SMM-Symposium zum Musizieren
im Alter

Das 12. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin SMM und der Schweizerischen Interpretenstiftung SIS widmet sich am 5. Oktober in den Räumen der Hochschule der Künste Bern Aspekten des Musizierens im Alter.


Lange galt die Vorstellung, dass man im Alter kaum noch musikalische Fertigkeiten erwirbt und mit Gewinn nutzt, wenn man sie sich nicht in der Kindheit oder zumindest als junger Erwachsener angeeignet hat. Wie der Zürcher Neuropsychologe Lutz Jäncke am 12. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) zeigen wird, haben demgegenüber nicht zuletzt Arbeiten zur besonderen Expertise bei Profimusikern zur Einsicht geführt, dass das menschliche Gehirn viel plastischer ist als bislang vermutet, und dies bis ins hohe Alter. Plastizität des Gehirns bedeute auch, so Jäncke weiter, dass der Nichtgebrauch von psychischen Funktionen zu einem neuroanatomischen und neurophysiologischen Abbau führen kann. Vor diesem Hintergrund zeichne sich ein neues und anderes Bild des Alterns, welches viel stärker als bislang vermutet durch selbstinitiierte und selbstkontrollierte kognitive Funktionen beeinflusst wird.


Die Musikjournalistin Corinne Holtz, die das CAS «Musikalisches Lernen im Alter» der Hochschule der Künste Bern leitet, wird berichten, dass ältere Menschen an Musikschulen eine wachsende Zielgruppe mit vielfältigen Potentialen darstellen. Naheliegend ist dabei das Singen in einem Chor. Karl Scheuber, Chorleiter und ehemaliger Studienbereichsleiter ZhdK, wird denn auch aufzeigen, wie sich mit bewusster Ernsthaftigkeit, gegenseitiger Empathie, mit atemtechnischen Hinweisen und der Freude am vielseitigen Schatz unseres vokalen Gedächtnisses ein farbiges Repertoire an Liedern, Sätzen und Klängen neu auf- und ausbauen lässt, das dem Alter angemessen ist. Selbst ein deutlicher Verlust an natürlicher Hörfähigkeit muss dabei kein Hindernis sein. Der Zürcher Hörakustik-Meister Michael Stückelberger wird explizieren, wie mit Hilfe kompetenter Akustiker Hörgeräte so angepasst werden können, dass sie auch zum Genuss von Musik und nicht bloss zur sprachlichen Veständigung taugen.


Hans Hermann Wickel vom Fachbereich Sozialwesen der deutschen Fachhochschule Münster wird die Musikgeragogik, die Disziplin des musikalischen Lernens und der musikalischen Bildung im Alter, vorstellen. Sie will Menschen in allen Lebenslagen des Alters ermöglichen, aktiv und rezeptiv musikalisch partizipieren zu können. Das Spektrum reicht dabei vom Instrumental- und Vokalunterricht über das Musizieren in Chören oder Seniorenensembles sowie die Mitwirkung in intergenerativen Gruppen bis hin zu Musikangeboten für hochaltrige, oder gar multimorbide und dementiell veränderte Menschen.


Das Singen steht auch im Referat von Eberhard Seifert im Zentrum, der als Leitender Arzt Phoniatrie an der Universitäts-HNO-Klinik des Berner Inselspitals wirkt. Er erklärt die physiologischen Grundlagen der Lautbildung und ihre Veränderungen im Laufe des Lebens und wie damit mit Blick auf den Alterungsprozess umgegangen werden kann.


Dass auch eine hervorragende musikalische Leistungsfähigkeit auf Instrumenten bis ins hohe Alter erhalten bleiben kann, sofern keine limitierenden Grunderkrankungen vorliegen, erläutert Maria Schuppert, die als Professorin am Zentrum für Musikergesundheit der Hochschule für Musik Detmold tätig ist, und Hans Martin Ulbrich, ehemaliger Oboist des Tonhalle-Orchesters Zürich, macht darauf aufmerksam, dass es für ehemalige Berufsmusiker darum geht, loslassen zu können. Dies – das wird der frühere Berufsmann auch nicht verschweigen – kann unter anderem schwierig sein, wenn im Alter Armut herrscht und kein Geld da ist, um sorgenfrei zu leben, oder wenn eine Erkrankung zur vorzeitigen Berufsaufgabe zwingt.

Wer brennt, brennt nicht aus

Ein Burnout ist in der Regel keine psychische Diagnose oder Krankheit, seine
Behandlung ist deshalb auch keine anerkannte
Kassenleistung. Es ist ein
prozesshaftes Geschehen, das jeder mehr oder weniger auch an sich selber kennt.


Patienten, die zu mir in die Praxis kommen, rate ich nicht selten, Musik als Ressource gegen ein Erschöpfungssyndrom in ihr Leben zu integrieren. Anders sieht es aus, wenn Musiker zu mir kommen und über Erschöpfungszustände klagen. Hier sind es die gesellschaftlichen und persönlichen Bedingungen rund um die Musik, die eine Burnout-Symptomatik entstehen lassen. Dann wird Musik zur Quelle von Sorge und Last und verliert damit die eigentlich positive Bedeutung, die möglicherweise einmal gerade zu dieser Berufswahl geführt hat.


Doch was ist eigentlich ein Burnout? Nach Matthias Burisch (Matthias Burisch: Das Burnout-Syndrom. Springer. 2005, 3.Auflage) sind sieben Phasen entscheidend, wobei ab der vierten Phase klinische und pathologische Relevanz entsteht:


Erste Phase der ersten Warnzeichen (man macht Überstunden oder arbeitet am Wochenende, um das Arbeitspensum zu schaffen)


Zweite Phase des reduzierten Engagements (man wird schweigsamer, entwickelt eine negative Einstellung zur Arbeit)


Dritte Phase der emotionalen Reaktionen (es entwickeln sich Minderwertigkeitsgefühle und Pessimismus)


Vierte Phase der Abnahme der kognitiven Fähigkeiten (Konzentrations-Gedächtnisstörungen, Zunahme von Fehlern und verminderte Motivation)


Fünfte Phase des Abflachens des emotionalen und sozialen Lebens (zum Beispiel Verlust von bisher geliebten Freizeitaktivitäten)


Sechste Phase der psychosomatischen Reaktionen (muskuläre Verspannungen, Schlafstörungen, vermehrter Alkoholkonsum)


Siebte Phase von Depression und Verzweiflung (Gefühl der Sinnlosigkeit und Zukunftsängste)


Man muss beachten, dass einem chronischen Erschöpfungszustand immer eine körperliche Ursache zugrunde liegen kann. Auch auf der psychischen Ebene muss eine Abgrenzung hauptsächlich zur Depression, aber auch zum Chronic-fatigue-Syndrom, zur generalisierten Angststörung, zur Essstörung oder zum Substanzmissbrauch (Alkohol oder Tranquillizer) vorgenommen werden. Wir nennen dies Differentialdiagnostik.


Arbeit an Berufsumfeld und Persönlichkeit


Wenn sich hier keine Befunde ergeben, kann mit der Arbeit am Berufsumfeld und an der Persönlichkeit des Musikers begonnen werden: Das Berufsumfeld kann in seiner spezifischen Beschaffenheit die Burnout-Problematik befördern. Beim Orchestermusiker sind das etwa zu dichte Dienstpläne, Kommunikationsprobleme mit den Vorgesetzen, beim Musikpädagogen die schwieriger gewordenen Kinder, der Gruppenunterricht, um jeweils der Kürze halber nur zwei Dinge zu nennen. Bei beiden Gruppen spielt Mobbing zwischen den Kollegen und zwischen den Hierarchien eine grosse Rolle. Lösungen in diesem Bereich liegen in der Struktur des Arbeitsplatzes und der Kollegen, die jeweils gesondert angeschaut werden müssen.


Aber der Musiker kann auch an sich selber arbeiten und verschiedene Strategien erlernen, um einem Burnout vorzubeugen. In der Psychologie werden verschiedene Persönlichkeitstypen unterschieden. So konnte zum Beispiel nachgewiesen werden, dass «eine starke Identifikation mit der Musikausübung in Kombination mit grossem Ehrgeiz und mangelhafter Distanzierungsfähigkeit bei einem Drittel der Musikstudenten zum Risikomuster A führte, welches durch überhöhten Stress und Leistungsanfälligkeit gekennzeichnet ist» (Claudia Spahn et al.: MusikerMedizin: Diagnostik, Therapie und Prävention von musikerspezifischen Erkrankungen. Schattauer, 2011).


Hieraus ergeben sich Hinweise, was der Musiker verbessern kann: Er muss die Warnzeichen der erwähnten Phasen ernst nehmen und schnell kognitive und emotionale Lösungen finden. Neben mentalem Training, etwa zum Erlernen von Distanz, helfen auf der emotionalen Ebene verschiedene, allgemein bekannte Entspannungsverfahren. Sehr gute Erfahrungen mache ich in meiner Praxis mit der Technik der Selbsthypnose, in der auch Entspannung auftritt, allerdings als positives Nebenprodukt. Viel entscheidender sind die therapeutischen Suggestionen, die in diesem Verfahren wirksam werden und die in den Alltag als Bewältigungsstrategie übernommen werden können.


Spielhände
im objektiven
Vergleich

Das Zürcher Zentrum
Musikerhand ZZM unterstützt mit seinem Handlabor die
individuelle Entwicklung des Instrumentalspiels.


Die wissenschaftlich fundierte Betrachtung der Musikerhand hilft bei der Optimierung an der Schnittstelle zwischen Hand und Instrument. Dies kann bei der Prävention von spielbedingten, gesundheitlichen Beschwerden und bei Fragen der Leistungsoptimierung bezüglich der Bewegungsabläufe am Instrument bedeutsam sein. Hierfür entwickelte Christoph Wagner ab 1964 am Max-Planck-Institut für Arbeitsphysiologie ein Verfahren für die systematische Untersuchung der Musikerhand: Die Biomechanische Handmessung (BHM). Am Institut für Musikphysiologie der HMTM Hannover kam die BHM dann in Forschung und Lehre zur Anwendung und wurde 2009 mit allen Geräten und Datenbanken in den Bereich Musikphysiologie/Musik- und Präventivmedizin der ZHdK übergeführt. Das neu gegründete ZZM gehört zum Forschungsschwerpunkt Musikalische Interpretation der ZHdK.


Vom Labor …


Die BHM umfasst bis zu 100 instrumentenspezifische Handeigenschaften. Sie erfasst die Musikerhand nach spielrelevanten Kategorien wie Handform und -grösse, aktive Beweglichkeit, passive Beweglichkeit und Kraft. Die passive Beweglichkeit als Indikator für die Leichtigkeit von Spielbewegungen kann nur durch das spezialisierte Messinstrumentarium des Labors differenziert erfasst werden. Die digitale Auswertung der Messungen führt zur deren graphischen Darstellung, dem Handprofil. Dieses zeigt die individuellen Werte der Hand im Vergleich zu den Daten professioneller Musiker der entsprechenden Instrumentengruppe, also die relativen Vorzüge oder auch Begrenzungen der einzelnen Hand. Daraus lassen sich praktische Konsequenzen für Üben, Training, Spieltechnik und Literaturauswahl, ergonomische Lösungen und so weiter ableiten. Die Geräte-Unikate und die Vergleichsmöglichkeiten mit instrumentenspezifischen Daten aus mehr als 50 Jahren machen die BHM bis heute ein singuläres wissenschaftliches Verfahren.


… zur Praxis


Die an den Musikhochschulen zugängliche interdisziplinäre Musikersprechstunde verzeichnet bei den jährlich mehreren hundert Beratungsstunden eine besondere Häufung von Schmerzzuständen und Verspannungen im Bereich der oberen Extremität. In diesem zunächst laborunabhängigen Kontext bietet sich eine von der BHM abgeleitete Form der Untersuchung an, welche sich auch für die Anwendung in der Musikpädagogik eignet: Die Pragmatische Handeinschätzung nach Christoph Wagner (PHE). Diese verschafft einen Überblick über bereits 25 individuelle Handeigenschaften. Für genauere Abklärungen kann dann auf das Handlabor zurückgegriffen werden.


An den Musikhochschulen Zürich, Basel und Stuttgart sowie am Vorarlberger Landeskonservatorium wird in Seminaren und Weiterbildungen regelmässig auf die objektive Erfassung von Handeigenschaften in der Musikausbildung Bezug genommen. Auch in den musikmedizinischen Sprechstunden werden die individuellen Voraussetzungen der oberen Extremitäten zunehmend berücksichtigt. Laufende Grundlagenforschung ergänzt das Tätigkeitsprofil des ZZM. Dieses leistet auch dadurch einen Beitrag zur Ausbildung von Musikern und Musikerinnen aller Spielstufen, wie dies im Sport im Rahmen von Leistungsdiagnostik und Prävention schon lange selbstverständlich ist.


Singstimmtherapie mit professionellen Sängern

Die Begleitung professioneller Sänger ist in der Stimmtherapie Freude und Herausforderung zugleich. Sie kommen in der Regel allerdings erst unter Leidensdruck, wenn Probleme schon sicht- und hörbar sind.


Professionelle Sänger suchen oft erst Hilfe, wenn Konzerte abgesagt oder Aufnahmetermine verschoben werden müssen und der existenzielle Druck steigt. Durch Druck wird aber das Körperinstrument, das bei Sängern den Klang am unmittelbarsten beeinflusst, weiter verstimmt. Vor allem der Regelkreis Atmung – Haltung – Kehlkopfaufhängung gerät durcheinander, Fehl-und Kompensationsspannungen sind die Regel, es kann zu regelrechten Teufelskreisen kommen.


Beispiele aus der Praxis


Die Stimme der 24-jährigen B., Studentin einer Jazzschule, bricht im oberen Bereich immer wieder unkontrolliert weg, Höhe ist mit grosser Anstrengung verbunden. Die fachärztliche Diagnose: hyperfunktionelle Dysphonie, beginnende Knötchenbildung. B. hat eine klare Klangvorstellung, sie möchte auch in der Höhe einen souligen, vollen Bruststimmklang haben. Diesen versucht sie, durch Hochziehen des Brustregisters zu erreichen und stützt dabei zu wenig. Zunächst wird ein Stimmentlastungsprogramm zusammengestellt, damit die Stimme druckarm frei schwingen kann. Danach arbeiten wir «klassisch» am Ausbau des Kopfregisterklangs und B. entdeckt, dass auch dieser sehr voll und direkt sein kann, aber mit weniger Druck auskommt. Jetzt geht es ums Mischen der verschiedenen Klangfarben in der Höhe, immer wieder auch um eine verbesserte Stütztechnik, ein Einsingprogramm und stimmhygienische Massnahmen. In der zweiten Hälfte der Therapie ist der Austausch mit der Gesangslehrperson von B. rege und befruchtend.


Bei der 51-jährigen freischaffenden Opernsängerin M. kommen viele Faktoren zusammen: Rückenprobleme nach Unfall, vorbestehendes Asthma, grosser Gewichtsverlust in kurzer Zeit und beginnende hormonelle Umstellungen. Die Stimme bricht in der mittleren und höheren Lage plötzlich komplett weg oder detoniert, das Vibrato klingt wabbelig, ausgehaltene Töne sind nicht möglich, Legato- und Pianosingen ebenso wenig. Ist das Stimmfach adäquat? Die Sprechstimme ist kaum betroffen. Einige Engagements verlaufen unbefriedigend, der Druck ist gross. Fachärztliche Diagnose: funktionelle Dyspho-nie/Dysodie. So vielfältig wie die Ursachen im Fall M. ist die Therapie. Neben konsequentem Fitnesstraining zum Wiederaufbau von Haltemuskulatur und körpertherapeutischer Arbeit arbeitet M. mit einer Gesangspädagogin und mit mir. Anfangs geht es darum, zu orten, warum die Stimme wegbricht. Stütze und Stimmsitz müssen den neuen körperlichen Gege-benheiten zum Teil deutlich angepasst werden.


Nachdem die Grundlagen wieder halbwegs verlässlich funktionieren, liegt die Entscheidung über den Schwerpunkt der jeweiligen Lektion immer mehr bei M. Geht es um Beckenbodenbeteiligung, um Randkantenverschiebung, um Stimmansatz in der hohen Lage, den Vokalausgleich, um konkrete Beispiele aus der anstehenden Literatur? Wir hören Bänder von Engagements ab und tauschen uns mit der Gesangspädagogin und dem Facharzt aus. Anfangs sehen wir uns häufig, mit der Zeit werden die Abstände zwischen den Sitzungen grösser und haben eher Supervisionscharakter.


Kompetenter Umgang mit der Stimme


Bei Profisängern geht es – wie bei Laien auf anderem Niveau – immer um die gleiche Grundlage: das Einstellen des Instrumentes. So die Wechselwirkungen des Spannungszustandes und die Zusammenarbeit der queren Strukturen Beckenboden – Zwerchfell – Stimmlippen – Zungengrund – Gaumensegel, das heisst die Aufrichtung und die «innere Haltung». Dazu kommt die Arbeit an der «äusseren Haltung», der Rumpf- und Atem-muskulatur sowie der Kopfhaltung, die die Kehlkopfaufhängung bedingt. Ausserdem die Ökonomisierung des Druckgleichgewichts auf der Stimmbandebene sowie die Optimierung des Klangraums (des «Ansatzrohrs») und der Artikulation. Die Stärkung der Eigenwahrnehmung und der (Wieder-)Aufbau des Vertrauens in die eigene Kompetenz im Umgang mit der Stimme sind gegen Ende des gemeinsamen Weges zentral.


Musik mit allen Sinnen

Der Musikunterricht mit
Kindern in Gruppen wird
immer heterogener. Dazu
fünf Thesen.


Seit Jahren gehören Begabtenförderung, Hochbegabtenförderung, Integration und Inklusion zum Auftrag für die Musikschulen in ganz Europa. Die Projekte «Jedem Kind ein Instrument» oder «Klingende Kindertagesstätte» bildeten im grossen Stil in Deutschland den Auftakt zum Musizieren für Kinder jeden Alters und in grossen Gruppen. In der Schweiz sind Musikalische Grundausbildung, Klassenmusizieren und Projekte mit verschiedensten Schwerpunkten ausgebaut worden.


In Publikationen sowie Modulen in Aus- und Weiterbildung sind Grundlagen der Strukturierung des Unterrichts entwickelt worden, die Musik für jedes Kind erfahr- und lernbar machen lassen. Um den Musikunterricht in Gruppen für alle Kinder chancengleich zu gestalten, sind neben der eigentlichen Musikdidaktik auch flankierende Massnahmen definiert worden. Sie ermöglichen es, den integrativen Musikunterricht vielfältig und gemäss neuer pädagogischer Erkenntnisse zu gestalten. Basierend auf der Grundlage der Didaktik von Musik und Bewegung, Theorien zur Wahrnehmungsförderung sowie diverser Lerntheorien können dabei die folgenden Strukturierungsthesen hilfreich sein.


Integrativer Musikunterricht ist vielfältig gestaltet – Unterschiedliche Lerntypen sind auch im Musikunterricht von Bedeutung. Eine Rhythmisierung, welche den Unterricht vielfältig auf verschiedenen Ebenen gestaltet, macht möglich, dass alle gemäss ihren Möglichkeiten sich am Unterricht beteiligen können.


Integrativer Unterricht ist spür- und fühlbar gestaltet – Das Spielen eines Instruments fordert die Wahrnehmung des ganzen Körpers: Körperoberfläche, aber auch innere Organe, vor allem die Atemfunktionen. Auch Bewegungsdifferenzierung inklusiv die Gleichgewichtsstrukturen sind gefordert. Für den Musikunterricht sinnvoll hat sich die Differenzierung in Nah- und Fernsinne erwiesen. Nahsinne sind alle Sinne, die direkt mit der Wahrnehmung des Körpers und dessen differenziertem Einsatz zu tun haben. Ohr und Auge sind Fernsinne. Musikalische Erfahrungen zum Beispiel in Form von Body Percussion Sequenzen werden so spür- und fühlbar.


Integrativer Musikunterricht ist bewegt gestaltet – Musikalische Gestaltung ist auch Bewegung, erfordert Koordination und Geschicklichkeit. Deutlich gestaltete Puls- und Rhythmusbewegungen im Wechsel zum Musizieren am Instrument unterstützen das Lernen und die Konzentration. Bewegung und Sitzen auf dem Stuhl sind in einem lebendigen Wechsel gestaltet. Unter diesem Fokus ist auch die musikphysiologisch relevante Nutzung der Stühle zu beachten.


Integrativer Musikunterricht ist hör- und sichtbar gestaltet – Visuelle und auditive Strukturen im Unterricht schaffen Orientierung und vertiefte Konzentrationsmöglichkeiten. Dadurch wird eine Ästhetik der Unterrichtsgestaltung geschaffen, die Redundanz vermittelt mit der Dynamik von künstlerischen Prozessen allgemein. Qualität der auditiven Struktur bedeutet Musikstunden, in denen sich Phasen des gemeinsamen Musizierens und des Experimentierens abwechseln mit Sequenzen der Stille. Ein klarer visueller Fokus berücksichtigt Aspekte der Gestaltung von Notenmaterial, der Anordnung des Unterrichtssettings im Raum sowie die spezifischen Art der Anleitung und des Dirigierens.


Die Partitur des integrativen Musikunterrichts hat verschiedene Stimmen – Kinder lernen in unterschiedlichem Rhythmus. Für die Komposition der Musikstunde ist dies ein künstlerisch zu nutzendes Phänomen. So wie jedes Musikstück mit unterschiedlichen Stimmen gestaltet wird, so wird auch der Unterricht binnendifferenziert aufgebaut. In Arrangements, eigens für die Gruppe, gibt es neben Grundelementen, die von allen gespielt werden, differenziertere Stimmen und gar Soli, aber auch Stimmen für einfache Grooves und einzelne Akzente.


Literatur


Langversion des Artikels:

Klassifikation von Musiker-Dystonien

Eine neue Einteilung von dystonen Bewegungsstörungen bei Musikern.


Mit Abstand die häufigste und auch die schwerwiegendste Bewegungsstörung bei Musikern ist die Musikerdystonie. Im Vollbild ist sie ist durch den Verlust der feinmotorischen Kontrolle von komplexen Bewegungen am Instrument gekennzeichnet. Schmerzen gehören nicht primär zur Symptomatik der Dystonie. Sie können aber als Folge von übermässiger Muskelanspannung auftreten. Die häufigsten Symptome bei fortgeschrittenen Handdystonien sind unwillkürliches Einrollen oder Abstrecken einzelner Finger und/oder abnorme Handgelenkshaltungen. Gelegentlich können auch kurz dauernde Muskelkontraktionen (myoklonische Dystonien) oder unwillkürliches Zittern (dystoner Tremor) die Symptomatik dominieren.


Die Betroffenen berichten häufig über ein starkes Spannungsgefühl im Unterarm während des Musizierens. Dies ist durch die zeitgleiche Aktivierung (Kokontraktion) antagonistischer Beuger- und Streckermuskeln bedingt. Nur in unter 5 Prozent der Fälle berichten die Patienten ein Gefühl der Schwäche. Schwierig ist die Diagnose der Handdystonien in der Frühphase der Erkrankung, wobei besonders die Abgrenzung von Überlastungsverletzungen schwierig bleibt. Hier berichten die Betroffenen häufig nur über subtile Erschwernisse bei schnellen regelmässigen Bewegungen am Instrument. Offenbar besteht hier eine «Grauzone» zu Störungen, die eher als «Über-Üben» oder als «muskuläre Ermüdung» bezeichnet werden sollten. Die Unterscheidung von solchen sehr häufigen Bewegungsproblemen von einer beginnenden Dystonie ist wichtig, da erstere auf Retraining sehr gut ansprechen, und auch entzündungshemmende und muskelentspannende Medikamente wirksam sind. Insgesamt scheinen die Heilungsaussichten bei dieser Form der Bewegungsschwierigkeiten viel besser, weswegen wir sie nicht als «beginnende fokale Dystonie» bezeichnen, sondern die Diagnose «dynamisches Stereotyp» bevorzugen. Dieser Begriff stammt aus der Sportwissenschaft und steht für falsch eingeübte Bewegungsgewohnheiten, die jedoch im Gegensatz zur fokalen Dystonie leichter korrigiert werden können und durch bewusste Hinlenkung der Aufmerksamkeit einen korrekten Bewegungsablauf ermöglichen.


Ein besonders interessanter Bereich ist die Ansatzdystonie der Bläser. Sie zeigt sich in der Frühphase häufig in subtilen Unzulänglichkeiten der Tongebung, vorwiegend in einem bestimmten Register oder einer Spielart oder in einem klar umschriebenen Dynamikbereich. In fortgeschrittenen Stadien weitet sich die Problematik meist auf den gesamten Tonumfang des Instruments und auf alle Dynamikbereiche aus, die Kontrolle über Ansatz, Artikulation und Atmung ist dann bei keiner Spielart mehr gewährleistet. Allerdings ist auch bei der Ansatzdystonie das diagnostische Spektrum viel breiter. In einer neuen Studie von Frau Dr. Steinmetz und von uns wurden 1817 Fragebögen bezüglich Ansatzschwierigkeiten an alle Blechbläser der deutschen Orchester ausgeteilt. Die Rücklaufquote betrug 32 Prozent. Von den 585 Blechbläsern berichteten 60 Prozent! über Ansatzprobleme zum Zeitpunkt der Studie, wobei jeweils ca. 30 Prozent Zungenstopper und Schwierigkeiten in der Höhe nannten und 26 Prozent Verkrampfungen der Ansatzmuskulatur. Für uns überraschend berichteten 10 Prozent, dass sie während ihrer Orchestertätigkeit schon einmal so grosse Schwierigkeiten mit dem Ansatz hatten, dass sie arbeitsunfähig waren. Interessant war auch, dass 40 Prozent derer, die Ansatzprobleme hatten, schon früher eine Ansatzkrise erfolgreich gemeistert hatten. Es wäre nun sicher medizinisch ungerechtfertigt und psychologisch sehr ungeschickt, diesen hohen Prozentsatz von Bläsern als «von Dystonie betroffen» zu klassifizieren, zumal ja erfreulicherweise sehr viele diese Krisen meistern. Wir sind daher gerade dabei, neue Klassifikationsleitlinien zu erstellen. Dabei spielen die Auslösefaktoren (Überlastung oder nicht), die Schwere und Ausprägung der Symptome, das Vorhandensein von «Inseln des Wohlbefinden», die Familienanamnese (gibt es Angehörige mit neurologisch bedingten Bewegungsstörung) und das Vorhandensein von psychologischen Symptomen (Angstprobleme oder nicht) eine Rolle. Gute Prognosen hinsichtlich einer Ausheilung durch Retraining haben danach die Musiker, die Bewegungsprobleme nach einer Überlastung entwickeln, die leichte Symptome haben, immer wieder auch ohne grosse Beschwerden musizieren können, keine Angehörigen mit Dystonien haben und zu Lampenfieber neigen.


Gesundes Musizieren
von früh auf

An ihrem 11. Symposium
haben die Schweizerische
Gesellschaft für Musik-
Medizin (SMM) und die Schweizerische Interpretenstiftung in den Räumen der Zürcher Hochschule der
Künste (ZHdK) «Gesundes
Musizieren im Kindes- und
Jugendalter» thematisiert.


Kinder und Jugendliche sind mit Blick auf Physis und Psyche speziell gefordert. Zum einen verändern sich ihre Körper während des Erlernens eines Instrumentes erheblich, worauf sie mit ständigen ergonomischen Neuanpassungen reagieren müssen. Zum andern bewegen sie sich in komplexen Spannungsfeldern aus eigenen, noch nicht konslidierten Lebensentwürfen und Erwartungen von Eltern, Schulen und Freundeskreis. Darüber diskutierten am 26. Oktober in Zürich ausgewiesene Fachleute – routiniert und kundig moderiert vom Tessiner Arzt Adrian Sury.


Auf eine weitere Herausforderung wies an dem von der SMM-Gründerin Pia Bucher geleiteten Symposium im ersten Referat des Tages Elisabeth Danuser, die Leiterin Weiterbildung der ZHdK: Schulklassen und Musizierklassen werden heute in Sachen Aufmerksamkeit und Vorbildung immer heterogener. Da gilt es auch immer wieder, individuelle Strategien der Musikvermittlung und -einübung zu entwickeln. Der ZHdK-Musikphysiologe Horst Hildebrandt bot in der Folge einen Überblick über die Initiativen und Institutionalisierungen der Gesundheitsvorsorge an Musikschulen und -hochschulen im deutschsprachigen Raum. Mit der 1993 von ihm gegründeten Musikphysiologischen Beratung Lahr war er in Deutschland ein Pionier der Angebote für Musikschulen. Mussten sich Musiker mit entsprechenden Problemen zuvor noch an Ärzte wenden, die ihre berufs- oder tätigkeitsspezifischen Probleme als solche nicht zu erkennen vermochten, stehen ihnen heute in Ausbildung und Berufsalltag speziell geschulte Fachleute zu Seite, mittlerweile auch an den Musikhochschulen selber.


Christine Bouvard Marty, die Präsidentin des Verbandes Musikschulen Schweiz (VMS) formulierte Regeln für den integrativen Musikunterricht. Angesichts der immer komplexeren Aufgaben steht dieser vor speziellen Herausforderungen. Neben der Vielfalt der Vermittlungsmethoden betonte die Referentin dabei vor allem die multiplen sinnlichen Aspekte: Musizieren mit Kindern und Jugendlichen muss alle Sinne und vor allem auch die Bewegungslust der Heranwachsenden mit einbeziehen, damit sie Musizierpraxis und Körperbild immer neu harmonisieren können.


Bewegungsarmut und
Aufmerksamkeitsstörungen


In Workshops thematisierten der in Zürich wirkende Musikphysiologe Oliver Margulies und die Frankfurter Physiotherapeutin Alexandra Türk anatomische und physiologische Eigenheiten jugendlichen Musizierens. Margulies stellte die Diagnosemöglichkeiten zu Musikerhänden vor, die in Hannover in Pionierarbeit von Christoph Wagner entwickelt worden sind. Sein Hannover Hand-Kompetenzzentrum ist mittlerweile von der ZHdK übernommen worden. Alexandra Türk exemplifizerte am Beispiel einer heranwachsenden Absolventin des Konservatoriums Zürich die Auswirkungen körperlicher Veränderungen auf das Instrumentalspiel. Vor allem die in einer bestimmten Phase schnell wachsenden Mädchen müssen dabei auf Phänomene wie den «Rundrücken» und eine Neukalibrierung ihres Gleichgewichtssinnes achten.


Der Luzerner Rheumatologe Urs Schlumpf wies darauf hin, dass die instrumentenspezifischen Beschwerden bei Kindern und Jugendlichen tendenziell zunehmen. Den gestiegenen Anforderungen in einer immer wettbewerbsbetonteren Gesellschaft kann aber mit kindergerechten Instrumentenvarianten, konsequenten Aufwärmprogrammen und kluger Einteilung von Über- und Spielzeiten entsprochen werden. Die Zürcher Kinder- und Jugendpsychiaterin Dominique Simon schliesslich relativierte einiges an den immer inflationäreren psychischen und sozialen Störungsdiagnosen von Kindern und plädierte für einen enstpannteren Umgang mit sogenannt «schwierigen» Musikschülern.


Forschung zu
Musikerschmerzen

Das Projekt «Motor Learning And Repetitive Strain Injuries In Musicians» (MoReMu), in das auch Mitglieder der SMM involviert sind, versucht mit interdisziplinärem Ansatz Ursachen und Therapien zum sogenannten Repetitive Strain Injury-Syndrom zu finden.


Je nach Studie kämpfen zwischen 40 und 75 Prozent der Berufsmusiker mit Schmerzen in Muskeln, Sehnen und Nerven, dem sogenannten RSI-Syndrom (Repetitive Strain Injury). Zu den epidemiologischen, biomechanischen und ergonomischen Aspekten solcher Leiden finden sich in der Fachliteratur allerdings nur sehr wenige detaillierte Erkenntnisse. Die raren Studien sind in der Studienanlage, der Methodik oder der Grösse der untersuchten Gruppen kaum vergleich- oder verallgemeinbar. Empfehlungen erschöpfen sich in der Regel in Hinweisen auf Dehnungsübungen und Pausen.


Um differenzierte Erkenntnisse zum Syndrom zu gewinnen, haben unter anderen Teams des Königlichen Konservatoriums in Brüssel, der Accademia Vivaldi im Tessin, der Freien Universität Brüssel und der Fachhochschule Physiotherapie Thim van der Laan in Landquart am Projekt MoReMu (MOtor learning and REpetitive strain injuries in Musicians) mitgearbeitet. Im seinem Rahmen sollen Fragen nach dem Einfluss lokaler muskulärer Ermüdungen und Aufführungsstress auf die Koordination der Muskeln untersucht werden.


Unter anderem sind Ultra­schall-Untersuchungen, komplexe audiovisuelle Beobachtungen, aber auch Befragungen zur Alltagsgestaltung, zu allgemeiner Gesundheit, Ernährungsgewohnheiten und ergonomischen Rahmenbedingungen durchgeführt worden. So haben etwa Brüsseler und Ladquarter Studierende im Rahmen von Bachelor- und Masterarbeiten Fragebögen ausgearbeitet, die aussagekräftig Aufschluss über entsprechende Belastungen im Musikeralltag geben sollen. Die SMM hat aus dem Kreis ihrer Mitglieder den Arzt Adrian Sury und zwei Physiotherapeuten aus dem Tessin vermittelt, die sich an der Studie unentgeltlich beteiligt haben.


Komplexe Messmethoden


Erfasst worden sind für MoReMu mit ausgeklügelten technischen Methoden erstmals auch räumliche Daten zur Biomechanik des Instrumentalspiels – kombiniert mit sogenannten elektromyografischen Methoden. Dabei werden mit Nadelelektroden Potentialschwankungen einzelner Muskelaktivitäten gemessen. Auch die Rolle unterschiedlicher Spieltechniken wie im Falle von Streichern etwa Vibrato, Spiccato oder Legato, können so abgegrenzt werden. Die Schweizer Beiträge zu der Studie umfassen überdies Untersuchungen zu den ergonomischen Auswirkungen unterschiedlicher Schulterstützen für Geiger und Geigerinnen.


Die interdisziplinäre Kooperation unterschiedlicher Institute und Disziplinen könnte wegweisend sein und helfen, komplexe, ganzheitliche Strategien zu Vermeidung von RSI und anderen Gesundheitsproblemen zu entwickeln. Die verschiedenen Partner des Projektes konzentrieren sich auf einzelne Aspekte wie Übestrategien und ergonomische Betrachtungen, aber auch die Bedeutung sportlicher Betätigung und der Ernährung auf die Stärkung eines RSI-vermeidenden Musizierens.


Erste methodologische Erörterungen haben gezeigt, dass verschiedene Faktoren für den Erfolg der Studien von Bedeutung sind. So müssen die Messmethoden etwa in der Lage sein, subtile Varianten der technischen Ausführung am Instrument zu registrieren. Bei der dreidimensionalen Messung von Bewegungen am Instrument hat sich dabei überdies gezeigt, dass es nicht einfach ist, festzustellen, welche Mikrobewegungen welchen gespielten Noten zugewiesen werden können. Die Forscher experimentieren dabei deshalb unter anderem auch mit Software-Instrumenten, die zur Spracherkennung entwickelt worden sind.


Finanzielle Barrieren


Die ersten Resultate einer Pilotstudie sind 2007 in Liverpool an der 6. internationalen Konferenz zu Sport, Freizeit und Ergonomie und 2008 am 3. Weltkongress der Musiker-Medizin in Mailand präsentiert worden. In der Schweiz haben erste Messungen im November 2009 und im April 2010 mit Schülern und Schülerinnen der Accademia Vivaldi Muralto und Studierenden des Conservatorio di Musica di Lugano stattgefunden – mit Bewilligung der Tessiner Ethikkommission.


Robuste definitive Ergebnisse haben im Rahmen dieses Pionierprojektes bislang allerdings noch nicht erzielt werden können. Hemmend wirken sich zur Zeit vor allem Probleme mit der Finanzierung aus, die für die Weiterführung des Projektes nicht gesichert ist.


Das «schwierige» Kind im
Musikunterricht

Kinder mit besonderen Heraus­forderungen werden mehr
als früher sonderpädagogisch gefördert oder medikamentös behandelt. Aber auch im Rhythmik- und Instrumentalunterricht sind spezielle Massnahmen gefragt.


Kinder haben wie Erwachsene auch Grenzen, die sie nicht einfach überschreiten können. Bei manchen ist es die feinmotorische Ungeschicklichkeit, bei anderen setzt eine schulische Krise dem musikalischen Elan Grenzen; wieder andere kommen aus einer musikfernen Familie und müssen ihren Übewillen zuhause durchsetzen. Wie können Fachkräfte mit den unterschiedlichen Kindern und ihren Bedürfnissen umgehen?


Nützlich ist die Strukturierung und Rhythmisierung (!) des Unterrichts mit einem abwechslungsreichen, aber voraussehbaren Ablauf. Mit Unterrichtsthemen wie Farben, Jahreszeiten, bestimmten Komponisten oder Musikstilen lassen sich Interessen des Kindes einbinden. Es ist sinnvoll den Unterricht einfach, aber doch abwechslungsreich zu gestalten und verschiedene Sinne der Kinder anzusprechen.


Grundlage für erfolgreiches und beglückendes Unterrichten ist eine gute Beziehung zum Kind. Dazu gehört, dass man seine Vorlieben, Familien- und Geschwisterstruktur, Stärken und Schwächen zumindest ansatzweise kennt. Grundlage dazu ist ein verbindlicher Kontakt mit dem Elternhaus. Vor allem das junge Kind bewegt sich oft noch etwas unsicher zwischen den Polen «Elternhaus – Instrument – Musiklehrperson». Der Bezug der Lehrperson zu den Eltern sollte sich nicht nur auf das Abgeben von Übe-Tipps beschränken. Eltern merken an der Stimmung des Kindes, ob die Lehrperson das Kind wertschätzt und ob sie, die Eltern, als Partner im Musikbildungs-Prozess willkommen sind.


Das «zappelige» Kind mit ADHD (Attention Deficit Hyperactivity Disorder) zeigt oft Tagesschwankungen mit vermehrter Ablenkbarkeit gegen Abend. Es profitiert am besten von Unterrichtsstunden am frühen Nachmittag. Einige, aber längst nicht alle Kinder mit ADHD sind auch feinmotorisch eher ungeschickt. Sie nehmen sehr genau wahr, ob die Lehrperson ihnen etwas zutraut. Das belastete Kind hat vielleicht Sorgen, die es besprechen möchte. Ist eine Beziehung tragfähig, sollte es möglich sein, es zu motivieren, mit Eltern oder anderen erwachsenen Bezugspersonen Lösungen zu suchen, oder gar fachliche Hilfe zu holen. Der Versuchung, einziger Vertrauter des Kindes zu sein oder gar eine Therapeutenrolle einzunehmen, muss man widerstehen.


Musiklehrkräfte sind täglich vielfältig gefordert. Regelmässiger Austausch mit Klassenlehrern oder Eltern – auch telefonisch – verhindert aber Konflikte und enttäuschte Erwartungen auf beiden Seiten.


Dr. med. Dominique Simon


Kinder- und Jugendpsychiaterin und systemische Psychotherapeutin


Supervisorin in eigener Praxis in Zürich.


> dr.simon@hin.ch


> www.ausbildungsinstitut.ch


Besser nicht
zu Tränen gerührt

Emotionen wie Weinen, Wut oder Zorn, aber auch Staub, Wind, kalte Luft, Reizgase und so weiter bringen die ­Augen zum Tränen. Das kann insbesondere beim Musizieren zu Problemen führen.


Georg von Arx — Oft treten wässerige oder gar tränende Augen nur in speziellen Situationen auf. Bei anspruchsvollen visuellen Tätigkeiten wie zum Beispiel Lesen, Arbeit am PC oder beim Musizieren, können schon leicht wässerige Augen zu einer erheblichen Leistungsverminderung führen. Häufige Gründe für tränende Augen sind Bindehautentzündungen, trockene Augen, Lidfehlstellungen, Abflussbehinderungen in den ableitenden Tränenwegen und vieles anderes mehr. Auf diese Ursachen soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.


Für Musiker und Musikerinnen sind funktionelle Störungen, die keine offensichtliche Ursache zu haben scheinen, wichtiger, da sie schwer zu kontrollieren sind. Im Zusammenspiel von lokalen und zentralen Steuerungsfaktoren bei visuell anspruchsvoller Tätigkeit verursacht eine zentral, das heisst durch das Hirn und Nervensystem gesteuerte Verminderung der Lidschlagfrequenz eine vermehrte Verdunstung des Tränenfilms und somit ein relativ trockenes Auge.


Je mehr wir uns auf unsere visuelle Aufgabe konzentrieren, desto seltener wird der Lidschlag. Der Tränenfilm wird instabil, bricht auf und verursacht einen «Trockenheits-Reiz» der Hornhaut, der seinerseits nun über einen Reflexbogen eine vermehrte, teils überschiessende Tränensekretion auslöst. Dies kann insbesondere bei ungenügender Beleuchtung (zum Beispiel im Orchestergraben) noch verstärkt werden, da wir dann reflektorisch die Augen noch mehr «aufreissen» und noch weniger häufig blinzeln. Die optimale Beleuchtung des Notenpultes (ohne Blendeffekte!) ist daher auch in dieser Hinsicht wichtig.


Ein Lidschlag oder Blinzeln ist ein schnelles, meist unwillkürliches und unbemerkt ablaufendes Schliessen und Öffnen der Augenlider (Lidschlussreflex), das in erster Linie der Aufrechterhaltung des Tränenfilms und somit der optimalen optischen Qualität des visuellen Systems dient. Pro Minute blinzeln wir normalerweise etwa 12 bis 15 Mal, also alle 4 bis 6 Sekunden, wobei dies über eine Zeitspanne von durchschnittlich 300 bis 400 Millisekunden geschieht. Die durch den Lidschluss bedingte Dunkelphase wird nicht bewusst wahrgenommen, da die visuelle Wahrnehmung in den zuständigen Bereichen des Gehirns kurz vor dem Blinzeln unterdrückt wird.


Monotone visuelle Arbeit, insbesondere wie bereits erwähnt bei zusätzlich mangelhafter Beleuchtung des Arbeitsfeldes und Arbeiten mit hohen visuellen Anforderungen führen zum Starren auf das Arbeitsfeld mit Abnahme der Lidschlagfrequenz um mehr als 50 Prozent. Häufige, aber kurze Unterbrechungen der Arbeit für einige Minuten können die Befeuchtung der Hornhaut ausreichend verbessern, so dass keine vermehrte reflektorische Tränensekretion und somit kein wässeriges Auge entsteht.


Vernetztes «Tränenzentrum»


Weinen kann Ausdruck ausgeprägter Emotionen sein wie Schmerz, Trauer, Hilflosigkeit, Angst, Gefühl tiefer Kränkung und Ungerechtigkeit. Diese emotional verursachten Tränen spielen bei professionell Musizierenden insofern keine Rolle, als sie in Ausübung ihres Dienstes die Emotionen zu kontrollieren gelernt haben. Das «Tränenzentrum» ist nämlich mit verschiedenen Hirnregionen wie zum Beispiel dem limbischen System («Gefühlszentrum»), aber auch mit dem Frontalhirn vernetzt. Die Funktionen des Frontalhirns betreffen die Aufnahme und Verarbeitung (Kontrolle) von sensorischen Informationen für Wahrnehmung, Denken, Sprache, motorische Operationen, Aktivitäts-, Bewegungs- und Handlungssteuerung, Willkürbewegungen und -handlungen, Bewusstsein, höhere intellektuelle Prozesse sowie emotionell-affektive Aspekte des Verhaltens.


Trotzdem kann ein besonders «rührendes» Musikstück schon einmal die entsprechende emotionale «Taste» berühren und uns zum Weinen bringen, was dann die klare Sicht auf das Notenblatt trüben kann. Nicht ganz selten kommt es auch zu wässerigen oder gar tränenden Augen durch eine schlecht korrigierte Fehlsichtigkeit. Denn das Auge muss sich dann viel mehr anstrengen, um gut sehen zu können. Auf die beruflichen Bedürfnisse individuell und optimal angepasste Sehhilfen können Abhilfe schaffen.


Dr. med. Georg von Arx


Augenarzt FMH


Admedico Augenzentrum


Fährweg, 4600 Olten


> info@admedico.ch

Das Gehirn von
Pianisten

Sehr gute Pianisten müssen präzise und vor allem sehr schnelle Fingerbewegungen durchführen, um die klassischen Musikstücke zu bewältigen. Das intensive Training verändert auch das Gehirn.


Bei besonders anspruchsvollen Musikstücken (wie zum Beispiel bei einigen Passagen der 6. Paganini-Etüde von Franz Liszt) dürfen die Intervalle zwischen den einzelnen Fingerbewegungen 30 Millisekunden nicht überschreiten. Sie müssen zudem höchst präzise realisiert werden. Im Vergleich dazu sind die schnellsten Intervalle, die nichtgeübte Musiker erreichen, eher bescheiden (ca. 150 Millisekunden). Eine Reihe von Untersuchungen belegen, dass mehr als 10 000 Trainingsstunden aufgewendet werden müssen, um professionelle Spielleistungen zu ermöglichen. So intensive Trainings hinterlassen «Spuren» in den an der Expertise-Kontrolle beteiligten Hirngebieten. Besonders die in die motorischen Gebiete eingebundenen Hirngebiete weisen teilweise erhebliche anatomische und neurophysiologische Veränderungen auf.


Die bislang zu diesem Thema publizierten neuroanatomischen Arbeiten haben gezeigt, dass bei Pianisten vor allem die primären Motorareale, welche die Finger kontrollieren, auf beiden Hemisphären besonders gross geworden sind. Diese Grössenveränderungen äussern sich in grösserem Volumen des neuronalen Gewebes, aber auch in einer grösseren kortikalen Oberfläche im Handmotorkortex. Neben diesen Volumenunterschieden können auch Veränderungen der Kabelsysteme ausgemacht werden, welche die motorischen Hirngebiete mit den Händen und Beinen verbinden.


Diese anatomischen Besonderheiten sind bei den Betroffenen wahrscheinlich im Zuge des motorischen Lernens entstanden. Je früher sie mit dem Musiktraining begonnen hatten, desto stärker sind die anatomischen Veränderungen in der Regel ausgeprägt. Man erkennt auch markante Unterschiede zwischen den Musikern, je nachdem welche Instrumente sie spielen. Bei Pianisten sind vor allem die beiden Handmotorareale auf der rechts- und linksseitigen Hemisphäre besonders gross und stärker vernetzt. Bei Streichern dagegen, die ja vor allem die Finger der linken Hand besonders trainieren müssen, ist nur der rechtsseitige Handmotorkortex anatomisch auffällig bzw. grösser geworden. Besondere anatomische Anpassungen findet man auch im kortikospinalen Trakt, der den Handmotorkortex mit den Händen und Armen verbindet.


Funktionale Kopplungen


Neben diesen spezifischen Anpassungen im motorischen System finden sich auch neurophysiologische Besonderheiten bei der funktionellen Kopplung zwischen den motorischen und sensorischen Arealen – vor allem zwischen Motor- und Hörkortex. Die neurophysiologischen Aktivierungen in den motorischen Hirngebieten bei Pianisten sind wie erwähnt besonders an das Pianospiel angepasst. Man erkennt diese besondere Anpassung auch anhand der Optimierung der neurophysiologischen Erregung in den beteiligten Hirngebieten. Bei Pianisten sind dies geringere neurophysiologische Aktivierungen in den Motorarealen beim Pianospielen als bei ungeübten Personen. Offenbar haben sich in Folge des häufigen Übens die am besten geeigneten neuronalen Schaltkreise etabliert, um die motorischen Abläufe zu ermöglichen.


Beim hoch trainierten Pianisten hat sich als Folge des Übens ein automatisiertes Fehlerkontrollsystem etabliert, dass es ihnen erlaubt, motorische Fehler während des Spiels unbewusst zu erkennen und zu kontrollieren. Die Fehlerkontrolle wirkt sich allerdings nicht auf die gerade fehlerhaft durchgeführte Handlung, sondern vielmehr auf zukünftige Handlungen aus.


Lernfähig bis ins hohe Alter


Bemerkenswert ist, dass sich solche neurophysiologischen und neuroanatomischen Anpassungen nicht nur im frühen Kindes- und Jugendalter einstellen, sondern auch im Erwachsenenalter und – was besonders interessant ist – auch im Seniorenalter. Insofern ist der Erwerb musikalischer Spielkompetenz nicht nur der Jugend vorbehalten, sondern auch im Alter möglich. Möglicherweise ist das menschliche Gehirn ein Leben lang plastisch, so dass man das Musizieren bis ins hohe Alter erwerben kann.


Prof. Dr. rer. nat. Lutz Jäncke


Universität Zürich/Psychol. Institut


Lehrstuhl für Neuropsychologie


> lutz.jaencke@uzh.ch


Nicht immer ist das Instrumentenspiel alleine Schuld

Das Instrumentenspiel belastet den Bewegungsapparat mitunter beträchtlich. Auch wenn vordergründig das Musizieren den relevantesten Belastungsanteil ausmacht, lohnen sich mitunter vertiefte Nachforschungen.


Es ist ganz natürlich, dass zum Beispiel bei einer Violinistin Schmerzen während dem Musizieren zuerst einmal dem Instrumentenspiel zugeordnet werden. Fehlerquellen gibt es da ja mehr als genügend. Kleine Abweichungen bei der Körperhaltung, bei der Modulierung der Muskelspannung oder an der heiklen Kontaktstelle zwischen Körper und Instrument haben weitreichende Folgen.


In jedem Musikeralltag gibt es aber noch andere Tätigkeiten, die den Bewegungsapparat belasten. Arbeiten am Computer oder im Garten, sportliche Aktivitäten oder Haushaltarbeit – alle diese Aktivitäten kann man achtsamer oder weniger achtsam dosieren und so können sie auch Schmerzen am Bewegungsapparat auslösen. An dieser Stelle soll deshalb von einer völlig unscheinbaren Beschwerdequelle die Rede sein: der Schlafposition.


Andauernde Schmerzen
hinterfragt


In der Sprechstunde berichtet eine Violinistin über seit Jahren bestehende Schmerzen im Nacken mit Ausstrahlungen in den rechten Arm . Störend sind die Beschwerden normalerweise nur in Phasen mit häufigen langen Proben, speziell natürlich in Verbindung mit besonders anspruchsvollen Stücken. Abklärungen und Anpassungen bezüglich Körperhaltung und Instrumentenhaltung erfolgten wiederholt. Sie wirkten sich auch positiv aus.


Im Laufe des letzten Jahres hat es immer wieder Phasen gegeben, in denen die Musikerin elektrisierende Zwicke im Arm verspürt hat. Dieses Symptom ist in den letzten zwei Wochen vermehrt aufgetreten und das ist auch der Konsultationsgrund. Hauptbefund bei der Untersuchung ist eine Kraftverminderung im Trizeps­muskel – als Ausdruck einer Beeinträchtigung der siebten zervikalen Nervenwurzel.


Die Schilderungen der Patientin enthalten keine offensichtlichen Hinweise auf eine wichtige Rolle der Schlafposition. Schmerzen die frühmorgens besonders gross sind oder auch nächtliche positionsabhängige Schmerzen könnten solche Zeichen sein. Nur die Bemerkung, dass früher noch mehr als heute der rechte Arm nachts einschläft, lenkt die Aufmerksamkeit auf den Schlaf.


Gerade bei langdauernden Beschwerden, die trotz adäquater Behandlung nicht nachhaltig bessern, erhebe ich immer die Schlafanamnese. Ich lasse mir auch häufig die eingenommenen Schlafpositionen zeigen. Das ist natürlich ein sehr unsicheres Terrain, da wir uns nachts viel mehr bewegen als wir denken. Wer kann schon darüber Auskunft geben, in welcher Position er in den Tiefschlafphasen schläft?


Unsere Violinistin hat die Gewohnheit beim Schlafen auf der rechten Seite den rechten Arm hoch zu halten und zudem den Kopf zu überstrecken. Das kann sich auf den Platz für die Nervenwurzeln beim Austritt aus dem Rückenmarkskanal negativ auswirken. Weil sie zudem nur ein ganz flaches Kissen verwendet, ist der Kopf auch in Rückenlage überstreckt. Das wirkt ebenfalls ungünstig auf den ohnehin knappen Reserveraum zwischen Nervenwurzel und Wirbel aus.


Die Schlafposition ändern –
wie soll das gehen?


Eine Schlafposition zu verhindern oder zu ändern, ist nicht einfach. Da wir nur in Wachphasen eine bewusste Kontrolle ausüben können, braucht es andere Kniffe. Ich empfehle meistens, dass auf der zu vermeidenden Seite ein störender Gegenstand am Pyjama angebracht wird. Ein Spraydosendeckel, den man in einen Socken legt und dann mit Sicherheitsnadel fixiert, erfüllt diese Funktion gut. So dreht sich die betroffene Person sofort wieder weg von der Problemposition und nicht erst, wenn eine schmerzhafte Reizung der Nerven die Positionsänderung erzwingt.


Bei unserer Patientin beeinflusst diese Art der Steuerung der Schlafposition und das Verwenden eines etwas höheren Hirsekissens den Verlauf sehr direkt. Innerhalb von drei Wochen kommt es kontinuierlich zu einer stabilen Besserung. Entscheidend ist offensichtlich, dass durch das Vermeiden der nächtlichen Nervenirritation auch eine Physiotherapie nun nicht nur kurzzeitige, sondern auch nachhaltige Veränderungen bewirken kann.


Dr. med. Christoph Reich-Rutz,
Zürich


Facharzt Rheumatologie und
Manuelle Medizin


> www.christophreich.ch

Blasinstrumente –
Musiker im Stresstest

Die Anforderungen an Lunge und Musiker sind beim Einsatz von Blasinstrumenten hoch. Ihr Spiel ist, richtig gemacht, trotzdem gesund für Körper und Seele.


Bläser und Bläserinnen sind hochspezifisch trainierte Musiker. Auf ihrem Instrument erzeugen sie unter physischer Höchstleistung feinste Kunst. Dabei leben sie täglich die Einheit von Leib und Seele vor. Wenn im Folgenden von Drucken, Flüssen und Koordination die Rede ist, dann soll nicht vergessen werden, dass die meisten Probleme in der pneumologischen Musikersprechstunde die Atmung und nicht einfach die Lunge betreffen. Die physikalischen Grössen sind wichtig, beschreiben aber das Atmen nicht ausschöpfend. Mehr noch als im Sport, verlangt die Musik den Einsatz der Seele. Oft wirkt sie nach Unfällen, bei Überforderung, Angst, Erschöpfung oder Übernutzung störend mit. Deshalb arbeiten beim Atmen Mediziner in einem engen Verhältnis mit Berufen zusammen, welche die seelische oder mentale Funktion im ­Fokus haben.


Höchstleistungen des
Atemapparats


Das Blasen ist jedem gesunden Menschen gegeben. Er kann eine Kerze ausblasen oder eine Pusteblume zerpusten. Man erzeugt einen Druck durch die Ausatem-Muskulatur (Brustkasten) unter Stabilisierung der Einatem-Muskulatur (Zwerchfell) und kontrolliert im Rachen/Kehlkopf den Druck und Fluss. Sänger formen hier bereits die Töne (Schwingungen), Trompeter etwas später mit den Lippen und Holzbläser in Blatt oder Rohr. Die Sache wäre also recht einfach. Die Kunstform verlangt aber Virtuosität und damit Höchstleistungen.


Häufiges Nachfragen bestätigt: die Kenntnis technischer Daten ist nützlich. Der mittlere Druck wird mit dem Mass «Millimeter Quecksilbersäule» beschreiben (mmHg) und beträgt beim Pfeifen etwa 5 mmHg, beim Sprechen 10 mmHg, beim Ausblasen einer Kerze (auf 50 cm) 20 mmHg und beim Luftballonaufblasen 60 mmHg. Die Flöte verlangt einen minimalen Anblasdruck von 0.5 mmHg (mittlerer Druck 1-6 mmHg), die Oboe aber 28 mmHg (mittlerer Druck 30-48 mmHg). Die Oboe verlangt eine maximale Flussrate von etwa 150 ml/s (Milliliter pro Sekunde), wo die Flöte 612 ml/s braucht. Die Tuba dagegen verlangt dem Musiker 1700 ml/s ab. Der maximale Anblasdruck bei der C-Trompete liegt bei 120-130 mmHg und bei der Piccolotrompete gar bei 170-180 mmHg. Der Anblasdruck nimmt in Abhängigkeit von Lautstärke und Frequenz der erzeugten Töne zu.


Dürfen kleine Kinder Trompete spielen? Ja! Weil bei 7 mmHg (minimaler Anblasdruck) schon ein Ton entsteht und im Mittel 13-42 mmHg ausreichen, um einfache aber schöne Musik zu machen. Niemand wird also dem Kind das Ausblasen der Kerze verbieten (60 mmHg). Wer aber Sinfonien von Mahler und Strauss oder ein Brandenburgisches Konzert spielt oder Leadtrompeter in der Bigband sein will, der wird die oben erwähnten Spitzendrucke erbringen müssen. Es ist, was alle Musiklehrer wissen, nicht das Instrument, sondern die Literatur und die Spieltechnik entscheidend.


Bläser haben grosse Lungen


In den 60er-Jahren wurden in mehreren Studien viele Daten (auch die obigen Druckwerte) gemessen. Die Lungenausmessung bei Bläsern/Sängern vs. gesunde Kontrollen zeigten im Schnitt 1 Liter mehr Gesamtvolumen und einen ½ Liter mehr Erstsekundenvolumen bei jungen Musikern als bei Nichtmusikern. Dieser Vorteil verlor sich aber bei den 45- bis 54-jährigen Musikern. Der Grund? Zigarettenkonsum machte alles Trainieren zunichte.


Atmen ist nicht gleich Atmen. Jeder Yogi oder Meditierende weiss und lebt das. Beim Musizieren atmet man anders. Musiker atmen nach der Musik, nach Phrasen. Meistens atmen sie lang und langsam aus, um dann an geeigneter Stelle rasch die für die nächste Phrase richtige Luftmenge einzuatmen. Man denke an die unterschiedlichen Flussraten der Instrumente (siehe oben). Es wird klar, dass eine Tubistin anders atmen muss als ein Oboist.


Es gibt wenige Erkrankungen oder Verletzungen der Atemorgane, die durch das Musizieren entstehen. Oft finden sich wie anfangs beschrieben Atemstörungen, wenn Leib und Seele nicht mehr im Gleichgewicht sind. Am weitaus häufigsten sehen wir in der Sprechstunde Lungenerkrankungen oder Verletzungen die das Musizieren stören. Es scheint als hätten die Blasmusiklehrer ihre Arbeit gut gemacht.


Dr. med. Peter Jules Gerber, FCCP


Lungenpraxis Bern West


Holenackerstrasse 85/B 04


3027 Bern


www.lungenpraxisbernwest.ch


Tel.: 031 992 55 56, Fax: 031 991 86 24


pj.gerber@hin.ch

Musiker mit
Hörgerät?
Völlig unmöglich

Wären in einem Orchester
alles Brillenträger, würden wir uns nichts dabei denken. Ein Orchester voller Hörgeräteträger, da wären wir wohl etwas irritiert. Tatsächlich ist das Thema Hörminderung ein schwieriges für Musiker.
Modernste Technik bietet aber auch für sie gute Lösungen.


Musiker sind in ihrer täglichen Arbeit Schallpegeln ausgesetzt, die ab einer gewissen Dosis hörschädigend wirken. Und damit wird für die Ohren leider auch Mozart irgendwann zu Lärm. Vieles wird unternommen, um sie vor Hörschädigungen zu schützen, und es gibt gute, klangneutrale Gehörschütze, sowohl solche ab der Stange, als auch massgeschneiderte. Das Problem ist allerdings, dass sehr leise Musik quasi aus dem Nichts aufsteigt, und um solche Passagen und Einsätze hundertprozentig präzise zu hören, ist vielen schon ein geringer Gehörschutz zuviel.


Dumm nur, wenn im nächsten Satz das Orchestertutti Lautstärkepegel von 90 oder 100 dB produziert. Was dann passiert, nennt der Ohrenarzt die «c5-Senke»: eine lärmbedingte Hörminderung, die sich am stärksten im Bereich des fünfgestrichenen c bei etwa 4000 Hz manifestiert. Also genau dort, wo die für das Sprachverstehen wichtigen Konsonanten angesiedelt sind. Ist das Gehör dort geschädigt, wird der Tisch zum Fisch und der Fluss zum Kuss, was zu peinlichen Situationen führen kann.


Ein schwieriger Schritt


Es ist bekannt, dass Betroffene über Jahre versuchen, ohne Hörgeräte auszukommen. Sie entwickeln unterschiedliche Strategien, den Hörverlust zu vertuschen: eine davon ist, schwierige Situationen zu meiden, wie beispielsweise die akustisch berüchtigte Cocktail-Party. Wenn «normale Menschen» sich schon so schwer tun, Hörgeräte zu tragen, wie ungemein schwieriger muss dann für Musiker die Vorstellung sein, mit Hörgeräten vors Publikum zu treten? Für viele fast undenkbar.


Moderne Hörsysteme sind sehr klein und können ¬– die entsprechende Frisur vorausgesetzt – fast perfekt versteckt werden. Wer nicht über die nötige Haarpracht verfügt, für den sind die Geräte allerdings nicht so unscheinbar. Entweder sie sitzen hinter den Ohren, mit einem Schläuchlein in den Gehörgang, oder sie sitzen direkt im Ohr. Aber man sieht sie dort leider oft noch, weil die Elektronik doch zu gross ist für den Gehörgang.


100 Prozent unsichtbar


Seit neustem gibt es nun aber wirklich hundertprozent unsichtbare Hörsysteme. Diese werden vier Millimeter vor dem Trommelfell platziert und bleiben dort bis zu vier Monate, Tag und Nacht. Sie sind im Gegensatz zu herkömmlichen Hochleistungs-Hörsystemen mit relativ wenig Technik und Funktionalitäten ausgerüstet. Sie arbeiten mit der sogenannten «Wide Dynamic Range Compression», nach welcher die Verstärkung ständig an die akustische Umgebung angepasst wird.


Man muss sich das so vorstellen, dass Signale in leiser Umgebung überproportional angehoben werden, und dass in lauter Umgebung die Signale mittels Kompression gedämpft werden. Für den Hörgeschädigten hat das den zweifachen Vorteil, dass leise Signale gehört werden und dass laute aber nicht als unangenehm empfunden werden. Die maximale Lautstärke, welche die Geräte über die gesamte Frequenzbreite erzeugen, liegt bei 103 dB. Das bedeutet, dass ein fulminantes «Grande Finale» mit den Geräten etwas weniger laut sein wird als in der Realität. Denn durch den tiefen und akustisch dichten Sitz der Geräte wirken sie schon fast als Gehörschütze.


Nicht jeder Musiker oder Musikgeniesser wird diese Einschränkung akzeptieren. Wer kein Problem damit hat, dass man seine Hörsysteme sieht, für den stehen sehr leistungsfähige Technologien zur Verfügung, welche Eingangspegel von bis zu 106 dB verarbeiten können. Wichtig ist, dass man sich professionell beraten lässt und zusammen mit dem Hörakustiker die Programmierung anhand der eigenen Musik vornimmt. Das braucht Spezialwissen und die entsprechende Infrastruktur.


Wer nicht will, dass man von seiner Hörhilfe irgend etwas sieht, den kann ich bestens verstehen. Während 15 Jahren habe ich selber herkömmliche Hörsysteme getragen, bis ich auf diese neuen, unsichtbaren umgestiegen bin. Ich habe Verständnis für alle, die sich eine diskrete Lösung wünschen.


So oder so, wer die Ansagen des Dirigenten oder das Pianissimo seiner Kollegen nicht mehr hört, der sollte schleunigst etwas unternehmen.


> www.stueckelberger-
hoerberatung.ch

Alexandertechnik – gelassen ans Ziel

Eine 27-jährige Cellistin wünscht sich weniger Verspannungen und Steifheit. Die Anwendung der Alexandertechnik gibt ihr Impulse für ein lebendigeres, gelösteres, schmerzfreies Musizieren und für mehr Gelassenheit.


N. ist seit einem halben Jahr mit einer 100-Prozent-Stelle im Orchester tätig. Sie übt und probt zur Zeit schwierige Orchesterstücke und klagt, sie habe Schmerzen in Schultern und Nacken. In der ersten Stunde bespreche ich mit ihr den Zusammenhang zwischen Situationen, Gedanken und körperlichen Empfindungen.


Gewahrwerden und Innehalten


Um diesen Verknüpfungen auf die Spur zu kommen, braucht es eine feine, freie, sinnliche Aufmerksamkeit. Ich gebe N. einen Beobachtungsbogen mit. In der nächsten Stunde erzählt sie: «Beim mich Beeilen mit dem Cello auf dem Rücken fühlte ich mich hektisch, atemlos und verkrampft in Rücken und Nacken. Dieses achtsam werden während des Tuns hat angenehm und beruhigend gewirkt».


In der dritten Stunde ist N. etwas betrübt, weil sie realisiert, «wie ich mich immer wieder verkrampfe». Ich empfehle ihr, im Buch Der Gebrauch des Selbst von F. M. Alexander das Kapitel über seine eigene Geschichte zu lesen. Er beschreibt darin Entwicklung und Methodik seiner Technik. N. wird nach der Lektüre amüsiert sein über die menschliche Sturheit, auf eingefleischten Mustern zu beharren.


Umgang mit sich selbst


Ich weise sie an, sich auf den Tisch zu legen. Durch meine Führung mit Händen und Worten entspannt sie sich, was sie als sehr wohltuend wahrnimmt. Nach etwa zwanzig Minuten soll sie sich aufsetzen, während der Bewegungen achtsam sein und unnötige Anspannungen vor allem der Halsmuskulatur sein lassen. Um ungeeignete Anspannung wahrzunehmen, ist es anfangs von Vorteil, Bewegungen langsam auszuführen. Mit der Zeit kann die Qualität von Bewegung auch bei schnellerem Tempo beurteilt werden. N. rollt sich auf die Seite, schiebt die Beine über die Tischkante und setzt sich auf.


Ihr Sitzen auf dem Tisch ist jetzt sehr aufrecht und gleichzeitig gelassen. Das Heben der Arme empfindet sie als unbeschwert und spielerisch. Wie ich sie anweise, eine kurze musikalische Sequenz ohne Bogen «in der Luft zu spielen», spannt sie ein wenig den Hals an, fällt auf der rechten Brustkorbseite leicht zusammen und als Kompensation hebt sich die rechte Schulter. Erst durch meine Frage, wie ihre rechte Seite und ihr Hals auf das Heben des Arms antworten, realisiert sie es. Sie bemerkt auch, dass ihr Arm nicht mehr ganz so frei ist wie zuvor. Mit Händen und Worten erarbeite ich mit ihr, sich beim Heben des Arms nicht auf das Ziel «Musizieren» zu fixieren, sondern das Ziel anzustreben und gleichzeitig den Mitteln zu dessen Erreichung Beachtung zu schenken.


Anweisungen


In der vierten Stunde arbeite ich mit N. im Sitzen und am Instrument. Sie beanstandet, dass sie immer noch nicht über eine souveräne Kontrolle des Bogenarms verfüge und ihr Klang dadurch beeinträchtigt sei.


Ein günstiger Umgang mit der Gesamtheit des Organismus bedeutet ein gutes Gleichgewicht von Spannung und Entspannung und ein Arbeiten mit der Situation entsprechend angepasstem Energieaufwand. Musizieren setzt Muskelspannung am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, während der richtigen Dauer und in der richtigen Dosierung voraus. Ns Becken ruht nach hinten gekippt auf dem Stuhl. Ich arbeite mit ihr nicht direkt am Bogenarm, sondern es ist mein Ziel, Kopf, Hals, Rumpf und ihre Beine besser ins Lot zu bringen.


Wenn sie «eine gute Haltung» sucht, spürt sie bald einen altbekannten Schmerz im Kreuz. Ich lasse sie erfahren, wie sie auf den Sitzhöckern wie auf Kufen balancieren kann. Damit dies möglich ist, braucht es Freiheit in den Hüftgelenken. Ich frage N nach deren genauem Ort. In ihrer Vorstellung liegen die Hüftgelenke sehr viel höher als in Wirklichkeit. Sie betrachtet mein kleines Kunststoff-Skelett und ist erstaunt, wie beweglich ihr Becken reagiert und ihre Füsse einen besseren Kontakt zum Boden finden, wenn sie ihr Körperbild der Wirklichkeit anpasst.


Diese Aufrichtung im Becken ergibt einen höheren Tonus im Unterbauch, gleichzeitig entspannen sich Schultern und Halsmuskulatur. Ns rechter Arm fühlt sich nun in meinen Händen beweglich, entlastet und lebendig an. «Es ist, wie wenn mein Körper auftauen würde», sagt sie.


Neue Ausrichtung


In der fünften Lektion freut sich N, dass es ihr immer wieder gelungen ist, die in unseren Stunden gemachten Erfahrungen zu nutzen und zu integrieren. Sie verspüre mehr Energie und Freude und ab und zu ein neues Eins-Sein mit dem Instrument. Nach einer berufsbedingten Pause werden wir in zwei Monaten unsere Arbeit vertiefen. Wir werden dann zusätzlich zur Handhabung des Instruments an verschiedenen Bewegungsabläufen des Alltags wie auch mit dem Atem und den Augen arbeiten.


> www.sylvia-baumann.ch

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