Wie lernen Senioren?
Mechanismen der Hirnplastizität beim Musikunterricht im Alter.
Musik machen und Musik hören gehören zu den wichtigsten Freizeitaktivitäten. Musikalische Aktivitäten sind dabei schon lange nicht mehr auf das Kindes- und Jugendalter beschränkt, sondern eine steigende Anzahl von älteren Erwachsenen will erstmals ein Instrument erlernen. Deren Anteil stabilisiert sich schon seit vielen Jahren bei etwa 10 Prozent der Schülerbelegungen der Musikschulen.
Musizieren ist eine der anspruchsvollsten Leistungen des menschlichen Zentralnervensystems. Die koordinierte Aktivierung zahlreicher Muskelgruppen muss mit höchster zeitlicher und räumlicher Präzision und häufig mit sehr hoher Geschwindigkeit geschehen. Dabei unterliegen die Bewegungen einer ständigen Kontrolle durch das Gehör, durch den Gesichtssinn und durch die Körpereigenwahrnehmung. Darüberhinaus werden Gedächtnissysteme und Emotionsnetzwerke aktiviert.
Es ist unbestritten, dass Musizieren die Entwicklung des Nervensystems in allen Lebensaltern, also auch im hohen Erwachsenenalter fördert. So findet man bei älteren Berufsmusikern zahlreiche Anpassungen, die Zeichen der «Hirnplastizität» sind: Das Broca’sche Sprachzentrum in der linken Stirnhirnregion ist vergrössert – was erklärbar ist, da Musiker in Klängen «sprechen». Das Kleinhirn, zuständig für feinmotorische Koordination, ist grösser, und die Hörrinde im oberen Anteil des Schläfenlappens weist ebenfalls eine grössere neuronale Dichte auf. Übungsabhängige neuroplastische Anpassungen der Nervenfasern betreffen neben dem Balken auch andere Faserstrukturen: Die sogenannte Pyramidenbahn, die von den motorischen Hirnrindenanschnitten zu den motorischen Nervenzentren im Rückenmark zieht, ist bei Pianisten stärker ausgeprägt als bei nicht musizierenden Kontrollen.
Auch bei älteren musikalischen Laien ist der Einfluss musikalisch-sensomotorischen Lernens auf die neuronalen Netzwerke der Grosshirnrinde schon vor über zehn Jahren beim Erlernen des Klavierspiels nachgewiesen worden. Überraschend war hier die zeitlichen Dynamik: Bereits nach 20 Minuten Klavierüben entstand bei erwachsenen Anfängern eine funktionelle Kopplung mit gleichzeitiger Aktivierung der Nervenzellverbände in den Hörrinden und in den sensomotorischen Arealen. Diese schnelle Änderung kann nur durch Zunahme der Vernetzung erklärt werden. Nach fünf Wochen Training am Klavier waren diese zunächst nur vorübergehenden Änderungen der neuronalen Vernetzung stabil und es kam zu einer Zunahme des neuronalen Austausches und der neuronalen Leitgeschwindigkeit zwischen den Hör- und Bewegungsregionen. Diese Veränderungen können bereits mit einer verstärkten Bemarkung der Nervenfasern, die Hör- und Bewegungsverarbeitung verbinden, erklärt werden. Aber nutzt das auch etwas für die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit?
Die bislang wohl aussagekräftigste Studie, in der mit psychologischen Methoden Transferleistungen musikalischer Aktivität auf andere Denkfertigkeiten älterer Menschen untersucht wurde, stammt von Bugos und Kollegen. Die Autoren erteilten 16 Senioren im Alter zwischen 60 und 85 Jahren über sechs Monate Klavierunterricht und verglichen die kognitiven Leistungen mit einer Kontrollgruppe von 15 gleich alten Probanden vor und nach dem sechs Monate anhaltenden Klavierunterricht. Drei Monate nach Abschluss des Trainings wurde eine letzte Testung der kognitiven Fertigkeiten durchgeführt. Die Klaviergruppe hatte nach dem Unterricht eine Verbesserung von Leistungen, die Arbeitsgedächtnis und exekutive Funktionen, wie Planung und Strategiebildungen mit einschlossen. Diese Leistungsverbesserungen waren allerdings eher schwach ausgeprägt und teilweise drei Monate nach Beendigung des Unterrichts nicht mehr nachweisbar. Dennoch ist hier ein erster Nachweis der oben aufgeführten Veränderungen durch musikalisches Training gelungen.