MA in Specialized Music Performance in Genf und Lausanne
Die aktuelle Ausgabe wirft einen Blick auf die Studienprogramme des MA Specialized Music Performance an den Westschweizer Musikhochschulen von Genf/Neuenburg und Lausanne. Dabei kommen Studierende zur Sprache, die über ihre Entwicklung innerhalb und die Erfahrung mit dem Studiengang berichten.
Matthias von Orelli — Die Master of Arts in Specialized Music Performance an der Haute École de Musique Genève – Neuchâtel (HEM) und an der Haute Ecole de Musique de Lausanne (HEMU – Vaud, Valais, Fribourg) sind im Rahmen der Fachhochschule Westschweiz (HES-SO) identisch aufgebaut, weisen aber teilweise unterschiedliche Studienschwerpunkte auf. An beiden Schulen ist das Studium für eine begrenzte Anzahl von Studierenden vorgesehen, und es werden primär Studierende mit herausragenden künstlerischen Fähigkeiten zum Studiengang zugelassen, wobei in Genf vor allem zwei Aspekte bei der Zulassung berücksichtigt werden: eine bemerkenswerte künstlerische Persönlichkeit und/oder die Möglichkeit, auf dem Gebiet der musikalischen Aufführungspraxis innovative Forschungsansätze beizusteuern.
Innerhalb des Genfer Masterstudiums gibt es unterschiedliche Ausrichtungen. Beispielsweise jene des Dirigierens, wo das Ziel darin besteht, nach Abschluss des Studiums ein professionelles Ensemble leiten zu können, sei dies ein Sinfonieorchester, ein Kammerorchester, ein Opernensemble oder ein spezialisiertes Ensemble. Voraussetzung ist die Beherrschung eines Orchesterinstruments oder das Klavierspiel, zusätzlich aber auch praktische Kenntnisse der Instrumental- und Vokalmusik, Verständnis für stilistische Fragestellungen und der Ausweis über eine hohe künstlerische Sensibilität. Gleichzeitig werden auch Repertoirekenntnisse und Partiturlesen erwartet. Und ein weiterer Punkt ist die Fähigkeit, Proben zu planen und entsprechend umsetzen zu können – ein insgesamt sehr umfangreiches und anspruchsvolles Profil. Der Argentinier Nicolás-Eduardo Duna absolviert den Master d’interprétation spécialisée orientation direction d’orchestre in der Klasse von Laurent Gay in Genf. Selber bezeichnet er sich weder als Wunderkind noch entstammt er einer Musikerfamilie. «Erst» mit zwölf Jahren begann er, sich für Musik zu interessieren und entschied folglich, die Musik auch zum Beruf werden zu lassen. So stand mit sechzehn Jahren der Entschluss fest, eine Dirigierausbildung zu machen, die mit privatem Klavierunterricht und Mitwirkung in einem Chor ergänzt wurde. Eine schrittweise Annäherung an die Welt der Musik, die, wie Duna selber sagt, mehr mit Einsatz als Talent verbunden war. Aufgrund eigener Onlinerecherchen ist Duna auf das Masterstudium in Genf aufmerksam geworden, was bedeutete, in Europa weiter zu studieren.
Besonders wichtig scheint Duna, dass man bereits eine umfangreiche Erfahrung mit ins Studium bringt und umfangreiche Musikkenntnisse vorweist, sei dies Harmonielehre, Kontrapunkt oder Orchestrierung. So geniesst er nun diese Ausbildung an einer, wie er sagt, exzellenten Schweizer Musikhochschule, wozu er auch die spannenden Kooperationen mit dem Orchestre de Chambre de Genève oder der ZHdK zählt. Einzig bedauert er, dass ihm manchmal alles fast etwas zu schnell geht, um jeweils wirklich gut und fundiert vorbereitet vor dem Orchester zu stehen. Nach Abschluss des Studiums möchte er gerne noch ein weiteres Masterstudium in Musiktheorie oder Pädagogik anschliessen, gleichzeitig sich aber auf Vordirigate und Dirigierwettbewerbe vorbereiten.
Auch beim Schwerpunkt Chorleitung gehören die oben genannten Voraussetzungen dazu, wobei dann aber entweder eine Gesangsausbildung oder wiederum das Klavierspiel erfordert werden. Das Ziel des Studienschwerpunkts liegt entsprechend in der Leitung eines professionellen Chorensembles (ob nun Opern- oder Radiochor, oder wiederum ein Spezialistenensemble).
Besondere Beachtung verdient in Genf die Studienausrichtung Mittelaltermusik, wo es neben den praktischen Fragen auch um philologische Forschungsfelder geht. Im Mittelpunkt stehen die musikalische Praxis und deren Besonderheiten hinsichtlich verschiedener Spieltechniken, Verzierungen oder der Improvisation. Damit trägt der Studienschwerpunkt der in den vergangenen Jahren zugenommenen Begeisterung für Alte Musik Rechnung. Da gerade die Forschung auf diesem Gebiet viele Erkenntnisse erlangt hat, versucht das Studium eine möglichst breite Einsicht in das Gebiet zu ermöglichen, so dass kulturelle, technische und theoretische Kenntnisse gleichermassen gefördert werden. Dazu gehört auch die musikalische Praxis auf historischen Instrumenten, da sich diese stark von jener auf modernen Instrumenten unterscheidet, was sich verdeutlichen lässt an der Auswahl bei den Tasteninstrumenten, wo Cembalo, Clavichord, Hammerklavier oder Orgel zur Auswahl stehen.
Auch an der Haute École de Musique de Lausanne (HEMU) findet sich der MA in Specialized Music Performance, und der Werdegang der Schweizer Sängerin Marina Viotti verdeutlicht das vielfältige Angebot dort eindrücklich. Die Tochter eines Musikerehepaars kam schon früh mit Konzert und Oper in Berührung. Doch als sie mit sieben Jahren Sängerin werden wollte, empfanden es die Eltern als zu früh – sie solle doch zuerst Querflöte spielen. Dies tat sie dann auch, studierte anschliessend Literatur und Philosophie in Lyon und sang daneben in einer Metal Band. Mit 21 Jahren ging sie nach Marseille und studierte dort Kulturmanagement, ergänzte dies aber mit einer Ausbildung in Chorleitung, worauf der Lehrer meinte, sie solle doch singen. Obwohl sie damals vergleichsweise schon alt war, wagte sie den Wechsel, übersiedelte nach Wien und studierte privat bei Heidi Brunner, weil die dortige Universität ihren Antrag aufgrund des späten Beginns mit dem Singen nicht bewilligte. Drei Jahre studierte sie in Wien, arbeitete an der Wiener Staatsoper und sang abermals in einem Chor. Der Entscheid, in Lausanne zu studieren war mit dem Wunsch verbunden, ihrem Leben eine klare Struktur zu geben. So folgte das Masterstudium bei Brigitte Balleys, welches sie im letzten Jahr abschloss. Für Viotti liegt der grosse Vorteil des Studiums (neben dem aufgebauten Netzwerk, der zahlreichen Unterstützung durch die Hochschule und die gesammelte Erfahrung) darin, dass sie bereits erste Recitals, Oratorien und sogar Rollen an der Opéra de Lausanne singen konnte. Alles, was sie an der Hochschule lernte (etwa Körperausruck, Phonetik, Improvisation, Singen, Schauspiel) konnte sie gleich in die Praxis umsetzen. Und ein Höhepunkt war sicherlich das Orchesterkonzert am Ende des Studiums.
Was Marina Viotti auffiel war, dass das Studium einerseits Leitplanken bot, andererseits eine grosse Flexibilität innerhalb derselben möglich war, um sich entwickeln zu können. Zu dieser Entwicklung gehören auch die Crossover-Projekte, wo Konzerte Klassik, Pop und Jazz kombinieren, Projekte mit zeitgenössischer Musik und Meisterkurse mit Schwerpunkt Barock angeboten werden, oder Studierende an der École de Jazz et de Musique Actuelle auftreten können. Diese grenzübergreifenden Projekte erachtet Viotti in der heutigen Zeit als besonders förderlich. Dazu gehören, was Nicolás-Eduardo Duna für Genf schon heraushob, die Kooperationen – in Lausanne etwa mit dem Orchestre de Chambre de Lausanne oder der Opéra de Lausanne. Gerade Auditions an der Opéra erachtet Viotti als grossen Luxus im Vergleich zu anderen Musikhochschulen. Das dreijährige Masterstudium schloss Viotti 2016 ab, bereichert mit einem umfangreichen Netzwerk und erster Berufserfahrung. Vermutlich auch deswegen ist ihr Kalender für die nächsten beiden Jahre ausgefüllt, vorwiegend in der Schweiz mit Opernproduktionen in Lausanne, Genf oder Luzern, aber auch mit Konzerten und zwei Opernproduktionen im Ausland.
Die Anforderungen an Studierende des Masterstudiums an der HEMU Lausanne sind vergleichbar mit jenen in Genf, denn auch in Lausanne ist es die Absicht, den Master einer kleinen Anzahl von Studierenden, welche herausragende Fähigkeiten besitzen und eine Karriere auf höchstem Niveau anstreben, zu ermöglichen. Die Krönung des Masters bildet unter anderem eine CD-Produktion, was die Moldauerin Alexandra Conunova besonders inspirierte. Die Gewinnerin des Internationalen Joseph Joachim Violinwettbewerbs in Hannover und des Tschaikowski-Wettbewerbs in Moskau hatte eigentlich nicht die Absicht, noch einen zweiten Master zu machen. Aber als sich die Möglichkeit bot, bei Renaud Capuçon studieren zu können änderte sie ihre Meinung. Conunova betont, dass die freie Einteilung des Studiums bezüglich des Zeitplans ein grosser Vorteil sei, der Fokus liege ganz klar auf dem Instrument. Nach Abschluss der beiden Studienjahre wird eine komplette CD-Einspielung hergestellt, was bedeutet, diese tatsächlich selber zu gestalten. Da sind Kreativität beim Cover-Layout, sprachliche Gewandtheit beim Formulieren des Booklet-Textes und der Beschreibung der eingespielten Werke sowie technisches Verständnis für die qualitativ hochstehende Aufnahme und deren Bearbeitung gefragt. Eine sehr herausfordernde Arbeit, aber eben auch eine einzigartige und wichtige Erfahrung, welche die HEMU ihren Studierenden damit ermöglicht. Für Conunova war der Master ein wichtiges Sprungbrett. In der Zwischenzeit arbeitet sie mit vier Agenturen zusammen, die sie in vier Ländern vertreten. Und so ist sie der Meinung, dass sie das Glück hatte, im richtigen Moment den richtigen Personen begegnet zu sein. Und das Ziel bleibt seit Jahren dasselbe: selber glücklich zu sein und die Mitmenschen an der ehrlichen Art des Musizierens teilhaben zu lassen. Sie selber will weiterhin verstehen und studieren, was das Leben und die Werke eines Komponisten ausmachen – das Masterstudiums hat sie in all dem bestärkt.