Musik gegen Burnout

Musiker sind vielen Burnout-Risiken ausgesetzt – doch Musik ist auch wirksam gegen Burnout.

Felicitas Sigrist — Leistungsdruck, Lampenfieber, Konkurrenz, Arbeitsplatzunsicherheit: Im Musikeralltag kumulieren Arbeitsumstände, die als Risikofaktoren für Burnout-Entwicklung wohlbekannt sind. Die Arbeitszeit ist mit Blick auf solche Faktoren weniger relevant als unerfüllte Erwartungen, ausbleibende Anerkennung und zwischenmenschliche Unstimmigkeiten. Oft löst eine Kumulation von beruflichen und privaten Belastungen die Dekompensation aus.

Als Momentaufnahme zeigt sich Burnout als Erschöpfung mit unspezifischen Symptomen auf emotionaler, geistig-mentaler, körperlicher und sozialer Ebene – zum Beispiel Lustlosigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Infektanfälligkeit, sozialer Rückzug oder Reizbarkeit. Dieser Zustand mündet oft in psychische oder körperliche Folgekrankheiten, meist in eine Depression. Voran geht ein Prozess von Wechselwirkungen zwischen arbeitsbezogenen und personenbezogenen Faktoren. Die äussere Anforderung wird mit der Selbstaufforderung «ich schaff’ das» übernommen – oft unreflektiert. Zwischenmenschliche Konflikte werden vermieden.

Ist eine Herausforderung erfolgreich bewältigt, wird man mit der nächsten, vielleicht grösseren Aufgabe betraut. Werden dazu erholsame Tätigkeiten reduziert, führt dieser Zyklus unweigerlich zur Überforderung. Als Selbstschutz vor Kränkung wird dies nicht anerkannt – hier werden innerseelische Konflikte vermieden. Stattdessen wird die Leistungsminderung mit Einsatzsteigerung beantwortet – also mehr desselben. Bei schwindenden Energien wächst die Aufgabe in der subjektiven Wahrnehmung. Da bei erhöhtem Stress neue Strategien immer unwahrscheinlicher werden, lässt sich diese Burnout-Spirale kaum mehr aufhalten.

Besonders gefährdet sind selbstunsichere, emotional labile Menschen, welche die Aussenwelt als wenig beeinflussbar erleben und bei zunehmendem Stress unflexibel reagieren. Da diese persönlichen Risikofaktoren oft mit früheren Beziehungserfahrungen zusammenhängen, kann Burnout als Resonanzstörung erklärt werden. Einzelpersonen haben wenig direkten Einfluss auf Rahmenbedingungen. Umso wichtiger ist es, souveränen Umgang mit diesen zu pflegen.

Musik ist in mannigfaltiger Weise wirksam gegen Burnout. Gesundheitsfördernde Aspekte der Musik sind wissenschaftlich gut belegt. Für Musiker ist doppelt bedeutsam: zur Selbstfürsorge und bei der Musikvermittlung. Musik beeinflusst Stimmungslage und vegetatives Nervensystem unmittelbar. Sie kann spezifisch sowohl entspannend als auch aktivierend genutzt werden – allerdings nur bei Berücksichtigung der individuellen Musikbiographie. Mit bewusstem Musikhören kann das Erregungsniveau gezielt beeinflussen werden – zur Entspannung, Konzentrationsförderung oder Aktivierung – und somit der Emotionsregulation dienen. Wird Musik jedoch missbraucht, etwa als Aufputschmittel, so kann sie auch in die Burnout-Spirale hineintreiben. Musik als Medizin wird therapeutisch meist als Entspannungsverfahren eingesetzt, um Ruheinseln zu schaffen. Entspannung und eine achtsame Haltung sind Voraussetzungen für neurologische Lernprozesse – auch in psychotherapeutischen Behandlungen.

Aktives Musizieren eignet sich als Ausgleich – sofern es nicht leistungsorientiert ist, sondern erlebnisorientiert bleibt. Neben multiplen biologischen Effekten des Musizierens sind zur Vorbeugung von Burnout besonders die sozialen Aspekte wichtig. Zusammenspiel ermöglicht Begegnungen ausserhalb des Arbeitsumfeldes, unabhängig von der beruflichen Rolle beziehungsweise Identität. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Zugehörigkeit sowie die Verbesserung sozialer Kompetenzen stärken die Persönlichkeit. Musikvermittlung, insbesondere im Amateurbereich, hat ihre Berechtigung daher nicht nur der Kunst wegen, sondern auch als wirkungsvolle Prophylaxe.

Schliesslich wird Musik als Medium in der Musiktherapie eingesetzt, die als psychotherapeutisches Verfahren in der Burnout-Behandlung bewährt ist. Kernpunkt ist dabei ein konstruktiver Umgang mit den zwischenmenschlichen und innerseelischen Konflikten, musikalisch gesprochen mit Dissonanzen.

Dr. med. Felicitas Sigrist

… ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, Musik-Psychotherapeutin MAS/SFMT, leitende Ärztin Privatklinik Hohenegg, Meilen bei Zürich, Schwerpunkt Burnout und Belastungskrise.

Literaturhinweis

Sigrist F. (2016) Burnout und Musiktherapie. Grundlagen, Forschungsstand und Praxeologie. Reichert-Verlag, Wiesbaden 2016.

Vom Glücksgefühl im Flow

An ihrem 14. Symposium ist die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin in Bern den speziellen Bedürfnissen aus reiner Liebhaberei Musizierender nachgegangen.

SMM — Wie grenzt man heute Profis und Amateurmusiker ab? Dass die Grenzen fliessend sind, daran erinnerte im Grossen Saal der Hochschule der Künste in Bern (HKB) der Valenser Neurologe Jürg Kesselring. Musikalische Kompetenz und Anteil am Bestreiten des Lebensunterhalts gehen dabei die vielfältigsten Beziehungen ein. So gibt es den ausgebildeten Profi, der die Musik bloss nebenbei betreibt, genauso wie den technisch eher auf bescheidenem Niveau Agierenden, der seine Existenz dennoch vollständig mit der Musik bestreitet. Tatsächlich, so kristallisierte sich an der Tagung heraus, scheint der markanteste Unterschied in der Haltung der Musik gegenüber zu liegen: «Nur beim Dilettanten», zitierte Kesselring dazu Egon Friedell, «decken sich Mensch und Beruf».

Musik als Freizeitbeschäftigung wird vermehrt zum Sehnsuchtsort. Andreas Cincera, der Studienleiter an der HKB Weiterbildung Musik, zeigte denn auch auf, dass die Nachfrage nach Erwachsenen-Unterricht zunimmt. Bedeutende Rollenvorbilder dürften dabei halbprofessionelle Ensembles bilden, die – vor allem in der zeitgenössischen Volks- und Weltmusik – zur Zeit einen Boom erleben. Die Musikschulen schöpfen das Potential noch nicht aus und beginnen auch erst jetzt so richtig, darüber zu reflektieren, wie die idealen Vermittlungsformen auszusehen hätten. Möglicherweise, so Cincera, sollte für Erwachsene das Erlebnishafte und Niederschwellige gegenüber der intensiven handwerklichen Schulung, wie sie für Heranwachsende wichtig und sinnvoll ist, höher gewichtet werden.

An der HKB wird in Form eines CAS (Certificate of Advanced Studies) an künftige Lehrpersonen das entsprechende Wissen vermittelt: Die Studierenden werden von renommierten Experten und Expertinnen unterrichtet und über Chancen und Grenzen musikalischen Lernens von Erwachsenen bis hin zur Hochaltrigkeit in- formiert.

Ein Privileg der Amateure ist es zweifelssohne, dass sie sich – ganz im Sinne Friedells – dem sogenannten «Flow», einem tranceartigen Zustand des vollkommenen Einsseins mit der Musik, uneingeschränkt hingeben können. Die Theorie dazu lieferte am Symposium der Bremer Musiker und Psychologe Andreas Burzik. Sie geht zurück auf den amerikanischen Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi. Burzik zeigte namentlich die Aspekte des Übens im Flow auf: Der bewusst wahrgenommene Tastsinn schafft den Kontakt zum Ins-trument, das aufmerksame Hören den Kontakt zum Klang und der Bewegungssinn, respektive das Gefühl der Anstrengungslosigkeit den Kontakt zum Körper; das achtsame Herangehen an das Übematerial weckt schliesslich die Lust am Erforschen, Erkunden, Entdecken. Vorbild bleibt dabei die «unbewusste Mühelosig- keit des Kindes».

In Sachen Technik und physischen Belastungen stehen Profis und ambitionierte Amateure durchaus vor gleichen Herausforderungen. Dem trugen am Symposium Beiträge zu Stimme, Haltung und Körperlichkeit Rechnung. Salome Zwicky vom SingStimmZentrum Zürich ging in einem Referat den Grenzen vokaler Belastung nach; die Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Nicole Martin Rieder widmete sich in einem Workshop der Theorie und Praxis des Atmens und in einem weiteren Workshop beschäftigten sich die Physiotherapeutinnen Marjan Steenbeek und Sibylle Meier Kronawitter dem Zusammenspiel der Körperpartien beim Musizieren.

14. Symposium der SMM, Der Amateurmusiker – Zwischen krankem Ehrgeiz und gesundem Vergnügen, 29. Oktober 2016, Hochschule der Künste Bern, Grosser Saal.

Performing Arts Medicine Association Musikermedizin weltweit

An der Pama Tagung (Performing Arts Medicine Association ) diskutierten Fachleute in New York City aktuelle Fragen der Musikermedizin.

SMM — The Performing Arts Medicine Association (PAMA) ist 1988 von einer Gruppe Medizinern gegründet worden, die sich zuvor isoliert mit Gesundheitsproblemen von Musikern und Tänzern beschäftigt hatten.

Die ersten Kontakte wurden bereits 1983, anlässlich eines Symposiums zu Gesundheitsaspekten des Musizierens in Aspen (Colorado) geknüpft. 1986 wurde in der Folge mit der Fachzeitschrift «Medical Problems of Performing Artists» eine erste gemeinsame Publikationsplattform geschaffen. Symposium und Zeitschrift wurden massgeblich von Alice Brandfonbrener, der Gründungspräsidentin der PAMA gepägt.

Mittlerweile kommen rund ein Fünftel der PAMA-Mitglieder von ausserhalb der USA. Neben Medizinern sind dies heute auch weitere Gesundheitsspezialisten sowie Künstler, Verwaltungsfachleute und Pädagogen.

Martina Berchtold-Neumann — Dank der grosszügigen Unterstützung durch die SIS (Schweizerische Interpretenstiftung) war es der Autorin im Juli dieses Jahres möglich, an der Pama Tagung in New York teilzunehmen. Pama ist eine Organisation, die sich um die Belange von ausübenden Musikern und Tänzern kümmert. Im Mittelpunkt stehen dabei die Prävention und Therapie von gesundheitlichen Problemen. Alle medizinisch relevanten Fachgebiete nebst psychologischen Wissenschaften und der Physiotherapie mit verwandten Verfahren werden in Forschung und Lehre mit einbezogen. Die Mitglieder von Pama sind über die ganze Welt verstreut. Rund 400 Teilnehmer, vorwiegend aus den USA, Kanada, aber auch aus Australien und Europa waren auf dem viertägigen Kongress versammelt. Der Kongress drehte sich vorwiegend um Musikermedizin. Die Tanzmedizin wurde integriert.

Ziel der Tagung

Selbstgestecktes Ziel der Organisatoren war, dass die Teilnehmer der Tagung einen umfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand der Musikermedizin erarbeiten und zusätzlich praktisches Handwerkszeug aus den Workshops mit in ihre tägliche Praxis nehmen können. Dieses Ziel wurde erreicht. Zu wählen war aus einem Angebot von unzähligen Vorträgen in der Regel im 15-Minuten-Takt, die parallel in drei Hörsälen abgehalten wurden. Die Vorträge waren gedacht als Inputs, um die Themen dann jeweils später im Selbststudium zu vertiefen. Ebenfalls parallel dazu gab es 45-minütige Workshops. So war es nicht einfach, aus den durchweg ansprechenden Beiträgen das für sich Wichtige auszuwählen. Zwangsläufig wurden dabei leider ebenfalls interessante Sitzungen versäumt.

Unterm Strich bemerkenswert ist, dass die Musikermedizin in allen vertretenen Ländern etwa den gleichen Entwicklungsstand aufweist. Sowohl die Probleme als auch deren Lösungen sind in in etwa vergleichbar. Auch die Forschungsfragen und wissenschaftlichen Settings sind in ähnlicher Weise aufgebaut.

Gegenstand der Beiträge waren beispielsweise Studien zu muskuloskelettalen Erkrankungen, physiologische Studien zur Streicher- und Bläserhaltung, zum Gehör, zum psychologischen Themenbereich der Angst und des Stresses und zur geeigneten physiotherapeutischen Behandlung. Die Mehrzahl der dementsprechenden Studien war rund um das Schmerzgeschehen von Musikern konzentriert. Dies scheint auch international ein wesentliches Hauptthema der Musikermedizin zu sein, was wir ja auch aus den hiesigen Studien bereits wissen. Freilich wurden auch speziell amerikanische Themen berührt, wie etwa die Armut der «New Orleans Jazzmusiker» im Allgemeinen und im Speziellem nach dem Hurrikan Katrina. In New Orleans zum Beispiel wurde durch Sponsoren eine Klinik eingerichtet, in der Jazzmusiker kostenlos behandelt werden, da sie wegen Armut in der Regel nicht krankenversichert sind.

Wo steht die Musikermedizin?

Die Wissenschaft der Musikermedizin ist noch sehr jung und wird von Pionierleistungen der daran Beteiligten geprägt. Man hat das Gefühl, dass aus dem vielfach auch individuell begründeten Interesse der Teilnehmer eine Wissenschaft mit viel Herzblut entstanden ist, die sich weiter entwickelt. Hier wird mit Praxisbezug gearbeitet und geforscht. Es werden Lösungen für Künstler gesucht, damit diese ihrem Beruf besser und gesünder nachgehen können. Aufgrund des immer kompetitiver werdenden Musikbetriebs ist diese Forschung und deren Anwendung in der Praxis absolut notwendig. In unserer Anstrengung für die Arbeit in der Musikermedizin wurden wir bestätigt. Es war schön und motivierend zu sehen, dass es über die ganze Welt verteilt Kollegen gibt, die auch unser Anliegen vertreten und bereit sind, in den kollegialen Austausch zu treten, um voneinander und miteinander zu lernen. Vielen Dank an die SIS sowie an alle Mitstreiter und Mitstreiterinnen mit viel Engagement in der SMM.

Martina Berchtold-Neumann

… ist Präsidentin der SMM, Diplompsychologin, Stein am Rhein

Musik als schönste Nebensache der Welt

Auch wenn Musik nicht Beruf ist, können Gesundheits-aspekte wichtig sein. Ihnen widmet sich im Oktober das 14. Symposium der SMM.

SMM — Das Symposium, das dieses Jahr in den Räumen der Hochschule der Künste Bern (HKB) durchgeführt wird, deckt eine breite Palette an gesundheitlichen Aspekten ab. Auch die Liebhaber und Liebhaberinnen der Musik, die sich ungeachtet finanziellen Drucks dem Hobby widmen können, sehen sich einer Vielzahl physischer und psychischer Herausforderungen gegenüber: Selbst ohne Anspruch auf professionelle Spitzenleistungen sind sie gefordert, Technik und Ausdruck klug zu schulen oder mit fortschreitendem Alter Körper und Geist für die klingende Kunst fit zu halten. Die Zeit und Energie, die Profis zu investieren in der Lage sind, fehlt Amateuren angesichts sonstiger beruflicher Belastungen dazu allerdings oft.

Andreas Cincera, der an der HKB als Studienleiter Weiterbildung Musik amtet, fragt sich, ob es in einem qualitativ «guten» Musikunterricht einen Unterschied macht, ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsene am Lernen sind. Welche fachlichen, körperlichen, emotionalen und anderweitigen Herausforderungen sind bei Erwachsenen häufiger anzutreffen? Wie werden diese genussvoll und gesundheitsfördernd bewältigt? Und der Bremer Psychologe und Musiker-Coach Andreas Burzik zeigt auf, wie Üben im Flow als Übemethode die Unbefangenheit des Amateurs mit der extremen Genauigkeit des Profis verbinden und so die neurobiologischen Anforderungen an ein ideales Lernfeld erfüllen kann.

Die Fachärztin FMH ORL Salome Zwicky vom SingStimmZentrum Zürich erörtert die Faktoren, die über die Qualität einer Stimme entscheiden – mit der Einsicht, dass Stimmstörungen nicht immer Folge intensiven Gebrauchs sind, und auch nicht immer eine schlechte Technik Ursache sein muss. Der Neurologe Jürg Kesselring wiederum stellt in Frage, ob die Trennung zwischen Profis und Amateuren wirklich scharf ist. Er macht darauf aufmerksam, dass es einerseits voll ausgebildete, professionelle Musiker gibt, die von ihrem Beruf nicht leben können und daher einem anderen Lebensunterhalt nachgehen, und anderseits auch nicht- oder nur nebenberuflich ausgebildete Amateure, die ihren Lebensunterhalt durch Musik bestreiten. Die (Aus-)Bildungsvoraussetzungen sind, so Kesselring, in der Musik, wie in vielen künstlerischen Berufen, nicht alleine ausschlaggebend für den Erfolg und schon gar nicht für die Freude, die sich in der Ausübung ergibt.

In drei Workshops widmen sich am Symposium Andreas Burzik, die Atem-, Sprech- und Stimmlehrerin Nicole Martin Rieder sowie die Physiotherapeutinnen Marjan Steenbeek und Sibylle Meier Kronawitter der Atmung, dem Üben im Flow und der richtigen Körperhaltung beim Musizieren. Rieder beleuchtet die Systeme und Regelkreise, über welche die Atmung auf Stimme, Aufrichtung und Haltung sowie das vegetative Nervensystem wirken und macht die Zusammenhänge mit praktischen Übungen am eigenen Körper erlebbar. Burzik zeigt im Rahmen einer Unterrichtsdemonstration die vier Prinzipien des Übens im Flow: ein besonderer Kontakt zum Instrument, die Entwicklung eines speziellen Klangsinns, das Gefühl der Anstrengungslosigkeit im Körper sowie der spielerische Umgang mit dem Studienmaterial. Steenbeek und Meier Kronawitter schliesslich erörtern die Anatomie der verschiedenen Körperabschnitte und zeigen, wie anhand von Bewegungen ihre Wahrnehmung geschult werden kann.

Musizieren, eine Herzenssache

Was ist beim Musizieren im Hinblick auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu beachten?

Sebastian Barth, Sebastian Kerber — Die Sensibilität für Musikererkrankungen besteht erfreulicherweise seit vielen Jahren. Dabei werden insbesondere Erkrankungen, die den Musiker in der Ausübung seines Instrumentes einschränken, frühzeitig erkannt und entsprechend behandelt. Zu diesen Erkrankungen gehören z.B. orthopädische Probleme, neurologische Störungen, die Musikerdystonie und das Lampenfieber. Kardiovaskuläre Aspekte blieben hingegen relativ lange unbeachtet.

Historisch betrachtet mussten berühmte Musiker unterschiedlicher Stil-Epochen verschiedenste Erkrankungen erleiden. Dabei spielten nicht selten kardiovaskuläre Erkrankungen eine Rolle. Arnold Schönberg erlebte selber eine Reanimation, die zum damaligen Zeitpunkt noch durch eine heroische Injektion direkt ins Herz erfolgreich war. Thorakale Schmerzen sind ein häufiges Leitsymptom für Herzkreislauferkrankungen. Seit einiger Zeit ist mit der Tako Tsubo-Kardiomyopathie eine wichtige Differentialdiagnose dazugekommen. Dabei kommt es stressinduziert zu einer Herzleistungsschwäche, die im Extremfall zu einer intensivmedizinischen Behandlung führen kann. Insbesondere bei exponierten Musikern kann dieses Krankheitsbild durch exzessiven emotionalen und physischen Stress ausgelöst werden. Besonders häufig betroffen sind post-menopausale Frauen (80 Prozent der Patienten), wobei die Prognose insgesamt mit einer Krankenhausmortalität von 1 bis 3 Prozent gut ist.

Die «Volkskrankheit» Bluthochdruck spielt bei aktiv Musizierenden eine grosse Rolle. Zahlreiche Musikergruppen sind erheblichen Blutdruckanstiegen ausgesetzt, da Proben- und Auftrittssituationen erhebliche Stress-Situationen darstellen. Besonders exzessive Blutdruck- und Herzfrequenzanstiege sind bei Bläsern dokumentiert worden.

Aufgrund der fortschreitenden Überalterung der westlichen Welt gewinnt die Diagnostik und Therapie der Herzinsuffizienz zunehmend an Bedeutung. Neben ihrer prognostischen Bedeutung führt sie ähnlich wie eine Depression oder Dialysepflichtigkeit zu einer erheblichen Einbuße an Lebensqualität. Unbehandelt hat die Herzinsuffizienz eine schlechte Prognose. Zur Festlegung des therapeutischen Vorgehens ist die Klärung der Grunderkrankung unentbehrlich. Zu den häufigsten gehören dabei die koronare Herzerkrankung, Herzklappenfehler, Bluthochdruck, Rhythmusstörungen und die Myokarditis.

Ein wichtiges Begleitsymptom der Herzinsuffizienz stellt die Depression dar, wobei weiterhin unklar ist, ob sie Folge oder Ursache der Herzinsuffizienz ist. Bei depressiver Grundstimmung wird daher eine weiterführende Diagnostik bezüglich einer zugrunde liegenden Herzschwäche empfohlen.

Aufgrund der weiterentwickelten Diagnostik- und Therapieverfahren in der invasiven Elektrophysiologie hat dieser Bereich der Kardiologie enorm an Bedeutung bei Musikern gewonnen. Die Einteilung der Herzrhythmusstörungen erfolgt dabei nach dem Ursprungsort (Vorhof oder Kammer) und der Frequenz (Tachykardie oder Bradykardie). Hervorzuheben ist dabei in erster Linie das Vorhofflimmern, welches die häufigste Rhythmusstörung darstellt. «Herzrasen», «Herzstolpern», Ohnmachtsanfälle, Schwindel oder Wärmegefühl sind dabei häufig geschilderte Symptome. Neben der Anamneseerhebung ist die EKG-Dokumentation von zentraler Bedeutung, um die Herzrhythmusstörung zu identifizieren. Die invasive elektrophysiologische Untersuchung bietet zusätzlich den Vorteil, diagnostizierte Herzrhythmusstörungen in gleicher Sitzung zu abladieren und damit den Patienten zu heilen. Die Abgrenzung somatischer Befunde von psychischen Problemen ist oft besonders schwierig. Nicht selten muss eine ambulante Diagnostik «am Arbeitsplatz» mit dem Instrument vor Ort erfolgen, um Herz-Kreislaufveränderungen oder Herzrhythmusstörungen situativ zu erfassen.

Diagnostik und Therapie werden dann gelingen, wenn neben einer breiten internistischen und kardiologischen Ausbildung ein hohes Mass an Sensibilität für die berufsspezifische Situation von Musikern und eine tiefgehende Kenntnis der Effekte des Instrumentes bestehen.

Dr. med. Sebastian Barth, Oberarzt Kardiologie, Herz- und Gefäss-Klinik Bad Neustadt

Prof. Dr. med. Sebastian Kerber, Chefarzt Kardiologie I Herz- und Gefäss-Klinik Bad Neustadt

Stimmentwicklung
 und Hormone

Hormone haben grossen Einfluss auf die Stimme, denn der Kehlkopf ist ein hormonsensibles Organ. Die grösste Rolle spielen dabei die männlichen Hormone.


Hormone sind biochemische Botenstoffe, die in speziellen Zellen produziert und über das Blut transportiert werden. Sie entfalten an verschiedenen Organen spezifische Wirkungen. In der Pubertät wachsen Kehlkopf und Vokaltrakt schnell und bei Knaben unter dem Einfluss der Androgene (der männlichen Hormone) noch ausgeprägter als bei Mädchen, bei denen der «Stimmbruch» meist nicht bemerkt wird.


Zwei Fälle aus der Praxis


Die fast fünfzehnjährige Mara nimmt seit mehr als einem Jahr Gesangsunterricht. Eine Musikmatura ist geplant. Seit einem halben Jahr geht das Singen gar nicht mehr, die Stimme ist deutlich tiefer geworden. Die Untersuchung zeigt höchstens eine leichte Rötung der Stimmlippen. Aber Mara hatte bisher noch keine Menstruation, das lässt an ein hormonelles Problem denken. Der Hormonspezialist weist dann auch ein Überwiegen von männlichen Hormonen nach. Bei Mara ist es also gewissermassen zu einem Stimmbruch gekommen, wobei die Stimme nicht wie bei Jungen um eine Oktave abgesunken ist, aber eben tiefer als die Mädchenstimme von Gleichaltrigen, die sich physiologischerweise um etwa eine Terz senkt.


Die Hormonstörung kann behandelt werden, aber die Stimme wird nicht mehr höher werden, die Virilisierung des Kehlkopfs ist nicht rückgängig zu machen. Vermutlich wird Mara wieder Zugang zur Singstimme finden können, wenn sich der Kehlkopf an die neue Situation gewöhnt, und dafür ist zunächst eine logopädische Stimmtherapie angezeigt. Aber in welcher Stimmlage singen möglich ist, und ob es für eine Musikmatura reichen wird, ist unsicher.


Der vierzehneinhalbjährige Mike sucht mich auf, weil er zwei Monate zuvor erkältet war und er seine Singstimme noch immer nicht wiedergefunden hat. Er singt solistisch in einem Ensemble als Mezzosopran. Er spricht mit einer etwas unnatürlich hohen, dünnen und brüchigen Stimme. Die Untersuchung zeigt einen reizlosen Kehlkopf, der aber bereits deutlich grösser ist als bei einem Kind.


Was liegt vor? Mike hat den Stimmbruch eigentlich schon durchgemacht, das heisst, das hormonell stimulierte Wachstum des Kehlkopfs hat stattgefunden. Aber durch die Pflege des hohen Singens ist er auch beim Sprechen in einer hohen Stimme hängen geblieben. Hier handelt es sich nicht um eine hormonelle Störung, sondern um eine fehlerhafte Anpassung an eine normale Entwicklung. Was nun?


Man nennt diese Stimmlage, die sich bei bereits weitgehend erfolgter Mutation noch nicht gefestigt hat, Cambiata. Die Sprechstimme des Knaben muss durch eine erfahrene Logopädin in die männliche Lage gesenkt und dort stabilisiert werden, denn das ständige zu hohe Sprechen strapaziert die Stimme und führt zu Stimmermüdung und Heiserkeit. Aus diesem Grund hat sich Mikes Stimme nach der Erkältung auch nicht erholt. Singen kann Mike vorläufig weiter hoch. Die Aufnahme eines Konzertes, das Mike einige Monate später mit der hohen Stimme wieder singen kann, klingt einwandfrei.


Mutationsstörungen


Wenn die Stimme trotz Wachstum hoch bleibt, spricht man von einer Mutationsstörung. Bei Männern ist diese pathologische Stimme höchst auffällig, aber durch Logopädische Therapie gut zu behandeln. Bei Mädchen mit Mutationsstörung kommt es erst viel später zu Stimmermüdung und Heiserkeit, und die Diagnose ist schwieriger zu stellen. Logopädie ist auch hier die Therapie der Wahl.


Mutationsstörungen sind ziemlich häufig. Echte hormonell bedingte Stimmstörungen, wie im Fall von Mara beschrieben, viel seltener. Wenn ein Jugendlicher nicht oder nur teilweise in die männliche Stimmlage kommt, ist eine Untersuchung beim Phoniater angezeigt. Senkt sich die Stimme eines Mädchens merklich ab, oder kann es überhaupt nicht mehr singen, ohne dass es vermehrt belastet oder früher für Stimmstörungen anfällig gewesen wäre, dann sollte auch das medizinisch überprüft werden.


Strategien gegen
 das Ausbrennen

Lampenfieberforschung und Burn-out-Prävention. Dies waren zwei der zentralen Themen am 13. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) im Grossen Saal der Musik-Akademie Basel zum Thema «Stress und Musizieren».


Stell’ dir das Publikum nackt vor. Nervösen Debütierenden ist in der Musikausbildung oft so ein Ratschlag mitgegeben worden, wenn sie mit Auftrittsängsten kämpften. Das wirkt in der Regel auch. Die Strategien zur Bekämpfung von Auftrittsängsten sind heute aber wesentlich differenzierter. Sie bedienen sich mehrheitlich derselben Taktik: Es gilt, bedeutungsschweren Aufgaben und Anspannungen mit Humor etwas von ihrer emotionalen Schärfe zu nehmen. Eine ganze Reihe solcher Vorgehensweisen explizierte die Münchner Pianistin und Musikpsychologin Adina Mornell am Symposium der SMM, das heuer dem Thema «Stress und Musizieren» gewidmet war und mit knapp 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einmal mehr überaus gut besucht war. Scheinbar unlösbare, beängstigende Aufgaben in lösbare und lustvolle zu verwandeln, schien dabei das Grundmuster. Unklare Ziele müssten etwa, so Mornell, durch klare Teilziele ersetzt werden. Zu hohen Selbstansprüchen wiederum könne durch «Selbstbehinderungen» die Spitze gebrochen werden: Extra weniger üben als möglich sei zum Beispiel geeignet, sich nach Fehlern sagen zu können, man hätte es ja besser gekonnt, wenn man nur…


Verbreitete Lampenfieber-Mythen rückte Horst Hildebrandt vom Schweizerischen Hochschulzentrum für Musikphysiologie ins rechte Licht. In Training und Beratung angehender Berufsmusiker mache man an den Musikhochschulen die Erfahrung, dass sehr viel, was Studierende zunächst als schicksalhafte Auftrittsängste erlebten, von weitaus den meisten mit geeigneten Mitteln des Selbstmanagements selber in den Griff bekämen. Nur sehr wenige der Ratsuchenden bedürften tatsächlich eines persönlichen Coachings oder gar einer Therapie. Hilfreich sei es, so Hildebrandt sinngemäss, sich bewusst zu werden, dass die meisten Begleiterscheinungen von Lampenfieber – Schwitzen, Herzklopfen, Einengung des Horizontes und so weiter – völlig normale Reaktionen auf ein öffentliches Ausgestelltsein darstellten. Letzteres werde evolutionär als Gefahrensituation beurteilt und der Körper entsprechend mobilisiert. Es gehe also nicht darum, solche Reaktionen zum Verschwinden zu bringen, sondern Techniken zu entwickeln, sich von ihnen nicht behindern zu lassen.


Praktische Strategien gegen Ängste, Stress und Überbeanspruchung boten zwei Workshops. Die SMM-Präsidentin Martina Berchtold-Neumann demonstrierte Hypnosetechniken und schickte ihr Publikum auf eine innere Reise – gefühlte fünf Minuten lang, während in Tat und Wahrheit zwanzig verstrichen. Und die Psychotherapeutin Ines Schweizer thematisierte die Angst vor der Angst, will sagen dem Lampenfieber, dass dieses erst zerstörerisch werden lässt. Wird man sich bewusst, dass sich Auftrittsängste auf zahlreichen Ebenen – den Gedanken, Gefühlen und dem Körper – äussern, wird es möglich, diese auch produktiv zu nutzen.


Der Kardiologe Sebastian Kerber wies in einem überaus humorvollen Beitrag darauf hin, dass der Fokus mit Blick auf Musiker-Erkrankungen zu Unrecht fast ausschliesslich auf dem Skelett und dem Nervensystem liegt. Dabei werde das Herz-Kreislaufsystem vernachlässigt. Musik ist in buchstäblicher Art auch eine «Herzensangelegenheit»: Zur gesamtheitlichen Gesundheitsvorsorge von Musikern gehört deshalb genauso auch die Diagnose von Blutdruck und Herzrhythmusstörungen. Auch in dieser Hinsicht lassen sich präventiv Massnahmen definieren.


Der Zürcher Psychologe Victor Candia wies schliesslich darauf hin, dass wir sehr viele Bewegungsmuster lernen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Viel virtuoses Können, etwa das Halten von Gleichgewicht beim Gehen, provoziert keinerlei mentalen Stress. Ganz anders im Falle des Musizierens, das wir bewusst erlernen müssen und das deshalb Quelle von mentaler Anspannung ist, die wiederum physischen Stress nach sich zieht. Hervorragend organisiert war das Symposium einmal mehr von der SMM-Gründerin Pia Bucher und gewohnt souverän moderiert vom Tessiner Arzt Adrian Sury.

Wie lernen
 Senioren?

Mechanismen der
Hirnplastizität beim
Musikunterricht im Alter.


Musik machen und Musik hören gehören zu den wichtigsten Freizeitaktivitäten. Musikalische Aktivitäten sind dabei schon lange nicht mehr auf das Kindes- und Jugendalter beschränkt, sondern eine steigende Anzahl von älteren Erwachsenen will erstmals ein Instrument erlernen. Deren Anteil stabilisiert sich schon seit vielen Jahren bei etwa 10 Prozent der Schülerbelegungen der Musikschulen.


Musizieren ist eine der anspruchsvollsten Leistungen des menschlichen Zentralnervensystems. Die koordinierte Aktivierung zahlreicher Muskelgruppen muss mit höchster zeitlicher und räumlicher Präzision und häufig mit sehr hoher Geschwindigkeit geschehen. Dabei unterliegen die Bewegungen einer ständigen Kontrolle durch das Gehör, durch den Gesichtssinn und durch die Körpereigenwahrnehmung. Darüberhinaus werden Gedächtnissysteme und Emotionsnetzwerke aktiviert.


Es ist unbestritten, dass Musizieren die Entwicklung des Nervensystems in allen Lebensaltern, also auch im hohen Erwachsenenalter fördert. So findet man bei älteren Berufsmusikern zahlreiche Anpassungen, die Zeichen der «Hirnplastizität» sind: Das Broca’sche Sprachzentrum in der linken Stirnhirnregion ist vergrössert – was erklärbar ist, da Musiker in Klängen «sprechen». Das Kleinhirn, zuständig für feinmotorische Koordination, ist grösser, und die Hörrinde im oberen Anteil des Schläfenlappens weist ebenfalls eine grössere neuronale Dichte auf. Übungsabhängige neuroplastische Anpassungen der Nervenfasern betreffen neben dem Balken auch andere Faserstrukturen: Die sogenannte Pyramidenbahn, die von den motorischen Hirnrindenanschnitten zu den motorischen Nervenzentren im Rückenmark zieht, ist bei Pianisten stärker ausgeprägt als bei nicht musizierenden Kontrollen.


Auch bei älteren musikalischen Laien ist der Einfluss musikalisch-sensomotorischen Lernens auf die neuronalen Netzwerke der Grosshirnrinde schon vor über zehn Jahren beim Erlernen des Klavierspiels nachgewiesen worden. Überraschend war hier die zeitlichen Dynamik: Bereits nach 20 Minuten Klavierüben entstand bei erwachsenen Anfängern eine funktionelle Kopplung mit gleichzeitiger Aktivierung der Nervenzellverbände in den Hörrinden und in den sensomotorischen Arealen. Diese schnelle Änderung kann nur durch Zunahme der Vernetzung erklärt werden. Nach fünf Wochen Training am Klavier waren diese zunächst nur vorübergehenden Änderungen der neuronalen Vernetzung stabil und es kam zu einer Zunahme des neuronalen Austausches und der neuronalen Leitgeschwindigkeit zwischen den Hör- und Bewegungsregionen. Diese Veränderungen können bereits mit einer verstärkten Bemarkung der Nervenfasern, die Hör- und Bewegungsverarbeitung verbinden, erklärt werden. Aber nutzt das auch etwas für die allgemeine kognitive Leistungsfähigkeit?


Die bislang wohl aussagekräftigste Studie, in der mit psychologischen Methoden Transferleistungen musikalischer Aktivität auf andere Denkfertigkeiten älterer Menschen untersucht wurde, stammt von Bugos und Kollegen. Die Autoren erteilten 16 Senioren im Alter zwischen 60 und 85 Jahren über sechs Monate Klavierunterricht und verglichen die kognitiven Leistungen mit einer Kontrollgruppe von 15 gleich alten Probanden vor und nach dem sechs Monate anhaltenden Klavierunterricht. Drei Monate nach Abschluss des Trainings wurde eine letzte Testung der kognitiven Fertigkeiten durchgeführt. Die Klaviergruppe hatte nach dem Unterricht eine Verbesserung von Leistungen, die Arbeitsgedächtnis und exekutive Funktionen, wie Planung und Strategiebildungen mit einschlossen. Diese Leistungsverbesserungen waren allerdings eher schwach ausgeprägt und teilweise drei Monate nach Beendigung des Unterrichts nicht mehr nachweisbar. Dennoch ist hier ein erster Nachweis der oben aufgeführten Veränderungen durch musikalisches Training gelungen.


Ohne Schmerz
kein Preis?
Musikerspezifische Krankheitsbilder

Dank spezifischen Abklärungen in musikermedizinischen
Spezialsprechstunden können Musikerinnen und Musiker heute gezielt behandelt
werden.


Gesundheitliche Beschwerden können heute in interdisziplinären musikermedizinischen Sprechstunden beziehungsweise in den Praxen der beteiligten Fachpersonen beurteilt werden. Ihre Störungen und Krankheiten lassen sich so gezielt behandeln. Letztere lassen sich dabei im Wesentlichen einteilen in musikerspezifische Krankheitsbilder sowie allgemein häufige Krankheitsbilder mit besonderer Bedeutung für Musizierende.


Krankheitsbilder sind musikerspezifisch, wenn die Symptome im direkten Zusammenhang mit dem Musizieren stehen. Nicht selten werden entsprechende Probleme auch bei Angehörigen anderer Berufe beobachtet, wenn ähnliche ergonomische Herausforderungen und psychologische Umstände vorliegen.


Die Fachpersonen streben eine möglichst präzise Diagnostik an. Sie schlagen dazu die in ihrem Fachgebiet üblichen diagnostischen und diagnostisch-technischen Abklärungen vor. Ihre musikermedizinische Kompetenz erlaubt ihnen die Analyse der prädisponierenden und der auslösenden Faktoren sowie die Erarbeitung eines therapeutischen Konzeptes. Leider werden Symptome von Betroffenen – zum Teil aus nachvollziehbaren Gründen – zu häufig verdrängt beziehungsweise verschwiegen, oder sie werden ohne Diagnostik mit teilweise untauglichen Mitteln behandelt.


Häufig müssen Intensität und zeitliche Staffelung des Musizierens angepasst werden. Ergonomische Anpassungen am Instrument sind in einem gewissen Umfang möglich. Arbeitsplatzanpassungen scheinen dabei deutliche Grenzen gesetzt. An kaum einem Arbeitsplatz eines Produktionsbetriebes arbeiten Menschen auf so engem Raum wie in einem Orchester. In keiner Bibliothek teilen sich zwei Leser ein Buch so wie sich zwei Musikerinnen ein Notenpult in heikler Distanz teilen. Zumindest im klassischen Musikbetrieb bestehen Kleidervorschriften, und kein Musiker erbringt seine Spitzenleistung so leicht bekleidet wie ein Langstreckenläufer, wie sehr er auch schwitzen mag.


Wie Abklärungen erfolgen – ein Fallbeispiel


Ein Hausarzt überweist einen 19jährigen Flötisten wegen Schmerzen in den Bereichen der Beugeseite des rechten Handgelenkes und der Streckmuskulatur am rechten Unterarm. Pro Tag spielt er 30 Minuten Klavier und 3 bis 4 Stunden Flöte ‒ mit einer Pause. Die Schmerzen verspürt er schon seit drei Jahren. Sie treten vorwiegend am Zweitinstrument Klavier auf. Die Beschwerden, inzwischen auch im Nacken, haben zwei Jahre zuvor mit Hilfe einer Craniosakraltherapie gelindert werden können. Nachdem die Vorgeschichte erhoben ist, wird der Flötist körperlich untersucht, und sein Spiel mit der Flöte wird mit einer Videokamera aufgenommen.


In einer zweiten Sitzung stellt sich der Musiker in der interdisziplinären musikermedizinischen Sprechstunde vor. Festgestellt werden eine muskuläre Insuffizienz im Bereich der Brustwirbelsäule sowie ein Überlastungssyndrom der rechten Unterarmmuskulatur. Eine dynamische Ultraschalluntersuchung schliesst ein dyna-
misches Karpaltunnelsyndrom – eine positionsabhängige Kompression des Nervus medianus durch Muskulatur – aus. Der Flötist erhält Empfehlungen hinsichtlich der Spielhaltung an der Flöte und für ein spezielles Coaching durch eine spezialisierte Therapeutin oder Pädagogin sowie Hinweise auf die Bedeutung von Pausenplanung und die präventive Wirkung körperzentrierter Techniken. Zur Behandlung der muskulären Insuffizienz am Rücken und der Unterarmmuskulatur verordnet ein Musikerarzt eine aktive muskelaufbauende Physiotherapie.


Muskuläre Überlastung
(overuse)


Sehnenprobleme


Chronische myofasziale
Schmerzen


Nervenkompressionen


Hypersensibilität der
Fingerkuppen


Fokale Dystonie


Hautirritationen und
-allergien


Kiefergelenk- und Zahn-
probleme


Glaukom


Innenohrfunktionsstörungen


Stimmbanderkrankungen

«Ich dachte immer,
ich muss mich mehr
anstrengen»

Wie ein Handprofil die
Wahrnehmung verändert.
Ein Fallbeispiel.


Angesichts der enormen Individualität der menschlichen Hand mit Unterschieden von über 9 cm bei der Spannweite 2-5 (zwischen Zeigefinger und kleinem Finger) und bis zu 7 cm bei der Spannweite 3-4 (zwischen Mittelfinger und Ringfinger) kommt es für einen ersten Eindruck von Spielräumen und Grenzen einer Musikerhand kaum auf eine millimetergenaue Messung an. Schon die Pragmatische Handeinschätzung (PHE) des Musikphysiologie-Pioniers Christoph Wagner kann helfen, Ursachen von übermässiger Ermüdung und Overuse-Syndromen auf die Spur zu kommen. Die PHE, die «kleine Schwester» der von Wagner entwickelten und seit 2009 am Zürcher Zentrum Musikerhand der ZHdK beheimateten Biomechanischen Handmessung (BHM), erfasst die Handgrösse, alle Daumen- und Binnenspannweiten und zehn weitere Handeigenschaften. Anhand der Messblätter aus Wagners Buch Hand und Instrument werden individuelle Werte mit denen von Profimusikern verglichen.


Der Individualität der Hand steht die genormte Klaviatur gegenüber − und der Traum vieler Pianisten, sich auch jene Perlen der Klavierliteratur zu erschliessen, deren spieltechnische Anforderungen womöglich die eigenen Grenzen übersteigen. Für eine 53-jährige Klavierpädagogin war das Spielen auf dem modernen Flügel «immer mit Krampf verbunden. Was mir immer Schwierigkeiten gemacht hat, ist Akkordspiel.» Ganz anders ihr Spielgefühl, als sie im Alter von 47 Jahren erstmals Hammerflügel spielte: «Da war das Gefühl: das ist mein Instrument. Ich konnte fliessender spielen.»


Das Handprofil der spieltechnisch versierten Pianistin zeigt eher geringe Daumen- und Binnenspannweiten trotz eher grosser Hände. Deutlich begrenzt war die Spannweite 2-4.
Zudem konnte sie ihren rechten Daumen nur auf maximal 65 Grad ab­spreizen. Als die Klavierpädagogin nach der PHE noch einmal schwi­e-rigen Stellen am modernen Flügel nachspürte, stellte sie verblüfft fest: «Es sind tatsächlich alle Stellen, die eine Binnenspannung erfordern, die immer einen Mehraufwand bedeutet haben.» Ganz extrem war eine Alle­­gro-assai-Stelle aus Mendelssohns Trio
op. 49. «Die habe ich eigentlich nie wirklich gekonnt.» – Vermutlich wegen der fast gleichzeitig geforderten Quinte mit Zeige- und Ringfinger
und Septime mit Zeigefinger und kleinem Finger.


Im Rückblick auf ihre Studien­zeit resümiert die Klavierpädagogin: «Mir wurde gesagt, dass ich eine grosse Hand und schnelle Finger habe. Wenn ich gewusst hätte, dass es diese Spannweiten sind, dann hätte ich zum Beispiel ganz andere Stücke gespielt. Ich dachte immer, ich muss mich mehr anstrengen. Mein Lehrer sagte zu mir: ‹Sie müssen nur wollen.›» Und sie fährt fort: «Wenn mir das früher klar gewesen wäre, hätte sich vor allem mein Umgang mit mir selbst und meinen Übemethoden geändert. Von
den Stücken her habe ich mich zwar schon relativ bald nach dem Studium an kleingriffiger Literatur orientiert, aber immer mit einem leisen Groll
mir selbst gegenüber, nicht die ‹richtige› Technik zu haben, um Chopin-Balladen oder Brahms spielen zu können.»


In diesen Aussagen wird mehreres deutlich: Die durchaus sensible Wahrnehmung der eigenen biomechanischen Grenzen schon im Studium, das zwischenzeitlich verlorengegangene Vertrauen in die eigene Wahrnehmung, das mangelnde Einfühlungsvermögen des Lehrers, die Orientierung an einer Repertoire-Norm und an Anstrengung …, die wiedergewonnene Wahrnehmung, schon durch das veränderte Spielgefühl am Hammerflügel und weiter durch den objektiven Vergleich − und die seelische Erleichterung durch das Wissen um die individuellen biomechanischen Gegebenheiten.


Musik kennt
kein Alter

Ältere Menschen wollen
kulturell aktiv bleiben. Sie wollen ihre Freiräume nutzen und Kulturtechniken
weiterpflegen oder gar neu
erlernen. Erfüllung bringen kann ihnen nicht zuletzt die Beschäftigung mit Musik.


Für Wieder- oder Neueinsteiger gilt es im fortgeschrittenen Alter die Musik für sich (neu) zu entdecken, zu singen, ein Instrument zu spielen oder zu erlernen. Sie haben die Möglichkeit, Anschluss an instrumentale Ensembles oder an einen Chor zu finden und Musiklehre- oder Musikgeschichtswissen zu vertiefen.


Das Alter kennt allerdings oftmals keine Musik mehr, weil sich die Bedingungen ändern und die Zugänge zum Musizieren erschweren. Das Musizieren sollte aber in jeder Lebensphase im Alter möglich sein. Dies gilt für mobile ältere Menschen, die noch problemlos zur Musikschule kommen, sich einen Chor oder ein Ensemble suchen können. Es trifft aber auch auf gesundheitlich beeinträchtigte und möglicherweise dementiell veränderte Menschen zu, zu denen Musikschulen oder freiberufliche Musiklehrer ihre Angebote tragen und dazu auch Kooperationen mit Alteneinrichtungen eingehen. Oftmals gelten auch intergenerative musikalische Angebote als besonders erfolgreich, besonders beliebt etwa zwischen Enkel- und Grosselterngeneration.


Die Musikschulen sollten sich folglich noch stärker Gedanken machen, wie Singen, Musizieren und Musiklernen im Alter gelingen kann. Das Ziel: ein flächendeckendes und barrierefreies Angebot in gut erreichbaren und gestalteten Räumen für Ältere in unterschiedlichsten Lebenslagen. Es muss sich an individuellen Bedürfnissen und Möglichkeiten orientieren – auch finanziell und zeitlich – und musikalisch qualitativ Hochwertiges schaffen.


Im Alter musizieren kann dann bedeuten, gewonnene freie Zeit sinnvoll zu füllen, Selbstwirksamkeit zu erfahren, am öffentlichen kulturellen Leben (weiterhin) teilzuhaben, soziale Kontakte zu pflegen und Geselligkeit zu erfahren. Damit wird auch Gesundheitsprävention betrieben und auf verschiedensten Ebenen – kognitiv, motorisch, emotional und sozial – auf den Alltag im Alter vorbereitet. Musik im Alter vermag überdies, spirituelle Dimensionen zu entfalten. Selbst in einen so delikaten Bereich wie die Sterbebegleitung kann Musik in aller Behutsamkeit hineinreichen und einen schützenden Mantel (pallium) anbieten.


Ebenso kann Musik auch die Pflege unterstützen. Vieles geht leichter von der Hand, wenn dabei gesungen oder gesummt, Lieder und Musikstücke einfach nur erwähnt oder auch über Musik oder über frühere Erlebnisse gesprochen wird, bei denen Musik eine Rolle spielte.


Immer wieder kann man beobachten, dass Musik eine beruhigende Wirkung auf Unruhezustände oder auch herausforderndes Verhalten entfaltet. Es ist dann auch für die pflegenden Menschen und die Pflegeinstitutionen äusserst angenehm, wenn sich die Atmosphäre innerhalb der Pflegesituation durch die Beteiligung von Musik deutlich verbessert. Passende Musik kann in diesem Zusammenhang Zuwendung bedeuten oder bei Demenz auch identitätsstärkend wirken.


Musikangebote für Ältere dürfen keinesfalls als eine überstülpende musikalische Späterziehung aufgefasst werden, sondern einzig als Ermöglichungsdidaktik. Es geht um das Initiieren ästhetischer Erfahrungsfelder, in denen sich Ältere selbstbestimmt musikalisch betätigen, aber auch lernen und sich bilden können. Eine so verstandene Musikgeragogik wird sich in dialogischen Prozessen und einer wertschätzenden Kommunikation – durchaus auch validierend etwa bei Demenz – an den Bedürfnissen sowie den Lebensgeschichten und Lebenswelten der Beteiligten zu orientieren haben. Gerade die biografische Dimension nimmt ja bei Älteren aufgrund der langen Lebenserfahrung eine besondere Rolle ein.


Musikgeragogik darf nicht mit
Musiktherapie verwechselt werden: Zwischen beiden gibt es sicherlich auch Schnittmengen, etwa bei den Zielgruppen, dem Instrumentarium und den Methoden. Aber die Ziel-setzung ist ganz klar eine andere: Musikgeragogik schafft für musikalisches Lernen, Bilden und Ausüben die Voraussetzungen. Aber Musikgeragogik will nicht therapieren, das bedarf
gezielter Anamnesen, Diagnosen und standardisierter Verfahren. Das schliesst aber natürlich nicht aus,
dass sich durch das musikalische Tun und Erleben viele aussermusikalische und gesundheitsfördernde Transfers ergeben. Solche sind sogar sehr willkommen.


Weiterführende Materialien:


Internistische
 Aspekte in der
Musikermedizin

Internistische Fragestellungen in der Musikermedizin
betreffen vorrangig
Herzkreislauf-System und Atemwege, zuweilen auch Stoffwechsel, Hormone,
Magendarm-Bereich und
weitere Fächer.


Das Herzkreislauf-System zeigt beim Blasinstrumentenspiel typische Reaktionen: Tongebung und Anblasdruck verursachen kurzfristige physiologische Schwankungen von Blutdruck, Herzfrequenz und Herzrhythmus. Sie sind je nach Instrument, Tonhöhe, Dynamik, Blastechnik und Konstitution unterschiedlich ausgeprägt. Während Auftritten können Stresshormone zusätzlich zum Anstieg von Blutdruck und Herzfrequenz führen. Dennoch handelt es sich im Allgemeinen um physiologische Reaktionen, die bei gesunden Personen unbedenklich sind. Um die Belastung und Belastbarkeit beim Spielen einzuschätzen, wird entsprechend der kardiologischen Leitlinien vorgegangen. Ergänzend müssen die individuellen Reaktionen beim Musizieren erfassen werden. Dies erfolgt mittels Langzeitmessung von EKG und Blutdruck unter Übe-, Proben- und gegebenenfalls Auftrittsbedingungen, zuweilen auch mittels Ultraschall des Herzens während des Spielens. Nach Herzkreislauf-Erkrankungen können Wiedereingliederungen mit stufenweiser Steigerung der Musizier-Belastung notwendig sein.


Mit Hilfe von Beta-Rezeptoren-Blocker lassen sich die vegetativen Symptome reduzieren, welche die Angst vor Auftritten unter Umständen mit sich bringt. Musiker greifen dabei nicht selten zur Selbstmedikation, obwohl es sich um rezeptpflichtige Medikamente mit Wirkung im Herzkreislauf-System handelt. Ihnen sollte man dringend anraten, Betablocker nur nach ärztlicher Rücksprache einzunehmen, insbesondere, wenn Herzkreislauf-Probleme mit im Spiel sind. Das gewährt eine sinnvoll abgestimmte Therapie, und es können auch die zahlreichen nichtmedikamentösen Strategien zum Umgang mit Auftrittsangst gemeinsam erarbeitet werden.


Atemwegserkrankungen treten bei Bläsern nach heutigem Wissensstand nicht vermehrt auf. Auch der oft postulierte Zusammenhang zwischen der Entwicklung eines Lungenemphysems und Oboespiel ist nicht bestätigt worden. Allerdings kann die Konstellation mehrerer Risikofaktoren (etwa Rauchen und Umwelteinflüsse) zu spielbezogenen Erkrankungen führen. Beim kindlichen Asthma werden die Lungenfunktion und der Umgang mit der Erkrankung durch das Spielen von Blasinstrumenten oft positiv beeinflusst. Man sieht es heute deshalb vielfach als wertvollen Baustein in der Asthmatherapie an.


Hormon- und Stoffwechselerkrankungen gehen zuweilen mit funktionellen Beeinträchtigungen während des Musizierens einher. Aufgrund der ausserordentlichen sensomotorischen Anforderungen werden Musiker frühzeitig auf diese Störungen aufmerksam. Besonders die Fehlfunktionen der Schilddrüse führen zu musikermedizinisch relevanten, jedoch meist gut therapierbaren Beschwerden. Sie können sich in vielfältigen Symptomen, unter anderem im Bereich der Arme und Hände oder der Singstimme manifestieren. Die Behandlung von Musikern unterscheidet sich prinzipiell nicht von der anderer Patienten, es können jedoch zusätzliche therapeutische Massnahmen wie Physiotherapie oder Logopädie notwendig werden.


Bei Bläsern und Sängern scheint vermehrt ein Reflux mit Rückfluss von Magensaft in die Speiseröhre aufzutreten. Die dahinterstehenden Mechanismen sind komplex und bislang nur lückenhaft geklärt. Aus dem Sport ist bekannt, dass körperliche «Ausdauerarbeit» – die auch Sänger und Blasinstrumentenspieler leisten – beim Reflux eine Rolle spielt. Häufig verstärkt die Symptome eine vermehrte Atemarbeit mit tiefer Einatmung und abrupter oder lang anhaltender Druckerhöhung im Brust- und Bauchraum. Ein solcher Atemeinsatz ist während des Singens und Blasinstrumentenspiels ständig erforderlich. Refluxbeschwerden erfordern eine differenzierte musikerspezifische Anamnese und Diagnostik. Im Fall der Sänger erfolgt eine solche interdisziplinär durch Magen-Darm-Facharzt und Phoniater. Sie können Medikamente verschreiben, welche die Abgabe von Magensäure hemmen, sowie Diäten und Verhaltensmassnahmen empfehlen.


Haltung und
Bewegung
am Instrument

Ist es wichtig, einen über-
beweglichen Kinderrücken auf dem Cellostuhl aufzurichten? Wie weit soll Musizieren
einfach Spass machen und ab welchem Alter beginnt eine ernsthaftere Profikarriere? Solche und andere Fragen können Workshops an
Musikschulen beantworten.


Seit gut einem Jahr führen wir halbtägige Workshops zum Thema «Haltung und Bewegung am Instrument» für Lehrpersonen an Musikschulen durch. Sie sind aufgeteilt in zwei Themenblöcke: «Rücken und Nacken» und darauf aufbauend «Schultergürtel, Arm und Hand».


Die Workshops sind auf das eigene Wohlbefinden der Lehrpersonen beim Musizieren und auf die Unterrichtstätigkeit mit den Schülern und Schülerinnen ausgerichtet. Ziel ist die Vermittlung von grundlegendem Wissen zu Anatomie und Physiologie sowie
zu instrumentenspezifischen Beschwerden. Ebenso unterrichten wir Übungen zur Wahrnehmung, Kräftigung und Förderung der Koordination.


Die theoretischen Grundlagen zur Anatomie lassen sich am besten erfahren, wenn die jeweiligen Körperteile an sich selbst abgetastet und bewegt werden. Ein Schlüsselerlebnis für viele ist es, wenn sie gegenseitig die Bewegungsmöglichkeiten der Schulterblätter spüren, Körperteile, die in unserer Wahrnehmung häufig Terra incognita sind. Die Vertiefung in die Physiologie der Muskelfunktion macht deutlich, wie ein Muskel funktioniert, was Ermüdung bedeutet und warum sich Übungspausen lohnen. Kontroverse Fragen werden ebenso diskutiert: Ersetzt eine gute Haltung und Bewegung ein Muskeltraining? Sollen mit einem Krafttraining Reserven aufgebaut werden, um den Herausforderungen des Musizierens zu begegnen?


Gibt es die gute Haltung und Bewegung?


Die gemeinsame Analyse von Problemstellungen anhand von Videobeispielen macht deutlich, dass Haltung und Bewegung etwas Persönliches sind und individuelle Betrachtung verdienen. Trotz aller Individualität hat die Lehrperson jedoch ‒ abgesehen von ihren musikalischen Fähigkeiten ‒ immer auch Vorbildfunktion in Bezug auf Haltung und den Umgang mit dem eigenen Körper. Wie ein Musikschulleiter meint: «Am Musikspiel der Schüler erkennt man die Lehrperson».


Die Gruppenarbeiten sind durchgängig beliebt: Instrumentenverwandte Lehrpersonen diskutieren Haltungsprobleme von Schülern und Schülerinnen und tauschen sich über mögliche Hilfestellungen und bewährte Übungen aus.


Die praktischen Übungen zu den verschiedenen Körperabschnitten lockern das Programm buchstäblich auf. So zeigt der Kurs zum Beispiel die Auswirkungen der mangelhaften Spannung in der Aufrichtung des Rückens auf die Motorik der Arme und Hände. Über verschiedene Bewegungen zeigt sich etwa, wie die dynamische Stabilität des Rumpfes verbessert und das Musikspiel erleichtert werden können.


Über die Unterrichtstunde

hinaus


Schliesslich bleibt aber doch die Abwägung, ab wann ein Problem nicht mehr nur im Unterrichtszimmer angegangen werden kann. Die Autorinnen regen den Dialog mit den Eltern der Betroffenen sowie mit Instrumentenbau-Fachleuten an. Anhaltende Probleme sollten aber unbedingt von Fachpersonen beurteilt werden. Sie bereiten weder im Kindesalter noch im professionellen Musikeralltag Vergnügen, noch befähigen sie zu einem musikalischen Höhenflug. Musizieren mit Beschwerden ist unnötig!


Die Frage, ob gute Haltung und gutes Bewegungsverhalten Grundlagen für das Musizieren sind, wird in jedem Workshop rege bis in die Kaffeepause diskutiert. Ist es wichtig, einen überbeweglichen Kinderrücken auf dem Cellostuhl aufzurichten? Wie weit soll Musizieren einfach Spass machen und ab welchem Alter beginnt eine ernsthaftere Profikarriere? Über diese und weitere Fragen tauschen sich Fachleute mit Fachleuten «auf Augenhöhe» aus ‒ vorausgesetzt, sie haben sich vorher korrekt aufgerichtet!


Chancen statt
Defizite

Mit «Musizieren im Alter» beschäftigte sich in Bern das 12. Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin SMM und der Schweizerischen Interpretenstiftung SIS


Der Saal der Hochschule der Künste Bern an der Papiermühlestrasse scheint aus allen Nähten zu platzen. Das Thema bewegt, und dies in vielfacher Hinsicht: Musizieren im Alter, das kann eine Chance sein für Menschen, ihren Lebensabend (oder bereits den -spätnachmittag) mit Emotionen und guten Erlebnissen zu füllen. Es kann für diejenigen, die ein Leben lang musiziert und sich damit ihr Auskommen erwirtschaftet haben, aber auch ein schmerzvoller Prozess des Loslassens und des Abbaus bedeuten. Das jährliche Symposium der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin, das sich diesen Aspekten der klingenden Kunst angenommen hat, kann eine Rekordbeteiligung vermelden.


Ein zuversichtliches Zeichen setzt in dieser Hinsicht gleich zu Beginn das Trio Poetico, drei Holzbläser, die früher unter anderem im Scheinwerferlicht des Tonhalle Orchesters gesessen sind, sich auch nach der Pensionierung künstlerisch auf exzellentem Niveau weiterentwickeln und neues Repertoire entdecken, etwas die faszinierende Musik des brasilianischen «Messiaen» Heitor Villa-Lobos.


Dass sich einiges mit Blick aufs Musizieren im Alter geändert hat, bekräftigen in ihren Referaten die Medizinerin Maria Schuppert vom Zentrum für Musikergesundheit der Hochschule für Musik Detmold und der Zürcher Neuropsychologe Lutz Jäncke. Bis vor nicht allzu langer Zeit sind die menschlichen Fähigkeiten zum Erwerb neuer Fertigkeiten bis ins hohe Alter unterschätzt worden. Nicht zuletzt die Arbeiten von Jäncke und seinen Kollegen in Sachen Hirnplastizität zeigen jedoch, dass auch mit weissen Haaren bei durchschnittlicher Gesundheit weit mehr Ressourcen abgerufen werden können, als man auch vor noch nicht allzu langer Zeit geglaubt hat. Selbst auf hochklassige Ausdruckmöglichkeiten muss man dabei keineswegs verzichtet werden, huldigt man nicht einem Jugendlichkeitsideal, sondern begreift man die Kennzeichen des eigenen Alters als originale Eigenheiten.


Natürlich lassen die Sinne im Alter nach, das Gehör, die Augen; auch die Stimme ändert sich. Die männliche etwa wird höher, verliert in der Höhe aber aufgrund physiologischer Abbauprozesse an Umfang, wie Eberhard Seifert, der Leitende Arzt Phoniatrie der Universitäts-HNO-Klinik des Berner Inselspitals aufzeigt. Und wäre es früher undenkbar gewesen, mit einem Hörgerät in einem Ensemble mitzutun, hat die moderne Technik so grosse Fortschritte gemacht, dass selbst mit den entsprechenden Beeinträchtigungen ein Mitsingen im Chor oder Mitspielen im Orchester noch möglich ist, wie der Hörakustik-Meister Michael Stückelberger darlegt.


Die gestärkte Zuversicht bekommen auch die Musikschulen zu spüren, die sich auf immer mehr Musikschülerinnen und -schüler im dritten Lebensabschnitt einstellen können. Von einem Forschungsprojekt «Mach dich schlau – Lern- und Lehrstrategien im Instrumentalunterricht 50plus» der Berner Hochschule der Künste (HKB) und des Instituts Alter der Berner Fachhochschule berichtet in einem Workshop die Musikerin und Journalistin Corinne Holtz, die an der HKB auch den CAS «Musikalisches Lernen im Alter» leitet. Und der selber in die Jahre gekommene Chorleiter Karl Scheuber zeigt, wie mit altersgerechten Einsingübungen und kluger Repertoirepflege auch im hohen Alter kollektives Singen zur Lebensqualität beitragen kann.


Mittlerweile gibt es, worauf Hans Hermann Wickel vom Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster hinweist, sogar ein dediziertes Fachgebiet zum Thema, die Musikgeragogik. Sie soll Musikangebote für hochaltrige, eventuell multimorbide oder dementiell veränderte Menschen optimieren und die Möglichkeiten in der Palliativmedizin ausloten.


Gespräche am abschliessenden Apero des Symposium zeigen, dass neben Fachleuten durchaus auch interessierte Aussenstehende, die auf der Suche nach Möglichkeiten einer musikalische Betätigung auf fortgeschrittenem Lebensweg den Anlass besucht haben – ein Hinweis darauf, dass dazu eine spezielle Anlaufstelle einem Bedürfnis entsprechen könnte.


Gutturaler Gesang im Heavy Metal

Gesang ist stärker von
physiologischer Befindlichkeit und körperlichem
Allgemeinzustand abhängig als jede andere musikalische Aktivität, erst recht der
sogenannt gutturale Gesang.


Beim gutturalen Gesang handelt es sich um Kehlgesang, der mit den Taschenfalten («falschen Stimmlippen») gebildet wird. Die Taschenfalten sind zwei waagrecht übereinander liegende Faltenpaare im Kehlkopf, direkt oberhalb der tatsächlichen Stimmbänder. Sie werden normalerweise zum Luftanhalten oder Räuspern gebraucht.


Der Kehlgesang wird in vielen Kulturen verwendet um den normalen Stimmumfang eine Oktave nach oben oder unten zu erweitern. Die Stimme wird durch die Vibrationen der Taschenfalten rau und etwas verzerrt und erinnert an den Klang eines Didgeridoos. Ein ähnlicher Effekt kann durch den Einsatz des sogenannten Strohbass-Registers (auch Puls- oder Schnarr-Register) erreicht werden, das tiefste Stimmregister, in dem die Stimmbänder so locker sind, dass die einzelnen Schwingungen als eine Art Knattern oder eben einzelne Pulse wahrgenommen werden.


Gutturaler Gesang wird aber auch in moderner Musik, vorwiegend im extremen Metal, eingesetzt. Die Stimmtechniken werden vorwiegend als «Growling», «Screaming» oder «Shouting» bezeichnet, je nach Tonhöhe und Anteil an «Stimme», dem Verhältnis von Stimmbändern zu Taschenfalten. Es werden also meistens sowohl Taschenfalten als auch Stimmbänder benutzt. Je nachdem, ob der Ton beim Ein- oder Ausatmen erzeugt wird, spricht man zwischen «Inhale-» und «Exhale-Screams». Es gibt noch zahlreiche weitere Bezeichnungen und Varianten von gutturalem Gesang im Metal.


Growling (dt. Knurren) erinnert an das Knurren eines Tieres und wird vor allem im Death Metal und im Grindcore eingesetzt. Der Anteil der Stimmbänder variiert stark, vor allem beim Grunting (Grunzen), der tiefsten Variante, kommen sie kaum zum Einsatz. Screaming (dt. Schreien, Kreischen) ist meistens hochfrequent, benutzt fast ausschliesslich die Taschenfalten und wird hauptsächlich im Black Metal verwendet. Shouting kommt bevorzugt im Thrash Metal und Hardcore vor und zeichnet sich durch einen hohen Anteil Stimmbänder aus. Bei dieser Form des gutturalen Gesangs ist die Gefahr, die Stimme zu schädigen, am höchsten, denn die Stimmbänder werden stark beansprucht.


Es kann bei der hohen Intensität und Lautstärke und den extremen Tonlagen in diesem Musikgenre schnell zu einer Überbelastung der Stimme kommen, die sich in Heiserkeit – temporär oder dauerhaft ‒, Halsschmerzen oder im schlimmsten Fall Blut im Mund äussern kann. Kommt dies mehrfach vor, können langfristige Schäden an den Stimmbändern nicht ausgeschlossen werden. Sie können zu einer Dysphonie oder schlimmstenfalls gar zu einer Aphonie führen.


Für typische «Sängerkrankheiten» ist auch der Metal-Gesang anfällig. Es sind dies Rhinitis (Schnupfen), Pharyngitis (Rachenentzündung), Laryngitis (Kehlkopfentzündung), Tonsilitis (Mandelentzündung), Tracheitis (Luftröhrenentzündung), Bronchitis, Sinusitis (Kieferhöhlenentzündung), Knötchen oder Ödeme auf Stimmbändern sowie vergrösserte Mandeln infolge mehrfacher Tonsilitis. Diese Erkrankungen können, auch wenn sie nicht aufgrund falscher Stimmanwendung entstanden sind, die Stimme beeinträchtigen. Es ist daher wichtig, diese bis zur vollständigen Ausheilung zu schonen.


Das grosse Problem bei der Anwendung gutturaler Gesangstechniken: Es fehlt an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und einer einheitlichen Theorie, was daran liegt, dass er zum einen selten verwendet, zum anderen auch oftmals nicht wirklich als Kunstform anerkannt, sondern als «Lärm» verlacht wird. Es empfiehlt sich also, auch wenn man «nur» Growlen oder Screamen möchte, Gesangsstunden zu besuchen, um die Grundlagen von Atmung und Gesangstechnik zu erlernen. Ausserdem ist es ratsam, präventiv die Grundsätze der Stimmhygiene zu befolgen, genauso wie beim klassischen Gesang oder bei anderen Berufen, welche die Stimme stark beanspruchen. Gänzlich ohne Stimmbänder kommen nämlich auch Metal-Sänger und -Sängerinnen nicht aus.


get_footer();