Vom Glücksgefühl im Flow
An ihrem 14. Symposium ist die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin in Bern den speziellen Bedürfnissen aus reiner Liebhaberei Musizierender nachgegangen.
SMM — Wie grenzt man heute Profis und Amateurmusiker ab? Dass die Grenzen fliessend sind, daran erinnerte im Grossen Saal der Hochschule der Künste in Bern (HKB) der Valenser Neurologe Jürg Kesselring. Musikalische Kompetenz und Anteil am Bestreiten des Lebensunterhalts gehen dabei die vielfältigsten Beziehungen ein. So gibt es den ausgebildeten Profi, der die Musik bloss nebenbei betreibt, genauso wie den technisch eher auf bescheidenem Niveau Agierenden, der seine Existenz dennoch vollständig mit der Musik bestreitet. Tatsächlich, so kristallisierte sich an der Tagung heraus, scheint der markanteste Unterschied in der Haltung der Musik gegenüber zu liegen: «Nur beim Dilettanten», zitierte Kesselring dazu Egon Friedell, «decken sich Mensch und Beruf».
Musik als Freizeitbeschäftigung wird vermehrt zum Sehnsuchtsort. Andreas Cincera, der Studienleiter an der HKB Weiterbildung Musik, zeigte denn auch auf, dass die Nachfrage nach Erwachsenen-Unterricht zunimmt. Bedeutende Rollenvorbilder dürften dabei halbprofessionelle Ensembles bilden, die – vor allem in der zeitgenössischen Volks- und Weltmusik – zur Zeit einen Boom erleben. Die Musikschulen schöpfen das Potential noch nicht aus und beginnen auch erst jetzt so richtig, darüber zu reflektieren, wie die idealen Vermittlungsformen auszusehen hätten. Möglicherweise, so Cincera, sollte für Erwachsene das Erlebnishafte und Niederschwellige gegenüber der intensiven handwerklichen Schulung, wie sie für Heranwachsende wichtig und sinnvoll ist, höher gewichtet werden.
An der HKB wird in Form eines CAS (Certificate of Advanced Studies) an künftige Lehrpersonen das entsprechende Wissen vermittelt: Die Studierenden werden von renommierten Experten und Expertinnen unterrichtet und über Chancen und Grenzen musikalischen Lernens von Erwachsenen bis hin zur Hochaltrigkeit in- formiert.
Ein Privileg der Amateure ist es zweifelssohne, dass sie sich – ganz im Sinne Friedells – dem sogenannten «Flow», einem tranceartigen Zustand des vollkommenen Einsseins mit der Musik, uneingeschränkt hingeben können. Die Theorie dazu lieferte am Symposium der Bremer Musiker und Psychologe Andreas Burzik. Sie geht zurück auf den amerikanischen Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi. Burzik zeigte namentlich die Aspekte des Übens im Flow auf: Der bewusst wahrgenommene Tastsinn schafft den Kontakt zum Ins-trument, das aufmerksame Hören den Kontakt zum Klang und der Bewegungssinn, respektive das Gefühl der Anstrengungslosigkeit den Kontakt zum Körper; das achtsame Herangehen an das Übematerial weckt schliesslich die Lust am Erforschen, Erkunden, Entdecken. Vorbild bleibt dabei die «unbewusste Mühelosig- keit des Kindes».
In Sachen Technik und physischen Belastungen stehen Profis und ambitionierte Amateure durchaus vor gleichen Herausforderungen. Dem trugen am Symposium Beiträge zu Stimme, Haltung und Körperlichkeit Rechnung. Salome Zwicky vom SingStimmZentrum Zürich ging in einem Referat den Grenzen vokaler Belastung nach; die Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Nicole Martin Rieder widmete sich in einem Workshop der Theorie und Praxis des Atmens und in einem weiteren Workshop beschäftigten sich die Physiotherapeutinnen Marjan Steenbeek und Sibylle Meier Kronawitter dem Zusammenspiel der Körperpartien beim Musizieren.
14. Symposium der SMM, Der Amateurmusiker – Zwischen krankem Ehrgeiz und gesundem Vergnügen, 29. Oktober 2016, Hochschule der Künste Bern, Grosser Saal.