Inspiration – die Interviews

Für meinen Artikel «Mysterium unter der Dusche» (Schweizer Musikzeitung 12/2023) habe ich Musikerinnen und Musiker befragt. Ihre ausführlichen Antworten sind hier in alphabetischer Reihenfolge zu lesen.

 

 

Pfeifend dahinschlendern: Niklaus Keller in Bologna. Foto: zVg

Annakin, Singer/Songwriter

Was bedeutet für dich «Inspiration»? 

Inspiration ist für mich der Geisteszustand, den es braucht, um einen guten Song zu schreiben. Sie ist die Epiphanie, also eine Offenbarung oder ein Geistesblitz, der Einschuss an Endorphin und der Beginn von etwas Spannendem. Sie steht am Anfang und ist wichtig, damit der kreative Prozess fliesst.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Ohne Inspiration geht es für mich eigentlich nicht, weil man ohne sie kaum oder nur harzig vorwärtskommt. Und ich glaube auch, dass man es einem Song anhört, weil er dann uninspiriert tönt. Die Inspiration ist für mich also eine unabdingbare Quelle, um kreativ arbeiten zu können und vielleicht auch ein Qualitätssiegel. Ich glaube nicht, dass das Ergebnis das gleiche ist, wenn man uninspiriert hart an etwas Kreativem arbeitet. Denn die Inspiration beseelt meiner Meinung nach das Werk.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration?

 Ich habe irgendwann gemerkt, dass es Methoden gibt, um die Inspiration anzuzapfen. Oft schreibe ich auf der Suche nach guten Lyrics zum Beispiel einfach meinen inneren Monolog auf. Früher oder später kreisen meine Gedanken dann um etwas, das sich lohnt zu verfolgen oder es entsteht dabei ein Wortspiel, das ich aufnehme. Grundsätzlich findet man aber überall Inspiration, wenn man seine Sinne dafür schärft. Gerade kürzlich habe ich ein Schild, auf dem «Brockenhaus» stand von weitem nicht recht lesen können und meinte, es stehe da «Broken Hans». Ein wunderbarer Titel für einen neuen Song, fand ich.

Möchtest du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen? 

Embrace it while you can! Es ist oft eine flüchtige Liaison mit der Inspiration und harte Arbeit, sie über längere Zeit an der Seite zu behalten.

https://annakin.net

 

Benjamin Amaru, Singer/Songwriter

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

Inspiration (in Bezug zur Kunst/Schaffung) ist für mich etwas, auf das ich hinarbeiten möchte. Ich sehe es meistens in Form von anderen Künstlern, welche etwas erreichen was ich erstrebenswert finde. Wichtig ist dabei für mich vor allem, wie sie es erreichen und wie authentisch sie dabei sind, zu sich selbst und zur Aussenwelt. Dabei inbegriffen sind Dinge, welche mich berühren und oder beeindrucken. Sprich, alles, was etwas mit mir macht und womit ich mich identifizieren kann, kann für mich Inspiration sein und zu eben diesem Prozess oder Werdegang, den ich verfolge, dazu gehören.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Ich denke man kommt um «harte Arbeit» nicht herum. Jedoch finde ich, dass Inspiration auch im Zentrum harter Arbeit steht. Warum arbeitet man hart? Der Drive dabei ist für mich genauso gelinkt zur Inspiration wie bei allem anderem. Dementsprechend, glaube ich, dass Inspiration im Zentrum jedes Schaffens liegt.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

Bei mir kommt das sehr sporadisch. Es braucht keinen bestimmten Zustand oder eine spezifische Situation, nur den Willen inspiriert zu sein.

https://benjaminamaru.com

 

Daniel Schnyder, Komponist

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

 Es bedeutet, dass etwas deinen Geist anregt. Das kann nun von aussen kommen oder von innen. Der Geist, der «inspiriert», also den Menschen besucht, ist überall, aber man kann sich ihm nicht immer gleich öffnen. Er klingelt teils auch zu ungünstigen Momenten an der Künstlertür. Was löst die Inspiration aus? Ein Schaffensumfeld kann inspirierend wirken, andere Menschen, Künstler. Aber auch das Alleinsein kann inspirieren. Wie gesagt, Geist wohnt überall, nur offenbart er sich nicht immer.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

 Inspiration heisst Energie; ja es braucht Inspiration zum Schaffen, und dann sofort harte konzentrierte Arbeit, sonst ist der Geist gleich wieder weg. Man kann Inspiration nicht «verschieben». Harte Arbeit alleine reicht leider nicht. Man hat dann einfach nicht die Kraft, etwas zu tun. Man versiegt ohne Inspiration. Heute ist die Ablenkung die Gefahr; alles strebt nach dem Energieminimum, das ist Physik, Chemie: d.h.: Kühlschrank, News, Wellness, TV, Social Media. Da marschiert der Geist dann grad wieder zur Tür raus … Wenn es aber gelingt dabei zu bleiben, gibts eben den «Inspirationssog», wo dann gleich ein ganzer Strom von Ideen, Schaffensdrang und Kairos zusammen kommen.

 Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

Andere Musiker, tolle Konzerte, grossartige Werke der Vergangenheit; aber auch tolle Literatur und andere Kulturen.

Möchtest du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen?

 Ja; ich glaube es gibt einen übergeordneten «Schaffensgeist», der den Menschen auszeichnet und ihm die Möglichkeit gibt, eine Art «Gegenschöpfung» zu entwerfen. Wenn man sich diesem übergeordneten Spiritus anschliessen kann, sich mit ihm verbinden kann, ist man zu Sachen befähigt, die man eigentlich nicht kann. Das meint z. B. Bach, wenn er in den kompliziertesten Teilen seiner Kompositionen JESU JUVA schreibt. Man möchte den Geist dazu bringen, einem zu helfen, den Kairos, den Punkt des Gelingens zu erreichen. Das bedeutet dann Glück.

Das ist auch der einzige Grund, weshalb man das überhaupt tut. Es gibt ja keinen kommerziellen Sinn, eine vierstimmige Spiralfuge zu schreiben. Man kann damit heuer auch nicht mehr bluffen hahaha. Aber wenn’s dann gespielt wird und funktioniert, ist das natürlich toll und ein Glücksmoment. Und Jahre später versteht man dann nimmer, wie das alles so gut zusammen passt und gelingen konnte: Man schafft als Komponist seine eigenen Schöpfungsrätsel, hahaha.

https://www.danielschnyder.com/

 

Emanuela Hutter, Hillbilly Moon Explosion

Was bedeutet für dich «Inspiration»? 

Inspiration ist für mich lebenserhaltend. Wie das Öl im Getriebe.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Zum Kreieren von Neuem, nie Dagewesenem, braucht es sehr wohl Inspiration. Für die Umsetzung der Inspiration braucht es die harte Arbeit. Und sehr viel Ausdauer.

 Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

Dem Lockdown sei Dank durfte ich die Erfahrung machen, dass ich nur zu kreativem Schaffen tauge, wenn ich in sozialer Interaktion mit Menschen bin, und zwar mit Unbekannten. Das Beobachten von fremden Menschen inspiriert mich und regt meine Fantasie an. Zuhause abgeschottet mit der Familie in Harmonie und Geborgenheit rumzulümmeln, ist zwar wunderschön und wirkt entspannend, ist für mich indessen kontraproduktiv. Ich schrieb während des ganzen Lockdowns kein einziges Lied.

Wie schreibt man einen Ohrwurm?

Ohrwürmer können blödsinnig aufdringlich und unangenehm sein. Manchmal fallen sie mich beim Aufwachen an und schwirren ruchlos weiter im Kopf, und wenn ich sie verarbeiten will, sind sie zu schmierig und aufdringlich, als dass etwas Schönes daraus werden kann. In solchen Fällen ist das Vertrauen in die Zusammenarbeit mit einem Mitmusiker oder Produzenten fruchtbar. Eine Zusammenarbeit, die Nichtübereinstimmung und Spannung zulässt und aushält. Auf einen Ohrwurm abzuzielen, finde ich schwierig.

Möchtest Du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen?

Inspiration ist etwas Wundervolles, weil es einem einfach passiert. Wie ein Hauch daherkommt. Ohne sich darum bemühen zu müssen. Es fühlt sich an wie Verlieben. Und kann weder erzwungen noch gekauft werden. Das ist mitunter ein schöner Aspekt.

https://www.hillbillymoon.com/

 

James Varghese, Musiker/Produzent

Was bedeutet für dich «Inspiration»?  

Inspiration ist der Grund, wieso ich kreieren muss. Es ist, als ob ich etwas Wichtiges habe, das ich unbedingt sagen will. Es muss raus. Es ist ein Glücksgefühl, ein «Flash». Wobei Glücksgefühl nicht ganz treffend ist. Man ist dann eher fokussiert, «in the zone». Ich hüpfe nicht vor Freude im Studio herum. Ich werde eher still, demütig und dankbar, dass ich diesen Moment erleben darf. Es fühlt sich dann auch nicht so an, als hätte ICH etwas getan oder kreiert. Es ist ein spirituelles Erlebnis und man selber fühlt sich dann nicht als Akteur, eher als Medium.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?  

Wenn ich nur kreieren würde, wenn ich inspiriert bin, würde nie ein Song fertiggestellt werden. Es braucht immer auch den Aspekt der harten, trockenen Arbeit. Aber nur durch harte Arbeit würde ich nie einen Song interessant genug finden, um ihn zu veröffentlichen. Da ich auch nicht steuern kann, wann ich inspiriert bin und wann nicht, muss ich auch ins Studio, wenn ich gerade keine Lust habe. Es gibt viele Bereiche der Musik, an denen ich arbeiten kann, auch wenn ich uninspiriert bin.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration?  

Wenn ich das nur wüsste! Musik hören kann zu Inspiration führen und umgekehrt auch die Stille. Da ich in der Stadt wohne, sind Ausflüge in die Natur immer sehr inspirierend. Vielleicht geht es einfach um den Szenenwechsel. Besuche in anderen Städten lösen auch immer sehr viel aus. Es fühlt sich manchmal an, wie eine Batterie, die aufgeladen wird.

Wie ist die Idee einer Zusammenarbeit mit Simone Felber in der Bergbahn zustande gekommen? Hat die dadurch «erzwungene» Inspiration deine kreative Arbeit in andere Bahnen geführt, als wenn du allein bist?  

Die Zusammenarbeit wurde von der Swisscom initiiert. Sie haben ein Online-Format erschaffen, welches X-Stories heisst und Menschen aus unterschiedlichen Welten zusammenbringen soll. In unserem Fall war es Stadt X Land, Elektronische Musik X Volksmusik. Dieses Erzwungene war für mich sehr erfrischend und förderlich, weil ich das ja sonst nicht so oft habe. Ich «musste» etwas abliefern und dieser Druck hat mir gutgetan. Ich denke, immer wenn man raus aus der Comfort Zone muss, passieren spannende Sachen. Wenn ich immer nur Kollaborationen machen würde, dann hätte ich voll Lust, wenn ich plötzlich einen Tag lang allein arbeiten dürfte. Aber weil ich so oft alleine tüftle, war der Austausch sehr wertvoll und bereichernd.

Was auch geholfen hat, waren die strengen Deadlines. Ich kann ja sonst ewig an einem Track rumfeilen. Hier noch ein Detail verschieben, dort eine kleine Veränderung vornehmen, bis es «perfekt» ist. Und perfekt ist es dann trotzdem nie. Ich musste viel pragmatischer sein und das hat mir geholfen. Wir haben einen guten Mix gefunden zwischen freier Spielzeit, rumtüfteln und Suchen auf der einen und der harten Realität, dass wir 15 Minuten Musik abliefern müssen, auf der anderen Seite. Das klingt jetzt nach Kompromiss und «sich schneller zufriedengeben», so wars aber nicht. Es waren eher einfach längere Arbeitstage und kurze Nächte.

Möchtest du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen?  

Es ist ein Wort, bei dem man alles und nichts sagen kann. Und es kann auch als Totschlagargument gebraucht werden und als Ausrede, weil man es nie be- oder widerlegen kann. Ich könnte immer noch an meinem ersten Song dran sein und mir selber einreden, dass ich einfach noch auf die Inspiration warte und in der Zwischenzeit auf dem Sofa liege und mich durch Social Media scrolle. Wenn man aber diesen «Flash» mal erlebt hat, möchte man das Gefühl am liebsten für immer festhalten. Ich frage mich oft, wie es sich für andere Menschen anfühlt. Und bei welchen Aktionen oder in welchen Momenten Nicht-Musiker diesen empfinden und wie sie das ausdrücken.

https://jamesvarghese.bandcamp.com/album/uijo

https://quietloverecords.com/jamesvarghese

 

Michael Sele, The Beauty of Gemima

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

 Es ist dieser Funke, der meine Kreativität entfacht, der Moment, in dem Ideen, Emotionen und Eindrücke zusammenkommen und mich dazu bringen, etwas Neues zu erschaffen.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

 Die Inspiration steht bestenfalls am Anfang des kreativen Prozesses, der meine Arbeit zum Leben erweckt, aber da man ja nicht nur auf die ganz grosse Eingebung warten kann, habe ich schon auch meine Techniken entwickelt, um meine Kreativität zu fördern. Und hier kommt dann der Aspekt der Arbeit dazu. Diese kann mehr als mühsam, gar frustrierend sein, doch ist sie auch die einzige treue und furchtlose Begleiterin, die während des ganzen Prozesses an meiner Seite ist.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

 Inspiration finde ich in vielen Aspekten des Lebens, denn grundsätzlich ist man ja tagtäglich, um nicht zu sagen pausenlos von Ideen und Eindrücken umgeben. Wichtig ist einfach dabei, dass ich mich auch auf dem Weg befinde, etwas Neues erschaffen zu wollen. Nur dann sind meine Antennen auch aktiv und ich kann Signale empfangen. Auszubrechen aus der täglichen Routine, die Wohlfühlzone zu verlassen, wieder einmal die Nacht zum Tag zu machen, rauszugehen, die warme Stube zu verlassen, Konzerte zu besuchen, ins Theater zu gehen, ins Kino, all dies sind Umstände oder wunderbare Dinge, welche dann die Signale exponentiell verstärken.

Kann man einen Ohrwurm erzwingen?

 Ein Ohrwurm ist ja in der Regel ein eingängiges Lied oder eine Melodie, die immer wieder im Geist auftaucht. Man kann auf jeden Fall versuchen, eingängige Melodien zu komponieren, die das Potenzial haben, bei den Hörern einen Ohrwurm auszulösen. Dies kann durch die Verwendung bestimmter Harmonien, Melodien oder Texte erreicht werden, die leicht im Gedächtnis haften bleiben. Da gibt es ja ganze Lehrbücher, welche die grossen Hits analysiert haben und versucht haben, einen sogenannten Erfolgsschlüssel daraus abzuleiten. Produktionsteams und Plattenfirmen versuchen diese Schemas auch anzuwenden und wenn dieser Song dann noch pausenlos und in Dauerrotation auf allen Kanälen läuft, stehen die Chancen sicher nicht schlecht, dass aus dem Ohrwurm bestenfalls auch noch ein Hit wird.

Möchtest Du noch etwas anderes zum Thema «Inspiration» sagen?

 Inspiration im Sinne von Einatmen bedeutet doch eigentlich nichts anderes als, dass jeder Mensch zum Überleben Inspiration braucht und Inspiration für andere sein kann und muss.

https://www.thebeautyofgemina.com

 

Nik Bärtsch, Musiker/Komponist

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

Ein künstlerisches Werk, eine Performance ein Fussballspiel müssen belebt werden – in der Entstehung und während der Ausführung. Regeln, Können und ein fettes Budget alleine reichen nicht. Wir sprechen von «beseelt» wenn ein Ereignis Empathie, Emotion und Gemeinschaft auslöst. Dies geschieht durch den «Atem der Dinge» – den Beteiligten Lebewesen wird Leben eingehaucht. Sie beginnen an das gemeinsame Hier und Jetzt zu glauben.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Inspiration ist wie ein japanischer Geist, der ständig in andere Körper wechselt. Sie taucht sowohl aus dem Nichts unter der Dusche auf, wie während harter Arbeit. Erzwingen lässt sie sich also nicht, aber evozieren schon: durch Geduld und Hingabe an die Musik, sozusagen in der künstlerischen Ekstase als Dauerzustand.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

 Work-Flow – egal ob im Stress oder mit viel Zeit und Platz, der Tunnelblick muss also stimmen. Der Komponist Morton Feldman sagt dazu: Um zu komponieren braucht es zwei Sachen – bedingungslose Konzentration und den Glauben daran. Ich würde noch ergänzen: ungeheure Freude an der Musik. So wurde übrigens der FCZ Meister vor Kurzem gegen die überbezahlte und angefettete Konkurrenz: Freude, Fokus, Glaube.

https://www.nikbaertsch.com

 

Niklaus Keller, Komponist

Wärest du dazu bereit, mir ein paar Fragen zum Thema «Inspiration» zu beantworten?

Gerne, denn:

A: Inspiration und Kreation sind die zwei Eckpfeiler meines Lebens. Geist und Schöpfung bestimmen mein Dasein, von der Muse geküsst, komponiere ich meinem Studierzimmer. Keine Ahnung was ich dort mache, der göttliche Funke durchdringt mich und den Federkiel in meiner Hand, die Noten schreiben sich von selber.

B: Vielleicht doch nicht, ich mache Musikstücke und habe wenig Ahnung von den neurologischen Abfolgen im Gehirn. Inspiration und Kreation sind schlussendlich vielleicht nichts anders als elektrische Ladungen und der Mensch kreiert nur Neues, genauso wie er auf einen Berg steigt, nämlich weil der Berg da ist. Er schreibt also Musik, weil er es kann und aus keinem Grund mehr.

Ob A oder B die Musik tönt gleich. Gut, dann können wir jetzt mit dem Interview beginnen, «Herr Keller, vielen Dank für die Einleitung.»

Was bedeutet für dich «Inspiration»?

Inspiration bedeutet für mich, einen Einfall zu haben, ohne aktiv nachzudenken zu müssen, der Spirit dringt hierbei unerwartet ins Bewusstsein und wird wahrgenommen. Dies geschieht in einem Moment der Entspanntheit und Selbstverlorenheit, die beide nicht bewusst herbeizuführen sind, weil  der ganze Vorgang, ich wiederhole mich, unerwartet passiert.

Mir fallen leider nicht schlagartig abendfüllende Sinfonien ein, es sind dies eher kurze Motive und Melodien, die sich mir meistens offenbaren, wenn ich pfeifend dahinschlendere. Wenn mir ein Motiv gefällt, nehme ich es mit meinem Device, dem Mobiltelefon, auf.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

Inspiration ist für mich nichts Übersinnliches, sie wird vom Menschen respektive seinem Hirn selber generiert, tendenziell unbewusst und entsteht aus dem, was man als Musik in seinem Hirn gespeichert hat und wird ebendort neu zusammengestellt, wenn es denn ein originaler Einfall ist. Wie bereits gesagt, sind es bei mir kurze Melodien, die mir einfallen. Nachher beginnt die harte Arbeit, die sich manchmal lohnt, wenn die Idee gut ist. Die Inspiration ist der Baustein und eine Hilfe, um zu beginnen.

Dass die Inspiration als Einstiegshilfe dient, sieht man auch daran, dass manche Musiker glauben, Inspirationen seien eine direkte Botschaft Gottes. Das Vertrauen auf Gott gibt einem sicher zusätzliche Kraft und legitimiert das eigene Schaffen. Man kann aber auch ohne Inspiration anfangen, denn es gibt auch andere Parameter neben der Inspiration, die eine Rolle spielen, wie zum Beispiel der Drang etwas kreieren zu wollen, welches in sich stimmt, wie ein Designer bei einem formschönen Automobil oder ein Fussballer bei einem schön gestossenen Freistoss oder wie bei Rossini, wenn er was Gutes kocht.

Und ja, es ist Arbeit. Man arbeitet lange, denn es soll nicht nach harter Arbeit, sondern wie aus dem Stegreif gemacht klingen, und es soll auch gut klingen, also sollte man auch handwerklich gewisse Fertigkeiten aufweisen.

Welche Umstände führen bei dir am ehesten zu kreativer Inspiration, und künstlerischen Resultaten?

Da habe ich leider keine Antwort parat. Ich denke nicht einmal Beethoven wüsste eine, denn sogar er hat, wenn ich mich richtig entsinne, im Opernbereich nicht 100%ige Resultate erzielt. Hätte er die Situation richtig einzuschätzen gewusst, hätte er keine Opern geschrieben – oder bessere. Aber eben, Inspiration ist nicht alles, es kommt auch darauf an, dass man sich von seinem eigenen Machen befreit und es quasi von aussen anschaut. Wie es die Beatles beim Liederschreiben gegenseitig füreinander machten. Die Inspiration findet zudem nicht nur am Anfang statt. Auch während der Arbeit hat man wieder neue Ideen, die eine Folge der Initialzündung sind.

https://niklauskeller.bandcamp.com/

 

Romaine Blum, Wintershome

Was bedeutet für dich/euch «Inspiration»? 

 Inspiration ist das, wovon ein Musiker lebt. Es ist der Herzschlag unseres kreativen Daseins. Inspiration ist das, was sich nicht erklären lässt, die Magie, die hinter einem Song steckt, das gewisse Etwas.

Braucht es zum Kreieren «Inspiration» oder reicht auch harte Arbeit?

 Es braucht auf jeden Fall Inspiration. Mit harter Arbeit kann man einiges erreichen, aber ich bin überzeugt, dass es gerade in der Kreativarbeit Eingebungen braucht, die irgendwo herkommen und dich finden. Ich denke nur harte Arbeit bringt keine innere Zufriedenheit, weil eben diese Magie fehlt.

Welche Umstände führen bei dir/euch am ehesten zu kreativer Inspiration und künstlerischen Resultaten?

 Ganz Alltägliches, aber auch die ganz grossen Gefühle. Manchmal schreibt man einen Song über eine Trennung, einen Verlust, eine Geburt eines Kindes oder andere einschneidende Erlebnisse. Aber manchmal reicht nur ein Satz aus einem guten Buch, welcher dich inspiriert, einen Song zu schreiben.

Kann man einen Ohrwurm mit Kalkül erzwingen? Ihr habt ja zum Teil wahnsinnig süffige Refrains …

 Wir glauben nicht, dass man das erzwingen kann. Wir haben das tatsächlich schon paarmal probiert. Sind aber immer wieder an den Punkt gelangt, wo wir nicht mehr weiterkamen oder unzufrieden wurden, und genau da kommt die Inspiration ins Spiel. Am besten klappts, wenn man offen dafür ist, und keine Erwartungen hat, und dann fliesst es einfach plötzlich.

https://www.wintershome.ch/

Ausgabe 12/2023 – Focus «Geschenk»

Inhaltsverzeichnis

Focus

Begabung ist ein Geschenk, ihre Entfaltung ein Glück
Interview mit Michael Eidenbenz

Musik schenken zum Fest
Musikalische Gaben jenseits von CDs und Vinyl

Musikalische Widmungen
Eine kleine Sammlung

Mysterium unter der Dusche
Das Geschenk der Inspiration
Link zu den ausführlichen Interviews online

 (kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)

 

Critiques

Rezensionen von Tonträgern, Büchern, Noten

 

Echo

Maria Schmidt und Theodor Kirchner
Zum Geburtstag des Komponisten die Erstveröffentlichung eines Porträts seiner Frau

Rachmaninow in Luzern
Ausstellung im Luzerner Hans-Erni-Museum

« La partition permet de me connecter aux autres »
Entretien avec David Philip Hefti

Chronist der Nachkriegsmoderne
Nachruf auf Fritz Muggler

Verlorenheiten und Ausbrüche
Donaueschinger Musiktage 2023

Stabwechsel bei den «Talentscouts»
Orpheum-Stiftung: Howard Griffiths übergibt an Oliver Schnyder

Radio Francesco
Spectres | Geister

Le réveil de musiques endormies
Des cahiers d’anciens airs à danser viennent d’être publiés

Volksmusik in Graubünden
Ausstellung «Grenzenlos lüpfig» im Rätischen Museum in Chur

Wer sich wohlfühlt, bleibt motiviert
Symposium Swissmedmusica

«360-Grad-Panorama der musikalischen Bildung»
Aktualisiertes Berufsleitbild Musikpädagogik

Chatten über …
Musikinstrumente als Geschenk

Bach, lo Stato e Spotify: Carte blanche
per Zeno Gabaglio


Basis

Artikel und Nachrichten aus den Musikverbänden

Eidgenössischer Orchesterverband (EOV) / Société Fédérale des Orchestres (SFO)

Konferenz Musikhochschulen Schweiz (KMHS) / Conférence des Hautes Ecoles de Musique Suisse (CHEMS)

Kalaidos Musikhochschule / Kalaidos Haute École de Musique

Schweizer Musikrat (SMR) / Conseil Suisse de la Musique (CSM)

CHorama

Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) / Association suisse de Médecine de la Musique (SMM)

Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) / Société Suisse de Musicologie (SSM)

Schweizerischer Musikerverband (SMV) / Union Suisse des Artistes Musiciens (USDAM)

Schweizerischer Musikpädagogischer Verband (SMPV) / Société Suisse de Pédagogie Musicale (SSPM)

SONART – Musikschaffende Schweiz

Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW)

Arosa Kultur

SUISA – Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik

Verband Musikschulen Schweiz (VMS) / Association Suisse des Écoles de Musique (ASEM)

 

Heimliche Organspende
Rätsel von Michael Kube

________________________________________

Ausgabe für CHF 8.- (+ CHF 2.- Versandkosten) bestellen

«360-Grad-Panorama der musikalischen Bildung»

Do-re-mi im stillen Kämmerlein – ist es das, was eine Musikpädagogin, ein Musikpädagoge im Alltag tut? Seit Juni 2021 nahm eine breit abgestützte Arbeitsgruppe unter der Leitung des Verbands Musikschulen Schweiz den Beruf unter die Lupe und entwickelte ein zeitgemässes Berufsleitbild.

Symbolbild. Foto: fransz/depositphotos.com

Der berufliche Weg zum Musikpädagogen, zur Musikpädagogin ist klar vorgegeben. Nach der bestandenen Aufnahmeprüfung an einer Hochschule absolvieren Studierende einen Bachelor- und einen Masterstudiengang, letzteren mit Fokus auf Musikpädagogik und Fachdidaktik. Daraufhin unterrichten sie selbständig oder an Musikschulen, oft in Teilzeit, damit genug Raum bleibt für die eigene künstlerische Arbeit. – Eine knappe Zusammenfassung, die dem Strauss an Möglichkeiten, die sich nach erfolgreichem Abschluss bieten, nicht ganz gerecht wird. Denn was bedeutet das: Musik unterrichten? Ist es der Einzelunterricht am Instrument für Kinder im Schulalter? Ist es die Leitung eines Angebots im Bereich Musik und Bewegung? Die Leitung des Eltern-Kind-Singens, des Ensembles für Senioren, des Jugendorchesters, von Bands aller Stilrichtungen? Der Unterricht im Teamteaching mit Lehrpersonen der Volksschule? Die Organisation und Leitung von Musicals und Konzerten? Der Aufbau eines Angebots für Music Producing am Smartphone oder am Computer?

Berufsverständnis vereinheitlichen

Im November 2023 veröffentlichte die Arbeitsgruppe, bestehend aus Mitgliedern verschiedener Verbände sowie Vertreterinnen und Vertretern von Hochschulen und Musikschulen aus der ganzen Schweiz, das Berufsleitbild Musikpädagog*in. Das Dokument soll sowohl Musikstudierenden und Musikhochschulen wie auch Bildungsverantwortlichen, Politikerinnen und Politikern als Grundlage dienen. Es ist als Aktualisierung des 2006 entwickelten Leitbilds zu verstehen und gibt in vier Kapiteln Einblick in Themen wie den Bildungsauftrag, die Aus- und Weiterbildung sowie das musikalische Lehren und Lernen an sich.

Der Schüler, die Schülerin im Zentrum

Besonders wichtig ist der Arbeitsgruppe der Grundwert der «Schüler*innenzentriertheit»: Musiklehrpersonen sollen sich ganz auf ihr Gegenüber ausrichten. Dazu gehört zum Beispiel die Berücksichtigung unterschiedlicher Biografien, aber auch des individuellen Erfahrungsschatzes der Schülerinnen und Schüler. Von den Lehrpersonen erfordert dies eine inklusive Haltung und die Sensibilität für vielfältige Bedürfnisse und spezielle Lernprofile. Diese Haltung, gerade unter Einbezug der körperlichen Dimension, ist vor allem im Bereich Musik und Bewegung zentral, wie Céline Shuler, Leiterin der Geschäftsstelle Rhythmik Schweiz, betont.

Breiten- und Talentförderung – Musik für alle

Ein weiterer zentraler Punkt im Berufsleitbild besagt, dass Musikpädagoginnen und -pädagogen Botschafter der musikalischen Bildung sind und sich für Chancengerechtigkeit einsetzen. «Musikpädagogen und -pädagoginnen führen ihre Schülerinnen und Schüler zum aktiven Musizieren sowohl in der Breite als auch in der Spitze», meint dazu Marcel Blanchard, Prorektor Musikschule Konservatorium Zürich. Auch Matteo Piazza, Präsident der Tessiner Musikschulvereinigung FeSMuT (Federazione delle Scuole di Musica Ticinesi), unterstreicht die Bedeutung der Chancengerechtigkeit in der musikalischen Bildung, die im Artikel 67a der Bundesverfassung ja gesetzlich verankert ist.

Weiterentwickeln, weiterdenken

Das Konzept des lebenslangen Lernens kommt auch in der Musikpädagogik zum Tragen. Dieses Lernen könne sich vielfältig gestalten, besagt das Leitbild. Genannt werden Gefässe wie Coaching oder Teamteaching genauso wie die Teilnahme an Weiterbildungsprogrammen sowohl im pädagogischen wie auch im künstlerischen Bereich.

Öffentliches Bewusstsein fördern

Kreativ seien Musiklehrpersonen, musikalische Vorbilder, motivierend, kompetent in Organisation und Projektmanagement und doch, wo nötig, spontan, interessiert an aktuellen Entwicklungen und fähig zur Zusammenarbeit in verschiedenen Teams. Das sind hohe Anforderungen. – Gibt es solche Musikpädagoginnen und -pädagogen? «Oh ja, vieles ist nicht neu und wird bereits so gelebt», sagt Christian Braun, Leiter der Musikschule St. Gallen. «Leider sind viele Facetten dieses tollen Berufs in der Öffentlichkeit noch nicht bekannt», ergänzt Philippe Müller, Leiter des Cercle Lémanique d’Études Musicales in Lutry. Julien Feltin, Leiter der École de Jazz et de Musique Actuelle in Lausanne, bezeichnet das Dokument als ein «360-Grad-Panorama der musikalischen Bildung in der Schweiz». Für die Arbeitsgruppe ist klar: Das Berufsleitbild soll inspirieren und als Grundlage für Reflexion und Weiterentwicklung dienen. Gleichzeitig soll es aufzeigen, worin das Potenzial der musikalischen Bildung liegt – mit dem Ziel, das Angebot in der ganzen Schweiz strukturell und politisch weiter zu verankern.

 

Das Berufsleitbild liegt in
Deutsch https://www.verband-musikschulen.ch/de/musikschule/musikpaedagogik/berufsleitbild
Französisch https://www.verband-musikschulen.ch/fr/musikschule/musikpaedagogik/berufsleitbild
und Italienisch https://www.verband-musikschulen.ch/it/musikschule/musikpaedagogik/berufsleitbild
vor.

Schweizer Chorleitungspreis Swiss Made 2024

Die Basler Madrigalisten schreiben zusammen mit weiteren Partnern erstmals einen Preis für Chorleitung aus. Der Wettbewerb ist verbunden mit einer Masterclass.

 

Die Basler Madrigalisten unter der Leitung von Raphael Immoos (vorne Mitte). Foto: Christoph Läser

Bewerbungsaufruf an junge Chorleiterinnen und Chorleiter mit Wohn- und Arbeitsort in der Schweiz

Die Basler Madrigalisten schreiben in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Lyceum Club der Schweiz, Schweizer Chorverbänden und dem Medienpartner Schweizer Radio SRF2 Kultur erstmals den «Schweizer Chorleitungspreis Swiss Made» aus. Dieser Preis soll junge, talentierte Chorleiterinnen und Chorleiter fördern und ist der erste seiner Art in der Schweiz.

Der Gewinner resp. die Gewinnerin erhält die einzigartige Gelegenheit, im Folgejahr gemeinsam mit den Basler Madrigalisten, dem renommierten Kammerchor professionell ausgebildeter Sängerinnen und Sänger, ein Konzertprogramm zu entwickeln und aufzuführen. Die Zusammenarbeit ermöglicht praktische Erfahrungen in Probentechnik, Projekt- und Konzertorganisation.

Masterclass mit Wettbewerb: 15. bis 17. Februar 2024, Musik-Akademie der Stadt Basel

Hast du ein Berufsdiplom in Chorleitung und lebst und arbeitest in der Schweiz? Dann bewirb dich jetzt! Die Vorauswahl ermöglicht dir:

  • 4 Dirigate à 30 Minuten mit den Basler Madrigalisten, inklusive Generalprobe und Wettbewerbskonzert.
  • Ein individuelles Coaching während der Masterclass mit Raphael Immoos, dem künstlerischen Leiter der Basler Madrigalisten.
  • Die Teilnahme am 1. Schweizer Chorleitungswettbewerb Swiss Made mit der Chance, ein eigenes Projekt mit den Basler Madrigalisten zu gewinnen.

Bewerbungsfrist: 17. Dezember 2023

Programmdetails und Anmeldeformalitäten findest du auf unserer Website www.basler-madrigalisten.ch. Jetzt anmelden und mitmachen!

Fortuna zu Gast im ausverkauften Stadtcasino

Am Samstag, 11. November, brachte der junge Basler Verein vokal:orgel Carl Orffs «Carmina Burana» auf die Bühne des Stadtcasinos. Mit über 200 jungen Stimmen, Orgel, Perkussionsensemble und einer äusserst lebendigen Inszenierung.

Alle Bilder: Fotoman

Jede und jeder kennt es, das hochdramatische O Fortuna – in zahllosen Werbespots verwertet, und damit von seinem ursprünglichen Kontext mittlerweile weitgehend losgelöst. Eigentlich bildet das Stück den Rahmen von Carl Orffs Carmina Burana, einer szenischen Kantate über die Launenhaftigkeit und die Ambivalenzen der menschlichen Existenz. Orff vertonte dafür 24 der insgesamt 254 Dichtungen der mittelalterlichen Handschrift Codex Buranus, entstanden im 11. und 12. Jahrhundert.

Dieses heute weltbekannte Werk erklang am Samstag, 11. November in ganzer Fülle im Stadtcasino Basel. Hauptverantwortlich dafür waren Organistin Babette Mondry und Chorleiter Tobias Stückelberger, die 2022 den Verein vokal:orgel ins Leben gerufen haben und mit diesem regelmässig neue Formate für Chor und Orgel präsentieren.

Neu war bei der Aufführung von Carmina Burana schon der Anfang: Sie begann nicht mit O Fortuna, sondern mit einer Art Prolog – Hanna Marti, Spezialistin für Mittelalter-Musik, sang das ebenfalls aus dem Codex Buranus stammende Vacillantis trutine und begleitete sich dabei selbst auf der Harfe. Nach einer Überleitung folgte dann das Werk Orffs in seiner ursprünglichen Struktur. Neu war die Instrumentierung: Mondry imitierte an der vielseitigen Stadtcasino-Orgel die meisten Instrumente, dazu spielte das Perkussionsensemble der Hochschule für Musik FHNW unter der Leitung von Matthias Würsch. Es war das erste Mal, dass eine Orgel-Fassung der Carmina Burana zu hören war – adaptiert wurde sie von Mondry selbst, die extra für dieses Projekt die Verlagsrechte des Werks einholte.

Szenische Elemente

Der Chor bestand aus über 200 bunt gekleideten jungen Sängerinnen und Sängern, zusammengesetzt aus dem Jungen Kammerchor Basel und Chören der Gymnasien Bäumlihof, Kirschgarten, Muttenz und Oberwil. Die Solo-Stimmen waren mit Sopranistin Jardena Flückiger, Bariton Yannick Debus und Countertenor Julian Schmidlin besetzt. Speziell waren auch die zahlreichen szenischen Elemente vom Chor und den Solo-Stimmen, die das Werk zwar eigentlich vorsieht, die heute aber nur noch selten umgesetzt werden.

Carmina Burana handelt – in Szenen auf dem Feld, in der Schenke oder im Hof der Liebe – vom Auf-und-Ab des Lebens, von den wechselnden Stimmungen und Launen der (menschlichen) Natur, symbolisiert vom sich immer weiterdrehenden Rad der Fortuna. Die Aufführung im Stadtcasino unter der Leitung von Tobias Stückelberger überzeugte auf ganzer Linie, denn sie schaffte es erstens gekonnt, zwischen dörflich-naivem und apokalyptischem Klang hin- und her zu wechseln. Zweitens waren die Inszenierung der Schweizer Regisseurin Mélanie Huber sowie die Musik voller Leben – wie es sein sollte, bei einem Werk über die Ambivalenzen der menschlichen Existenz. Das ausverkaufte Stadtcasino würdigte den Auftritt mit Standing Ovations.

Wer sich wohlfühlt, bleibt motiviert

Unter dem Titel «Are you motivated?» fand am Samstag, 11. November 2023, in Freiburg das diesjährige Symposium von Swissmedmusica statt.

Zur Eröffnung spielten Justine Pittet (Violine), Nino Overney (Viola) und Edgar Dupré (Cello) vom Conservatoire Fribourg Ernst von Dohnányis Streichtrio op. 10. Foto: zVg

Prävention im Musikunterricht sei lange ein Tabuthema gewesen, sagte Pia Bucher, Gründungsmitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Musikmedizin, heute Swissmedmusica SMM, in ihrem Grusswort der Schweizerischen Interpretenstiftung SIS. Niemand habe zugeben wollen, dass es einem im Musikerberuf nicht immer gut gehe. Besonders durch die Pandemie habe sich das aber geändert. Auch soziale Sicherheit trage viel zur psychischen und physischen Gesundheit bei. Deshalb riet sie den Anwesenden, das Vorsorgeportal für Kulturschaffende sein-oder-nichtsein.ch zu besuchen und sich über die Möglichkeiten zu informieren.

Selbstbestimmtes Musizieren

Durch die ersten drei Referate zog sich als roter Faden die Forderung nach Individualität: Anke Grell erinnerte daran, dass Musikunterricht für Kinder und Jugendliche oft die einzige 1:1-Zeit mit einer erwachsenen Person ausserhalb der Familie sei. Welche Verantwortung sich daraus für eine Musiklehrperson ergibt, versteht sich von selbst. Durch spielerischen und individuell angepassten Unterricht lässt sich die Motivation zum Musizieren und auch zum Üben erhalten. Die Lernenden werden dazu angeleitet herauszufinden, mit wie viel Aufwand sie ihre Ziele erreichen, und sie sollen ihrer Ausbildungsstufe gemäss selbst Verantwortung für ihr Üben übernehmen dürfen. So entsteht eine intrinsische Motivation, die nachhaltiger ist, als eine vom familiären Umfeld oder von überambitionierten Lehrkräften aufgezwungene.

Oliver Margulies schreckte auf mit der Aussage, dass drei Viertel aller Berufsmusiker und -musikerinnen berufsbedingte gesundheitliche Beschwerden haben. Verkrampfungen, Fehlhaltungen und einseitige Belastungen führen oft dazu, dass schon jugendliche Musizierende an Schmerzen leiden. Es ist deshalb wichtig, dass Musikstudierende an den Hochschulen individuell musikphysiologisch unterstützt werden. Wer sich beim Musizieren wohlfühlt, bleibt motiviert, und wer zukünftig musikpädagogisch tätig sein wird, kann mit dem notwendigen musikphysiologischen Wissen bei seinen Schülerinnen und Schülern viel Positives bewirken.

Carine Tripet Lièvre hielt ein flammendes Plädoyer dafür, Musiklernende bei allfälligen Misserfolgen individuell zu begleiten. Sie beschrieb Motivation als Motor, der statt mit Benzin mit Engagement und Anstrengung genährt werde. Lernende erkennen, welche Anstrengungen zu Erfolgen führen. Bleibt diese Belohnung aus, muss die Lehrperson den stockenden Motor wieder zum Laufen zu bringen, indem sie eine Aufgabe stellt, die unmittelbar, z. B. innerhalb der nächsten Unterrichtsstunde, gelöst werden kann.

Der erlernten Auftrittsangst kann man laut Antonia Pfeiffer mit positiven Affirmationen entgegentreten, und man kann sie «wegklopfen»: PEP nennt sich die Methode, bei der man auf Akkupunkturpunkte klopft, während man sich mental in eine angsterregende oder stresserzeugende Situation begibt.

Emotionales Engagement bringt Interaktion

Wie nach jedem Referat versuchte Moderatorin Isabelle Freymond zu diesem Zeitpunkt, die Zuhörenden zu Fragen zu motivieren. «Könnte es am fehlenden Praxisbezug liegen, dass die Fragen ausbleiben?», fragte jemand. – Die behandelten Themen hatten alle einen Praxisbezug und in den Referaten wurde viel Wissen vermittelt. Etwas ermüdend war aber, dass die Referierenden primär ihre Powerpoint-Präsentationen vorlasen. Einzelne interaktive Elemente hätten wohl zusätzlich motiviert.

Der ideale Zeitpunkt also für das Referat von Christian Studler: Er erzählte aus der Praxis als Musiker und als Professor für Querflöte. «Ängste fühlen sich in der Musikerseele zu Hause», meinte er und fand es erschreckend, dass an der HKB ganze Klassen vor jedem Auftritt Betablocker schluckten. Sein Mittel gegen das Anerziehen von Auftrittsängsten ist eine Feedback-Kultur, in der sich die Studierenden so akzeptiert fühlen, wie sie sind. Nicht der Zwang zur Leistung und der Kampf gegen Fehler darf im Vordergrund stehen. Vielmehr soll die Kritik aufzeigen, was alles schon da ist und was gut ist und wie man darauf aufbauen kann.

Christian Studler. Foto: zVg

Man glaubte ihm, dass er während seiner Lehrtätigkeit Menschen ausgebildet hat, und keine Musikmaschinen. Interessanterweise löste sein Referat eine Flut von Fragen aus. Das war ein Schaustück, wie echtes Engagement und Emotionalität zu motivieren vermögen!

Das übrigens zweisprachige und simultan übersetzte 19. SMM-Symposium war von Präsident Wolfgang Böhler und seinem Team perfekt organisiert. In den Pausen und beim anschliessenden Apéro blieb Zeit für angeregte Diskussionen mit Kollegen und Kolleginnen aus den Sparten Musik, Musikpädagogik, Medizin, Psychologie und Therapie, und an der Tischmesse konnte man sich über neue Unterrichtsmethoden, unterstützendes Instrumentenzubehör und Präventionsmethoden informieren. Prävention steht denn auch seit dem Namenswechsel zu Swissmedmusica im Zentrum der Organisation.

Das alles motiviert, nächstes Jahr das Jubiläums-Symposium zu besuchen!

Neues Förderangebot für den Big-Band-Nachwuchs

Auf Anregung von Joe Haider wurde diesen Herbst der Verein «Joeʼs Youth Jazz Orchestra.ch» gegründet. Zentral ist die Förderung des Zusammenspiels im Jazzorchester.

Joe Haider ist der Initiant des neu gegründeten Joe’s Youth Jazz Orchestra. Foto: zVg

Joeʼs Youth Jazz Orchestra.ch fokussiert laut der aktuellen Ausschreibung auf die Auseinandersetzung mit originalem Big-Band-Material. Die Musikerinnen und Musiker im Alter von 16 bis 22 Jahren setzen sich mit Jazzliteratur und Komposition auseinander. Das Zusammenspiel in der Big Band wird ebenso gefördert wie solistische Improvisationen.

Neben Joe Haider, Pianist, Komponist, Bandleader und langjähriger Direktor der Berner Swiss Jazz School, engagieren sich in der Projektleitung Claus Reichstaller, Leiter des Jazz Instituts an der Münchner Hochschule für Musik und Theater, sowie der Trompeter Bernhard Schoch, Uster. Während der Arbeitsphase vom 2. bis 10. August in Uster werden sie von einem grossen Dozententeam unterstützt.

Weitere Konzerte in der Schweiz und im nahen Ausland sind geplant. Für die Vorspiele im März können sich in der Schweiz wohnhafte Jugendliche bis am 31. Januar 2024 anmelden.

joesyouthjazzorchestra.ch

Rachmaninow in Luzern

In den 1930er-Jahren fand der vielgereiste Pianist, Komponist und Dirigent Sergei Rachmaninow eine Zeit lang Ruhe und Erholung in Hertenstein. Mit einer Sonderausstellung bietet das Hans-Erni-Museum die Gelegenheit, sich dem Künstler und seiner Zeit zu nähern.

Sergei Rachmaninow an seinem Klavier in der Villa Senar, 1930er-Jahre. Foto: Archiv Lucerne Festival, Luzern

Das Gute an Jubiläen ist, dass wieder einmal etwas in Bewegung gerät. Die Villa Senar, ein herrschaftliches Gebäude im Bauhaus-Stil inmitten einer grossen Parkanlage in Hertenstein, war bis vor Kurzem in Privatbesitz. Seit April 2022 gehört die Liegenschaft dem Kanton Luzern. Nach umfangreichen Renovierungsarbeiten ist sie just zum 150. Geburtstag Rachmaninows (1873–1943) zeitweise für die Öffentlichkeit zugänglich. Die Serge Rachmaninoff Foundation betreut das Haus und organisiert Veranstaltungen im In- und Ausland.

In diesem Zusammenhang wurde dem Staatsarchiv Luzern auch der Nachlass übergeben, was Luzern für Forscherinnen und Forscher zu einem Rachmaninow-Brennpunkt macht. Das Ordnen und Digitalisieren ist eine aufwendige Sache, um die sich das Staatsarchiv vorbildlich kümmert. In einer Ausstellung, die zurzeit im Hans-Erni-Museum gezeigt wird, bekommt man einen Einblick in diese eindrückliche Hinterlassenschaft.

Reisekoffer, Gartenkleider und Fotos

Das Hans-Erni-Museum steht auf dem Areal des Verkehrshauses Luzern. Die Sonderausstellung zu Sergei Rachmaninow befindet sich in der obersten Etage des imposanten Rundbaus. Von Weitem sieht man eine grosse Vitrine, in der ein Reisekoffer des Virtuosen zu sehen ist und seine Originalkleidung, die er gerne bei der Gartenarbeit trug. Rachmaninow war von 1932 bis 1939 in Hertenstein, die Villa Senar war sein Rückzugsort von den anstrengenden Konzertreisen, hier konnte er auch in Ruhe komponieren. Auf diese Zeit fokussiert die Ausstellung.

Heinz Stahlhut, der Leiter des Hans-Erni-Museums, hat sie kuratiert. Den Orten Luzern und Hertenstein in den 1930er-Jahren hat er ein umfangreiches Kapitel gewidmet. Leihgaben aus dem Verkehrshaus, dem Regionalmuseum Weggis und aus Privatbesitz zeigen auf, wie attraktiv Hertenstein damals für den internationalen Tourismus war. Ein anderes Kapitel dreht sich um Architektur, Planung und Ausführung der Villa Senar durch Alfred Möri und Karl Friedrich Krebs. Grundrisspläne, Dokumente und Fotos geben Einblick in die Arbeit dieser fortschrittlichen Luzerner Architekten, die 1933/35 auch die Lukaskirche bauten.

Programm IV. Symphonie-Konzert, Internationale Musikalische Festwochen, Luzern, Ernest Ansermet und Sergei Rachmaninoff, 11.08.1939. Programmblatt, Dokumentationsbibliothek Walter Labhart, Foto: © Andri Stadler, Luzern

Rachmaninow war in erster Linie als Virtuose auf Tournee, auch während seiner Zeit in Hertenstein. Konzertprogramme und Plakate aus aller Welt sind in der Ausstellung zu sehen, insbesondere aus der Carnegie Hall New York und aus Paris. Hier darf auch Rachmaninows einziger Auftritt an den Internationalen Musikfestwochen Luzern nicht fehlen. Am 11. August 1939 spielte er unter der Leitung von Ernest Ansermet Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur, und seine eigene Rhapsodie sur un thème de Paganini für Klavier und Orchester op. 43.

Es sind in dieser Ausstellung vor allem die schön präsentierten historischen Fotos von Rachmaninow, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Man sieht ihn entweder bei der Arbeit am Flügel oder in privater Runde. Ein Blickfang sind auch die zahlreichen, auch russischen Ausgaben von Rachmaninows wohl populärstem Klavierstück, dem Prélude cis-moll op. 3 Nr. 2. Sie stammen aus der Dokumentationsbibliothek von Walter Labhart. Alte Schellackplatten zeugen von einer anderen Zeit der Aufnahmetechnik.

Variationen, Essays und Veranstaltungen

Als Rachmaninow nach Luzern kam, war er in einer Schaffenskrise. Erst nach langer Pause voller künstlerischer Selbstzweifel fand er zu seiner Kreativität zurück. In Hertenstein schrieb er die Variations sur un thème de Corelli op. 42, die Paganini-Rhapsodie und seine dritte Sinfonie op. 44. Neben interessanten Ausgaben dieser Werke ist etwa die Dirigierpartitur der Paganini-Rhapsodie des namhaften Dirigenten Willem Mengelberg zu sehen, versehen mit dessen Eintragungen. Alle drei Werke kann man im Erni-Museum auch anhören.

Ein Katalog zur Ausstellung vertieft Rachmaninows Zeit in Luzern essayistisch. Darin gibt etwa Karl Bühlmann Einblicke in Luzerns Kunstleben der Dreissigerjahre, Elger Nies trägt Indischer Sommer am Vierwaldstättersee bei und Graziella Contratto macht einen Versuch über das grosse Glück, Rachmaninows Musik und der See. Er ist reich bebildert und mit einer Biografie, einer Bibliografie und einer Werkliste versehen.

 

H. Friebel-Sahli: Villa Senar. Gartenfront, 1934. Foto: Stadtarchiv Sursee

Verkehrshaus Luzern, Hans-Erni-Museum, noch bis am 14. Januar 2024.
Der Katalog ist auch digital erhältlich: heinz.stahlhut@verkehrshaus.ch
23. 11. 2023, 18 Uhr: Ausstellungsgespräch zur Villa Senar
14. 1. 2023, 14 Uhr: Finissage-Konzert mit den Corelli-Variationen (Tommaso Carlini)

Serge Rachmaninoff Foundation: https://rachmaninoff.ch

Erfolg für die Männerstimmen Basel

Die Männerstimmen Basel holen am internationalen Wettbewerb des «City of Derry International Choir Festival» in Nordirland 91,4 Punkte. Damit erreichen sie Platz 4 hinter drei Spitzenchören aus Lettland, England und Norwegen.

Männerstimmen Basel. Foto: zVg

Wie die Männerstimmen Basel mitteilen, wurde der Chor unter der Leitung von David Rossel am internationalen Wettbewerb des City of Derry International Choir Festival mit dem Spezialpreis «Outstanding Performance of a First-Time Participant» ausgezeichnet. Er platzierte sich direkt hinter Chören aus Lettland (94,8), England (94,3) und Norwegen (93,1). Neben der Auftragskomposition Diluvium des Schweizer Komponisten Ivo Antognini führten die rund 25 Basler weitere anspruchsvolle Kompositionen auf, etwa Francis Poulencs Chanson à boire.

Zu diesem Wettbewerb werden aus zahlreichen Bewerbungen  nur wenige preisgekrönte Chöre zugelassen. Das Festival existiert seit 2013.

 

Erfolgreiche Schweizer Chöre an der Chorolympiade

An den 5. European Choir Games im schwedischen Norrköping wurde die Knabenkantorei Basel unter der Leitung von Oliver Rudin «Europameister». Auch die Männerstimmen des Boys Choir Lucerne wurden mit Goldmedaillen ausgezeichnet.

Knabenkantorei Basel. Foto: Knabenkantorei Basel

Die Knabenkantorei Basel, deren Mitglieder zwischen 14 und 25 Jahre alt sind, schwang unter der Leitung von Oliver Rudin in der Kategorie «Musica Sacra mit Begleitung» oben aus. Sowohl in der Champions Competition als auch im Grand Prix of Nations wurde sie erstplatziert und mit Goldmedaillen ausgezeichnet.

Eine weitere Goldmedaille erhielt sie in der Kategorie «Youth Choirs» der Champions Competition. An diesem Wettbewerb wurde sie von den Männerstimmen des Boys Choir Lucerne um einen Punkt übertroffen. Der Chor unter der Leitung von Andreas Wiedmer ersang sich auch beim Grand Prix of Nations in der Kategorie «Youth Choirs» eine Goldmedaille. Die beiden Chöre brachten fünf von insgesamt 25 verliehenen Goldmedaillen nach Hause.

 

Concours Nicati 2023

Une nouvelle édition tournée vers l’avenir.

https://www.nicati.ch. Graphiste : Thomas Hirter

La 10ème édition du Concours Nicati, le concours suisse de musique contemporaine organisé par la Fondation Nicati-de Luze, a eu lieu à Lucerne du 21 au 27 août. Elle a été accuellie par la HSLU-Musik, partenaire de l’événement. Trois catégories étaient présentes : Solo et Ensemble où les candidates et candidats ont interprété des compositions suisses et internationales écrites après 1945 et la catégorie Open space avec des créations n’ayant pas la forme d’un concert conventionnel. Le Concours a réuni de nombreuses facettes de la musique contemporaine : pièces instrumentales et vocales, théâtre musical, électronique, œuvres multimédia et performances multidisciplinaires.

6 ensembles, 14 solistes et 9 projets Open space, provenant de toutes les zones de la Suisse, ont été sélectionnés. En 7 jours, le public a librement assisté à 26 concerts et 11 spectacles, y compris les finales suivies d’apéritifs offerts à tous.

Les prix des finalistes s’élèvent à un montant de 48000 CHF avec en sus, pour les premiers prix, l’opportunité de se produire dans les saisons d’IGNM Bern, SMC Lausanne et FNML Luzern.

Palmarès 2023

Prix Interprétation Ensemble

1er : Duet 2.26. Clara Giner Franco (flûte), Hèctor Rodríguez Palacios (flûte)

Duet 2.26.  Photo : Erwin Fonseca

 

2ème : Duo Signal. Adrián Albaladejo Díaz (trombone), Alejandro Oliván Lopez (saxophones)

Duo Signal.  Photo : Erwin Fonseca

3ème : Moser String Quartet. Ariadna Bataller Calatayud (alto), Lea Galasso (violoncelle), Kanon Miyashita  (violon), Patricia Muro Francia (violon)

Moser String Quartet.  Photo : Erwin Fonseca

 

Prix Interprétation Solo

1er : Francesco Palmieri (guitares)

Francesco Palmieri. Photo : Erwin Fonseca

2ème : Alexandre Ferreira Silva (percussions)

Alexandre Ferreira Silva. Photo : Erwin Fonseca

3ème : Nora Bertogg (voix)

Nora Bertogg. Photo : Erwin Fonseca

 

Prix Open space

1er : Can Etterlin (composition et performance)

Can Etterlin. Photo : Erwin Fonseca

2ème : Ludmilla Mercier et Andrea Zamengo (composition et performance)

Andrea Zamengo et Ludmilla Mercier. Photo : Erwin Fonseca

 

La prochaine édition est prévue en 2025.

 

Site web : nicati.ch

Instagram : concoursnicati2023

Ausgabe 11/2023 – Focus «Genf»

Inhaltsverzeichnis

Focus

Kunstunterricht muss das Herzstück jeglicher Bildung sein
Interview mit Philippe Régana

Abendunterhaltung auf dem Weg zum Mont Blanc
Der Tourismus beeinflusste das Genfer Musikleben

Der Sound der besetzten Häuser
Die Genfer Musikszene floriert wie nie zuvor
Link zur Playlist Geneva

Komponieren in der Calvin-Stadt
Einige Genfer Tonkünstlerinnen und Tonkünstler im Laufe der Jahrhunderte

 (kursiv = Zusammenfassung in Deutsch des französischen Originalartikels)

 

Critiques

Rezensionen von Tonträgern, Büchern, Noten

 

Echo

Sanftes soziokulturelles Abenteuer
Tessiner Musikdorf Sobrio

Una per tutti, tutti per una
La Festa federale della musica popolare di Bellinzona

Angst um und vor dem Musikunterricht
Podium in Zürich

Im Paradies der Kulturpolitik
Schweizer Musikpreise 2023

Ein Kampus-Fest in Luzern
Musikinstitutionen im Südpol

Concours Hélène de Montgeroult à Romont
Pour jeunes pianistes

Musikalienhandel in der Nische
Eine Umschau

«Hellhörig-Machen» war sein grosses Anliegen
Urs Frauchiger

Radio Francesco
Far west | Wilder Westen

Alte Musik fürs heutige Publikum
Forum Alte Musik Zürich

Jodel, Joik und Krimanchuli
Film«Beyond Tradition»

Lutherie sauvage et musique pour tous
Joue à ton rythme

Clavardons …
au sujet de l’ethnomusicologie à Genève

Carte blanche für Thomas Meyer
Eine kleine Schnapsidee …


Basis

Artikel und Nachrichten aus den Musikverbänden

Eidgenössischer Orchesterverband (EOV) / Société Fédérale des Orchestres (SFO)

Konferenz Musikhochschulen Schweiz (KMHS) / Conférence des Hautes Ecoles de Musique Suisse (CHEMS)

Kalaidos Musikhochschule / Kalaidos Haute École de Musique

Schweizer Musikrat (SMR) / Conseil Suisse de la Musique (CSM)

CHorama

Schweizerische Gesellschaft für Musik-Medizin (SMM) / Association suisse de Médecine de la Musique (SMM)

Schweizerische Musikforschende Gesellschaft (SMG) / Société Suisse de Musicologie (SSM)

Schweizerischer Musikerverband (SMV) / Union Suisse des Artistes Musiciens (USDAM)

Schweizerischer Musikpädagogischer Verband (SMPV) / Société Suisse de Pédagogie Musicale (SSPM)

SONART – Musikschaffende Schweiz

Stiftung Schweizerischer Jugendmusikwettbewerb (SJMW)

Arosa Kultur

SUISA – Genossenschaft der Urheber und Verleger von Musik

Verband Musikschulen Schweiz (VMS) / Association Suisse des Écoles de Musique (ASEM)

 

Ein Gaucho in Genf
Rätsel von Dirk Wieschollek

________________________________________

Ausgabe für CHF 8.- (+ CHF 2.- Versandkosten) bestellen

Donaueschingen: Verlorenheiten und Ausbrüche

«Collaboration» war der thematische Angelpunkt der Donaueschinger Musiktage 2023 vom 19. bis 22. Oktober. Zeitweilig schien die bedrückende Weltlage bis in die Kompositionen einzuwirken.

Clara Iannotta. Foto: SWR, Astrid Karger

Abrupt mittendrin bricht der leiser werdende Klangstrom ab, unvermittelt, die Musiker verharren, ein loser Faden scheint noch verloren in der Luft zu schweben. Und von einer Verlorenheit spricht auch die italienische Komponistin Clara Iannotta in ihrem Kommentar. Eine Krankheit habe sie 2020 gezwungen, sich zu verändern. Statt konzentriert arbeiten zu können, «fühlte ich mich verloren […], ich weiss noch nicht, wer ich bin und was meine Musik sein wird». Ihr Stück where the dark earth bends, komponiert für das ungemein subtil blasende Posaunenduo Rage Thormbones und das SWR-Symphonieorchester, wurde trotzdem ein erster Höhepunkt. Wie hier die Soli, das Orchester und die Elektronik zu einer Einheit verschmelzen, war schlicht meisterlich. Das Ohr wurde hineingezogen.

Diffuses und Blasses

Das war nicht immer so bei den diesjährigen Donaueschinger Musiktagen. Tatsächlich schwebte ein Gefühl von Verlorenheit heuer über manchem Stück, aber nur selten gelang es der Musik, Präsenz zu erlangen. Manches blieb zu diffus und kraftlos. Selbst die poetische und in sich überzeugende Komposition Dunst – als käme alles zurück, die Elnaz Sayedi zusammen mit der Dichterin Anja Kampmann geschaffen hat, wirkte streckenweise wie eine dystopische Idylle.

Vielleicht ist es den Zeitumständen, nein: diesen brutal kriegerischen Monaten geschuldet, dass sich eine gewisse Hoffnungslosigkeit breitmacht, Desillusionierung, die nicht an Zugkraft gewinnen mag. Die Saxofonistin Matana Roberts etwa liess in ihrer Elegy for Tyre: «Welcome to the World through my eyes …», die eines von Polizisten in Memphis getöteten Afroamerikaners gedenkt, das SWR-Symphonieorchester über eine Textpartitur improvisieren, was leider zu wenig Aussagekraft entwickelte. Weniger die Orchesterklänge bedrückten als das Flüstern am Ende. Der Versuch der US-Amerikanerin Jessie Marino, in ihren murder ballads die Gewalt an Frauen durch sanfte Lieder zu bannen, verblasste vollends. Das Stück des sonst so brillanten Perkussionisten Tyshawn Sorey, For Ross Gay (den Biografen der Basketball-Legende Julius Erving), steigerte sich nach einem gleichmässigen Kondukt erst am Ende zu einem gleissenden Crescendo.

Nuanciertes und Triebhaftes

In ihrem ersten grösstenteils eigenverantworteten Jahrgang hat die Festivalleiterin Lydia Rilling sich (neben einem hohen Grad an Diversity) das Thema «Collaboration» vorgenommen. Die ist in der «klassischen» Tradition zwar durchaus vorhanden, aber auf gewisse Bereiche wie Textvertonung oder Interpretation beschränkt. Dass ein Orchester grosse Teile einer vielleicht gar nicht mehr vorhandenen oder grafischen Partitur improvisiert oder zumindest selber gestaltet, ist die grosse Ausnahme. Die Französin Éliane Radigue verlangt aber gerade das von den Musikerinnen und Musikern. In ihrem Orchesterstück Occam Océan Cinquanta spielte das SWR-Symphonieorchester gemäss den Anweisungen der Co-Komponistin Carol Robinson aus dem Moment, wobei die Spielweise und auch die Form in groben Zügen zuvor erarbeitet worden war. Eine ungemein nuancenreiche Aufführung gelang dabei, eine weite Klanglandschaft.

Was jedoch das flexible Nebeneinander von freiem Spiel, Improvisation, Konzept- und Partiturinterpretation angeht, hatten die Kollegen und Kolleginnen vom Jazz die weitaus besseren Voraussetzungen. Für das grossartige New Yorker Quartett Yarn/Wire (mit zwei Klavieren und zwei Perkussionen) schufen die Saxofonistin Ingrid Laubrock und der Trompeter Peter Evans zwei vielfältige und anregende Stücke, die wieder einiges an Leben und Triebhaftigkeit in dieses Festival einbrachten. Ein Fazit voller Widersprüche also nach diesem Wochenende.

Younghi Pagh Paan. Foto: SWR, Astrid Karger

Berührendes und Ekstatisches

Wie so oft jedoch wurde es im Schlusskonzert auf den Kopf gestellt. Younghi Pagh-Paan gedachte in ihrem berührenden Orchesterstück Frau, warum weinst Du? Wen suchst Du? ihres verstorbenen Ehemanns Klaus Huber. Die Italienerin Francesca Verunelli spielte in Tune and Retune II mit diversen Verstimmungen – und erhielt dafür den Preis des SWR-Orchesters. Das Klavierkonzert von Steven Kazuo Takasugi schliesslich riss nochmals alle Klangmauern nieder: Splitternde Schichtungen, generiert in der Elektronik wohl mithilfe von Algorithmen, fortgesetzt im Orchester, prasselten da aufs Publikum ein, passagenweise sehr laut: eine wahre Freude! Nichts mehr von Verlorenheiten …

Orchesterpreis für Francesca Verunelli, überreicht von Markus Tilier. Foto: SWR, Ralf Brunner

Fritz Muggler: Chronist der Nachkriegsmoderne

Der Kunstkritiker und Organist Fritz Muggler ist laut Todesanzeigen in der NZZ am 25. September 2023 im Alter von 93 Jahren gestorben.

Fritz Muggler 2008. Foto: Johannes Anders/Archiv SMZ

1930 in Zürich geboren studierte Fritz Muggler Klavier, Schulmusik, Orgel, später Musikwissenschaft an der Universität Zürich bei Paul Hindemith und Kurt von Fischer, dazu Kunstwissenschaft, Journalismus, Musiktheorie und Komposition. Er war 35 Jahre lang Organist in Schlieren, schrieb für verschiedene Zeitungen, darunter bis zu seiner Pensionierung für die NZZ. An der Schola Cantorum Basiliensis studierte er bei Hans Martin Linde Blockflöte. Er gründete das NewConsortZürich, ein Ensemble für frühe Musik in Kombination mit zeitgenössischer. Viele Jahre besuchte er die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik. Zudem präsidierte er  die Schweizer Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM).

Im Januar 2008 erschien in der SMZ ein Musikprotokoll mit Fritz Muggler von Johannes Anders. Darin finden sich etwas ausführlichere Angaben zu seiner Biografie (Download PDF).

Fritz Muggler hat in der SMZ jahrelang über die Donaueschinger Musiktage berichtet. Einige PDFs zum Download:

2007
2008
2009
2010
2011
2012

 

Chronist der Nachkriegsmoderne

Nachruf auf Fritz Muggler von Max Nyffeler
(leicht gekürzt veröffentlicht in der Schweizer Musikzeitung 12/203 vom 29. November 2023, S. 31 f.)

Umfassend gebildete Musikkritiker, die sich in Alter und Neuer Musik gleichermassen auskennen und sich zudem noch als praktische Musiker betätigen, sind heute eher selten anzutreffen. Zu ihnen gehörte Fritz Muggler, der am 25. September im hohen Alter von 93 Jahren in Zürich gestorben ist. Die Öffentlichkeit nahm davon kaum Notiz. Er hatte sich schon vor längerer Zeit vom Kritikergeschäft zurückgezogen und tauchte höchstens noch bei Konzerten auf, die ihn persönlich interessierten. Und das waren, was die Gegenwartsmusik angeht, immer weniger; die jüngsten Entwicklungen liess er an sich vorbeiziehen.

Zeitgenosse der Nachkriegsavantgarde

Mit Jahrgang 1930 gehörte Fritz Muggler zur selben Alterskohorte wie die Protagonisten der Nachkriegsavantgarde: Ligeti, Stockhausen, Nono, Boulez, Kagel, Schnebel … An ihren Werken schulte er seine Kriterien. Gründliche musikalische Kenntnisse hatte er sich in seinem Klavier- und Orgelstudium am Zürcher Konservatorium erworben und in der Musikwissenschaft bei Paul Hindemith, der an der Universität Zürich ab 1951 unterrichtete. Doch als junger, neugieriger Musiker besuchte er schon früh auch die Darmstädter Ferienkurse. Damit zählte er zu den wenigen Kennern des damals aufkommenden Serialismus. Einen Eindruck von seiner Kompetenz erhielt ich Anfang der Sechzigerjahre, als ich als angehender Musikwissenschaftler bei Kurt von Fischer in Zürich an einem Seminar über Musik im 20. Jahrhundert – damals ein absolutes Novum an einer Universität – teilnahm. Zu diesem Seminar lud von Fischer Muggler ein, als Gast über Stockhausen zu referieren – er selbst sei in dieser neuen Materie eben nicht so sattelfest. Mugglers Auftritt war für alle ein Gewinn.

Seine berufliche Tätigkeit erstreckte sich über mehr als ein halbes Jahrhundert. Nach journalistischen Anfängen bei den Tageszeitungen Volksrecht und Die Tat wurde er in der Neuen Zürcher Zeitung für Jahrzehnte zu einer gewichtigen Stimme für alles Zeitgenössische, auch schrieb er viel für die Schweizerische Musikzeitung, resp. später für die Schweizer Musikzeitung. Er war stets dabei, wenn es irgendwo Neues zu hören gab, ob im In- oder Ausland. Mit seinen ein Meter neunzig war er eine unübersehbare Erscheinung, und als Gesprächspartner war er von ausnehmender Freundlichkeit – ein aufmerksamer Zuhörer, der tolerant gegenüber anderen Meinungen war und sein eigenes Ich diskret zurücknahm. Als hellwacher Musikkritiker notierte er seine Eindrücke und Überlegungen im Moment des Hörens – in Stenogrammschrift, damit er schreibend Schritt halten konnte mit der Musik. Seine Notizbücher sind ein riesiger Fundus an hörend erworbenem Wissen und müssen Regale gefüllt haben.

Fritz Muggler notierte im Moment des Hörens – in Steno. Bild: Nachlass Fritz Muggler, Zürcher Hochschule der Künste

Fakten statt Meinungen

Aufgeregte Dispute um Richtig und Falsch, einst eine Spezialität der Avantgardezirkel, waren ebenso wenig seine Sache wie Kritikerhäme oder ihr Gegenteil, der heute verbreitete Gefälligkeits- und Freunderljournalismus. Auch auf gesellschaftspolitische Debatten, nach 1968 ein Dauerbrenner in Feuilletons und Fachkreisen, und ihr Nebenprodukt, das bücherfüllende Theoretisieren, liess er sich nicht ein. Er hielt sich lieber an die erkennbaren Fakten und klingenden Resultate und war bestrebt, sie den Leserinnen und Lesern in einfacher und klarer Sprache mitzuteilen. Seine Rolle war die des rational argumentierenden, allem Neuen gegenüber aufgeschlossenen Beobachters, der in sachlich-bescheidenem Tonfall seine Eindrücke und Reflexionen zu Papier brachte – mehr nüchtern urteilender Protokollant des Geschehens als Anwalt künstlerischer Utopien. Mit dieser Haltung und seinem fundierten Wissen wurde Muggler zu einem bedeutenden Chronisten der Nachkriegsmoderne.

Scharfe Stellungnahmen

Bei aller Liberalität scheute er vor scharfen Stellungnahmen nicht zurück. Seine Berichte von den Donaueschinger Musiktagen, die er noch bis 2012 in der Schweizer Musikzeitung veröffentlichte, sind ein Schatzkästlein pointierter Kritikerurteile. Einige Müsterchen (aus den oben zum Download aufgeführten PDFs):

  • Die Komposition Apon von Beat Furrer lief sich auch tot in den kleinen Tongruppen, die dann immer dem Sprecher Platz gaben für einen Text, den man dennoch nicht verstehen konnte. Furrer hat versucht, den Klang des Sprechens orchestral nachzubilden, was ihm offensichtlich nicht gelungen ist.
  • Über Bernhard Lang, Monadologie IX: Die immerwährenden kleinteiligen Wiederholungen, die geschwätzig wirken und nichts Neues erbringen, gehen in gut 65 Minuten auf die Nerven.
  • Ein grundlegendes Problem für viele Komponisten in der nachmodernen Orchestermusik ist aber die Füllung des Klangkörpers, was früher mit Akkordmaterial geschah. Sowohl der Italiener Aureliano Cattaneo (…) als auch der in Paris geborene Franck Bedrossian in Itself bewerkstelligen dies mit einfachen Tongruppen von bemühender Banalität, beim letzteren das Blabla unterbrochen durch linkische Kraftausbrüche. Das ist Musik, die offenbar nicht damit rechnet, dass man aufs Detail hört, die nur fürs Oberflächliche sorgt.

Verriss und Lob im gleichen Atemzug

Doch der Meister des knappen Verrisses wusste im gleichen Atemzug auch zu loben:

  • Über Isabel Mundry, Ich und Du: Das Klavier, wenn auch solistisch und äusserst virtuos, ist total integriert in ganz genau ausgehorchte, wunderschön in stetiges Gleichgewicht gebrachte hochkomplexe Klangkombinationen mit darin schwirrend verwobenem Klavierklang. Dagegen langweilt Enno Poppe in Altbau mit Tonspielereien und Unausgeglichenheiten.
  • Es war völlig Phantasieloses, sich ewig Wiederholendes, dabei sängerisch höchst Anspruchsvolles, aufgemotzt zum Spass mit gestischen, mimischen und perkussiven Handlungen, was Jennifer Walshe, Clara Maïda und Iris ter Schiphorst verlangten, und nur die Berlinerin Sarah Nemtsov mit ihren Hoqueti war in ihren Satzkünsten und sinnvoll eingesetzten Zusatzeffekten überhaupt ernst zu nehmen.
  • Über Globokar, Radiographie d’un roman: Über dreiviertel Stunden ungeheuer dicht und trotz Klang- und Aktionsvielfalt, auch mit theatralischen Elementen, formal völlig überzeugend. Die Begeisterung im Publikum, zumal bei den Jungen, war riesig.

Organist, IGNM-Präsident und Radiokritiker

Neben seinem Beruf als Musikkritiker war Fritz Muggler vielseitig tätig. Er hatte bei Hanns-Martin Linde an der Schola Cantorum Basiliensis Blockflöte studiert und gründete dann das New Consort Zürich, ausserdem war er Organist in einer Kirche in Schlieren. Sein Engagement für die Gegenwartsmusik fand seinen organisatorischen Niederschlag in einer langjährigen Tätigkeit als Präsident der Schweizer Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) und als Leiter des IGNM-Weltmusikfests, das 1991 in Zürich stattfand.

Auch dem Thema Musik in den Medien wandte sich Muggler intensiv zu. In der NZZ veröffentlichte er jahrelang ausführliche Radiokritiken, eine Textsorte, die im Medienzeitalter wichtig wäre, heute aber in den Printmedien leider keinen Platz mehr findet. Und was den Rahmen der Musikkritik entschieden sprengt: Als passionierter Radiohörer nahm er zwischen 1954 und 1991 unzählige Musikprogramme schweizerischer, deutscher und österreichischer Sender auf Tonträger auf und schuf damit ein einzigartiges Archiv von klingenden Dokumenten.

Sicherung der Hinterlassenschaft

Das Material wird seit 2016 im Rahmen eines Forschungsprojekts der Zürcher Hochschule der Künste mit Unterstützung von Memoriav, der Vereinigung zur Erhaltung des audiovisuellen Kulturguts der Schweiz, konservatorisch gesichert und inventarisiert; es soll Interessierten künftig auf Anfrage zur Verfügung stehen. Ursprünglich umfasste es insgesamt 946 analoge Tonbänder mit über 18 000 Musikstücken vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Jazz und Ethnomusik. Nach einer gründlichen Sichtung des Nachlasses kommen nun nach Auskunft des Projektleiters Lukas Näf nochmals einige hundert Tonbänder dazu.

Ausserdem soll auch Mugglers umfangreiche schriftliche Hinterlassenschaft ausgewertet und inventarisiert werden. Von der riesigen Menge an Informationen, die der unermüdliche Journalist über die Jahrzehnte im In- und Ausland aufgesogen und in seinen Texten verarbeitet hat, verspricht sich Näf ergiebige Einblicke in die jüngere Schweizer Musikgeschichte. Ein erstes Projekt unter dem Titel «Im Ausland gehört» soll anhand von Mugglers Schriften die Präsenz von Schweizer Komponisten und Interpreten an internationalen Festivals Neuer Musik dokumentieren. Ein langfristiger Nebeneffekt solcher Aktivitäten: Da früher das Sammeln und Bewahren kultureller Daten von den zuständigen Institutionen in der Schweiz sträflich vernachlässigt wurde, bietet die Auswertung privater Quellen heute die Möglichkeit, die Versäumnisse zumindest etwas zu kompensieren und damit das Geschichtsbewusstsein zu stärken.

Fritz Mugglers Archiv wird eine Fundgrube sein für alle, die sich mit der jüngeren Geschichte der Musik und ihrer Interpretation sowie mit dem Wandel des musikalischen Zeitgeschmacks befassen wollen. Die ersten Archivierungsarbeiten an der ZHdK begleitete der rüstige, weit über 80-jährige Autor und Sammler noch höchstpersönlich. Die Resultate seiner lebenslang betriebenen Chronistentätigkeit in Klang und Schrift werden die Erinnerung an ihn wachhalten.

 

Tonbandsammlung Fritz Muggler an der ZHdK:

https://www.zhdk.ch/forschungsprojekt/tonbandsammlung-fritz-muggler-553597

Forschungsprojekt «Im Ausland gehört»:

https://www.zhdk.ch/forschungsprojekt/im-ausland-gehoert-schweizer-komponisten-und-interpreten-an-internationalen-festivals-neuer-musik-569891

Memoriav: https://memoriav.ch/de/projects/fritz-muggler/

Jodel, Joik und Krimanchuli

Der Film «Beyond Tradition» von Lea Hagmann und Rahel von Gunten besticht mit überwältigenden Bildern und einigen Skurrilitäten. Konfliktträchtige Aspekte werden oft nur angetippt.

Foto: ExtraMileFilms

Auf der Webseite zur Liste der Lebendigen Traditionen der Schweiz liest man: Naturjodel und Jodellied gelten weit herum als diejenigen Gesangsformen, welche die Schweiz repräsentieren. Die Unesco-Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes verpflichtet die beitretenden Länder, eine solche Liste zu erstellen. Jodeln, so erfährt man dort weiter, bezeichne «eine stimmliche Ausdrucksart, bei der Lautsilben im häufigen Wechsel zwischen Brust- und Kopfregister gesungen werden». Durch diesen Registerwechsel entstehen Kehlkopfschläge, die je nach Gesangstradition mehr oder weniger hörbar gemacht werden. Und es bilden sich Folgen von klanglich unterschiedlichen, alternierenden Tief- und Hochtönen. Die Gesangstechnik finde sich auf allen Kontinenten in mannigfachen, von Vokalbildungen, Sprachen und Dialekten geprägten Formen. Gejodelt werde unter anderem auch in Georgien als «Krimanchuli» oder in Nordeuropa. Dort würden die Samen «joiken».

Geografisch Verbindendes

In ihrem Dokumentarfilm porträtieren die Regisseurinnen Lea Hagmann und Rahel von Gunten sowie der Produzent Thomas Rickenmann neben den Appenzeller Rugguusseli diese samischen und georgischen Gesangstraditionen. Für die erzählerische Klammer sorgt dabei der junge Appenzeller Jodler Meinrad Koch, der die typische regionale Art des Naturjodels «mit der Muttermilch aufgesogen hat», wie er sagt. Für den Film reist er nach Georgien zur Tifliser Musikstudentin Ninuca Kakhiani und nach Norwegen zu Marja Mortensson, die mit Rentieren genauso gut umgehen kann wie mit ihrer Stimme. Mit dem Schlagzeuger Jakop Janssønn und dem Tubisten Daniel Herskedal verschmilzt sie moderne Klangwelten, Sampling und modalen Jazz auf faszinierende Art mit dem traditionellen Joik der Südsamen. Herskedal hat auch die atmosphärisch stimmige Titelmelodie zum Film komponiert.

Ninuca Kakhiani (links) im Tutarchela Chor unter der Leitung von Tamar Buadze. Foto: ExtraMileFilms

Weltanschaulich Trennendes

Beyond Tradition prägen in erster Linie die stupenden, virtuos komponierten Bilder der norwegischen, appenzellischen und georgischen Landschaften. Viele davon, mit einer Drohne aufgenommen, ästhetisieren und verklären die Szenarien: Die Wanderungen der nördlichen Rentier-Rudel wirken aus der Distanz wie Vogelschwärme, die trostlosen georgischen Plattenbau-Siedlungen entwickeln eine eigene Poesie. Die Bildsprache ist so stark, dass sie das eigentliche Thema das Filmes in den Hintergrund zu drängen und auch thematische Leerstellen zu verschleiern droht: Da wäre zum einen die Frage, wie das rohe Urtümliche von Naturstimmen zur Kunstform werden kann, wo sich diese beiden Phänomene doch eigentlich ausschliessen. Zum andern nennt die Produktionsfirma Extramilefilms explizit «die kritische Auseinandersetzung mit Tradition sowie die Inklusion von Innovation und Jugendkultur» als Motiv der Dokumentation. Dass Tradition und Erneuerung oft als Konflikt wahrgenommen werden und dieser emotional ausgetragen wird, davon ist im Film kaum etwas zu spüren: Wie Traditionalisten den innovativen Umgang mit Althergebrachtem sehen, wird offengelassen.

Zu diesen Unentschiedenheiten gesellen sich weitere: Sowohl Marja Mortensson als auch Meinrad Koch haben eine eher spezielle bis gewöhnungsbedürftige Beziehung zu Lebensmitteln. Koch studiert als Lebensmitteltechnologe das Potenzial von Insekten als künftiger Proteinquelle, Marja Mortensson backt aus dem Blut geschlachteter Rentiere Pfannkuchen. Vor allem letzteres durchbricht die Feel-Good-Atmopshäre des Filmes und wirkt im erzählerischen Gesamtzusammenhang auch kaum organisch eingebettet.

Sperrige Themen

Andere, eher irritierende oder sperrige Themen, die den Frieden stören könnten, werden nur erwähnt und nicht wirklich ausgeführt: Hellhörig wird man etwa, wenn die charismatische Chorleiterin Tamar Buadze in Georgien eher nebenbei den Konflikt zwischen dem Erbe der Kunstsozialisierung in der Sowjetunion und modernem Kulturverständnis anspricht (was teilweise übrigens auch für die Kultur der Samen gilt). Auch die Repressionspolitik der Skandinavier, die mit staatlichen Verboten das Joiken in die Verborgenheit abdrängte, wird bloss angetippt.

Marja Mortensson bei einem Auftritt. Foto: ExtraMileFilms

Gerne mehr erfahren hätte man auch, wenn Meinrad Koch einräumt, dass der witzig-kreative und originelle Umgang des «Hitzigen Appenzellerchors» – die Filmausschnitte mit dem von Noldi Alder gegründeten Ensemble sind höchst erfrischend – mit dem Appenzeller Kulturerbe bei Traditionalisten nicht nur Begeisterung ausgelöst hat. So bleiben vom Filmerlebnis vor allem berührende, teils überwältigend schöne Bilder und die gelungene Synthese aus Landschaftspoesie und vokalen Texturen, die im Kino Zeit und Gegenwart vergessen lassen.

Meinrad Koch mit Melanie Dörig in der Produktion «Wiibli und Mannli». Foto: ExtraMileFilms
get_footer();