Die Arbeit in den musikermedizinischen Sprechstunden

Beschwerden, die beim Musizieren auftreten, müssen präzis und strukturiert abgeklärt werden. Die SMM vermittelt regionale Fachpersonen.

Peter Schönenberger — «Vor die Therapie hat Gott die Diagnose gestellt». Diesen Satz hört so manche Medizinstudentin von ihren Ausbildern, wenn sie sich zu einem Symptom gleich eine Behandlung ausdenken will. Auch unsere Beratungsstelle hat gelegentlich auf Anfragen zu antworten, die direkt nach einer bestimmten Behandlungstechnik fragen, ohne dass eine Vorabklärung stattgefunden hätte. Etwa im Sinne von «Ich leide unter Schmerzen; können Sie mir einen Handchirurgen empfehlen». Die Sache wird durch die Tatsache, dass auch viele Diagnosen unpräzise oder unzutreffend sind, nicht erleichtert. Begriffe wie Rheuma, Burnout und Sehnenscheidenentzündung gehören dazu.

Grundsätzlich folgen auch die musikermedizinischen Abklärungen den gleichen Prinzipien wie alle schulmedizinischen Abklärungen. Vorinformationen werden gesammelt. In Kenntnis allfälliger weiterer Krankheiten werden die Beschwerden, die für das Muszieren relevant sind, gezielt erfragt. Informationen zum Umfeld sind sowohl für die Suche nach den Ursachen wie auch für die Planung der Therapien von Bedeutung. Die körperliche Untersuchung erhebt einerseits allgemeine Befunde, beurteilt – bei den häufigen Beschwerden am Bewegungsapparat – zwingend Haltung und Funktion am Instrument. Die Abklärung kann in einer musikermedizinischen Praxis, einer entsprechenden Hochschulanlaufstelle stattfinden und durch eine interdisziplinäre Beurteilung ergänzt werden.

Das Beispiel einer jungen Althornistin soll das Gesagte illustrieren. Aus didaktischen Gründen deckt sich die Beschreibung der Problematik nicht exakt mit der effektiven Krankheitsgeschichte. Die Musikerin besucht eine Mittelschule und spielt seit sie acht Jahre alt ist Althorn, aktuell in zwei Formationen. Im Anschluss an eine Fraktur eines Handwurzelknochens der linken Hand als Fünfzehnjährige bleiben Schmerzen im linken Handgelenk zurück. Später kommen Schmerzen im rechten Handgelenk hinzu. Sie ist Rechtshänderin und muss in der Schule viel von Hand schreiben. Weder nach der Ruhigstellung im Gips vor drei Jahren, noch später hat jemals eine physio- oder ergotherapeutische Behandlung stattgefunden. Die Handgelenkschmerzen werden nach einer Stunde Musizieren stark und zwingen zu wechselnden Stützpositionen der linken Hand (Fotos). Rechts treten sie auch beim Schreiben auf. Von allen Handaktivitäten im Schulsport ist die junge Frau dispensiert.

Die Musikerin wird in der Sprechstunde der Berner Fachgruppe für Musikergesundheit vorgestellt. Auf Grund der im MRI nachgewiesenen Hinweise für eine Handgelenkarthritis wird eine rheumatologische Beurteilung angemeldet. Glücklicherweise kann eine entzündlich-rheumatologische Erkrankung ausgeschlossen werden. Allerdings liegt eine deutliche allgemeine Überbeweglichkeit der Gelenke vor, die für die Reizung der Handgelenke verantwortlich ist. Durch den fehlenden Muskelaufbau nach dem Unfall, die lockeren Gelenke und das freihändige Halten des knapp zwei Kilogramm schweren Instrumentes verspannten sich die Muskeln von der Hand bis zu den Schulterblättern und erzeugten bis in die Hände ausstrahlende Schmerzen (Triggerpunkt-Schmerzaussstrahlung).

In mehreren ergotherapeutischen und physiotherapeutischen Sitzungen, die in der Region der Musikerin stattfinden, kann die schmerzverursachende Unterarmmuskulatur entspannt und gekräftigt werden. Neben dynamischer Stabilisierung der laxen Gelenke durch Tapes erhält die junge Musikerin auch Anweisungen zur Pausengestaltung während des individuellen Übens. Mit der Zeit kann sie länger schmerzarm spielen. Die partielle Dispensation vom Schulsport kann bald gelockert werden.

Dr. med. Peter Schönenberger

… ist Facharzt FMH für Allgemeine Innere und Arbeitsmedizin und Vizepräsident SMM.

Warnsignal Schmerz

Weniger Spielen kann bei akuten Schmerzen schon helfen. Chronische Schmerzen zwingen zum Überdenken ganzer Lebenskonzepte. Dies ist meist nur mit fachlicher Hilfe machbar.

Martina Berchtold-Neumann — In der musikermedizinischen Sprechstunde ist das Thema Schmerz leider sehr häufig und ein Leitsymptom bei einem Grossteil musikerspezifischer Erkrankungen. Zu unterscheiden ist zwischen einem akuten und einem chronischen Schmerz. Die IASP (International Association for the Study of Pain) beschreibt folgende Unterschiede: Dem akuten Schmerz kommt eine Warn- und Schutzfunktion zu. Er ist in der Regel an erkennbare Auslöser gekoppelt, meist umschreibbar lokalisiert und wird von autonomen sowie endokrinen Aktivierungs- und Stressreaktionen begleitet. Von chronischen Schmerzen spricht man ab einer Dauer von drei bis sechs Monaten. Sie können sowohl im Zusammenhang mit einer anhaltenden Erkrankung als auch abgelöst von strukturellen Veränderungen als eigenständige Erkrankung auftreten.

Chronische Schmerzen prägen zunehmend die Lebensgestaltung. Kennzeichnend sind die komplexen biologischen, psychischen und sozialen Interaktionen. Ein akuter Schmerz löst meist angemessene Verhaltensweisen auf. Der Gang zum Arzt kann dafür sorgen, dass sich jemand um diese Leiden kümmert. Durch die Chronifizierung verliert der Schmerz hingegen seine positive protektive Wirkung. Das Leben mit dem Schmerz wird zum Normalzustand mit der Gefahr einer resignativen Lebenseinstellung. Die Therapie von chronischen Schmerzen erfordert Geduld und Ausdauer sowie ein multimodales und interdisziplinäres Vorgehen.

Der Schmerz birgt zwei Aspekte in sich – einerseits ist er eine Sinneswahrnehmung, andererseits ein Affekt. Man kann vom Schmerz nicht sprechen, ohne zugleich das Widrige in ihm anzusprechen – er ruft die Motivation hervor, ihn schleunigst loszuwerden. Ausserdem ist der Schmerz ein Tyrann. Meist ohne grosse Vorankündigung bricht er in unser Leben ein und macht sich darin breit. Ab diesem Moment okkupiert er unsere Existenz. Er nimmt uns gefangen.

Epidemiologische Studien ergeben ein recht einheitliches Bild: 40 bis 60 Prozent der Orchestermitglieder und Instrumentallehrpersonen an Musikschulen leiden unter Rückenschmerzen, die die Musikausübung beeinträchtigen. Aber auch bereits Studierende leiden unter körperlichen Beschwerden. Es ist davon auszugehen, dass mindestens 45 Prozent von ihnen wegen musikerspezifischer gesundheitlicher Probleme eine Sprechstunde aufsuchen.

Die Therapie von Schmerzen

Bei der Schmerzentstehung und -chronifizierung wirken körperliche und psychische Fehlfunktionen zusammen. Der Schmerz macht die Leistungsgrenzen sichtbar. Wurde der eigene Körper bis anhin instrumentalisiert, um musizieren zu können – oft auch gegen offensichtliche physische Warnsignale – so tritt er selbst in den Mittelpunkt und fordert «sein Recht». Musikerinnen und Musiker müssen sich also selbstreflektierend auf sich beziehen und Übepraktiken, Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Verpflichtungen kritisch hinterfragen. Es sind dies unter anderem Fragen nach dem Selbstkonzept, der Leistungsorientierung und der Einstellung zum Musikberuf. Während bei akutem Schmerz etwa eine temporäre Abstinenz oder Reduktion des Instrumentalspiels erfolgreich sein kann, fordert der chronische Schmerz ein viel prinzipielleres Umdenken des gesamten Lebenskonzeptes. Dies ist meist nur mit Unterstützung von Fachpersonen aus den Bereichen der Medizin, der Psychologie, der Physiotherapie und anderer Therapierichtungen zu bewerkstelligen.

Die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) verfügt schweizweit über solch einen Pool von Fachpersonen, die je nach individueller Problemlage hinzu gezogen werden können. Einen Einblick in das Thema gibt ausserdem das diesjährige Symposium «Warnsignal Schmerz» in Luzern. Hier werden die wichtigsten aktuellen Sichtweisen und Erfahrungen, auch aus unseren Musikersprechstunden vorgestellt und diskutiert.

 

Martina Berchtold-Neumann

… ist Diplompsychologin FSP und Präsidentin SMM

Cette année, le symposium de la SMM sera consacré à « la douleur comme signal d’alarme ». Il aura lieu le 27 octobre à Lucerne.

> www.musik-medizin.ch

Gesundheitsiniti-ativen in deutschen Orchestern

Seit zwanzig Jahren macht die Musikermedizin in Deutschland grosse Fort-schritte. Schlüsselfaktoren sind Interdisziplinarität und der Dialog zwischen Medizin und Musikpraxis.

Karoline Renner, Sieglinde Fritzsche, Susanne Schlegel* — Die musik- physiologischen Ausbildungen der deutschen Musikhochschulen sind signifikant verbessert worden – sowohl qualitativ als auch quantitativ. Damit ist in den Orchestern auch das Bewusstsein gestiegen, dass Gesundheitsvorsorge selber verant- wortet werden muss. Bei der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz beispielsweise ist seit 2016 über zwei Spielzeiten hinweg ein Zyklus gesundheitsfördernder Angebote entstanden. Diese «Gesundheits- tage» sind gegliedert in Vorträge, Workshops und Sprechstunden. Der konzeptionelle Bogen spannt sich im Veranstaltungszyklus dabei von den «fassbaren» körperlichen Belastungen hin zu den «feinen» psychischen Inhalten. Gesundheitstage bieten keine pauschalen Lösungen, sie können lediglich Impulse setzen und mögliche Wege erfahrbar machen, die der einzelne Musiker individuell und eigenverantwortlich nutzen kann.

Orchestermusiker sind während ihrer Tätigkeit strengen Hierarchien unterworfen. Eine klare Regelung von Kommunikationsformen erweist sich während der künstlerischen Arbeit als sehr sinnvoll. Hierarchisches Denken und angelernte Sprachlosigkeit auch in den restlichen Berufsalltag zu tragen, ist jedoch überflüssig oder gar schädlich. So bauen sich Frustration und Gefühle der Machtlosigkeit auf, echte Einflussmöglichkeiten werden übersehen und Missverständnisse bleiben ungeklärt.

In Konstanz wird versucht, solche Kommunikationsmuster zu verändern. So gibt es beispielsweise ein Modell des aktiven Feedbacks von Seiten der Musiker bei den regelmässig stattfindenden Dirigierkursen für junge Dirigenten. Ziel ist es, diese Projekte auch in anderen Orchestern bekannt zu machen und Gesundheitstage möglichst einmal jährlich stattfinden zu lassen.

Andere Orchester sind Kooperationen mit medizinischen Einrichtung oder musikmedizinischen Instituten eingegangen und werden von ihnen im Rahmen eines komplexen Gesundheitsmanagements begleitet. Nicht alle Orchestern gewichten dies gleich. Eine Rolle spielen dabei unterschiedliche finanzielle und zeitliche Ressourcen.

Aus dem Berufsverband der professionellen Orchester und Rund-funkchöre, der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), hat sich vor elf Jahren die Arbeitsgruppe (AG) Gesundheit und Prophylaxe heraus- gebildet. Mitglieder sind Aktive aus verschiedenen Berufsorchestern und den Rundfunkchören. Personell und logistisch unterstützt durch die Geschäftsstelle der DOV engagieren sie sich auf dem umfassenden und komplexen Gebiet der Musikergesundheit. Sie fördern Entwicklungen und machen musikermedizinische Erkenntnisse und neue Präventionsmöglichkeiten zugänglich.

Die direkte Arbeit der Arbeitsgruppe in den Orchestern zeigt sich aktuell beim «Schallschutzprojekt Willibert Steffens». Die DOV stellt speziell für den Orchestergebrauch entwickelte Schallschutzwände zur Ausleihe an die Orchester bereit. Das Projekt ist verbunden mit der persönlichen Beratung durch ein bis zwei Mitglieder der AG, um notwendiges Wissen und vorhandene Erfahrungen weiterzugeben und das Arbeitsumfeld der jeweiligen Orchester kennen zu lernen. Eine langfristig angedachte Vision ist ein Netz von Gesundheitsbeauftragten der einzelnen Orchester, die sich in enger Verbindung mit der AG für die Belange der Gesunderhaltung ihrer Kolleginnen und Kollegen engagieren.

*Karoline Renner, und Susanne Schlegel sind Mitglieder der Südwestdeutschen Philharmonie, Sieglinde Fritzsche ist Mitglied der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin.

Violinspiel erleichtern

Ein Zürcher Forschungsprojekt liefert erste wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu individuell geeigneten Violinpositionen.

Horst Hildebrandt, Oliver Margulies, Marta Nemcova — Wer sowohl die Quellen zu den jahrhundertelangen Traditionen der Violinpädagogik als auch die musikmedizinischen Beiträge der letzten Jahrzehnte sichtet, wird Folgendes entdecken: Zu individuell geeigneten Instrumentenposition bzw. ergonomischen Hilfsmitteln (zum Beispiel Kinnhaltern, Kissen und Schulterstützen) finden sich oft nur ungenaue oder widersprüchliche Empfehlungen.

Die vorhandenen Empfehlungen könnten unter anderem von den individuellen anatomischen Voraus- setzungen derjenigen Schulenbe-gründer geprägt sein, welche die Empfehlungen formuliert haben. Erst ab den 1970er Jahren wurde die enorme Bandbreite individueller anatomischer Eigenschaften systematisch erforscht, welche an Musikinstrumenten erleichternd oder limitierend erfahren werden. Das für diese Forschung massgebliche Handla- bor wurde von seinem Begründer Christoph Wagner 2009 an die Zürcher Hochschule der Künste übergeben und von dem Autoren-Team dieses Beitrages weiter ausgebaut (www.zzm.ch).

Angesichts besorgniserregender Beschwerdezahlen bei hohen Streicherinnen und Streichern sowie zunehmender Nachfrage nach musikphysiologischen Hilfestellungen für den Unterrichtsalltag liefert ein an der Zürcher Hochschule der Künste jüngst abgeschlossenes, vom Schweizerischen Nationalfonds, der Ernst Göhner Stiftung und dem Schweizerischen Hochschulzentrum für Musikphysiologie (www.shzm.ch) gefördertes Forschungsprojekt erste wissenschaftlich fundierte Ergebnisse zu individuell geeigneten Violinpositionen.

Weitere Kooperationspartner waren Barbara Köhler (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften) und Matthias Nübling (Gesellschaft für Empirische Beratung).

Die Querschnittstudie Objective Criteria for the Individual Selection of a Physiologically Advantageous Violin Position untersuchte über den Zeitraum von mehreren Jahren, wie Instrumentenposition, Muskelspannung und Anstrengungsgefühl im linken Arm zusammenhängen. Weiterhin wurden Daten zu individuellen, biomechanischen und muskulären Hand- und Armeigenschaften erhoben.

Eine Vorstudie an Musikschule Konservatorium Zürich mit 24 Schülern und Schülerinnen unterschiedlicher Spiel- und Altersstufen legte die Grundlage für die anschliessend unter Labor- bedingungen bei 15 Geigern und 15 Geigerinnen erfolgte Datenerhebung beim Spielen einer vorgegebenen Tonfolge in vier standardisierten Violinpositionen. Zusätzlich wurden Vergleichsdaten beim Spielen mit der gewohnten Position und ergonomischen Einrichtung gesammelt. Die standardisierten Violinpositionen wurden ohne Kinnhalter und Schulterstütze getestet, um eine objektive, vergleichende Analyse zu ermöglichen und Spieltraditionen der historischen Aufführungspraxis einbeziehen zu können.

Erste Auswertungen der verschiedenen Phasen des Forschungsprojektes zeigen, dass sich geschlechtsübergreifend klare Unterschiede zwischen den verschiedenen Instrumentenpositionen bezüglich der objektiven Muskelaktivität und beim subjektiven Anstrengungsgefühl messen lassen.

Auf Grundlage der Studienergebnisse wurde zudem ein laborunabhängig anwendbares Testverfahren für den Unterrichts-Alltag aller Ausbildungsstufen entwickelt. Im Rahmen eines Workshops für die European String Teachers’ Association ESTA wurde dieses Verfahren bereits vorgestellt. Die dargestellten Ergebnisse und Testverfahren erlauben es, für das Spiel auf hohen Streichinstrumenten im Berufsalltag physiologisch fundierte Empfehlungen bzgl. ergonomischer Optimierungen zu geben. Weiterhin erleichtern sie die Prävention und Therapie von tätigkeitsspezifischen gesundheitlichen Problemen.

Inspiriert durch die gewonne- nen Ergebnisse konnte in Zusam-menarbeit mit der Firma Wittner ein Kinnhaltermodell mit dem Namen Zuerich entwickelt wer-den, welches durch diverse Höhen- und Winkeleinstellungen eine Anpassung an die indi-viduellen Bedürfnisse und ver- schiedene Kopfpositionen auch während des Spielens in Sinne einer Ermüdungsprophylaxe erlaubt. (www.wittner-gmbh.de/neuheiten.html)

Mentales Training in Musikberufen

Die SMM feiert in den Räumen der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) am 28. Oktober mit ihrem 15. Symposium das 20-Jahre-Jubiläum. Dazu beschäftigt sie sich mit interdisziplinären Impulsen für das mentale Training.

SMM — In den letzten Jahrzehnten ist in der Musikermedizin die Einsicht gewachsen, dass Selbsthilfekonzepte sowohl im Berufsalltag als auch in Amateurkreisen eine hohe Bedeutung haben. Wie Horst Hildebrandt, Leiter der Musikphysiologie der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), am Symposium erläutern wird, gilt dies sowohl für die häufigen muskulo-faszialen Beschwerdebilder als auch für psychosomatische Belastungssituationen. Die Aktivierung individueller psychophysischer Ressourcen spielen, so Hildebrandt, bei der Gesundheitsförderung und beim konstruktiven Umgang mit berufsspezifischen Belastungen eine immer wichtigere Rolle.

Über die hohe Komplexität der neuronalen Prozesse beim Musizieren und ihre Störfaktoren wird Markus Weber, Zentrumsleiter Muskelzentrum/ALS Clinic des Kantonsspital St. Gallen, sprechen. Beeinträchtigungen von Konzentration, Aufmerksamkeit und Gedächtnis gehören ebenso dazu wie chronobiologische Aspekte (Arbeitszeiten), pharmakologische Einflüsse (Medikamente) und psychosoziale Belastungen.

Maja Storch, die Leiterin des Zürcher Institutes für Selbstmanagement und Motivation (ISMZ), wird aufzeigen, wie eine innovative Form der Zielformulierung dabei hilft, immer öfter so zu handeln, wie man es selber gerne hätte: Die sogenannten Motto-Ziele sind ein Element des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM), eines Selbstmanagement-Trainings, das systematisch das Unbewusste einbezieht. Es gelingt dabei, sich direkt an das Unbewusste zu wenden und dort die Handlungsabsicht einzuspeisen.

In einem vierten Vortrag wird der Mentalcoach Reinhold Bartl – er ist Leiter des Milton Erickson Instituts Innsbruck – Hypno-Systemische Konzepte vorstellen, Übungswerkzeuge für «die Entwicklung der eigenen Stimmigkeit in anspruchsvollen beruflichen Kontexten».

Zwei Workshops runden das Programm ab: Reinhold Bartl wird aufzeigen, wie Musikerinnen und Musiker mit Irritationen (Missklängen) in ihrer beruflichen Entwicklung sinnvoll umgehen können, sowohl in Einzelsituationen als auch mit Blick auf «Formkrisen» im Alltag, beim Üben, Proben und Konzertieren. Die Berliner Ärztin Giovanna Eilers schliesslich wird als Ergänzung zum Vortrag von Maja Storch Einblicke in die praktische Anwendung der Selbstmanagement-Methode des ZRM geben. Wer möchte, kann dies im Workshop für ein eigenes Thema gleich selber ausprobieren.

Geleitet und moderiert wird das eintägige Symposium, das von 10 Uhr bis 17 Uhr dauert, von der SMM-Präsidentin Martina Berchtold-Neumann.

Mehr Infos und ein Anmeldeformular finden sich im Web unter:

> www.musik-medizin.ch/aktuelles-symposium

Üben im Flow

Wie Üben zu einem sich selbst organisierenden Prozess wird.

Andreas Burzik —Üben im Flow ist eine Methode, die darauf abzielt, Musiker beim Üben eines Instruments in Zustände der tiefen Verschmelzung mit ihrem Tun zu führen. Sie ermöglicht die Erfahrung, dass eine bewusste, willentliche Steuerung des Übeprozesses zugunsten eines sich von innen heraus entfaltenden, von der sinnlichen Wahrnehmung geleiteten Prozesses aufgegeben werden kann. Grundlage des Übens im Flow ist eine stark verfeinerte Wahrnehmung in den entscheidenden Sinneskanälen, dem Tastsinn, dem Hören und dem kinästhetischen Bewegungsgefühl.

So geht es beim Tastsinn um die Punkte, an denen ein Spieler unmittelbare Berührung mit seinem Instrument hat. Eine optimale und effektive Kraftübertragung auf das Instrument äussert sich in dem Gefühl einer «satten» Verbindung zum Klangkörper. Beim Hören geht es um die Entwicklung eines subtilen Klangsinnes. Grundsätzlich gilt, dass die beim Üben produzierte Tonqualität dem Spieler gefallen sollte. Dies klingt wie eine Banalität. Beobachtet man jedoch übende Musiker, so stellt man fest, dass die Aufmerksamkeit oft von anderen Teilaspekten gefangen ist und die Tonschönheit nicht konstant eine wichtige Rolle spielt. (Für intonierende Instrumente geht es dann im Weiteren um eine Sensibilisierung für eine von den Obertönen organisierte Intonation, die zu einer Verschmelzung der Klänge und einem äußerst beglückenden «Weiterreichen» des Klanges von Ton zu Ton führt.)

Im Weiteren ist bei intonierenden Instrumenten dann eine Sensibilisierung für eine von den Obertönen organisierte Intonation von Bedeutung. Dies führt zu einer Verschmelzung der Klänge und einem äußerst beglückenden «Weiterreichen» des Klanges von Ton zu Ton.

Beim kinästhetischen Bewegungsgefühl geht es um die Qualität der Anstrengungslosigkeit. Gemeint ist hier nicht eine völlige Entspannung oder Schlaffheit, sondern ein Körpergefühl des nicht angestrengten, leichten, fliessenden Tuns, ein Gefühl des Schwingens. Erstaunlicherweise fehlt bei vielen Instrumentalmethodiken eine konsequente und subtile Einbeziehung des ganzen Körpers in das eigene Spiel. Viele Musiker bedienen ihr Instrument lediglich aus den Armen heraus, eine Bewegungsform, die im Alltag so nie vorkommt. Sie führt zu muskulären Verspannungen und ist vermutlich Ursache für zahlreiche Musikerkrankheiten ist. Unnötig zu betonen, dass ein «lahmgelegter» Körper auch Klang kostet. Mitschwingende Musiker erzeugen deutlich mehr Obertöne und einen wunderbaren, «körperreichen» und tragfähigen Klang.

Sind diese «Leitgefühle» in den entscheidenden Sinneskanälen zu Beginn einer Übesequenz etabliert, kann man sich an die Erarbeitung der aktuellen Literatur machen. Die ersten Schritte beim Herangehen an ein Stück bestehen dann darin, dass man die Töne dieses Stücks gewissermassen in seine «Komfortzone» lädt, sie bestehen in einem spielerischen und konsequent musikalisch gestalteten Erkunden und Kultivieren der Töne des Stückes und der erlebten Sinnesempfindungen, noch ohne Beachtung von Notenwerten, Bindungen, Phrasierungen, Tempi, Dynamiken oder Interpretationen.

Mit wachsender Sicherheit im Hören und Erspüren des Stückes entsteht dann ein deutlich spürbarer Wille, auf die gewünschte Konzertfassung zuzugehen, das Bindungen, Tempi, Dynamiken und verschiedene interpretative Fassungen auszuprobieren. Die persönliche Komfortzone beginnt sich auszuweiten, sie fängt an zu pulsieren. Es entsteht ein fliessendes Vor und Zurück zwischen riskierenden Ausflügen und einem Zurückweichen und spielerischen «Nachbauen» von Vorgängen, bei denen Störungen im Kontakt zum Instrument oder zum Klang wahrgenommen wurden. So weitet sich die Komfortzone pulsierend aus, bis sie dann im besten Falle die angestrebte Konzertfassung umfasst.

Üben im Flow fühlt sich nicht an wie «Üben». Es ist eher ein hochkonzentriertes und hochengagiertes Erspielen des Stückes, das auf einem extrem kurz geschlossenen Feedback zwischen sinnlicher Wahrnehmung und kreativem Handeln basiert und keiner gedanklichen Einmischung bedarf. Sich diesem von innen heraus gesteuerten Prozess vertrauensvoll und geduldig hinzugeben gehört zu den mentalen Herausforderungen des Übens im Flow.

Andreas Burzik

… ist Diplompsychologe und ausgebildeter Geiger. Neben seiner internationalen Unterrichts- und Seminartätigkeit arbeitet er als Psychotherapeut und Coach in eigener Praxis. 2007-2016 Mentaltrainer der Orchesterakademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, München.

Mehr Informationen unter

> www.flowskills.com

Musik gegen Burnout

Musiker sind vielen Burnout-Risiken ausgesetzt – doch Musik ist auch wirksam gegen Burnout.

Felicitas Sigrist — Leistungsdruck, Lampenfieber, Konkurrenz, Arbeitsplatzunsicherheit: Im Musikeralltag kumulieren Arbeitsumstände, die als Risikofaktoren für Burnout-Entwicklung wohlbekannt sind. Die Arbeitszeit ist mit Blick auf solche Faktoren weniger relevant als unerfüllte Erwartungen, ausbleibende Anerkennung und zwischenmenschliche Unstimmigkeiten. Oft löst eine Kumulation von beruflichen und privaten Belastungen die Dekompensation aus.

Als Momentaufnahme zeigt sich Burnout als Erschöpfung mit unspezifischen Symptomen auf emotionaler, geistig-mentaler, körperlicher und sozialer Ebene – zum Beispiel Lustlosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Infektanfälligkeit, sozialer Rückzug oder Reizbarkeit. Dieser Zustand mündet oft in psychische oder körperliche Folgekrankheiten, meist in eine Depression. Voran geht ein Prozess von Wechselwirkungen zwischen arbeitsbezogenen und personenbezogenen Faktoren. Die äussere Anforderung wird mit der Selbstaufforderung «ich schaff’ das» übernommen – oft unreflektiert. Zwischenmenschliche Konflikte werden vermieden.

Ist eine Herausforderung erfolgreich bewältigt, wird man mit der nächsten, vielleicht grösseren Aufgabe betraut. Werden dazu erholsame Tätigkeiten reduziert, führt dieser Zyklus unweigerlich zur Überforderung. Als Selbstschutz vor Kränkung wird dies nicht anerkannt – hier werden innerseelische Konflikte vermieden. Stattdessen wird die Leistungsminderung mit Einsatzsteigerung beantwortet – also mehr desselben. Bei schwindenden Energien wächst die Aufgabe in der subjektiven Wahrnehmung. Da bei erhöhtem Stress neue Strategien immer unwahrscheinlicher werden, lässt sich diese Burnout-Spirale kaum mehr aufhalten.

Besonders gefährdet sind selbstunsichere, emotional labile Menschen, welche die Aussenwelt als wenig beeinflussbar erleben und bei zunehmendem Stress unflexibel reagieren. Da diese persönlichen Risikofaktoren oft mit früheren Beziehungserfahrungen zusammenhängen, kann Burnout als Resonanzstörung erklärt werden. Einzelpersonen haben wenig direkten Einfluss auf Rahmenbedingungen. Umso wichtiger ist es, souveränen Umgang mit diesen zu pflegen.

Musik ist in mannigfaltiger Weise wirksam gegen Burnout. Gesundheitsfördernde Aspekte der Musik sind wissenschaftlich gut belegt. Für Musiker ist doppelt bedeutsam: zur Selbstfürsorge und bei der Musikvermittlung. Musik beeinflusst Stimmungslage und vegetatives Nervensystem unmittelbar. Sie kann spezifisch sowohl entspannend als auch aktivierend genutzt werden – allerdings nur bei Berücksichtigung der individuellen Musikbiographie. Mit bewusstem Musikhören kann das Erregungsniveau gezielt beeinflussen werden – zur Entspannung, Konzentrationsförderung oder Aktivierung – und somit der Emotionsregulation dienen. Wird Musik jedoch missbraucht, etwa als Aufputschmittel, so kann sie auch in die Burnout-Spirale hineintreiben. Musik als Medizin wird therapeutisch meist als Entspannungsverfahren eingesetzt, um Ruheinseln zu schaffen. Entspannung und eine achtsame Haltung sind Voraussetzungen für neurologische Lernprozesse – auch in psychotherapeutischen Behandlungen.

Aktives Musizieren eignet sich als Ausgleich – sofern es nicht leistungsorientiert ist, sondern erlebnisorientiert bleibt. Neben multiplen biologischen Effekten des Musizierens sind zur Vorbeugung von Burnout besonders die sozialen Aspekte wichtig. Zusammenspiel ermöglicht Begegnungen ausserhalb des Arbeitsumfeldes, unabhängig von der beruflichen Rolle beziehungsweise Identität. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeit sowie die Verbesserung sozialer Kompetenzen stärken die Persönlichkeit. Musikvermittlung, insbesondere im Amateurbereich, hat ihre Berechtigung daher nicht nur der Kunst wegen, sondern auch als wirkungsvolle Prophylaxe.

Schliesslich wird Musik als Medium in der Musiktherapie eingesetzt, die als psychotherapeutisches Verfahren in der Burnout-Behandlung bewährt ist. Kernpunkt ist dabei ein konstruktiver Umgang mit den zwischenmenschlichen und innerseelischen Konflikten, musikalisch gesprochen mit Dissonanzen.

Dr. med. Felicitas Sigrist

… ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Musik-Psychotherapeutin MAS/SFMT, leitende Ärztin Privatklinik Hohenegg, Meilen bei Zürich, Schwerpunkt Burnout und Belastungskrise.

Literaturhinweis

Sigrist F. (2016) Burnout und Musiktherapie. Grundlagen, Forschungsstand und Praxeologie. Reichert-Verlag, Wiesbaden 2016.

Vom Glücksgefühl im Flow

An ihrem 14. Symposium ist die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin in Bern den speziellen Bedürfnissen aus reiner Liebhaberei Musizierender nachgegangen.

SMM — Wie grenzt man heute Profis und Amateurmusiker ab? Dass die Grenzen fliessend sind, daran erinnerte im Grossen Saal der Hochschule der Künste in Bern (HKB) der Valenser Neurologe Jürg Kesselring. Musikalische Kompetenz und Anteil am Bestreiten des Lebensunterhalts gehen dabei die vielfältigsten Beziehungen ein. So gibt es den ausgebildeten Profi, der die Musik bloss nebenbei betreibt, genauso wie den technisch eher auf bescheidenem Niveau Agierenden, der seine Existenz dennoch vollständig mit der Musik bestreitet. Tatsächlich, so kristallisierte sich an der Tagung heraus, scheint der markanteste Unterschied in der Haltung der Musik gegenüber zu liegen: «Nur beim Dilettanten», zitierte Kesselring dazu Egon Friedell, «decken sich Mensch und Beruf».

Musik als Freizeitbeschäftigung wird vermehrt zum Sehnsuchtsort. Andreas Cincera, der Studienleiter an der HKB Weiterbildung Musik, zeigte denn auch auf, dass die Nachfrage nach Erwachsenen-Unterricht zunimmt. Bedeutende Rollenvorbilder dürften dabei halbprofessionelle Ensembles bilden, die – vor allem in der zeitgenössischen Volks- und Weltmusik – zur Zeit einen Boom erleben. Die Musikschulen schöpfen das Potential noch nicht aus und beginnen auch erst jetzt so richtig, darüber zu reflektieren, wie die idealen Vermittlungsformen auszusehen hätten. Möglicherweise, so Cincera, sollte für Erwachsene das Erlebnishafte und Niederschwellige gegenüber der intensiven handwerklichen Schulung, wie sie für Heranwachsende wichtig und sinnvoll ist, höher gewichtet werden.

An der HKB wird in Form eines CAS (Certificate of Advanced Studies) an künftige Lehrpersonen das entsprechende Wissen vermittelt: Die Studierenden werden von renommierten Experten und Expertinnen unterrichtet und über Chancen und Grenzen musikalischen Lernens von Erwachsenen bis hin zur Hochaltrigkeit in- formiert.

Ein Privileg der Amateure ist es zweifelssohne, dass sie sich – ganz im Sinne Friedells – dem sogenannten «Flow», einem tranceartigen Zustand des vollkommenen Einsseins mit der Musik, uneingeschränkt hingeben können. Die Theorie dazu lieferte am Symposium der Bremer Musiker und Psychologe Andreas Burzik. Sie geht zurück auf den amerikanischen Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi. Burzik zeigte namentlich die Aspekte des Übens im Flow auf: Der bewusst wahrgenommene Tastsinn schafft den Kontakt zum Ins-trument, das aufmerksame Hören den Kontakt zum Klang und der Bewegungssinn, respektive das Gefühl der Anstrengungslosigkeit den Kontakt zum Körper; das achtsame Herangehen an das Übematerial weckt schliesslich die Lust am Erforschen, Erkunden, Entdecken. Vorbild bleibt dabei die «unbewusste Mühelosig- keit des Kindes».

In Sachen Technik und physischen Belastungen stehen Profis und ambitionierte Amateure durchaus vor gleichen Herausforderungen. Dem trugen am Symposium Beiträge zu Stimme, Haltung und Körperlichkeit Rechnung. Salome Zwicky vom SingStimmZentrum Zürich ging in einem Referat den Grenzen vokaler Belastung nach; die Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Nicole Martin Rieder widmete sich in einem Workshop der Theorie und Praxis des Atmens und in einem weiteren Workshop beschäftigten sich die Physiotherapeutinnen Marjan Steenbeek und Sibylle Meier Kronawitter dem Zusammenspiel der Körperpartien beim Musizieren.

14. Symposium der SMM, Der Amateurmusiker – Zwischen krankem Ehrgeiz und gesundem Vergnügen, 29. Oktober 2016, Hochschule der Künste Bern, Grosser Saal.

Performing Arts Medicine Association Musikermedizin weltweit

An der Pama Tagung (Performing Arts Medicine Association ) diskutierten Fachleute in New York City aktuelle Fragen der Musikermedizin.

SMM — The Performing Arts Medicine Association (PAMA) ist 1988 von einer Gruppe Medizinern gegründet worden, die sich zuvor isoliert mit Gesundheitsproblemen von Musikern und Tänzern beschäftigt hatten.

Die ersten Kontakte wurden bereits 1983, anlässlich eines Symposiums zu Gesundheitsaspekten des Musizierens in Aspen (Colorado) geknüpft. 1986 wurde in der Folge mit der Fachzeitschrift «Medical Problems of Performing Artists» eine erste gemeinsame Publikationsplattform geschaffen. Symposium und Zeitschrift wurden massgeblich von Alice Brandfonbrener, der Gründungspräsidentin der PAMA gepägt.

Mittlerweile kommen rund ein Fünftel der PAMA-Mitglieder von ausserhalb der USA. Neben Medizinern sind dies heute auch weitere Gesundheitsspezialisten sowie Künstler, Verwaltungsfachleute und Pädagogen.

Martina Berchtold-Neumann — Dank der grosszügigen Unterstützung durch die SIS (Schweizerische Interpretenstiftung) war es der Autorin im Juli dieses Jahres möglich, an der Pama Tagung in New York teilzunehmen. Pama ist eine Organisation, die sich um die Belange von ausübenden Musikern und Tänzern kümmert. Im Mittelpunkt stehen dabei die Prävention und Therapie von gesundheitlichen Problemen. Alle medizinisch relevanten Fachgebiete nebst psychologischen Wissenschaften und der Physiotherapie mit verwandten Verfahren werden in Forschung und Lehre mit einbezogen. Die Mitglieder von Pama sind über die ganze Welt verstreut. Rund 400 Teilnehmer, vorwiegend aus den USA, Kanada, aber auch aus Australien und Europa waren auf dem viertägigen Kongress versammelt. Der Kongress drehte sich vorwiegend um Musikermedizin. Die Tanzmedizin wurde integriert.

Ziel der Tagung

Selbstgestecktes Ziel der Organisatoren war, dass die Teilnehmer der Tagung einen umfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand der Musikermedizin erarbeiten und zusätzlich praktisches Handwerkszeug aus den Workshops mit in ihre tägliche Praxis nehmen können. Dieses Ziel wurde erreicht. Zu wählen war aus einem Angebot von unzähligen Vorträgen in der Regel im 15-Minuten-Takt, die parallel in drei Hörsälen abgehalten wurden. Die Vorträge waren gedacht als Inputs, um die Themen dann jeweils später im Selbststudium zu vertiefen. Ebenfalls parallel dazu gab es 45-minütige Workshops. So war es nicht einfach, aus den durchweg ansprechenden Beiträgen das für sich Wichtige auszuwählen. Zwangsläufig wurden dabei leider ebenfalls interessante Sitzungen versäumt.

Unterm Strich bemerkenswert ist, dass die Musikermedizin in allen vertretenen Ländern etwa den gleichen Entwicklungsstand aufweist. Sowohl die Probleme als auch deren Lösungen sind in in etwa vergleichbar. Auch die Forschungsfragen und wissenschaftlichen Settings sind in ähnlicher Weise aufgebaut.

Gegenstand der Beiträge waren beispielsweise Studien zu muskuloskelettalen Erkrankungen, physiologische Studien zur Streicher- und Bläserhaltung, zum Gehör, zum psychologischen Themenbereich der Angst und des Stresses und zur geeigneten physiotherapeutischen Behandlung. Die Mehrzahl der dementsprechenden Studien war rund um das Schmerzgeschehen von Musikern konzentriert. Dies scheint auch international ein wesentliches Hauptthema der Musikermedizin zu sein, was wir ja auch aus den hiesigen Studien bereits wissen. Freilich wurden auch speziell amerikanische Themen berührt, wie etwa die Armut der «New Orleans Jazzmusiker» im Allgemeinen und im Speziellem nach dem Hurrikan Katrina. In New Orleans zum Beispiel wurde durch Sponsoren eine Klinik eingerichtet, in der Jazzmusiker kostenlos behandelt werden, da sie wegen Armut in der Regel nicht krankenversichert sind.

Wo steht die Musikermedizin?

Die Wissenschaft der Musikermedizin ist noch sehr jung und wird von Pionierleistungen der daran Beteiligten geprägt. Man hat das Gefühl, dass aus dem vielfach auch individuell begründeten Interesse der Teilnehmer eine Wissenschaft mit viel Herzblut entstanden ist, die sich weiter entwickelt. Hier wird mit Praxisbezug gearbeitet und geforscht. Es werden Lösungen für Künstler gesucht, damit diese ihrem Beruf besser und gesünder nachgehen können. Aufgrund des immer kompetitiver werdenden Musikbetriebs ist diese Forschung und deren Anwendung in der Praxis absolut notwendig. In unserer Anstrengung für die Arbeit in der Musikermedizin wurden wir bestätigt. Es war schön und motivierend zu sehen, dass es über die ganze Welt verteilt Kollegen gibt, die auch unser Anliegen vertreten und bereit sind, in den kollegialen Austausch zu treten, um voneinander und miteinander zu lernen. Vielen Dank an die SIS sowie an alle Mitstreiter und Mitstreiterinnen mit viel Engagement in der SMM.

Martina Berchtold-Neumann

… ist Präsidentin der SMM, Diplompsychologin, Stein am Rhein

Musik als schönste Nebensache der Welt

Auch wenn Musik nicht Beruf ist, können Gesundheits-aspekte wichtig sein. Ihnen widmet sich im Oktober das 14. Symposium der SMM.

SMM — Das Symposium, das dieses Jahr in den Räumen der Hochschule der Künste Bern (HKB) durchgeführt wird, deckt eine breite Palette an gesundheitlichen Aspekten ab. Auch die Liebhaber und Liebhaberinnen der Musik, die sich ungeachtet finanziellen Drucks dem Hobby widmen können, sehen sich einer Vielzahl physischer und psychischer Herausforderungen gegenüber: Selbst ohne Anspruch auf professionelle Spitzenleistungen sind sie gefordert, Technik und Ausdruck klug zu schulen oder mit fortschreitendem Alter Körper und Geist für die klingende Kunst fit zu halten. Die Zeit und Energie, die Profis zu investieren in der Lage sind, fehlt Amateuren angesichts sonstiger beruflicher Belastungen dazu allerdings oft.

Andreas Cincera, der an der HKB als Studienleiter Weiterbildung Musik amtet, fragt sich, ob es in einem qualitativ «guten» Musikunterricht einen Unterschied macht, ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene am Lernen sind. Welche fachlichen, körperlichen, emotionalen und anderweitigen Herausforderungen sind bei Erwachsenen häufiger anzutreffen? Wie werden diese genussvoll und gesundheitsfördernd bewältigt? Und der Bremer Psychologe und Musiker-Coach Andreas Burzik zeigt auf, wie Üben im Flow als Übemethode die Unbefangenheit des Amateurs mit der extremen Genauigkeit des Profis verbinden und so die neurobiologischen Anforderungen an ein ideales Lernfeld erfüllen kann.

Die Fachärztin FMH ORL Salome Zwicky vom SingStimmZentrum Zürich erörtert die Faktoren, die über die Qualität einer Stimme entscheiden – mit der Einsicht, dass Stimmstörungen nicht immer Folge intensiven Gebrauchs sind, und auch nicht immer eine schlechte Technik Ursache sein muss. Der Neurologe Jürg Kesselring wiederum stellt in Frage, ob die Trennung zwischen Profis und Amateuren wirklich scharf ist. Er macht darauf aufmerksam, dass es einerseits voll ausgebildete, professionelle Musiker gibt, die von ihrem Beruf nicht leben können und daher einem anderen Lebensunterhalt nachgehen, und anderseits auch nicht- oder nur nebenberuflich ausgebildete Amateure, die ihren Lebensunterhalt durch Musik bestreiten. Die (Aus-)Bildungsvoraussetzungen sind, so Kesselring, in der Musik, wie in vielen künstlerischen Berufen, nicht alleine ausschlaggebend für den Erfolg und schon gar nicht für die Freude, die sich in der Ausübung ergibt.

In drei Workshops widmen sich am Symposium Andreas Burzik, die Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Nicole Martin Rieder sowie die Physiotherapeutinnen Marjan Steenbeek und Sibylle Meier Kronawitter der Atmung, dem Üben im Flow und der richtigen Körperhaltung beim Musizieren. Rieder beleuchtet die Systeme und Regelkreise, über welche die Atmung auf Stimme, Aufrichtung und Haltung sowie das vegetative Nervensystem wirken und macht die Zusammenhänge mit praktischen Übungen am eigenen Körper erlebbar. Burzik zeigt im Rahmen einer Unterrichtsdemonstration die vier Prinzipien des Übens im Flow: ein besonderer Kontakt zum Instrument, die Entwicklung eines speziellen Klangsinns, das Gefühl der Anstrengungslosigkeit im Körper sowie der spielerische Umgang mit dem Studienmaterial. Steenbeek und Meier Kronawitter schliesslich erörtern die Anatomie der verschiedenen Körperabschnitte und zeigen, wie anhand von Bewegungen ihre Wahrnehmung geschult werden kann.

Musizieren, eine Herzenssache

Was ist beim Musizieren im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu beachten?

Sebastian Barth, Sebastian Kerber — Die Sensibilität für Musikererkrankungen besteht erfreulicherweise seit vielen Jahren. Dabei werden insbesondere Erkrankungen, die den Musiker in der Ausübung seines Instrumentes einschränken, frühzeitig erkannt und entsprechend behandelt. Zu diesen Erkrankungen gehören z.B. orthopädische Probleme, neurologische Störungen, die Musikerdystonie und das Lampenfieber. Kardiovaskuläre Aspekte blieben hingegen relativ lange unbeachtet.

Historisch betrachtet mussten berühmte Musiker unterschiedlicher Stil-Epochen verschiedenste Erkrankungen erleiden. Dabei spielten nicht selten kardiovaskuläre Erkrankungen eine Rolle. Arnold Schönberg erlebte selber eine Reanimation, die zum damaligen Zeitpunkt noch durch eine heroische Injektion direkt ins Herz erfolgreich war. Thorakale Schmerzen sind ein häufiges Leitsymptom für Herzkreislauferkrankungen. Seit einiger Zeit ist mit der Tako Tsubo-Kardiomyopathie eine wichtige Differentialdiagnose dazugekommen. Dabei kommt es stressinduziert zu einer Herzleistungsschwäche, die im Extremfall zu einer intensivmedizinischen Behandlung führen kann. Insbesondere bei exponierten Musikern kann dieses Krankheitsbild durch exzessiven emotionalen und physischen Stress ausgelöst werden. Besonders häufig betroffen sind post-menopausale Frauen (80 Prozent der Patienten), wobei die Prognose insgesamt mit einer Krankenhausmortalität von 1 bis 3 Prozent gut ist.

Die «Volkskrankheit» Bluthochdruck spielt bei aktiv Musizierenden eine grosse Rolle. Zahlreiche Musikergruppen sind erheblichen Blutdruckanstiegen ausgesetzt, da Proben- und Auftrittssituationen erhebliche Stress-Situationen darstellen. Besonders exzessive Blutdruck- und Herzfrequenzanstiege sind bei Bläsern dokumentiert worden.

Aufgrund der fortschreitenden Überalterung der westlichen Welt gewinnt die Diagnostik und Therapie der Herzinsuffizienz zunehmend an Bedeutung. Neben ihrer prognostischen Bedeutung führt sie ähnlich wie eine Depression oder Dialysepflichtigkeit zu einer erheblichen Einbuße an Lebensqualität. Unbehandelt hat die Herzinsuffizienz eine schlechte Prognose. Zur Festlegung des therapeutischen Vorgehens ist die Klärung der Grunderkrankung unentbehrlich. Zu den häufigsten gehören dabei die koronare Herzerkrankung, Herzklappenfehler, Bluthochdruck, Rhythmusstörungen und die Myokarditis.

Ein wichtiges Begleitsymptom der Herzinsuffizienz stellt die Depression dar, wobei weiterhin unklar ist, ob sie Folge oder Ursache der Herzinsuffizienz ist. Bei depressiver Grundstimmung wird daher eine weiterführende Diagnostik bezüglich einer zugrunde liegenden Herzschwäche empfohlen.

Aufgrund der weiterentwickelten Diagnostik- und Therapieverfahren in der invasiven Elektrophysiologie hat dieser Bereich der Kardiologie enorm an Bedeutung bei Musikern gewonnen. Die Einteilung der Herzrhythmusstörungen erfolgt dabei nach dem Ursprungsort (Vorhof oder Kammer) und der Frequenz (Tachykardie oder Bradykardie). Hervorzuheben ist dabei in erster Linie das Vorhofflimmern, welches die häufigste Rhythmusstörung darstellt. «Herzrasen», «Herzstolpern», Ohnmachtsanfälle, Schwindel oder Wärmegefühl sind dabei häufig geschilderte Symptome. Neben der Anamneseerhebung ist die EKG-Dokumentation von zentraler Bedeutung, um die Herzrhythmusstörung zu identifizieren. Die invasive elektrophysiologische Untersuchung bietet zusätzlich den Vorteil, diagnostizierte Herzrhythmusstörungen in gleicher Sitzung zu abladieren und damit den Patienten zu heilen. Die Abgrenzung somatischer Befunde von psychischen Problemen ist oft besonders schwierig. Nicht selten muss eine ambulante Diagnostik «am Arbeitsplatz» mit dem Instrument vor Ort erfolgen, um Herz-Kreislaufveränderungen oder Herzrhythmusstörungen situativ zu erfassen.

Diagnostik und Therapie werden dann gelingen, wenn neben einer breiten internistischen und kardiologischen Ausbildung ein hohes Mass an Sensibilität für die berufsspezifische Situation von Musikern und eine tiefgehende Kenntnis der Effekte des Instrumentes bestehen.

Dr. med. Sebastian Barth, Oberarzt Kardiologie, Herz- und Gefäss-Klinik Bad Neustadt

Prof. Dr. med. Sebastian Kerber, Chefarzt Kardiologie I Herz- und Gefäss-Klinik Bad Neustadt

Stimmentwicklung
 und Hormone

Hormone haben grossen Einfluss auf die Stimme, denn der Kehlkopf ist ein hormonsensibles Organ. Die grösste Rolle spielen dabei die männlichen Hormone.


Hormone sind biochemische Botenstoffe, die in speziellen Zellen produziert und über das Blut transportiert werden. Sie entfalten an verschiedenen Organen spezifische Wirkungen. In der Pubertät wachsen Kehlkopf und Vokaltrakt schnell und bei Knaben unter dem Einfluss der Androgene (der männlichen Hormone) noch ausgeprägter als bei Mädchen, bei denen der «Stimmbruch» meist nicht bemerkt wird.


Zwei Fälle aus der Praxis


Die fast fünfzehnjährige Mara nimmt seit mehr als einem Jahr Gesangsunterricht. Eine Musikmatura ist geplant. Seit einem halben Jahr geht das Singen gar nicht mehr, die Stimme ist deutlich tiefer geworden. Die Untersuchung zeigt höchstens eine leichte Rötung der Stimmlippen. Aber Mara hatte bisher noch keine Menstruation, das lässt an ein hormonelles Problem denken. Der Hormonspezialist weist dann auch ein Überwiegen von männlichen Hormonen nach. Bei Mara ist es also gewissermassen zu einem Stimmbruch gekommen, wobei die Stimme nicht wie bei Jungen um eine Oktave abgesunken ist, aber eben tiefer als die Mädchenstimme von Gleichaltrigen, die sich physiologischerweise um etwa eine Terz senkt.


Die Hormonstörung kann behandelt werden, aber die Stimme wird nicht mehr höher werden, die Virilisierung des Kehlkopfs ist nicht rückgängig zu machen. Vermutlich wird Mara wieder Zugang zur Singstimme finden können, wenn sich der Kehlkopf an die neue Situation gewöhnt, und dafür ist zunächst eine logopädische Stimmtherapie angezeigt. Aber in welcher Stimmlage singen möglich ist, und ob es für eine Musikmatura reichen wird, ist unsicher.


Der vierzehneinhalbjährige Mike sucht mich auf, weil er zwei Monate zuvor erkältet war und er seine Singstimme noch immer nicht wiedergefunden hat. Er singt solistisch in einem Ensemble als Mezzosopran. Er spricht mit einer etwas unnatürlich hohen, dünnen und brüchigen Stimme. Die Untersuchung zeigt einen reizlosen Kehlkopf, der aber bereits deutlich grösser ist als bei einem Kind.


Was liegt vor? Mike hat den Stimmbruch eigentlich schon durchgemacht, das heisst, das hormonell stimulierte Wachstum des Kehlkopfs hat stattgefunden. Aber durch die Pflege des hohen Singens ist er auch beim Sprechen in einer hohen Stimme hängen geblieben. Hier handelt es sich nicht um eine hormonelle Störung, sondern um eine fehlerhafte Anpassung an eine normale Entwicklung. Was nun?


Man nennt diese Stimmlage, die sich bei bereits weitgehend erfolgter Mutation noch nicht gefestigt hat, Cambiata. Die Sprechstimme des Knaben muss durch eine erfahrene Logopädin in die männliche Lage gesenkt und dort stabilisiert werden, denn das ständige zu hohe Sprechen strapaziert die Stimme und führt zu Stimmermüdung und Heiserkeit. Aus diesem Grund hat sich Mikes Stimme nach der Erkältung auch nicht erholt. Singen kann Mike vorläufig weiter hoch. Die Aufnahme eines Konzertes, das Mike einige Monate später mit der hohen Stimme wieder singen kann, klingt einwandfrei.


Mutationsstörungen


Wenn die Stimme trotz Wachstum hoch bleibt, spricht man von einer Mutationsstörung. Bei Männern ist diese pathologische Stimme höchst auffällig, aber durch Logopädische Therapie gut zu behandeln. Bei Mädchen mit Mutationsstörung kommt es erst viel später zu Stimmermüdung und Heiserkeit, und die Diagnose ist schwieriger zu stellen. Logopädie ist auch hier die Therapie der Wahl.


Mutationsstörungen sind ziemlich häufig. Echte hormonell bedingte Stimmstörungen, wie im Fall von Mara beschrieben, viel seltener. Wenn ein Jugendlicher nicht oder nur teilweise in die männliche Stimmlage kommt, ist eine Untersuchung beim Phoniater angezeigt. Senkt sich die Stimme eines Mädchens merklich ab, oder kann es überhaupt nicht mehr singen, ohne dass es vermehrt belastet oder früher für Stimmstörungen anfällig gewesen wäre, dann sollte auch das medizinisch überprüft werden.


Strategien gegen
 das Ausbrennen

Lampenfieberforschung und Burn-out-Prävention. Dies waren zwei der zentralen Themen am 13. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) im Grossen Saal der Musik-Akademie Basel zum Thema «Stress und Musizieren».


Stell’ dir das Publikum nackt vor. Nervösen Debütierenden ist in der Musikausbildung oft so ein Ratschlag mitgegeben worden, wenn sie mit Auftrittsängsten kämpften. Das wirkt in der Regel auch. Die Strategien zur Bekämpfung von Auftrittsängsten sind heute aber wesentlich differenzierter. Sie bedienen sich mehrheitlich derselben Taktik: Es gilt, bedeutungsschweren Aufgaben und Anspannungen mit Humor etwas von ihrer emotionalen Schärfe zu nehmen. Eine ganze Reihe solcher Vorgehensweisen explizierte die Münchner Pianistin und Musikpsychologin Adina Mornell am Symposium der SMM, das heuer dem Thema «Stress und Musizieren» gewidmet war und mit knapp 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einmal mehr überaus gut besucht war. Scheinbar unlösbare, beängstigende Aufgaben in lösbare und lustvolle zu verwandeln, schien dabei das Grundmuster. Unklare Ziele müssten etwa, so Mornell, durch klare Teilziele ersetzt werden. Zu hohen Selbstansprüchen wiederum könne durch «Selbstbehinderungen» die Spitze gebrochen werden: Extra weniger üben als möglich sei zum Beispiel geeignet, sich nach Fehlern sagen zu können, man hätte es ja besser gekonnt, wenn man nur…


Verbreitete Lampenfieber-Mythen rückte Horst Hildebrandt vom Schweizerischen Hochschulzentrum für Musikphysiologie ins rechte Licht. In Training und Beratung angehender Berufsmusiker mache man an den Musikhochschulen die Erfahrung, dass sehr viel, was Studierende zunächst als schicksalhafte Auftrittsängste erlebten, von weitaus den meisten mit geeigneten Mitteln des Selbstmanagements selber in den Griff bekämen. Nur sehr wenige der Ratsuchenden bedürften tatsächlich eines persönlichen Coachings oder gar einer Therapie. Hilfreich sei es, so Hildebrandt sinngemäss, sich bewusst zu werden, dass die meisten Begleiterscheinungen von Lampenfieber – Schwitzen, Herzklopfen, Einengung des Horizontes und so weiter – völlig normale Reaktionen auf ein öffentliches Ausgestelltsein darstellten. Letzteres werde evolutionär als Gefahrensituation beurteilt und der Körper entsprechend mobilisiert. Es gehe also nicht darum, solche Reaktionen zum Verschwinden zu bringen, sondern Techniken zu entwickeln, sich von ihnen nicht behindern zu lassen.


Praktische Strategien gegen Ängste, Stress und Überbeanspruchung boten zwei Workshops. Die SMM-Präsidentin Martina Berchtold-Neumann demonstrierte Hypnosetechniken und schickte ihr Publikum auf eine innere Reise – gefühlte fünf Minuten lang, während in Tat und Wahrheit zwanzig verstrichen. Und die Psychotherapeutin Ines Schweizer thematisierte die Angst vor der Angst, will sagen dem Lampenfieber, dass dieses erst zerstörerisch werden lässt. Wird man sich bewusst, dass sich Auftrittsängste auf zahlreichen Ebenen – den Gedanken, Gefühlen und dem Körper – äussern, wird es möglich, diese auch produktiv zu nutzen.


Der Kardiologe Sebastian Kerber wies in einem überaus humorvollen Beitrag darauf hin, dass der Fokus mit Blick auf Musiker-Erkrankungen zu Unrecht fast ausschliesslich auf dem Skelett und dem Nervensystem liegt. Dabei werde das Herz-Kreislaufsystem vernachlässigt. Musik ist in buchstäblicher Art auch eine «Herzensangelegenheit»: Zur gesamtheitlichen Gesundheitsvorsorge von Musikern gehört deshalb genauso auch die Diagnose von Blutdruck und Herzrhythmusstörungen. Auch in dieser Hinsicht lassen sich präventiv Massnahmen definieren.


Der Zürcher Psychologe Victor Candia wies schliesslich darauf hin, dass wir sehr viele Bewegungsmuster lernen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Viel virtuoses Können, etwa das Halten von Gleichgewicht beim Gehen, provoziert keinerlei mentalen Stress. Ganz anders im Falle des Musizierens, das wir bewusst erlernen müssen und das deshalb Quelle von mentaler Anspannung ist, die wiederum physischen Stress nach sich zieht. Hervorragend organisiert war das Symposium einmal mehr von der SMM-Gründerin Pia Bucher und gewohnt souverän moderiert vom Tessiner Arzt Adrian Sury.

Wie lernen
 Senioren?

Mechanismen der
Hirnplastizität beim
Musikunterricht im Alter.


Musik machen und Musik hören gehören zu den wichtigsten Freizeitaktivitäten. Musikalische Aktivitäten sind dabei schon lange nicht mehr auf das Kindes- und Jugendalter beschränkt, sondern eine steigende Anzahl von älteren Erwachsenen will erstmals ein Instrument erlernen. Deren Anteil stabilisiert sich schon seit vielen Jahren bei etwa 10 Prozent der Schülerbelegungen der Musikschulen.


Musizieren ist eine der anspruchsvollsten Leistungen des menschlichen Zentralnervensystems. Die koordinierte Aktivierung zahlreicher Muskelgruppen muss mit höchster zeitlicher und räumlicher Präzision und häufig mit sehr hoher Geschwindigkeit geschehen. Dabei unterliegen die Bewegungen einer ständigen Kontrolle durch das Gehör, durch den Gesichtssinn und durch die Körpereigenwahrnehmung. Darüberhinaus werden Gedächtnissysteme und Emotionsnetzwerke aktiviert.


Es ist unbestritten, dass Musizieren die Entwicklung des Nervensystems in allen Lebensaltern, also auch im hohen Erwachsenenalter fördert. So findet man bei älteren Berufsmusikern zahlreiche Anpassungen, die Zeichen der «Hirnplastizität» sind: Das Broca’sche Sprachzentrum in der linken Stirnhirnregion ist vergrössert – was erklärbar ist, da Musiker in Klängen «sprechen». Das Kleinhirn, zuständig für feinmotorische Koordination, ist grösser, und die Hörrinde im oberen Anteil des Schläfenlappens weist ebenfalls eine grössere neuronale Dichte auf. Übungsabhängige neuroplastische Anpassungen der Nervenfasern betreffen neben dem Balken auch andere Faserstrukturen: Die sogenannte Pyramidenbahn, die von den motorischen Hirnrindenanschnitten zu den motorischen Nervenzentren im Rückenmark zieht, ist bei Pianisten stärker ausgeprägt als bei nicht musizierenden Kontrollen.


Auch bei älteren musikalischen Laien ist der Einfluss musikalisch-sensomotorischen Lernens auf die neuronalen Netzwerke der Grosshirnrinde schon vor über zehn Jahren beim Erlernen des Klavierspiels nachgewiesen worden. Überraschend war hier die zeitlichen Dynamik: Bereits nach 20 Minuten Klavierüben entstand bei erwachsenen Anfängern eine funktionelle Kopplung mit gleichzeitiger Aktivierung der Nervenzellverbände in den Hörrinden und in den sensomotorischen Arealen. Diese schnelle Änderung kann nur durch Zunahme der Vernetzung erklärt werden. Nach fünf Wochen Training am Klavier waren diese zunächst nur vorübergehenden Änderungen der neuronalen Vernetzung stabil und es kam zu einer Zunahme des neuronalen Austausches und der neuronalen Leitgeschwindigkeit zwischen den Hör- und Bewegungsregionen. Diese Veränderungen können bereits mit einer verstärkten Bemarkung der Nervenfasern, die Hör- und Bewegungsverarbeitung verbinden, erklärt werden. Aber nutzt das auch etwas für die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit?


Die bislang wohl aussagekräftigste Studie, in der mit psychologischen Methoden Transferleistungen musikalischer Aktivität auf andere Denkfertigkeiten älterer Menschen untersucht wurde, stammt von Bugos und Kollegen. Die Autoren erteilten 16 Senioren im Alter zwischen 60 und 85 Jahren über sechs Monate Klavierunterricht und verglichen die kognitiven Leistungen mit einer Kontrollgruppe von 15 gleich alten Probanden vor und nach dem sechs Monate anhaltenden Klavierunterricht. Drei Monate nach Abschluss des Trainings wurde eine letzte Testung der kognitiven Fertigkeiten durchgeführt. Die Klaviergruppe hatte nach dem Unterricht eine Verbesserung von Leistungen, die Arbeitsgedächtnis und exekutive Funktionen, wie Planung und Strategiebildungen mit einschlossen. Diese Leistungsverbesserungen waren allerdings eher schwach ausgeprägt und teilweise drei Monate nach Beendigung des Unterrichts nicht mehr nachweisbar. Dennoch ist hier ein erster Nachweis der oben aufgeführten Veränderungen durch musikalisches Training gelungen.


Ohne Schmerz
kein Preis?
Musikerspezifische Krankheitsbilder

Dank spezifischen Abklärungen in musikermedizinischen
Spezialsprechstunden können Musikerinnen und Musiker heute gezielt behandelt
werden.


Gesundheitliche Beschwerden können heute in interdisziplinären musikermedizinischen Sprechstunden beziehungsweise in den Praxen der beteiligten Fachpersonen beurteilt werden. Ihre Störungen und Krankheiten lassen sich so gezielt behandeln. Letztere lassen sich dabei im Wesentlichen einteilen in musikerspezifische Krankheitsbilder sowie allgemein häufige Krankheitsbilder mit besonderer Bedeutung für Musizierende.


Krankheitsbilder sind musikerspezifisch, wenn die Symptome im direkten Zusammenhang mit dem Musizieren stehen. Nicht selten werden entsprechende Probleme auch bei Angehörigen anderer Berufe beobachtet, wenn ähnliche ergonomische Herausforderungen und psychologische Umstände vorliegen.


Die Fachpersonen streben eine möglichst präzise Diagnostik an. Sie schlagen dazu die in ihrem Fachgebiet üblichen diagnostischen und diagnostisch-technischen Abklärungen vor. Ihre musikermedizinische Kompetenz erlaubt ihnen die Analyse der prädisponierenden und der auslösenden Faktoren sowie die Erarbeitung eines therapeutischen Konzeptes. Leider werden Symptome von Betroffenen – zum Teil aus nachvollziehbaren Gründen – zu häufig verdrängt beziehungsweise verschwiegen, oder sie werden ohne Diagnostik mit teilweise untauglichen Mitteln behandelt.


Häufig müssen Intensität und zeitliche Staffelung des Musizierens angepasst werden. Ergonomische Anpassungen am Instrument sind in einem gewissen Umfang möglich. Arbeitsplatzanpassungen scheinen dabei deutliche Grenzen gesetzt. An kaum einem Arbeitsplatz eines Produktionsbetriebes arbeiten Menschen auf so engem Raum wie in einem Orchester. In keiner Bibliothek teilen sich zwei Leser ein Buch so wie sich zwei Musikerinnen ein Notenpult in heikler Distanz teilen. Zumindest im klassischen Musikbetrieb bestehen Kleidervorschriften, und kein Musiker erbringt seine Spitzenleistung so leicht bekleidet wie ein Langstreckenläufer, wie sehr er auch schwitzen mag.


Wie Abklärungen erfolgen – ein Fallbeispiel


Ein Hausarzt überweist einen 19jährigen Flötisten wegen Schmerzen in den Bereichen der Beugeseite des rechten Handgelenkes und der Streckmuskulatur am rechten Unterarm. Pro Tag spielt er 30 Minuten Klavier und 3 bis 4 Stunden Flöte ‒ mit einer Pause. Die Schmerzen verspürt er schon seit drei Jahren. Sie treten vorwiegend am Zweitinstrument Klavier auf. Die Beschwerden, inzwischen auch im Nacken, haben zwei Jahre zuvor mit Hilfe einer Craniosakraltherapie gelindert werden können. Nachdem die Vorgeschichte erhoben ist, wird der Flötist körperlich untersucht, und sein Spiel mit der Flöte wird mit einer Videokamera aufgenommen.


In einer zweiten Sitzung stellt sich der Musiker in der interdisziplinären musikermedizinischen Sprechstunde vor. Festgestellt werden eine muskuläre Insuffizienz im Bereich der Brustwirbelsäule sowie ein Überlastungssyndrom der rechten Unterarmmuskulatur. Eine dynamische Ultraschalluntersuchung schliesst ein dyna-
misches Karpaltunnelsyndrom – eine positionsabhängige Kompression des Nervus medianus durch Muskulatur – aus. Der Flötist erhält Empfehlungen hinsichtlich der Spielhaltung an der Flöte und für ein spezielles Coaching durch eine spezialisierte Therapeutin oder Pädagogin sowie Hinweise auf die Bedeutung von Pausenplanung und die präventive Wirkung körperzentrierter Techniken. Zur Behandlung der muskulären Insuffizienz am Rücken und der Unterarmmuskulatur verordnet ein Musikerarzt eine aktive muskelaufbauende Physiotherapie.


Muskuläre Überlastung
(overuse)


Sehnenprobleme


Chronische myofasziale
Schmerzen


Nervenkompressionen


Hypersensibilität der
Fingerkuppen


Fokale Dystonie


Hautirritationen und
-allergien


Kiefergelenk- und Zahn-
probleme


Glaukom


Innenohrfunktionsstörungen


Stimmbanderkrankungen

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