Begabtenförderung in der Schweiz
Im Februar 2017 hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) einen Bericht vorgelegt, der über die umgesetzten und geplanten Massnahmen einzelner Kantone für die Begabtenförderung im Hinblick auf ein Musikstudium an einer Musikhochschule informiert.
Matthias von Orelli — Als Basis für den Bericht, der in Zusammenarbeit mit dem Generalsekretariat der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren EDK entstand, diente eine Umfrage, die im Frühjahr 2016 lanciert wurde. Erfreulicherweise haben bis auf eine Ausnahme alle Kantone an der Umfrage teilgenommen, womit der gewonnene Überblick als umfassend angeschaut werden kann. Anbei ein paar relevante Einblicke in diesen Bericht.
Im September 2012 wurde dem neuen Verfassungsartikel zur Förderung der musikalischen Bildung in der Schweiz zugestimmt. Die Einführung dieser neuen Verfassungsbestimmung sowie die Verabschiedung der Kulturbotschaft 2016-2020 durch das Parlament betreffen auch die musikalische Bildung, die an den Schweizerischen Musikhochschulen angeboten wird. Dazu heisst es in der Kulturbotschaft, dass «… Bildungsinländerinnen und -inländer an den Schweizer Musikhochschulen bloss 50 Prozent aller Studierenden ausmachen, was als klar zu tief bezeichnet werden muss…». Tatsächlich ist der Anteil der immatrikulierten Studierenden mit schweizerischem Zulassungsausweis im Studienbereich Musik an den Fachhochschulen im Vergleich mit anderen Studienrichtungen teilweise recht gering, was SBFI, das Bundesamt für Kultur (BAK) und die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) veranlasste, verschiedene Lösungsmöglichkeiten auszuloten, um die Aufnahmechancen von Schweizer Nachwuchsmusikerinnen und -musikern zu verbessern.
Der Bericht zeigt deutlich, dass in allen Kantonen bei den Schulbehörden und Schulleitungen die Absicht vorherrscht, die Entwicklung musikalisch begabter Jugendlicher nach Möglichkeit und so früh wie möglich zu unterstützen. Konkret heisst das, den jungen Talenten zu ermöglichen, parallel zum Schulprogramm an Konzerten und ausserschulischen, musikalischen Aktivitäten teilzunehmen. Dies ist insofern von grosser Bedeutung, da der Bericht auch zeigt, dass Studierende, die im Vorfeld des Studiums an kantonalen Talentförderungsprogrammen teilgenommen haben, an der Musikhochschule sehr erfolgreich sind. Damit einher geht die Feststellung, dass das Interesse für die Musik gestiegen ist und dass eine Erhöhung der musikalischen Kompetenzen festgestellt werden konnte. Messbar ist dies beispielsweise an ausgezeichneten Resultaten, die Musikstudierende an Aufführungen oder Musikwettbewerben in der Schweiz, aber auch im Ausland, erzielen.
Die Erhöhung der musikalischen Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern ist eine direkte Auswirkung der genannten Fördermassnahmen. Erfreulicherweise stellt der Bericht auch keinen grundsätzlichen Konflikt zwischen einer intensiven musikalischen Ausbildung und einer erfolgreichen Bewältigung des normalen Schulalltags fest. So nehmen beispielsweise am Ende der Sekundarstufe II rund 100 Schülerinnen und Schüler alleine schon an gezielten Massnahmen zur Begabtenförderung teil – gelegentlich mit dem klaren Ziel einer höheren Musikausbildung. Allein diese Tatsache rechtfertigt eine möglichst früh einsetzende Förderung musikalisch Begabter.
Bei der Förderung musikalisch Begabter verfügt die Schweiz über ein dichtes Netz an Möglichkeiten, welche sich aber je nach Kanton unterscheiden können. In einzelnen Kantonen gibt es Massnahmen für eine allgemeine Sensibilisierung von Jugendlichen für die Musik (beispielsweise mit Workshops), in anderen Kantonen zielen die Massnahmen auf die spezifische Förderung von Talenten, die noch entdeckt werden müssen oder deren Begabung bereits feststeht (beispielsweise in Kunst- und Sportklassen). Und wieder andere Kantone konzentrieren sich darauf, überhaupt den Zugang zu einem grundlegenden Musikunterricht zu ermöglichen.
In Kantonen, die über eine Musikhochschule verfügen, ist das Angebot verständlicherweise ein vielfältigeres und konkreteres. Dort stellt man fest, dass sich die Begabtenförderung im Hinblick auf ein Studium an einer Musikhochschule auf Einrichtungen konzentriert, die eng mit diesen Musikhochschulen zusammenarbeiten. Die genannten Einrichtungen funktionieren als Anziehungspunkte und Kompetenzzentren und dienen dem Austausch mit den Schulen der Sekundarstufe II (beispielsweise mit Referaten von Lehrpersonen einer Musikhochschule an Gymnasien und Konservatorien oder den PreColleges an den Musikhochschulen).
Die teils knappen finanziellen Mittel haben zur Folge, dass die gewünschten Fördermassnahmen für musikalisch Begabte nicht immer wie gewünscht angeboten werden können. Oftmals reichen die bestehenden Subventionen nicht aus, diese Kosten auch noch zu decken. Zudem haben einzelne Kantone, die über eine Musikhochschule verfügen, darauf hingewiesen, dass die Aufnahme von ausserkantonalen Studierenden in die Fördermassnahmen manchmal daran scheitert, dass der Wohnsitzkanton der betreffenden Kandidaten nicht über angemessene Finanzierungsinstrumente verfügt. Grundsätzlich werden Schülerinnen und Schüler des jeweiligen Kantons beim Zugang zu den Fördermassnahmen bevorzugt.
Der Bericht wirft auch einen Blick auf die finanzielle Beteiligung, die von den Schülerinnen und Schülern bzw. ihren Eltern aufgeworfen wird. Diese Beteiligung hängt in der Regel davon ab, wie intensiv und anspruchsvoll die musikalische Ausbildung ist. Je näher ein Schüler der Tertiärstufe kommt, desto höher ist der Betrag, den die Eltern übernehmen müssen. Für die Zeit vor dem Eintritt in eine Musikhochschule wurde daher von verschiedenen Seiten der Wunsch nach Stipendienmöglichkeiten geäussert, ganz einem stärkeren Engagement des Bundes im Rahmen des Programms «Jugend und Musik» entsprechend, welches in der Kulturbotschaft 2016-2020 festgehalten ist.
Abgesehen von den Anstrengungen für die im genannten Bericht aufgeführten Massnahmen haben die Kantone zudem bestätigt, sich aktiv für die Förderung von Musikensembles, Kulturförderungsvereinen und musikalischen Veranstaltungen einsetzen zu wollen, die mit der Musikkultur der Jugendlichen und eines breiteren Publikums zusammenhängen. Die Rückmeldungen der einzelnen Kantone auf die Umfrage bestätigen, dass auf allen Stufen des Bildungssystems und auch ausserhalb davon grosse Anstrengungen unternommen werden, um musikalische Kompetenzen zu entwi-ckeln. Dies gilt nicht nur für die Finanzierung sondern auch für die Bildungsangebote. So ist dem Bericht zu entnehmen, dass es vor dem Hintergrund all dieser genannten Massnahmen zur Förderung der Musikkultur schwer vorstellbar ist, dass hochbegabte Jugendliche durch die Maschen des Netzes fallen könnten. Die sehr hohen Erfolgsquoten, welche für die Kandidatinnen und Kandidaten mit schweizerischem Zulassungsausweis an den Aufnahmeprüfungen der Musikhochschulen verzeichnet werden, scheinen zu bestätigen, dass die Begabtenförderung tatsächlich funktioniert.
Eine wichtige Frage bleibt aber im Raum: Welcher Zusammenhang besteht zwischen den Massnahmen zur Förderung musikalisch Begabter und dem teilweise geringen Anteil an Bildungsinländern in den Studiengängen der Musikhochschulen?
Es ist in erster Linie Sache der Kantone, den eingangs genannten Verfassungsartikel zur Förderung der musikalischen Bildung in der Schweiz auf der Ebene der Bildungsinstitutionen umzusetzen, entsprechend wurden auch die Kantone um Unterstützung bei der Suche nach Möglichkeiten gebeten, mit denen sich der Anteil der Studierenden mit schweizerischem Zulassungsausweis an den Musikhochschulen steigern lässt. Der Bericht legt dar, dass die Kantone mit einer Hochschule weder eine Erhöhung der Studiengebühren für ausländische Studierende noch die Einführung von Quoten in Betracht ziehen, um den Anteil der inländischen Studierenden in den Musikstudiengängen zu erhöhen. Im äusserst kompetitiven Umfeld der Musik sollen die Qualität und Exzellenz der Kandidatinnen und Kandidaten für ein Musikstudium das Hauptkriterium für die Aufnahme an eine Musikhochschule sein. Unterstrichen wird diese Haltung mit dem Verweis auf die Fachkonferenz des Schweizerischen Hochschulrats, welche überzeugt ist, dass nach Auffassung einer Mehrheit der Kantonsvertreter eine zahlenmässige Begrenzung der Studierenden mit ausländischem Zulassungsausweis den Exzellenzzielen der Musikhochschulen zuwiderlaufen würde. Die Qualität der Studienbewerberinnen und -bewerber hat also Priorität.
Abschliessend ist dem Bericht zu entnehmen, dass die Musikhochschulen und ihre Lehrpersonen eine essentielle Funktion für die Förderung musikalisch begabter Jugendlicher haben, insbesondere im Vorfeld des Musikstudiums. Diese Funktion kommt vor allem dort zum Tragen, wo der Nachwuchs im Schweizerischen Bildungssystem gefördert und ausgebildet wird. Und sie hat – wie es in der Kulturbotschaft festgehalten ist – eine weitere Dimension, die wie folgt zusammengefasst wird: «Die sieben Schweizer Musikhochschulen bieten eine ausgezeichnete Ausbildung mit internationaler Ausstrahlung».