Tod der Geigerin Michaela Paetsch

Die zeitweise im Kanton Bern wohnhafte Geigerin Michaela Paetsch ist im Berner Inselspital im Alter von 61 Jahren einem Krebsleiden erlegen. Bekannt wurde sie 1987 mit einer Einspielung aller 24 Paganini-Caprices.

Michaela Paetsch (Bild: Webseite Michaela Paetsch)

Die 1961 in Colorado Springs (USA) geborene Michaela Paetsch studierte unter anderem bei Szymon Goldberg an der Yale University und am Curtis Institute of Music in Philadelphia. Als Solistin trat sie mit Orchestern wie dem NHK Symphonieorchester Tokio, dem Leipziger Gewandhausorchester, dem Frankfurter Radio-Symphonieorchester, dem Orchestre de la Suisse Romande, dem Berner  Sinfonieorchester, dem Basler Sinfonieorchester und dem Orchestra Svizzera Italiana auf.

Paetsch war Gewinnerin  beim G. B. Dealy-Awards in Dallas, beim Reine Elisabeth Wettbewerb in Brüssel (Bronze-Medaille) und beim Tschaikowsky Wettbewerb in Moskau. Die Gesamt-Einspielung der Paganini-Capricen realisierte sie weltweit als erste Frau.

Andreas Fleck verlässt das Künstlerhaus Boswil

Laut einer Mitteilung des Künstlerhauses Boswil verlässt es dessen künstlerischer Ko-Leiter Andreas Fleck per Mitte 2023. Fleck selber schreibt, offenbar könne er sich «nicht mehr verständlich machen» und müsse seiner Wege ziehen.

Künstlerhaus Boswil (Bild: Voyager, CC BY-SA 3.0)

Das Künstlerhaus Boswil würdigt Fleck als Gründer des Boswiler Sommers und des Ensembles CHAARTS, der «mit seinem Können und seiner Kreativität seit dem Jahr 2001 wesentlich dazu beigetragen» habe, dass sich das Künstlerhaus Boswil zu einem international renommierten Aufführungs- und Produktionsort entwickelt hat und «als Bühne exzellenter klassischer Konzerte wahrgenommen wird». Das Festival wurde 2021 mit dem Europäischen Kulturpreis ausgezeichnet. Fleck hat in Boswil die Künstlerische Leitung Boswiler Sommer und Boswiler Meisterkonzerte inne.

In einer mit der Mitteilung des Stiftungsrates fast zeitgleich versendeten  e-Mail schreibt Fleck selber, was Boswil und er gemeinsam geschaffen hätten, «noch anstellen können gemeinsam, das soll es nach dem Willen anderer nicht mehr geben. Ich kann mich nicht mehr verständlich machen und muss meiner Wege ziehen.»

Projekt «Kultur und Schule Thurgau»

Mit dem Projekt «Kultur und Schule Thurgau» will der Kanton Thurgau möglichst allen Kindern und Jugendlichen – unabhängig von Bildung, Einkommen, Herkunft und Geschlecht – der Zugang zu kulturellen Angeboten und Institutionen ermöglichen.

(Bild: Screenshot kklick)

Die Förderung der kulturellen Teilhabe und insbesondere die bessere Vernetzung von Schule und Kultur bildeten seit 2013 einen Schwerpunkt in der Arbeit des kantonalen Kulturamts, schreibt der Kanton in seiner Medienmitteilung. Der Ausbau der Kulturvermittlung an den Schulen im Kanton Thurgau wurde mit dem Projekt «Kultur und Schule Thurgau» seit 2013 vorangetrieben. Das Kulturamt konnte in Zusammenarbeit mit den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen und Glarus die interkantonale Onlineplattform für Kulturvermittlung www.kklick.ch aufbauen und ein Netzwerk von Kulturverantwortlichen an den Schulen im Kanton etablieren. Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat nun für das Projekt  einen Beitrag von 150’000 Franken aus dem Lotteriefonds gesprochen.

Auf www.kklick.ch werden Angebote der Kulturvermittlung in der Ostschweiz, gefiltert nach Region, Sparte und Schulstufe, präsentiert. Aktuell sind insgesamt 342 Angebote von insgesamt 184 Anbietenden aufgeschaltet. Daneben besteht im Thurgau ein Kontaktnetz von kulturverantwortlichen Lehrpersonen an Schulen, die sich für die Verankerung der Kultur an ihrer jeweiligen Schule einsetzen. Momentan sind im Kanton Thurgau insgesamt 104 kulturverantwortliche Lehrpersonen tätig. Diese beiden Teilprojekte sollen in den Jahren 2023 bis 2026 weiter betreut und ausgebaut werden.

Langfristiges Ziel ist es, an jeder Schule im Kanton Thurgau eine für Kultur verantwortliche Lehrperson zu haben, damit kulturelle Aktivitäten einen festen Platz im Unterricht erhalten. Auf der Plattform soll ein breites, für alle Stufen adäquates Kulturvermittlungsangebot für den ganzen Kanton Thurgau angeboten werden. Für die Umsetzung dieses Vorhabens ist gemäss Kulturkonzept von 2023 bis 2026 ein jährlicher Rahmenkredit von 150’000 Franken aus dem Lotteriefonds reserviert, der vom Regierungsrat nun fürs Jahr 2023 freigegeben worden ist.

ICMA-Composer-Award für Hefti

Der Komponist und Dirigent David Philip Hefti wird im April 2023 mit dem Composer Award der International Classical Music Awards (ICMA) ausgezeichnet.

Heftis Tonsprache besteche durch ein «enorm breites Spektrum an Ausdrucksmitteln. Leuchtende Klangfarben und dramatische Konstruktionen». Auch das Spektrum der Gattungen, in denen sich der Komponist ausdrückt, sei gross, so dass «seine Musik sowohl Interpreten als auch ein breites Publikum» erreiche, zitiert Heftis PR-Agentur PR2 Classic Jurypräsident Remy Franck.

David Philip Hefti wurde 1975 in der Schweiz geboren. An den Musikhochschulen in Zürich und Karlsruhe studierte er Komposition, Dirigieren, Klarinette und Kammermusik. 2013 erhielt er den Komponisten-Preis der Ernst von Siemens Musikstiftung und 2015 den Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein Musik Festivals.

Die International Classical Music Awards (ICMA) sind 2010 von der Jury der früheren Midem Classical Awards gegründet worden. Jährlich werden im ihrem Rahmen Preise für Audio- und Video-Produktionen sowie eine Serie von Spezialpreisen (Lifetime Achivement, Artist of the Year, Young Artist of the Year, Label of the Year) vergeben.

Blasmusik ist weniger ansteckend als Chorgesang

In der Weihnachtszeit wird überall wieder gesungen und geblasen. Wie steht es um das Ansteckungsrisiko?

SMM — Ein Team des Göttinger Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPI-DS) und der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) ist dem Partikelausstoss und dem damit verbundenen maximalen Übertragungsrisiko beim Spielen von vielen verschiedenen Blasinstrumenten nachgegangen.

Die Forschenden haben den Partikelausstoss und das damit verbundene maximale Übertragungsrisiko beim Spielen von vielen verschiedenen Blasinstrumenten bestimmt. Die Ergebnisse geben Anhaltspunkte, wie kulturelle Veranstaltungen auch während der Pandemie mit möglichst geringem Ansteckungsrisiko organisiert werden können.

Dass Blasmusik aus Sicht des Infektionsschutzes für die Musizierenden und das Publikum nicht ungefährlich ist, liegt daran, dass Partikel mit einer Grösse von weniger als fünf Mikrometer weitestgehend aus dem Instrument nach aussen dringen. Sie bleiben länger in der Luft und breiten sich weiter aus, sodass sie vor allem in ungelüfteten Räumen hohe Konzentrationen erreichen können. Wie viele solche kleinen Partikel die Blasmusik freisetzt, hängt dabei auch vom Instrument ab.

Relativ viele Viren können aus der Klarinette kommen. Sie setzt deutlich mehr Aerosol frei, das Krankheitserreger wie Sars-CoV-2 enthalten kann, als etwa die Flöte. Das Ansteckungsrisiko etwa bei der Klarinette und der Posaune in einem Abstand von anderthalb Metern beläuft sich nach vier Minuten bereits auf 50 Prozent. Im selben Abstand zu einer Flöte wird dieses Infektionsrisiko erst nach drei Stunden erreicht. Alle anderen gemessenen Instrumente lagen dazwischen. Generell ist das Übertragungsrisiko, das von einer infizierten Person an einem Blasinstrument ausgeht, jedoch deutlich geringer als bei singenden oder sprechenden Menschen, wenn man sich jeweils gleich lange in ihrer Nähe aufhält.

In der Studie untersuchte das Team auch, wie gut sich die Ansteckungsgefahr durch eigens angefertigte Partikelfilter, ähnlich dem Vlies von FFP2-Masken, reduzieren lässt. Die Prototypen der Masken setzten sie dabei auf die Enden der Blechblasinstrumente; Holzblasinstrumente umhüllten sie fast vollständig mit dem Filtermaterial. Laut Oliver Schlenczek, Erstautor der Studie, funktionieren Masken bei Blechblasinstrumenten auf dem Schallstück zuverlässig, um den Ausstoss infektiöser Partikel zu reduzieren. Tragen darüber hinaus auch die Zuhörenden eine FFP2-Maske liegt die Ansteckungsgefahr selbst nach einer Stunde bei maximal 0,2 Prozent.

Simone Scheithauer, Direktorin des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektiologie der Universitätsmedizin Göttingen, bewertet diese Ergebnisse sehr positiv. Auf dieser Grundlage könnten zukünftig viel gezielter Schutzmassnahmen empfohlen und der musikalische Kulturbetrieb auch in kritischen Situationen mit nur geringen Einschränkungen aufrechterhalten werden. Bei ausreichender Belüftung und dem Tragen von FFP2-Masken können Unterricht, Proben und Konzerte mit Blasinstrumenten sicher durchgeführt werden, schliesst auch Aerosolforscher Eberhard Bodenschatz vom MPI-DS.

www.ds.mpg.de/3959178/220922_aerosols_instruments

«Ein Ziel – viele Wege». KörperorientierteAnsätze in der Musik

Das 18. Symposium der SMM bietet am 22. Oktober in Bern Orientierung im Therapiendschungel und Gelegenheit zum Austausch zwischen Musizierenden und Gesundheitsfachleuten.

SMM –– Die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) vereint unter einem Dach Fachleute aus Medizin und unterschiedlichsten Therapieansätzen, aber auch Wissenschaftler und Berufmusikerinnen. Ein zentrales Anliegen der SMM ist es, den konstruktiven Dialog zwischen die-sen Gruppen anzuregen. Sie will aber auch Musikerinnen und Musikern helfen, die mit spezifischen gesundheitlichen Einschränkungen kämpfen oder einfach interessiert sind, ihr Musizieren auf nachhaltig gesunde Basis zu stellen.

Wir sind stolz darauf, dass sich in unserem Kreis Ärzte und Ärztinnen finden, die auf höchstem Niveau medizinische Lösungen für Musikerkrankungen anbieten können. Hilfesuchenden aus der Musikwelt weist die SMM auch Wege zu niederschwelligen Therapieangeboten. Die Vielfalt an Methoden, Schulen und Techniken des Therapiedschungels kann verwirren. Der Entscheid für eine Technik bleibt dann nicht selten Zufall – meist aufgrund persönlicher Begegnungen oder Empfehlungen. Voraussetzung für eine Therapie sollte immer die ärztliche Diagnose sein. Die richtige Wahl entscheidet dann, ob Erfolge verzeichnet, aber auch, ob Schäden aufgrund falscher Wahl vermieden werden können

Mit dem 18. Symposium möchte die SMM Hilfesuchenden Gelegenheit bieten, einige der wichtigsten körperorientierten Ansätze in der Musik an einem Ort kennenzulernen und zugleich die Möglichkeit wahrzunehmen, mit ihren Vertretern unverbindlich ins Gespräch zu kommen. Auch die Therapeuten und Therapeutinnen sollen an diesem Tag aufeinander zugehen können. Voraussichtlich werden folgende Formen körperorientierter Ansätze in der Musik thematisiert: Feldenkrais, Alexandertechnik, Dispokinesis, Functional Kinetics FBL, Klein-Vogelbach, Yoga, Pilates, Spiraldynamik und die Atemtherapie Schlaffhorst Andersen.

Eine Uraufführung zum Auftakt

Das Symposium wird mit einer ungewöhnlichen Uraufführung eröffnet. Es handelt sich um ein Werk des Saxofonisten Fabio da Silva, der für seine herausragende Master-Arbeit an der Hochschule der Künste Bern (HKB) mit einem Ober-Gerwern-Masterpreis ausgezeichnet worden ist. «Rugueux 10» für Baritonsaxophon, Altflöte und vorproduzierte Klänge ist eine Tieftonperformance bei der sich Baritonsaxophon und Altoflöte mikrotonal an ganz spezielle Frequenzen annähern. Zusammen mit der Tonspur entsteht ein Spiel zwischen Spannung und Entspannung, Konzentration und Ablenkung. Durch die Verwendung von verschiedenen Mehrklängen entstehen stärkere und schwächere Reibungen.

Auf der Bühne und an Tischen werden am 18. Symposium der SMM verschiedene anerkannte und bewährte Formen körperorientierter Ansätze in der Musik vorgestellt. Keynotesprecher sind Klaus Scherer (Musikpsychologe und Gründer des Genfer Centre Interfacultaire en Sciences Affectives) und Eberhard Seifert (ärztlicher Leiter der Abteilung Phoniatrie an der Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie am Inselspital Bern).

Prävention als Managementaufgabe

In Sachen Prävention können Orchester einiges von der Sportmedizin lernen.

SMM — Die Kulturwissenschaftlerin Hannah Bregler erinnert daran, dass sich in berufsmusikalischen Karrieren zahlreiche physiologische, soziale und psychische Anforderungen stellen. Im Rahmen einer Arbeit für das Hamburger Institut für Kultur- und Medienmanagement bekräftigt sie, dass der entsprechende Alltag von permanenter Höchstleistung unter Stressbedingungen geprägt ist, was sowohl feinmotorische als auch kognitive Fähigkeiten betreffe. Im Musikalltag stosse man ähnlich wie im Profisport an die Grenzen von Leistungsfähigkeit und körperlicher Belastbarkeit. Damit verbänden sich erhebliche gesundheitliche Risiken. In beiden Branchen bedürfe es jahrelanger Trainings- oder Übeeinheiten, um Spitzenleistungen zu erzielen. Der Alltag sei in beiden damit auch von unregelmässigen Arbeitszeiten, häufigem Reisen und ständiger Selbstkritik geprägt.

Zahlreiche Studien belegen laut der Autorin, wie prekär die gesundheitliche Situation in Orchestern nach langjähriger Berufstätigkeit ist. Es sei zu beobachten, dass Orchestermitglieder bereits im jungen Alter chronische Fehlhaltungen entwickelten. Die Bedeutung von und die Verantwortung für die Gesundheit im musikalischen Berufsalltag nehme aber zu, um nicht zuletzt die Reduzierung von krankheitsbedingen Fehltagen zu erreichen, was unter anderem die Wirtschaftlichkeit von Kultureinrichtungen verbessere. Dass die Berufsgruppe keine kleine, zu vernachlässigende Personengruppe sei, spiegle sich in den Beschäftigtenzahlen wider.

Aktuell gebe es in den deutschen Kulturorchestern laut der Deutschen Orchestervereinigung 9766 Planstellen. Im Gegensatz zu anderen Bereichen, insbesondere dem Sportbetrieb, sei das Thema Schmerzen und Beschwerden bis heute allerdings häufig ein Tabu. Es fehle Wissen und Aufklärung, wie beispielsweise Fehlhaltungen zu vermeiden sind, wie Symptome frühzeitig erkannt werden und welche Therapiemöglichkeiten bestehen. In den letzten Jahren sei das Bewusstsein diesbezüglich geschärft worden, dennoch gebe es angesichts der aktuellen Situation Handlungsbedarf, bei der ein Blick in den Leistungssport lohnend sei.

Die Sportpsychologie hat laut Bregler früh damit begonnen, zu untersuchen, welchen Einfluss Emotionen auf die Wettkampfleistungen haben und wie sie vor, während und nach einem Wettkampf oder Training optimal zu nutzen sind. Sport und Emotionen sind nicht voneinander zu trennen, wie man nach Wettkämpfen oder Fussballspielen auf und neben dem Spielfeld beobachten kann. Wie Auftrittsangst ist auch Wettkampfangst ein Phänomen, das leistungshemmend wirken kann und weit verbreitet ist.

Eine wichtige Komponente zur Vermeidung von Beschwerden ist der Zusammenhang zwischen Erholung und Belastung und seine Auswirkung auf die Leistung. Um kontinuierlich Höchstleistung zu erbringen, ist eine Balance aus Stress und Erholung essenziell. Michael Kellmann, einer der führenden Sportpsychologen unterteilt Vorgehensweisen zur Erholung diffenziert in passive (zum Beispiel Massage), aktive (zum Beispiel lockeres Auslaufen nach einem Wettkampf) und proaktive (zum Beispiel soziale Aktivitäten).

Eine Leistungssteigerung bringt einen gewissen Grad an Erschöpfung mit sich und kann durch ausgiebige Erholungsmethoden kompensiert werden, da die funktionelle Erschöpfung nur eine kurze Leistungsminderung erzeugt. Wird eine systematische und individuelle Erholungsphase nach einem Training oder einer Erschöpfung nicht eingehalten, kann ein andauerndes Ungleichgewicht zwischen Erholung und Überforderung zu einem schädlichen Zustand führen, der sich in anhaltender Untererholung (underrecovery) und dysfunktionaler Erschöpfung (non-functional overreaching (NFO)) äussert.

Für einen Bewusstseins- und Strukturwandel im Orchesterbetrieb ist ein Zusammenspiel auf vielen verschiedenen Ebenen notwendig, angefangen in der musikalischen Ausbildung an Musik- und Musikhochschulen bis hin zum Arbeitsklima im Berufsorchester. Die Praktiken des Leistungssports bieten eine Möglichkeit, erfolgreiche Methoden zu kopieren, zu adaptieren oder entsprechend der Bedürfnisse des Orchesters zu variieren.

Literatur:

Hannah Bregler, 2021, Prävention

für Berufsmusiker:innen als Managementaufgabe. Was der Orchesterbetrieb

vom Profisport lernen kann, München, GRIN Verlag,

> www.grin.com/document/1152272

25 Jahre Engagement für gesundes Musizieren

Bei körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen des Musizierens bietet die SMM Beratung an. Wie läuft diese ab?

SMM — Sie sind Musikerin oder Musiker und suchen Unterstützung in Fragen der Gesundheit? Für eine Beratung können Sie per Mail bei der Beratungsstelle der Schweizerischen Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) um Kontaktnahme bitten (siehe Kästchen) und dazu eine Telefonnummer oder Mail-Adresse hinterlegen. Sie werden innert ein bis zwei Werktagen kontaktiert. Die Beratungen durch die SMM kosten nichts, sind vertraulich und unverbindlich. Sie können von Betroffenen aller Stilarten, sei es Klassik, Jazz, Pop, Volksmusik oder weiteren Stilen, in Anspruch genommen werden. Vor allem die ersten Schritte im Beratungsprozess unterscheiden sich nicht. Anatomische, physiologische und emotionale Gegebenheiten sind letztlich für alle diesselben.

In dem Mail können Sie, wenn Sie dies möchten, bereits darlegen, weshalb Sie die SMM kontaktieren. Es hilft unserer medizinischen Beraterin, sich auf das Gespräch vorzubereiten. Sie können aber auch ohne weitere Details einfach mitteilen, dass Sie eine Kontaktnahme wünschen. Gerne würden wir eine ständig besetzte und erreichbare Hotline anbieten. Allerdings würde eine solche die Ressourcen der Gesellschaft bei weitem übersteigen. Unsere Erstberaterin, eine äusserst erfahrene HNO-Spezialistin ist im Praxisalltag als Ärztin und kann deshalb Telefonate nicht jederzeit entgegennehmen.

Ist für Sie ein telefonischer Erstkontakt aus welchen Gründen auch immer dennoch die einzige Wahl, können Sie zunächst unser Sekre-tariat kontaktieren. Unser Sekre-tär Pascal Widmer wird Sie gerne über weitere Schritte informieren,ist allerdings nicht medizinischer Fachmann. Die Sekretariats-Tele-fonnummer können Sie ebenfalls einem Kästchen unten auf dieser Seite entnehmen. Aus Gründen des Arztgeheimnisses sollten Sie sich im Kontakt mit unserem Sekretär auf Fragen des formellen Vorgehens beschränken.

Unsere Beraterin hört Ihnen in einem Erstgespräch zu, schätzt Ihre Situation und Beschwerden ein und empfiehlt Ihnen gegebenenfalls weitere Abklärungen oder Behandlungen, wenn möglich in ihrer Wohnregion. Über weitere Schritte entscheiden Sie selbstbestimmt und alleine. Ihre Daten werden von der SMM nicht abgespeichert und schon gar nicht weitergegeben.

Die SMM ist vor 25 Jahren ursprünglich als Basisorganisation von Hilfesuchenden gegründet worden, in einer Zeit, in der gesundheitliche Herausforderungen im Musizieralltag noch stärker tabuisiert waren als heute und es in der Schweiz keine spezialisierten musikermedizinischen Fachkräfte gab. Im seither vergangenen Vierteljahrhundert hat sie in der Schweiz ein Netzwerk an Spezialistinnen und Spezialisten in Medizin und zahlreichen Therapieformen aufgebaut. So will sie verhindern, dass spezifische musikermedizinische Phänomene nicht übersehen oder falsch behandelt werden.

Die SMM verfolgt ausschliesslich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Sie arbeitet eng mit internationalen Fachgesellschaften auf dem Gebiet der Musikermedizin zusammen. Die Mitglieder sind Musiker, Ärztinnen, Psychologen, Therapeutinnen, Institutionen sowie Fördermitglieder und Gönner. Die Fachleute unserer Beratungsstelle sind von allen Institutionen (Orchester, Musikhochschulen, Verbände und so weiter) unabhängig. Sie haben keine finanzielle Interessen und favorisieren auch keine Therapieformen.

Wir freuen uns auch über ein allgmeines Interesse an den medizinischen Aspekten des Musizierens. Eine Mitgliedschaft in der SMM nützt Musikern und Musikern und der Musik und trägt dazu bei, dass Menschen auch in dieser stark kompetitiven Berufswelt gesund bleiben und die Musik als Quelle der Freude erhalten können.

Corona bestimmt noch immer unser Leben

Der Bundesrat hat die «besondere Lage» aufgehoben. Trotzdem ist das Corona-Virus noch immer unter uns. Das Freiburger Institut für Musikermedizin weist auf nach wie vor geltende Risiken hin.

SMM — Das Institut offeriert regelmässig aufdatierte Risikoeinschätzungen und Empfehlungen. Zwar unterscheiden sich die politischen Einschätzungen zur Lage inDeutschland und der Schweiz. Die Analyse des Freiburger Teams um Claudia Spahn und Bernhard Richter ist aber auch hierzulande hilfreich. Im neuesten Update von Mitte März betont es, dass ein wichtiger und zentraler Punkt zur Bekämpfung des Corona-Virus nach wie vor das Impfen darstellt, da die Infektionszahlen weiter hoch sind. Es empfiehlt überdies die etablierten Testverfahren auch weiterhin für die Kultur. Sie minimierten das Ansteckungsrisiko bei Proben deutlich, wenn alle Teilnehmenden (unabhängig vom Datum ihrer letzten Impfung oder Genesung) tagesaktuell getestet seien.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat in einer Stellungnahme vom 11. Januar die Bedeutung der 3-G-Plus-Regel und der AHA-Regeln hervorgehoben. 3G-Plus bedeutet, dass Zutritt nur für vollständig Geimpfte oder Genesene oder Personen mit einem negativen PCR-Test gestattet ist. Ein negativer Antigen-Schnelltest reicht nicht aus. Die deutsche AHA-Regel erinnert an Abstand halten, Hygiene-Massnahmen und Alltagsmasken. Werden diese eingehalten, scheint nach aktuellem Kenntnisstand das aktive Singen und Musizieren trotz der ansteckenderen Omikron-Variante weiterhin möglich zu sein. Das Freiburger Institut empfiehlt zur Risikoreduktion bis auf weiteres zusätzlich zur 3-G-Regel einen tagesaktuellen Test für alle Teilnehmenden einer Probe oder Konzertveranstaltung, legt also deutlich restriktivere Massnahmen nahe als die Schweiz.

Seit Ende Februar ist es in Deutschland Laienchören wieder erlaubt, ohne Maske zu musizieren. Dennoch empfiehlt das Institut auch beim gemeinsamen Singen (besonders, wenn auf die Maske verzichtet werden kann) bis auf weiteres alle Teilnehmenden vor Beginn der Probe/Veranstaltung zu testen.

Vielen Menschen falle es schwer, schreibt das Team, Anschluss an das Leben vor Corona zu finden, obwohl zahlreiche Aktivitäten trotz hoher Infektionszahlen für Geimpfte wieder erlaubt seien. Besonders dem Singen hafte das Etikett an, gefährlich zu sein. Diese Barriere müsse erst wieder überwunden werden. Dass Singen und Musizieren für die psychische Gesundheit äusserst positiv und wichtig seien, müsse bei abnehmender Gefährdung durch Corona wieder neu etabliert werden. Kinder und Jugendliche im Singen und Musizieren zu fördern, sei eine besonders wichtige Aufgabe und ethische Verantwortung.

Die hauptsächliche Übertragung von Viren, die respiratorische Infekte verursachen, erfolgt laut dem Institut im Allgemeinen über Aerosole, die beim Husten und Niesen entstehen und beim Gegenüber über die Schleimhäute der Nase, des Mundes und des tiefen Respirationstraktes beim Einatmen und gegebenenfalls über die Bindehaut des Auges aufgenommen werden. Wenn eine infizierte Person beim Husten Viren ausstösst, so ist laut Simulationen davon auszugehen, dass die Viren auch nach mehreren Minuten und möglicherweise Stunden noch in der Luft nachweisbar sind, auch wenn sich die erkrankte Person bereits wieder entfernt hat. Das Einhalten der Abstandsregel sei auch im Musizierbetrieb zum Schutz vor Tröpfchenansteckung deshalb weiterhin wichtig.

Eine Rolle spielt aber nach wie vor auch die Kontaktübertragung: Viren können von Oberflächen übertragen werden, wenn sie durch das Berühren dieser kontaminierten Flächen an die Hände gelangen und diese danach ungereinigt das Gesicht berühren – sofern die Viren bis zu diesem Zeitpunkt ihre Infektionsfähigkeit behalten haben.

Musiker und Musikerinnen aller Musikbereiche sollten «streng darauf achten, bei unspezifischen Krankheitssymptomen wie Fieber plus Atemwegsbeschwerden (trockener Husten, Katarrh) oder bei eher typischen Symptomen wie dem akuten Verlust der Riech- und Geschmacksfunktion jeden Kontakt mit anderen solange zu vermeiden bis durch die SARS-CoV-2 PCR-Untersuchung eines Abstrichs die Infektion ausgeschlossen wurde». Die neuere Omikron-Variante könne sich mit milderen Symptomen äussern, sei jedoch ansteckender als die zuvor vorherrschende Delta-Variante.

Link zum erwähnten Paper:

> www.mh-freiburg.de/service/covid-19/risikoeinschaetzung

Der Ohr-an-Ohr-Konflikt

Der Musiker und Konfliktberater Hans-Peter Achberger erhellt das soziale Innenleben klassischer Orchester.

SMM — Nach wie vor ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Orchester offenherzig Auskunft geben über die weniger idyllischen Seiten ihres sozialen und psychologischen Innenlebens. Nur allzu gerne vermitteln sie nach aussen lieber ein schönes Bild gemeinsamen Musizierens in Minne. Gesundheitliche und soziale Irritationen werden in der Regel tabuisiert.

Diesen Vorhang lüftet Hans-Peter Achberger mit einer Arbeit zu Streit- und Konfliktmustern in Kunstkollektiven, die sich bis in die kreativen Schaffensprozesse zurückverfolgen lassen. Achberger ist als Schlagzeuger Mitglied der Philharmonia Zürich, des Orchesters des Zürcher Opernhauses. Das Buch, das er vorlegt, ist eine leicht überarbeitete Version einer Masterarbeit. Er hat sie ursprünglich im Rahmen eines Studiengangs Mediation und Konfliktmanagement der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) verfasst.

Basierend auf zahlreichen Interviews mit seinen Mitmusikerinnen und Mitmusikern der Phiharmonia entwickelt er ein interessantes Modell von Störungsmustern der kreativen und psychologischen Interaktionen im Kollektiv. Den Reibungsflächen legt es übermässige Fokussierungen auf bestimmte Aspekte zugrunde und teilt diese in vier Hauptgruppen: Da spielen erstens Fixierungen auf Einflüsse von aussen eine Rolle. Dies können administrative Prozesse, das Publikum, akustische Gegebenheiten eines Raumes oder die Ensemblegrössen sein. Der zweiten Bereich, den Achberger beleuchtet, ist die Fokussierung von Mitgliedern des Orchesters auf sich selbst. Dazu gehört etwa die Angst vor dem Imageverlust, gerade auch, wenn man einsehen muss, dass die Qualität des eigenen Spiels nicht zuletzt vom Spiel der andern abhängt.

Den dritten Kreis bilden in dem Modell übermässige Aufmerksamkeiten auf die Interaktionen, das heisst auf das Wir. Dazu gehören etwa Auseinandersetzungen um Fragen der Intonation oder der Wahl von Ins-trumenten und Entscheiden über Klang und Interpretation. Der vierte schliesslich beleuchtet die übermässigen Fokussierungen auf das Gegenüber, auf das Du. Sie umfassen unter anderem Erwartungen an die künstlerische Qualität des Andern oder an mögliche Konkurrenz-Konstellationen, etwa wenn es um Fragen der Nachfolge für Stimmführer-Positionen geht.

Das Verdikt ist eindeutig: «Der klassische Orchestermusikerberuf», schliesst der Autor, «generiert eine schillernde Vielzahl berufstypischer sozialer Störungen, die das Zusammenleben und -arbeiten der Gemeinschaft Orchester erschweren und persönliches Leid hervorbringen können.» (Seite 132)

Achberger fragt sich auch, wie man alle diese oftmals subkutanen oder zur Seite geschobenen Konflikte besser aufarbeiten oder regeln könnte. Das Rezept ist im Grunde genommen naheliegend, wenn auch schwieriger zu befolgen, als vermutet. Es bedürfe, so der Autor «einer Kultur des Austausches, der gemeinsamen Rede über all jene störenden Prozesse» (Seite 131). Dazu bedarf es institutionalisierte Räume, in denen «die Sinnhaftigkeit von Konflikten diskutiert und persönliche Störungen mitgeteilt werden können» (a.a.O.). Sinfonieorchester seien aufgrund ihrer Grösse allerdings nicht mehr in der Lage, ohne eine kompetente Vermittlung sach- und zielgerecht zu agieren.

Literaturangabe:

Hans-Peter Achberger: Der Ohr-an-Ohr-Konflikt. Störungsmuster in der musikalischen Interaktion. Band 19 der Viadrina-Schriftenreihe zu Mediation und Konfliktmanagement. Wolfgang Metzner Verlag, Frankfurt am Main, 2020.

Musikermedizin in Österreich

Das 18. Symposium der SMM ermöglicht unter anderem eine Begegnung mit unserer österreichischen Schwestergesellschaft. Sie zeichnet sich durch hohe Interdisziplinarität aus.

SMM — Am diesjährigen Symposium dürfen wir neben dem Genfer Musikpsychologie-Pionier Klaus Scherer den Salzburger Schmerzspezialisten Günther Bernatzky als Keynote-Sprecher begrüssen. Er ist Mitglied des Präsidiums der ÖGfMM (Österreichische Gesellschaft für Musik und Medizin). Die Gesellschaft ist jünger als die SMM, sie wurde 2009 gegründet. In unserem östlichen Nachbarn ist das Fach der Musikermedizin aber bereits seit den 1970er-Jahren in reiche interdisziplinäre Aktivitäten eingebettet. Initiiert worden sind diese 1969 von Herbert von Karajan. Der Dirigent entstammte einer Salzburger Arztfamilie und regte früh Arbeiten zur Musikpsychologie, zur Musikphysiologie und der Musiktherapie an.

Interdisziplinarität zeichnet die österreichische Musikwirkungs- und Folgenforschung seither aus. 1973 begann der Physiker Juan G. Roederer in Ossiach im Bundesland Kärnten, Seminare zur Wechselwirkung von Gehirn und Musik zu veranstalten und im Jahr 2001 wurde an der Universität Mozarteum Salzburg das Forschungsnetz Mensch und Musik ins Leben gerufen. Viel zum Dialog der Fachgebiete beigetragen hat im Mozartjahr 2006 auch die von der International Music and Art Research Association Austria (I.M.A.R.A.A) ins Leben gerufene Konferenzreihe «Mozart & Science», die Musiksychologie, Neuromusikologie, Musiktherapie, Musikermedizin und zahlreiche weitere Disziplinen zusammenbrachte. 2004 wurde in Graz vom Musikpsychologen Richard Parncutt zudem die Konferenzreihe «Conference on Interdisciplinary Musicology» (CIM) begründet, die mittlerweile weltweite Resonanz gefunden hat.

Auch die ÖGfMM blickt über die Ränder der einzelnen Disziplinen hinaus. Sie fördert explizit die «interdisziplinäre Zusammenarbeit derer, die an der Ausbildung und Berufsbegleitung von Musikern beteiligt sind, wie Instrumental- und Gesangspädagogen, Arbeitswissenschafter, Naturwissenschafter, Instrumentenhersteller, Ärzte, Zahnärzte, Physiotherapeuten und verwandte Bereiche des gehobenen medizinisch-technischen Fachdienstes, Sport- und Musikwissenschafter, Musikpsychologen, Alexander-Lehrer, Feldenkrais-Pädagogen, Musiktherapeuten, Ergotherapeuten und Vermittler anderer ähnlicher Therapieformen».

Brückenbauer aus Salzburg

Auch Günther Benatzky forscht und lehrt ausgeprochen interdisziplinär. Er ist Spezialist für Schmerzphysiologie und -therapie bei verschiedenen Erkrankungen (Migräne, Nierenkolik, Rückenschmerz, Tumorschmerz und andere), hat die Wirkung von Musik und Gesang bei verschiedenen Krankheiten untersucht (Schmerz, Parkinson, Demenz, Depression, Alter), aber auch ihre Wirkung auf Tiere. Er hat überdies mitgeholfen, benutzerfreundliche Musikwiedergabegeräte für alte Menschen zu entwickeln, und er unterrichtet Musikermedizin am Mozarteum Salzburg. Wir freuen uns sehr, ihn in der Schweiz begrüssen zu dürfen.

Körperorientierte Arbeit in der Musik

Das 18.Symposium der SMM steht unter dem Motto «Ein Ziel – viele Wege», Körperorientierte Ansätze in der Musik. Die Keynotes von Günther Bernatzky und Klaus Scherer begleiten dabei Einblicke in die Körperarbeit und ihre unterschiedlichen Methoden. Das Angebot an Köpertherapien in der Musik ist beinahe unüberblickbar. Es kann deshalb schwierig sein, herauszufinden, welche Methode für Hilfesuchende die Passendste sein könnte. Das Symposium bietet die einzigartige Gelegenheit, zahlreiche Formen der Körperarbeit im musikalischen Alltag in Form von Kurzreferaten und Präsentationen sowie im persönlichen Gespräch an einer Tischmesse kennenzulernen. Mehr dazu findet sich in dieser Musikzeitung auch auf der Seite 39 des SMPV.

Das 18. Symposium der SMM findet am 23. Oktober im Stapferhaus Lenzburg statt. Details und ein Anmeldeformular finden sich unter:

> www.musik-medizin.ch/aktuelles-symposium

Auftrittsängste und ihre Begleiterscheinungen

Zwei Hypothesen erklären physiologische und kognitive Begleiterscheinungen von Lampenfieber.

SMM — Wenn von einer Person gesagt wird, sie müsse «leer schlucken», weist dies darauf hin, dass sie an-gespannt und in einer Situation möglicherweise überfordert ist. Im Deutschen wird das Phänomen bildhaft als «Kloss im Hals» bezeichnet. Solche Situationen kennen auch Musikerinnen und Musiker nur allzu gut, wenn sie sich auf der Bühne ausgestellt sehen und mit Erwar-tungen einer perfekten Darbietung konfrontiert sind. Die physiolo-gischen Begleiterscheinungen des Lampenfiebers sind mehr als deut-lich spürbar. Auch gut vorbereitete Profis können in solchen angstfördernden Momenten feststellen, wie ihre motorische Geschicklichkeit und ihre kognitive Wahrnehmungsfä-higkeit beeinträchtigt werden, ohne dass sie darauf Einfluss nehmen könnten. Da erstaunt es, dass die Wissenschaft zur Zeit noch nicht in der Lage ist zu erklären, welchem Zusammenspiel physiologische Zustände und kognitive Einstellungen dabei folgen.

Die mit Fragen der Neuropsychologie beschäftigten Forschenden Shinichi Furuya, Reiko Ishimaru und Noriko Nagata vom japanischen Kwansei Gakuin Institute haben auf der Basis von Interviews mit 258 Pianistinnen und Pianisten acht verhaltensbezogene, psychologische und physiologische Faktoren identifiziert, die zum Phänomen beitragen. Zu ihnen gehört die von der Anwesenheit des Publikums abgelenkte Aufmerksamkeit, eine nicht mehr abrufbare Selbstverständlichkeit motorischer Abläufe, Wahrnehmungsstörungen (wie Tunnelblick), Neurotismen und Gedächtnisversagen.

Zwei Hypothesen zur Erklärung des Phänomens werden laut dem Team üblicherweise diskutiert. Die eine – nennen wir sie Ablenkungshypothese – erklärt die Leistungs-beeinträchtigung dadurch, dass sich unter Stress die Aufmerksamkeit von der eigentlichen Aufgabe auf irrelevante Ereignisse richtet. Die zweite – die Hypothese der bewussten Überwachung – nimmt an, dass die Leistung beeinträchtigt wird, weil gut eingeübte Prozesse nicht mehr wie in entspannten Situa-tionen automatisch ablaufen, sondern angstbeladen wieder expliziter Kontrolle unterworfen werden. Das drängende Gefühl, in einer solchen Situation jetzt ja nicht zu versagen, führt dazu, dass die bewusste Steuerung von Bewegungsabläufen angestrebt wird.

Die Daten des japanischen Teams lassen darauf schliessen, dass hauptsächlich die Ablenkung die Reaktionen bestimmt. Das Team verschweigt aber nicht, dass andere Studien die Vermutung nahelegten, beide Phänomene spielten eine Rolle – sowohl die abgelenkte Fokussierung als auch das Bedürfnis, Bewegungsabläufe zu kontrollieren, die unter normalen Bedingungen im Flow ablaufen.

Hilfestellungen müssen für Betroffene individuell definiert werden. Zum Katalog möglicher Massnahmen gehören Verhaltenstherapien, das schriftliche Formulieren von Ängsten vor einer solchen Situation, Coaching oder Mentaltraining. Auch Übungen zur besseren Kontrolle der Muskelspannung können hilfreich sein. Beispielsweise lassen sich unökonomische Muskelbeanspruchungen etwa beim Klavierspiel mit dem Üben von unterschiedlich rhythmisierten Bewegungsfolgen reduzieren. So kann übermässiger Aufmerksamkeit entgegen gearbeitet werden, die zum Beispiel unnötige Muskelanspannungen mit sich bringt und damit die zeitliche Präzision beim Klavierspielen beeinträchtigt. Skeptisch zeigt sich das Team mit Blick auf eine medikamentöse Behandlung. So könne etwa die Einnahme von Betablockern das Risiko motorischen Fehlverhaltens sogar erhöhen – weil sie die Aktivitäten des Sympathikus dämpften.

Originalartikel

Shinichi Furuya, Reiko Ishimaru, Noriko Nagata: «Factors of choking under pressure in musicians», Plos One, Januar 2021, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0244082

Autismus und Musik

Die Hinweise auf komplexe Zusammenhänge zwischen absolutem Gehör und Autismus verdichten sich.

SMM — Die Fähigkeit, absolut zu hören, ist in den letzten Jahrzehnten auffallend neu bewertet worden. Seit dem 19. Jahrhundert galt es romantisierend als von der Natur oder Gott gegebenes Distinktionsmerkmal «echter» Musikprofis. Als beinahe selbstverständlich galt dabei, dass Absoluthörende in Wahrnehmung und Wiedergabe von Musik genauer seien als nicht absolut Hörende. Genauigkeit wiederum galt unhinterfragt als Qualitätsmerkmal. Genaueres Spiel wurde gerne auch gleichgesetzt mit expressiverem Spiel. Dem Narrativ folgend galten demnach Absoluthörer als eine eigene Kaste von Virtuosen des emotionalen Ausdrucks.

Diese einfachen Zusammenhänge zwischen Emotionalität, Präzision und Absoluthören werden heute allerdings mehr und mehr hinter-fragt. Eine vom Musikphysiologen Eckhart Altenmüller betreute Dissertation der Neurowissenschaftlerin Teresa Wenhart trägt dazu wesentlich bei. Kürzlich hätten, schreibt die Autorin in der Zusammenfassung der Arbeit, zwei Studien von vermehr-ten autistischen Persönlichkeitsmerkmalen bei Musikern und Musikerinnen mit absolutem Gehör berichtet. Mehrere Fallstudien und Studien mit kleinen Stichproben hätten häufiges Vorkommen von absolutem Gehör bei autistischen Personen festgestellt. Darüber hinaus sei in mehreren Untersuchungen beider Populationen ähnliche Gehirnkonnektivität in Bezug auf Über- und Unterkonnektivität des Gehirns berichtet worden. Es sei jedoch noch unklar, wie dieses Zusammentreffen erklärt werden könne. Irritierend für das traditio-nelle Narrativ der Zusammenhänge zwischen Musik, absolutem Gehör und Emotionali-tät ist, dass die Fähigkeit zur kognitiven Empathie im Falle von Autimus gar nicht oder nur schwach ausgeprägt ist, wie etwa eine Studie von Bons, Egon van den Broek und Floor Scheepers («Motor, emotional, and cognitive empathy in children and adolescents with autism spectrum disorder and conduct disorder», Journal of abnormal child psychology. Band 41, Nummer 3, April 2013, S. 425–443) feststellt.

Da sich die kritische Periode für die Ausbildung des absoluten Gehörs mit einer Periode der detailorientierten Wahrnehmung während der normalen kindlichen Entwicklung überschneidet, könnte ein für Autismus typischer detailorientierter «kognitiver Stil», das heisst, «die Veranlagung, eingehende sensorische Informationen auf eine bestimmte Weise zu verarbeiten, als gemeinsamer Rahmen für die Erklärung der Ähnlichkeiten dienen».

Wenhrt untersuchte insgesamt 64 Musikprofessionelle, unter anderm mit Elektroenzephalographie, Messungen autistischer Symptome sowie auditorischen und visuellen Experimenten. Im Allgemeinen zeigten Absoluthörende dabei mehr autistische Merkmale als Relativhörende. Die beobachteten Effekte legen nahe, dass Absoluthörende im Vergleich zu Relativhörenden tendenziell eine stärker auf Details ausgerichtete Verarbeitung und eine weniger kontextbezogene Integration besitzen.

Dies zeigt sich offenbar auch in den Hirnstrukturen. Laut Wenhart weist ein typisches menschliches Gehirn ein effizientes Netzwerks aus stark in sich vernetzten Modulen (Segregation) und wenigen Querverbindungen zwischen diesen Modulen (Integration) auf. In ihrer Studie zeigten Absoluthörenden jedoch gegenüber Relativhörenden weitestgehend reduzierte Integration und Segregation sowie reduzierte interhemisphärische Verbindungen.

Die Studie gibt einen Hinweis darauf, dass absolutes Gehör und Autismus durch Ähnlichkeiten im kognitiven Stil und in der Konnek-tivität des Gehirns in Verbindung stehen könnten. Inkonsistenzen der Ergebnisse spiegelten, so Wenhart, darüber hinaus die Heterogenität des absoluten Gehörs als Phänomen wider.

Literatur:

Teresa Wenhart: Absolute pitch ability, cognitive style and autistic traits: a neuropsychological and electrophysiological study. Dissertation (Tierärztliche Hochschule Hannover), Hannover, 2019.

Fit für den Neustart

Die von Covid-19 erzwungene Konzertpause macht es schwierig, normale Überoutinen aufrecht zu erhalten. Die Rückkehr in den Normalbetrieb kann dann zu einem Schock werden.

SMM –– Nachdem im Frühling die Konzerttätigkeiten runtergefahren und nach den Sommerferien wieder aufgenommen worden sind, haben einige Therapiepraxen der SMM überraschenden Zustrom verzeichnet. Musikerinnen und Musiker hatten während der Zwangspause offensichtlich ihre Überoutinen am Instrument und Sportaktivitäten vernachlässigt und waren nicht mehr in Form, um die neuen Herausforderungen zu bewältigen.

Es besteht die Gefahr, dass sich das mit dem erneuten Stopp des Konzertlebens nun wiederholt. Verstärkt dadurch, dass nicht geplant werden kann. Niemand weiss im Moment, wann die strikten Massnahmen des Bundes und der Kantone wieder aufgehoben werden. Die Unmöglichkeit einer Planung ist aber eines der grössten Hindernisse, um Routinen und Zielstrebigkeit aufrechtzuerhalten.

Gewiss scheint nach den Erfahrungen dieses Sommers, dass das Ende der erzwungenen Pause grosse Herausforderungen mit sich bringen wird. Dienste in Orchestern dürften – nicht zuletzt wegen Nachholbedarfs – speziell intensiv werden. Das kann dazu führen, dass zum Beispiel das Gewicht des eigenen Instruments ungewohnte körperliche Probleme erzeugen kann. Erhöhte Anspannungen können Schmerzen akzentuieren, die mit regelmässiger Therapie, musikerspezifischen Übungen oder sportlicher Aktivität zuvor unter einer Schwelle der Behinderung gehalten werden konnten. Unsicherheiten über technische und motorische Fertigkeiten am Instrument können Auftrittsängste und damit Stress erzeugen, der wiederum die Gefahr von Verspannungen und Verkrampfungen deutlich erhöht.

Das Risiko kennen wir aus einer vergleichbaren Situation: Studierende neigen dazu, vor Prüfungen ihre Übezeiten kurzfristig stark zu erhöhen. Dieser Schock für den Körper kann dann dazu führen, dass der Körper genau in dem Moment, in dem an einer Prüfung höchste Präsenz, körperliche Top-Verfassung, Präzision und Virtuosität gefragt wäre, streikt. Zudem kann auch alleine die fehlende Konzert-Routine – die für viele von Ihnen sonst selbstverständlich ist – nach längerer Pause zu Auftrittsängsten und Nervosität führen.

In Sportkreisen ist das Bewusstsein dafür heute selbstverständlich, dass auch ausserhalb des Wettkampfalltags die individuelle «Fitness» sorgfältig geplant und gewahrt werden muss. Musizieren auf professionellem Niveau ist mit Spitzensport vergleichbar, gerade auch, was die körperlichen Anforderungen betrifft. Ein mit der Sportwelt vergleichbares Problem-bewusstsein fehlt unter Musikern aber noch.

Der Naturheilpraktiker Samuel Büchel ist in Spiez, und in Bern in der Praxis Wallner tätig, die sich in unmittelbarer Nähe zum Konzertlokal des Berner Symphonieorchesters befindet. Er kennt die Sorgen und Nöte der Orchestermusiker und rät ihnen, die Zeit möglichst gelassen zu nutzen, um auf den Neustart des Konzertlebens bereit zu sein. Wer bereits Therapien oder regelmässige Kör-perübungen absolviert, sollte diese keinesfalls absetzen. Nach Pausen können bei einer Wiederaufnah-me Schmerzen auftreten, die sich unter normalen Bedingungen nicht zeigten.

Vielleicht möchten Sie Ihre Zwangspause auch für das Aufgleisen einer neuen Überoutine nutzen? Neue Fitness- und Bewegungsübungen oder musikerspezifische Angebote und Körperübungen ausprobieren und in Ihren Musikeralltag integrieren? Vielleicht haben Sie sich schon länger vorgenommen, wieder einmal intensiv am Klang, Ihrem Atem oder Ansatz zu feilen? Mehr Leichtigkeit in Ihre feinmotorischen Bewegungen zu bringen oder Ihre Bühnenangst endlich anzugehen?

Alleine oder aber mit professioneller Unterstützung – jetzt wäre das Zeitfenster da, solche Vorhaben umzusetzen und sich diese Entwicklungschancen zu gönnen. Wir freuen uns, Sie hoffentlich bald wieder live auf der Bühne zu sehen und zu hören, liebe Musikerinnen und Musiker!

Einstehen für gesundes Musizieren

Das 18. Symposium der SMM bietet in schwierigen Zeiten Orientierung im Therapiendschungel und Gelegenheit zum Austausch zwischen Musizierenden und Gesundheitsfachleuten.

Wolfgang Böhler* — Die Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) vereint unter einem Dach Fachleute aus Medizin und unterschiedlichsten Therapieansätzen, aber auch Wissenschaftler und Berufmusikerinnen. Ein zentrales Anliegen der SMM ist es, den konstruktiven Dialog zwischen diesen Gruppen anzuregen. Sie will aber auch Musikerinnen und Musikern helfen, die mit spezifischen gesundheitlichen Einschränkungen kämpfen oder einfach interessiert sind, ihr Musizieren auf nachhaltig gesunde Basis zu stellen.

Wir sind stolz darauf, dass sich in unserem Kreis Ärzte und Ärztinnen finden, die auf höchstem Niveau medizinische Lösungen für Musikerkrankungen anbieten können. Im Alltag sind Hilfesuchenden aus der Musikwelt Vertrauenspersonen mit niederschwelligen Therapieangeboten in der Regel allerdings näher als die medizinischen Spezialisten, die in der Regel mit der Hektik in Kliniken oder Praxen zurecht kommen müssen. Die Vielfalt an Methoden, Schulen und Techniken des Therapiedschungels kann verwirren. Der Entscheid für eine Technik bleibt dann nicht selten Zufall – meist aufgrund persönlicher Begegnungen oder Empfehlungen.

Mit dem 18. Symposium möchte die SMM Hilfesuchenden Gelegenheit bieten, einige der wichtigsten körperorientierten Ansätze in der Musik an einem Ort kennenzulernen und zugleich die Möglichkeit wahrzunehmen, mit ihren Vertretern unverbindlich ins Gespräch zu kommen. Auch die Therapeuten und Therapeutinnen sollen an diesem Tag aufeinander zugehen können. Dabei soll ein Motto gelten, dass der amerikanische Erkenntnistheoretiker Nelson Goodman ein-mal für die Philosophie geprägt hatte: Anbietende von Therapien sollen heute nicht mehr danach beurteilt werden, welche Schulen und Welt-anschauungen sie repräsentieren, sondern für welche Probleme sie Lösungen erarbeiten.

Eine Uraufführung zum Auftakt

Mit grosser Freude können wir mitteilen, dass wir das Symposium mit einer ungewöhnlichen Uraufführung eröffnen dürfen. Es handelt sich um ein hoch interessantes Werk des Klarinettisten und Saxophonisten Fabio da Silva, der sich zur Zeit an der HKB weiterbildet. Rugueux 2, ein Spiel zwischen Live Performance und vorproduzierten Klängen für Baritonsaxophon und Bassklarinette ist eine von einem vorproduziertem Tonband begleitete Tieftonperformance. Die Instrumente, die sich vor allem in der Tiefe sehr gut mischen, nähern sich mikrotonal spezifischen Frequenzen. Mehrklänge werden gefiltert, es entstehen stärkere und schwächere Reibungen.

*Der Musikpsychologe und Musikproduzent Wolfgang Böhler ist seit Januar dieses Jahres Präsident der SMM.

In Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Interpretenstiftung SIS, der Hochschule der Künste Bern HKB, dem Schweizerischen Musikpädagogischen Verband SMPV und dem Verband Musikschulen Schweiz VMS.

Auf der Bühne und an Tischen werden verschiedene anerkannte und bewährte Formen körperorientierter Ansätze in der Musik vorgestellt. Keynotesprecher sind Klaus Scherer (Musikpschologe und Gründer des Genfer Centre Interfacul-taire en Sciences Affectives) und Günther Bernatzky (Gründer des Salzburger Schmerzinstituts und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Musik und Medizin).

Samstag, 24. Oktober 2020, 9.50 – 17.00 Uhr, Hochschule der Künste Bern, Papiermühlestrasse 13a, 3014 Bern. Kosten: Mitglieder SMM, Studierende und Mitarbeitende der HKB: 30 Franken; Nichtmitglieder 90 Franken; Studierende im Erststudium freier Eintritt.

Das Schutzkonzept des Symposiums wird zeitnah der aktuellen Pandemiesituation und den entsprechenden kantonalen und nationalen Bestimmungen und Empfehlungen angepasst. Es kann deshalb zu kurzfristigen Umstellungen im Programm kommen.

Informationen und Anmel-dung: Telefon 032 636 17 71 oder www.musik-medizin.ch, Anmeldeschluss: 10. Oktober 2020.

Mehr Infos:

> www.musik-medizin.ch/aktuelles-symposium

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