Summertime
In den Sommermonaten waren viele Musikerinnen und Musiker unterwegs. Sie besuchten ihre Familien, traten bei Festivals auf, nahmen an Meisterkursen teil oder legten das Instrument einmal beiseite. Doch was bedeutet diese Zeit für sie tatsächlich?
Matthias von Orelli — Der Cellist Joachim Müller-Crépon (JMC), der Pianist Alexander Boeschoten (AB) und die Trompeterin Manuela Fuchs (MF) geben in einem Gespräch Auskunft, wie sie den Sommer verbracht haben, welche Bedeutung diese Zeit für sie hat und welchen Stellenwert ihre Ausbildung an einer Schweizer Musikhochschule hat.
Stellen Sie sich doch bitte kurz vor…
MF: Aufgewachsen auf einem Luzerner Bauernhof, wollte ich schon als kleines Mädchen Trompete lernen. Ob Filmmusik oder die hiesige Dorfmusik als Inspirationsquelle diente kann ich nicht mit abschliessender Sicherheit beantworten. Ich schätze die stilistische Vielfalt, welche dieses Instrument mit sich bringt sehr und lebe es mit meiner klassischen Ausbildung so gut es geht aus.
JMC: Ich bin Cellist, 29 Jahre alt, in Zürich aufgewachsen, und ich habe vor einem Jahr mein Studium in Basel bei Thomas Demenga mit einem Master in Solo Performance abgeschlossen.
AB: Ich bin auch nur ein Mensch…
An welcher Schweizer Musikhochschule haben Sie studiert?
MF: Den Bachelor absolvierte ich bei Laurent Tinguely an der Zürcher Hochschule der Künste, für den Orchester- und Solistenmaster wechselte ich zu Klaus Schuhwerk an die Hochschule für Musik Basel.
JMC: Als Jungstudent war ich in Zürich und Winterthur, damals HMT, heute ZHdK. Dort habe ich auch mit einem Bachelor in Musik abgeschlossen. Nach einer Weile im Ausland habe ich in Basel meinen Pädagogik-Master und, wie gesagt, den Solo Performance Master gemacht.
AB: Ich habe meine Ausbildung an der Musik-Akademie Basel bei Ronald Brautigam und in Zürich an der ZHdK bei Homero Francesch geniessen dürfen.
Die Sommer- und Ferienzeit geht nun zu Ende. Wie haben Sie diese Monate verbracht?
MF: Ein Highlight war sicherlich die Zeit beim Davos Festival, eine Inspirationsquelle sondergleichen mit vielen hervorragenden Musikern und einer einzigartigen Energie. Eine Woche ging für den Umzug drauf, sonst gab es viele kleinere Engagements, darum hat sich keine längere Pause ergeben, um richtig abschalten zu können. Nach einer Woche Pause brauche ich wieder etwa eine Woche sauberen Aufbau – ich vergleiche es gerne mit einem Spitzensportler, der rennt den Marathon normalerweise auch nicht ohne Training.
JMC: Da ich seit einem Jahr eine Stelle am Konservatorium Bern habe, waren meine Ferien auf gut sechs Wochen beschränkt. Ich war bis Mitte Juli noch sehr beschäftigt mit Unterrichten und Konzerten und habe mir dann von Ende Juli bis Mitte August eine kleine Auszeit in Südafrika gegönnt, wo ich zwei Jahre studiert habe und noch immer viele Freunde habe. Mein Instrument hat mich begleitet, und somit konnte ich dort auch Konzerte spielen und mich auf die kommende Konzertsaison vorbereiten.
AB: Ferienzeit gibt es für einen Musiker eigentlich nicht. Trotzdem ist der Sommer eine besondere Zeit, da der Konzertbetrieb in den Städten stillsteht und sich das kreative Schaffen in diversen wunderbaren Festivals bündelt.
Was bedeutet für Sie Ferien? Ist es tatsächlich eine Zeit zum Ausspannen oder vielmehr eine Zeit, sich vom Alltag des Studiums zu erholen?
MF: Für mich sind es nebst übefreier Zeit auch Tage ohne Organisations- und Büroarbeiten, was fast wichtiger ist, um den Kopf frei zu kriegen, zumal sich bei mir diese mentalen to-do-Listen nicht per Knopfdruck abstellen lassen.
JMC: Während meines Studiums habe ich die Sommerzeit meistens in Kursen oder an Festivals verbracht. Da blieben höchstens ein paar Tage, um etwas Abstand vom Instrument zu nehmen. Ich habe aber vor ein paar Jahren angefangen, ein paar Tage pro Jahr fix einzuplanen an denen das Instrument auf die Seite gelegt wird und andere Dinge Platz finden können. Es ist für mich ein Kräfte- und Gedanken-Sammeln für die kommende Saison. Manchmal kommt man aus solchen Phasen auch mit neuen Perspektiven auf das eigene Spiel und die Musik heraus, welche man durch das stetige Sich-Mit-der-Musik-befassen vielleicht nicht erlangt. Das empfinde ich als ungemein erfrischend.
AB: Ich denke, dass Ferien, also eine Zeit des Abstandnehmens und der Erholung, essentiell sind für jedes kreative Schaffen. Trotzdem habe ich dieses innige Bedürfnis nach Ferien seit meiner Schulzeit nicht mehr empfunden – dafür ist unser Beruf einfach zu schön.
Gibt es auch einen Moment, in dem Sie glücklich sind, das Instrument für ein paar Tage nicht anfassen zu müssen?
MF: Absolut! Ende Saison ist man mental müde. Ein Freund amüsiert sich darüber, dass bei mir die Instrumente dann in den Keller wandern.
JMC: Auf jeden Fall. Wenn es gut geplant ist und ich aus tiefer Überzeugung mir diese «Freizeit» gönne, dann ist das wunderbar. Genauso wunderbar ist es dann, ans Instrument zurückzukommen. Es ist vielleicht etwas ähnlich wie bei einer Beziehung, wenn man sich mal ein paar Tage nicht sieht. Danach freut man sich (so hoffe ich doch), das Gegenüber wieder zu sehen und sich über Erlebtes auszutauschen.
AB: Aber sicher, nach einer Woche juckt es dann aber wieder in den Fingern.
Sie kennen viele Musikerinnen und Musiker aus anderen Ländern. Sprechen Sie mit diesen auch über die unterschiedlichen Hochschulmodelle?
MF: Dieser Austausch findet spannenderweise vorwiegend mit anderen Trompetern statt.
JMC: Ehrlich gesagt habe ich das so noch nie erlebt. Über andere Hochschulen hab ich mich wohl informiert, aber das Hochschulmodell verglichen habe ich höchstens in Südafrika, wo ich an einer Universität studiert habe und nicht an einer Hochschule.
AB: Ja, klar, aber am Ende steht und fällt das Ganze mit dem Namen und der Klasse der Hauptfachdozenten. Die Institution ist dabei sekundär.
Was fällt Ihnen dabei auf, oder anders gefragt: wie sehen Sie die Schweizer Musikhochschulen im internationalen Vergleich?
MF: … dass das Bologna-System international – nicht mal schweizweit – einheitlich geregelt ist.
JMC: Ich glaube, wir können uns grundsätzlich sehr glücklich schätzen in der Schweiz. Die Auswahl an Studienorten sowie die Vielfalt sind für ein kleines Land doch sehr beachtlich, und ich glaube auch, dass die Schweizer Musikhochschulen den inter- na-tionalen Vergleich nicht scheuen müssen. Ich bin sehr froh, dass ich hier grösstenteils mein Studium machen konnte.
AB: Das ist ganz unterschiedlich, es gibt an den meisten Schulen gute und schlechte Klassen und nur ein paar wenige erreichen eine internationale Ausstrahlung.
Sehen Sie Punkte, die man Ihrer Meinung nach verbessern müsste an diesem System?
MF: Zum Beispiel der Hauptfachunterricht: An gewissen Schulen sind im dreijährigen Bachelor 60 Minuten eingeplant, an anderen 90 Minuten, während ich von einer deutschen Hochschule weiss, dass der Bachelor dort vier Jahre dauert und man 120 Minuten Unterricht zugute hat. In Österreich wiederum hat man in diesen vier Jahren sogar noch einen pädagogischen Abschluss. Wie kann das kompatibel sein?
JMC: Da wir vorher über Ferien und Sommermonate gesprochen haben wäre es vielleicht ein Gedanke wert, ob man die Semesterpause nicht den umliegenden europäischen Ländern anpassen sollte. Als Student kann es manchmal zu schwierigen Momenten kommen, wenn ein Meisterkurs erst sehr spät im Sommer stattfindet und die Hochschulen in der Schweiz schon Mitte September zur gleichen Zeit wieder den Betrieb aufnehmen.
AB: Das Bologna-System ist für die Musik absoluter Unsinn, aber der Trend nach einer internationalen Gleichschaltung und digitalen Strukturierung ist wohl kaum mehr aufzuhalten.
Wie empfinden Sie das Schweizer Musikleben grundsätzlich?
MF: Für freischaffende Musiker ein Paradies! Die Nachfrage und Wertschätzung ist grösstenteils da, und an Musikschulen herrschen optimale, gesetzlich geregelte Arbeitsbedingungen – Sozialleistungen inklusive – was im Ausland überhaupt nicht selbstverständlich ist.
JMC: Vielfältig, lebendig, inspirierend – eine sehr schöne Mischung, und es hat von allem etwas. Und das will ich gar nicht nur auf die klassische Musik beziehen. Ich höre auch gerne Jazz oder andere Stilrichtungen. Die Schweiz hat sehr viel zu bieten! Vielleicht bräuchte es von den grösseren Institutionen und Konzertveranstaltern manchmal etwas mehr Mut zur Innovation. Aber das ist eine Kritik auf sehr hohem Niveau.
AB: Der «Kantönligeist» schafft gewisse Barrieren, aber grundsätzlich ist die Welt in der Schweiz noch in Ordnung. Insbesondere wenn man den Blick auf gewisse europäische Länder lenkt.
MF: Parallel zum Orchesteralltag werde ich diesen Herbst mit dem Pianisten Carl Wolf eine CD aufnehmen, wo wir den Fokus auf die Vielfältigkeit des Instruments legen. An Weihnachten spiele ich wieder mit dem Classic Festival Brass Ensemble im KKL, danach folgen diverse Solokonzerte. Eines davon wird eigens für mich vom Basler Musiker Olivier Truan (dem Gründer und Kopf der erfolgsverwöhnten Klezmer-Band Kolsimcha) komponiert. Ich hoffe, es bleibt noch Zeit für das ein oder andere Probespiel…
JMC: Ich möchte mich auf meinem Instrument weiterentwickeln und auch eigene Projekte aufstellen. Zusammen mit Alexander Boeschoten arbeite ich gerade an einer Konzertreihe in Zürich im nächsten Jahr. Die Organisation ist Neuland für mich, aber es macht unglaublich Spass und tut meinem Cellospiel auch sehr gut, noch andere Aufgaben neben dem täglichen Üben wahrzunehmen.
AB: … und ich sollte gleich noch etwas üben.