Musikdienst der SUISA die Schutzfähigkeit beurteilen kann. Das gilt für Werke, deren Urheber vor 70 oder mehr Jahren gestorben oder unbekannt sind, sowie für Werke, die volkstümlich überliefert sind und darum als traditionell gelten.
Der Musikdienst der SUISA prüft bei den eingereichten freien Werken, ob eine urheberechtlich geschützte Bearbeitung vorliegt. Das geschieht immer mittels Vergleich des Originals zur bearbeiteten Fassung. Dabei spielt die inhärente musikalische Qualität des eingereichten Musikstücks oder Satzes keine Rolle.
Welche Arten von Bearbeitungen gibt es?
1. Normale Bearbeitung
Der Normalfall ist das «Arrangement» im engeren Sinn. Eine beliebte Melodie wird durch Zufügen von Stimmen oder Instrumenten für eine bestimmte Besetzung aufbereitet (z. B. für gemischten Chor, Streichquartett, Orchester, Ländlerkapelle, Big Band etc). Die Melodie oder Hauptstimme wird exakt übernommen, die Begleitung wird neu gemacht. Der Anteil des Bearbeiters beträgt in diesem Fall 15% (bei Werken mit Text) oder 20% (bei Werken ohne Text).
2. Mit-Komposition
Die freie Melodie ist nicht zugleich Oberstimme, sondern befindet sich versteckt im Innern des musikalischen Gefüges. Für diesen Spezialfall (z. B. bei Chor- und Orgelmusik) ist die Leistung des Bearbeiters höher zu bewerten, weil er eine eigene Ober- oder Hauptstimme erschaffen muss und die übernommene Melodie meist durch sogenannte kontrapunktische Techniken in die Musik einbetten muss. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 50% des Komponistenanteils.
3. Rekonstruktion
Ein Originalwerk bricht an einer oder mehreren Stellen ab, ist vom Komponisten (oder durch Verluste der Überlieferung) unvollendet hinterlassen und wird vom Bearbeiter vervollständigt. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 50% des Komponistenanteils.
4. Komplexere Jazz-Versionen mit wechselnden Solisten
Der Ablauf beginnt mit einer kurzen Vorstellung der freien Originalmelodie. Dann beginnen mehrere Solisten oder «Register» (Saxophone, Posaunen, Klavier, Schlagzeug) nacheinander mit improvisatorischen Umspielungen dieser Melodie, welche den Hauptteil des Werkes ausmachen. Optisch wird das dadurch verdeutlicht, dass die Solisten oder Register beim Solo aufstehen. Als Abschluss wird die Originalmelodie oft gemeinsam wiederholt. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 50% oder 100% des Komponistenanteils, je nach Umfang und Bedeutung der Soli.
5. Variationszyklen
Variationen über Themen aus der Musikgeschichte (Diabelli-Variationen, Paganini-Variationen, Gershwin Variationen etc.) sind das Paradebeispiel dafür, dass die Originalvorlage gegenüber der variierten Version total zurücktritt. Das Ausgangs-Thema ist nur noch Vorwand für ein völlig neues Werk. Der einzig Berechtigte ist deshalb der Schöpfer der Variationen. Es heisst: «Die Diabelli-Variationen von Beethoven» etc. Der Anteil des Bearbeiters beträgt bei diesen Werken 100% des Komponistenanteils.
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung des ersten Teils aus einer mehrteiligen Serie zum Thema Bearbeitungen, die auf dem SUISAblog unter der Rubrik «Gut zu wissen» erscheint: