Weltklasse trifft auf Anfänger: Vom 22. bis 24. September fanden an der Kantonsschule Solothurn die 5. Solothurner Horntage statt.
Andreas Kamber
- 16. Okt. 2023
Das im Einzelunterricht Gelernte im Ensemble anwenden. Foto: zVg
140 Hornistinnen und Hornisten von 7 bis 80 Jahren wurden von 15 Dozentinnen und Dozenten unterrichtet – die Solothurner Horntage sind somit eines der grössten Hornfestivals Europas.
International renommierte Persönlichkeiten wie Frøydis Ree Wekre, Pascal Deuber, Jörg Brückner, Christian Lampert, Anneke Scott, Olivier Darbellay sowie weitere hochkarätige Solohornisten aus Paris, Budapest, Luzern und Musiklehrpersonen aus der Schweiz bildeten ein in Freundschaft verbundenes Team.
Grosse Höhepunkte waren die drei Konzerte: Straussʼ Alpensinfonie mit der Organistin Nadia Bacchetta in der Reformierten Stadtkirche und das solistische Galakonzert der Dozentinnen und Dozenten im Konzertsaal boten höchste Hornkunst. In der Aula der Kantonsschule konzertierten schliesslich alle Teilnehmenden mit einem abwechslungsreichen Programm – ein beeindruckendes Zeugnis davon, was in wenigen Tagen Probenarbeit möglich ist.
Die Hauptziele der Horntage waren das Zusammenspiel in kleinen und grösseren Ensembles, um das im Verlauf des Jahres im Einzelunterricht Gelernte in Gruppen umzusetzen. Dieses Ziel wurde in unterschiedlichen Leistungsgruppen in vollem Umfang erreicht. Ergänzt wurden die Ensemblelektionen mit Einzellektionen, die nach Wunsch besucht werden konnten.
Abgerundet wurden die Horntage mit Ausstellungen der Music Spada AG, Zoltan Juhasz Naturhörner und der Firma Buffet Crampon.
Aufgrund des Erfolges wurde die nächste Durchführung vom 13. bis 15. September 2024 beschlossen.
Peter-Lukas Graf spielt Mozart
Im Rahmen des 4. Förder- und Gedenkkonzertes «Die Schweiz singt» der Swiss Philharmonic Academy unter der Leitung von Martin Studer wird Ende Oktober Peter-Lukas Graf live auftreten.
PM/SMZ
- 16. Okt. 2023
Peter-Lukas Graf. Foto: zVg
Auf dem Programm stehen das Brahms-Violinkonzert sowie das Mozart-Requiem. Dazwischen wird Peter-Lukas Graf, der Doyen der Flötengilde, Mozarts Andante C-Dur, KV 315 interpretieren. Die Konzerte mit Ticket-Verkauf finden vom 27. bis 29. Oktober in Zürich, Luzern und Bern statt. Die Generalprobe am 26. Oktober in der Basler Martinskirche ist öffentlich. Solistin im Violinkonzert ist an den ersten beiden Abenden Elea Nick, in Luzern und Bern ist Alexandre Dubach zu hören.
Dominik Deuber tritt Ende Saison 23/24 als Direktor beim Musikkollegium Winterthur zurück. Er wird beim NDR die Leitung des Bereichs Orchester, Chor und Konzerte übernehmen.
PM/SMZ
- 13. Okt. 2023
Dominik Deuber. Foto: Ivan Engler
Wie das Musikkollegium Winterthur mitteilt, verlässt Dominik Deuber das Ensemble Ende Juli 2024. Er hat es seit August 2020 geleitet und es «in seiner Funktion als Direktor
massgeblich mitgeprägt und zu einer national und international beachteten Institution mitentwickelt». Das Musikkollegium Winterthur sei heute schweiz- und europaweit hervorragend etabliert. Unter seiner Führung habe sich die Zahl der Abonnentinnen und Abonnenten verdreifacht.
Laut Philipp Stoffel, Präsident des Musikkollegiums Winterthur, lasse das Orchester Deuber ungern ziehen, sehe aber die Chance, die sich ihm beim Norddeutschen Rundfunk (NDR) biete. Die Nachfolgeregelung werde eingeleitet.
Ein inspirierendes Vorbild
Am 19. November jährt sich der Todestag der ungarisch-schweizerischen Pianistin und Musikpädagogin Eva Serman.
Carmen Linnhoff
- 13. Okt. 2023
Eva Serman. Foto: zVg
Mit ihrem Tod haben wir uns Anfang Dezember 2022 nicht nur von einer grossen Musikerin und Pianistin verabschiedet, sondern zugleich von einer aussergewöhnlichen Frau, die für Unzählige ein bedeutungsvoller Mensch auf ihrem je eigenen Lebensweg gewesen war. Eva Sermans Leidenschaft für die Musik ging einher mit einer tiefen Ehrfurcht vor dem Leben, mit einem Bewusstsein für die Einzigartigkeit jedes Menschen und mit spürbarer Dankbarkeit für die Gabe und Aufgabe, ihr Leben der Musik und den Menschen widmen zu können.
1937 in Keszthely/Ungarn geboren, begann sie ihr Klavierstudium in Budapest und setzte es nach ihrer Emigration in die Schweiz (1958) bei Hubert Harry am Konservatorium in Luzern fort. Hier war sie ab 1963 während 40 Jahren Dozentin für Klavier und Kammermusik. Auch über den Schweizerischen Musikpädagogischen Verband bildete sie Pianistinnen und Pianisten aus, engagierte sich im Vorstand, war verantwortlich für die Einteilung der Klavierliteratur für die Stufenprüfungen und amtete als gefragte Expertin. Auch bei Wettbewerben, u. a. beim Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb, war sie immer wieder Mitglied der Jury.
Eva Serman pflegte ein breites pianistisches und kammermusikalisches Repertoire, stets war es ihr ein Anliegen, verschiedenste Sparten der Musik noch tiefer zu ergründen und zu erfassen. Eine besondere Liebe verband sie mit den historischen Tasteninstrumenten. Auf diesen wie auf dem modernen Flügel, war sie eine souveräne Pädagogin und konzertierende Pianistin, u. a. bei den Internationalen Musikfestwochen Luzern.
Für ihre Studenten und Studentinnen war Eva Serman eine kompetente und engagierte Lehrerin und Pianistin. Darüber hinaus hatte sie die Gabe, in der Person ihr gegenüber nicht bloss pianistische Fähigkeiten zu sehen, sondern sie mit den verschiedenen Facetten ihres Menschseins wahrzunehmen. So war sie für viele eine wertvolle Stütze im Hochschulbetrieb, eine inspirierende Musikerin und ein Mensch, dem wir dankbar über den Tod hinaus verbunden bleiben.
Alte Musik fürs heutige Publikum
Musik der Renaissance, mit der Gegenwart konfrontiert: Das Forum Alte Musik Zürich experimentiert mit neuen Konzertformen und bringt eine Wiederbegegnung mit einem vergessenen Schweizer Komponisten.
Max Nyffeler
- 02. Okt. 2023
Das Vokalensemble Zürich West unter der Leitung von Marco Amherd. Foto: Max Nyffeler
Auf dem Programm steht eine vierzigstimmige Motette, aber auf der Bühne stehen nur zwei Sänger, die sich abwechseln. Die vierzig Stimmen des rund neunminütigen Stücks werden nämlich nicht, wie es normalerweise der Fall wäre, gleichzeitig gesungen, sondern eine nach der anderen. Jede Stimme wird einzeln aufgenommen, mit den bisher gesungenen gemischt über sechzehn Lautsprecher wieder in den Saal zugespielt, während einer der Sänger die nächste singt. Statt neun Minuten dauert es vierzig mal neun Minuten, also sechs Stunden reine Musikzeit und mit Pausen glatt acht.
Die Motette heisst Spem in alium und wurde in London vermutlich 1573 zum vierzigsten Geburtstag von Königin Elisabeth I. aufgeführt; der Komponist ist Thomas Tallis, eine Berühmtheit in seiner Epoche, die beiden Sänger sind der mühelos die Sopranlage erklimmende Countertenor Terry Wey und der Bassbariton Ulfried Staber; sie sind Mitglieder des Wiener Vokalensembles Cinquecento und treten beim Tallis-Projekt unter dem Namen «multiple voices» auf.
Wie ein Monumentalklang entsteht
Die Aufführung bildete einen Schwerpunkt des Herbstfestivals des Forums Alte Musik Zürich. Wer sich die Zeit nahm, den Sonntag in der weiträumigen, im Neorenaissancestil erbauten Kirche Zürich-Enge hörend zu verbringen, wurde Zeuge eines faszinierenden Experiments. Man erlebte das langsame Werden eines grossartigen Vokalwerks, Stimme um Stimme wuchs es zum monumentalen Klangereignis heran. Mit seinem wogenden Stimmengeflecht bescherte es ein Raumerlebnis, das dem des Originals mit acht im Raum verteilten Teilchören nicht nachstand. Durch die Reduktion auf nur zwei Sänger, die durch eine feinfühlige Technik (Markus Wallner und Bernd Oliver Fröhlich) unterstützt wurden, entfiel zwar die farblich abgestufte Wechselwirkung bei der Mehrchörigkeit, doch die Reinheit und Homogenität des Klangs sorgte für eine nicht minder spannende Hörerfahrung.
Nach der achtstündigen Aufführung der Motette Spem in alium von Thomas Tallis (v.l.n.r.): Terry Wey, Bernd Oliver Fröhlich, Markus Wallner, Ulfried Staber. Foto: Max Nyffeler
Die Konzerte des von der Barockflötistin Martina Joos und dem früheren Radioredaktor Roland Wächter geleiteten Forums Alte Musik, die jährlich im März und September stattfinden, warten stets mit originell gestalteten Programmen auf und bringen damit die Musik aus früheren Epochen dem heutigen Publikum auf intelligente Weise nahe. Über den harten Kern der mehr als zweihundert Vereinsmitglieder hinaus locken sie auch weitere Hörer an, deren Interesse über das gängige Klassikrepertoire hinausreicht. Und was manche dabei überraschen mag: Diese Musik klingt für unsere Ohren überhaupt nicht fremd. In der Klangwelt einer Motette von Tallis oder in einem Lied von John Dowland erkennt man mühelos die Wurzeln unseres heutigen Musikverständnisses.
Transhistorische Konzertpraxis
Im Zentrum des diesjährigen Herbstfestivals stand nebst Tallis das «Dreigestirn» William Byrd, John Dowland und Henry Purcell, die ersten beiden führende Komponisten der elisabethanischen Epoche, der dritte die überragende Gestalt der englischen Barockmusik. Alle vier wurden gleich im Eröffnungskonzert vorgestellt, in einer zeittypischen Mischung von geistlichen und weltlichen Werken. Als kleines Fenster zu unserer Zeit erklang dazwischen der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg entstandene Chorsatz Advance, Democracy von Benjamin Britten, der in England als legitimer Erbe Purcells gilt. Interpreten waren das Vokalensemble Zürich West unter Marco Amherd. Das junge Ensemble, Preisträger in der Elite-Kategorie des Schweizerischen Chorwettbewerbs, zeigte mit ansteckender Musizierfreude und schwerelosem Wohlklang, was es seinem Ruf schuldig ist.
Die Programmidee, Altes und Neues miteinander zu kombinieren, stand auch beim Konzert von drei Mitgliedern des Ensembles thélème Pate. Lieder aus dem 1600 veröffentlichten Second Booke of Songs von John Dowland wechselten sich ab mit Solonummern aus den Songbooks von John Cage. Eine unkonventionelle Idee, die vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen wurde. Von öder Langeweile waren nur die minutenlangen szenischen Einlagen wie Kartenlegen und das Schnüren von Schuhbändeln – ein Hinweis auf die Zufallsoperationen, die für Cage oft zum kompositorischen Geschäft gehörten. Da fehlte es am Gespür für eine stimmige Konzertdramaturgie. Der Transhistorismus, der hier wie auch beim Vokalensemble Zürich West ansatzweise praktiziert wurde, könnte sich hingegen als zukunftsträchtiges Modell erweisen.
Komponist zwischen den Zeiten
Zweiter grosser Schwerpunkt des Festivals war die Aufführung der Messa Solenne a 3 Cori von Franz Joseph Leonti Meyer von Schauensee (1720–1789) durch das Vokalensemble larynx und das Capricornus Consort Basel unter der Leitung von Jakob Pilgram. Der heute weitgehend vergessene Komponist, Luzerner Patriziersohn mit besten Verbindungen in das kirchliche und gesellschaftliche Establishment seiner Zeit, war Ratsherr, Geistlicher, Organist und Kapellmeister an der Luzerner Hofkirche und zwischendurch auch einmal Söldnerführer in Italien. Ein Hansdampf in allen Gassen, der nach einer musikalischen Ausbildung in Mailand seinem kompositorischen Enthusiasmus freien Lauf liess. In seiner über zweistündigen Messe von 1749, die nun von einem Genfer Musikologenteam in einer kritischen Edition neu zugänglich gemacht wurde, zeigt sich das in einer Fülle von teils originellen, teils unausgegorenen Ideen und extrem grosszügigen Zeitbegriff; allein die ersten beiden Messesätze dauern schon siebzig Minuten.
Geistliche und weltlich-konzertante Elemente stehen unvermittelt nebeneinander. Jeder Messesatz wird durch eine kurze Sinfonia eingeleitet, eine Reverenz an die frühe sinfonische Praxis der Mailänder Schule. Mit schmetterndem Blech und einem auf den Wechsel Tonika-Dominante festgenagelten Viervierteltakt herrscht darin zumeist ein festlich-pompöser Ton vor, der zu Beginn sogar auf das erste Kyrie übergreift. Im Rahmen der damaligen Konvention sind zwischen die Messesätzen auch drei Offertorien und – wiederum mit viel Trara – sogar eine rudimentäre instrumentale Battaglia eingeschoben. Doch der Komponist konnte auch andere Töne anstimmen. Das zeigt sich etwa in verspielten Echowirkungen, in der dunkel gefärbten Crucifixus-Passage oder in der Fortissimo-Arie mit drei Bässen im Anschluss an das Sanctus. Und zweihundertfünfzig Jahre vor den berühmten drei Tenören gibt es bei Meyer von Schauensee bereits ein Terzett in dieser Stimmlage.
Bei allem Pomp atmet die Messe den Geist des galanten Zeitalters, was sich in der vereinfachten Harmonik und Metrik sowie einer gefälligen Melodik manifestiert. Die formelhafte Verwendung der barocken Figuren und Reste eines harmonisch ausgehungerten Generalbasses kennzeichnen das Werk als Spätprodukt einer ausgehenden Epoche.
Herausstechendes Merkmal der Messe ist jedoch die Dreichörigkeit. Meyer von Schauensee komponierte sie für das Chorherrenstift Beromünster, wo es drei Emporen mit je einer Orgel gibt. Im Zürcher Fraumünster kam diese Raumaufteilung nur begrenzt zur Wirkung. Anders vermutlich in der Klosterkirche Muri, wo die Messe einige Tage später zur Zweitaufführung kam. Sie wurde vom Radio und Fernsehen mitgeschnitten und wird am kommenden Donnerstag, 5. Okt. um 20 Uhr auf SRF 2 Kultur gesendet, am Fernsehen (mit einer Auswahl von Sätzen) am 24. Dezember um ca. 21.45h.
Regensburger Erklärung der Musikräte
Die Musikräte der Schweiz, Deutschlands und Österreich plädieren für die Umsetzung der Unesco-Erklärung «Mondiacult». Dazu haben sie die «Regensburger Erklärung» abgegeben.
PM/SMZ
- 27. Sep. 2023
v.l.n.r.: Christian Höppner, Geschäftsleiter Deutscher Musikrat; Sandra Tinner, Geschäftsleiterin Schweizer Musikrat; Martin Maria Krüger, Präsident Deutscher Musikrat; Eva-Maria Bauer, Vizepräsidentin Österreichischer Musikrat; Günther Wildner, Geschäftsführer Österreichischer Musikrat; Stefano Kunz, Projektleiter TA-Swiss-Studie für den Schweizer Musikrat; Harald Huber, Präsident Österreichischer Musikrat Foto: zVg
An ihrer Klausurtagung vom 18. und 19. September zu länderübergreifenden Themen der Musikpolitik haben die Spitzen der Musikräte Deutschlands, Österreichs und der Schweiz (D-A-CH) in Regensburg eine Erklärung zur Umsetzung der Unesco-Erklärung «Mondiacult» abgegeben: Kultur entsteht vor Ort. Den Hintergrund dazu bildet die Unesco-Weltkonferenz für Kulturpolitik und Nachhaltige Entwicklung «Mondiacult» von 2022. Damals wurde die Kultur als «globales öffentliches Gut» deklariert.
Die D-A-CH-Musikräte schreiben in ihrer Erklärung: «Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht durch Begegnungen vor Ort. Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik, die als Querschnittsaufgabe nahezu alle Parlamentsausschüsse und Regierungsressorts im Kontext europäischer und internationaler Vereinbarungen in die Verantwortung nimmt.»
Am 8. September wurden in der Berner Reithalle die Schweizer Musikpreise 2023 vergeben. Persönliche Anmerkungen zu einem schönen Anlass.
Pia Schwab
- 22. Sep. 2023
Der Gewinner des Schweizer Grand Prix Musik 2023, Erik Truffaz, spielt mit Bundespräsident Alain Berset zur Feier des Tages. Foto: 2023 BAK | Sébastien Agnetti
Zum Schluss spielen der Gewinner des Grand Prix Musik und der Bundespräsident ein Duett. Und man denkt: In welch paradiesischem Land leben wir, wo Politik und Kultur sich so gut verstehen, solcher Einklang herrscht. Alain Berset, nun am Flügel, hat zuvor auch eine wirklich geistvolle, der grossen Karriere des Trompeters Erik Truffaz mit Bewunderung und Witz Tribut zollende Laudatio gehalten.
Carlo Balmelli, Mario Batkovic, Lucia Cadotsch, Ensemble Nikel, Sonja Moonear, Katharina Rosenberger, Saadet Türköz, Helvetia rockt, Kunstraum Walcheturm, Pronto. – Auch für alle anderen Gewinner und Gewinnerinnen gibt es warmen Applaus, und das schicke Programmheft ebenso wie die aufwendigen Video-Einspielungen zu jedem und jeder haben es gar nicht nötig zu beweisen, dass sie alle diese Auszeichnung und das Preisgeld mehr als verdient haben. Man kann nur beipflichten, wenn Erik Truffaz in seiner Dankesrede wiederum der Schweiz dankt, dass sie einen Preis erfunden habe, der Menschen belohne, die sich um die Seele kümmerten.
Die so unterschiedlich gestrickten helvetischen Seelen erfreuen sich auch an ganz unterschiedlicher Musik und musikalischer Betätigung. Was an diesem Abend an Seelennahrung prämiert wird, ist in grosser Mehrheit urban, experimentell, avantgardistisch, hybrid. (Nebenbei gesagt trifft vieles präzise die Zielrichtung der neuen Kulturbotschaft und erfüllt à merveille zahlreiche Förderkriterien von Pro Helvetia.) Und so erscheint das hiesige Musikparadies plötzlich klein. Preisträgerin Rosenberger arbeitet mit Preisträger Walcheturm zusammen, Preisträgerin Cadotsch wird bei ihrer Darbietung begleitet von Preisträger 2014 Julian Sartorius, Preisträger Tuffaz trat oft mit Preisträgerin 2016 Sophie Hunger auf. Und er dankt Pro Helvetia, die ihn bei Tourneen so oft unterstützt habe.
Die «Verantwortung gegenüber den Tönen», die Mario Batkovic in seiner Rede anspricht, nehmen in diesem Land noch viele andere wahr. Klar, heute Abend wird die Spitze gefeiert. Das ist auch richtig. Aber – Binsenwahrheit – die Spitze kann sich nur auf einer breiten Basis halten. Und diese hat es oft mit Dornen und Disteln zu tun, wie die Vertriebenen aus dem Paradies. Stichwort Schulmusik: Der Bund bleibt hinter Föderalismuswolken versteckt, anstatt – Traumvorstellung! – die Kantone mit flammendem Schwert zu überzeugen, dieses Fach mit solide ausgebildetem Personal und genügend Pflichtstunden würdig auszustatten. Auch die Laienmusik, Chöre, Musikvereine, wären ein frucht- und dankbarer Boden für mehr nationale Zuwendung. Damit sie beispielsweise eine professionell ausgebildete Dirigentin, einen Stimmbildner, eine Chorleiterin zu fairen Bedingungen anstellen könnten.
Im Video über Carlo Balmelli gibt es eine sprechende Sequenz. Der Tessiner Preisträger steht allein auf einer Bühne und dirigiert. Er dirigiert ins Leere, es ist kein Blasorchester zugegen, keine Basis. Ein filmischer Clou natürlich, trotzdem eine erschreckende Vorstellung.
Es war schön, einen Abend im Paradies zu verbringen. Erfüllt davon kann die nationale Musikpolitik nun wieder verstärkt darüber nachdenken, wie sie Milch und Honig auch ausserhalb etwas üppiger zum Fliessen bringt.
Raphael Nussbaumer ausgezeichnet
Der 17-jährige Schweizer Geiger Raphael Nussbaumer hat Anfang September am Tibor-Varga-Wettbewerb in Sion den 2. Preis sowie den Publikumspreis und den Preis der Jury «der über 20-Jährigen» gewonnen.
PM/SMZ
- 20. Sep. 2023
Raphael Nussbaumer spielte im Finale das Violinkonzert von Tschaikowski. Foto: Céline Ribordy Kamerzin
Der Tibor-Varga-Wettbewerb wird in Sion alle zwei Jahre ausgetragen. Er ist der wichtigste internationale Wettbewerb für Geigerinnen und Geiger unter 26 Jahren in der Schweiz. Dieses Jahr gab es 149 Anmeldungen, für die erste Runde waren 24 Teilnehmende zugelassen, für die zweite 12. Das Durchschnittsalter lag bei 21 Jahren.
Der aus Altendorf stammende Raphael Nussbaumer hat sich gegen die zum Teil deutlich ältere internationale Konkurrenz durchsetzen können. Er wird seit 2012 von Philip A. Draganov unterrichtet, zurzeit an der Hochschule der Künste in Bern (HKB).
Den Wettbewerb gewonnen hat die 14-jährige Seohyun Kim aus Südkorea, den dritten Preis erhielt der 23-jährige Rennosuke Fukuda aus Japan.
Eduard-Tschumi-Preis 2023
Die Sängerin Julia Frischknecht und der Bratschist Lukas Stubenrauch wurden an der Hochschule der Künste Bern ausgezeichnet.
PM/SMZ
- 15. Sep. 2023
Julia Frischknecht und Lukas Stubenrauch. Fotos: zVg
Die besten Studienabschlüsse im Master Specialized Performance, der höchsten Stufe der klassischen Musikausbildung, werden an der Hochschule der Künste Bern (HKB) mit dem Eduard-Tschumi-Preis ausgezeichnet.
Dieses Jahr erhielten die Sopranistin Julia Frischknecht aus der Klasse von Christian Hilz und der Bratschist Lukas Stubenrauch (Vertiefung Neue Musik) diese Auszeichnung. Die beiden haben je einen Preis in der Höhe von 7000 Franken gewonnen. Frischknecht bekommt dank der Bürgi-Willert-Stiftung die Möglichkeit zu Auftritten im Rahmen des Saisonprogramms des Berner Symphonieorchesters.
Ensemble Orlando: vom Projekt zum Profichor
1994 in Fribourg von Laurent Gendre initiiert, verbindet das professionelle Vokalensemble heute Regionen, Sprachen und Generationen.
PM/SMZ
- 15. Sep. 2023
Das Ensemble Orlando aus Fribourg, geleitet von Laurent Gendre, am 25. Mai 2022. Foto: Xavier Voirol
Ursprünglich auf die Musik der Renaissance spezialisiert, hat sich das Ensemble Orlando seit seiner Gründung unter der Leitung von Laurent Gendre im Lauf der bald 30 Jahre zu einem professionellen Vokalensemble entwickelt. Seine variable Besetzung besteht aus zehn bis dreissig Sängerinnen und Sängern. Das Repertoire reicht bis ins 18. Jahrhundert. Das Ensemble arbeitet mit verschiedenen Orchestern zusammen, tritt im In- und Ausland auf und hat mehrere CDs eingespielt.
Das Vokalensemble ist nach wie vor in Fribourg verankert. Ein Teil der Sängerinnen und Sänger stammt jedoch aus der Deutschschweiz und das Ensemble möchte in Zukunft vermehrt auch in deutschsprachigen Gebieten Fuss fassen. Ausserdem ist es ihm ein Anliegen, Generationen zu verbinden. So singen heute noch Gründungsmitglieder mit, die den jungen, neu zum Ensemble gehörenden Sängerinnen und Sängern ihre vielfältigen Erfahrungen weitergeben. Ausserdem hat es 2022 mit der Musikhochschule der Fachhochschule Westschweiz (HEMU) ein Projekt durchgeführt. 19 Gesangsstudierende erhielten Einblick in die Arbeitsweise eines professionellen Chors, indem sie gemeinsam mit dem Ensemble Orlando ein Konzert erarbeiteten.
Vom 21. bis 24. September findet das Eidgenössische Volksmusikfest statt. Rund 220 Formationen reisen ins Tessin.
SMZ
- 14. Sep. 2023
Bellinzona. Foto efesenko/depositphoto.com
Fast alle Kantone senden ihre Volksmusikvertretungen nach Bellinzona. Die meisten Gruppen kommen aus dem Tessin (56) und aus Bern (39), einige auch aus Italien (5).
Es musizieren Formationen von A wie zum Beispiel die Alpinis von der Hochschule Luzern – Musik bis zu Z wie den Zampognari Del Piano. Sie spielen an 17 verschiedenen Veranstaltungsorten, zum Teil vor Experten.
Parallel zum Volksmusikfest läuft das Tessiner Winzerfest PerBacco!
Am 2. September boten die im Südpol angesiedelten Musikinstitutionen Einblick in ihre Aufgabengebiete.
Verena Naegele
- 12. Sep. 2023
Kampus-Fest Luzern, 2. September 2023, Foto: HSLU/Ingo Höhn
Mit drei Jahren Verspätung wurde in Luzern-Kriens endlich der Kampus Südpol mit einem Fest offiziell eingeweiht. Beteiligt daran waren nicht weniger als acht Institutionen: Kulturhaus Südpol, Musikschule Stadt Luzern, Luzerner Theater, Luzerner Sinfonieorchester, Hochschule Luzern – Musik (HSLU), Musik Hug, das Haus der Instrumente und das Probenhaus Werft. Was sich als Fest ankündigte, wurde aber eher zu einem «Tag der offenen Tür» auf einem Kampus, der sich noch immer im Aufbau befindet.
Schon beim Eintreffen sah man, dass der Kampus keineswegs organisch gewachsen ist. Auf der einen Seite steht mit dem «Südpol» das «älteste» Gebäude, ein unspektakulärer Bau, der die Musikschule Stadt Luzern, die Probenräume des Luzerner Theaters und zwei Säle für die alternative Kultur beherbergt. Davor glänzt silbern das 2020 eingeweihte Orchesterhaus des Luzerner Sinfonieorchesters. Abseits dieser beiden Gebäude erhebt sich die 2020 bezogene Musikhochschule. Ein durchdachtes Arealkonzept gibt es also nicht.
Eine bemerkenswerte Ausgangslage …
Die Institutionen decken wichtige Etappen einer musikalischen Laufbahn ab und können an einem Standort vernetzt agieren: von der Grundausbildung über die Hochschule bis zur kreativ-professionellen Ausübung. Was in der Theorie so faszinierend klingt, ist in der Praxis eine Herkulesarbeit, denn jedes Segment funktioniert anders und hat unterschiedliche Bedürfnisse. So wählte man als Festtag den 2. September, an dem die Hochschule und das LSO noch im Sommermodus und die Räume nicht für die Tagesarbeit belegt sind.
Die Auswahl an Darbietungen während sieben Stunden war riesig und reichte vom intimen Vortrag einzelner Personen bis zur Probe von Blasorchestern oder einem Workshop «Schauspieltraining zum Mitmachen». Bespielt wurden Räume von der Probebühne des Luzerner Theaters über die Säle der Musikschule bis zu denjenigen des Sinfonieorchesters und der Hochschule. Auch einzelne Probenräume waren belegt. Was hier an Lokalitäten zur Verfügung steht, ist staunenswert und anregend.
Der Publikumsandrang war allerdings überschaubar, von Festatmosphäre und Gewusel in den Gebäuden war wenig zu spüren. Lag es am mangelnden Interesse oder an der zu geringen Werbung? Und orientierende Hinweise innerhalb und zwischen den Gebäuden waren rudimentär, man musste sich irgendwie selber durcharbeiten. Trotzdem darf man sagen: Wer nicht gekommen ist, hat vieles verpasst, wie ein Rundgang auf dem Gelände zeigte.
… für solo bis tutti …
So konnte man im Orchesterhaus in den Übungsräumen einzelne Musikerinnen und Musiker des LSO kennenlernen. Und im Probensaal präsentierten die über 80 Jugendlichen des Jugendblasorchesters der Stadt Luzern unter der Leitung ihres Dirigenten Sandro Blank ein einstündiges Programm, das sie am Schweizer Jugendmusikfest in St. Gallen spielen werden.
Das Jugendblasorchester der Stadt Luzern im LSO-Probensaal. Foto: Gudrun Föttinger
Hörenswert, wie die Jugendlichen einmal als Gesamtformation, ein andermal solistisch die Facetten der Blasmusik ausleuchteten und wie präzise dabei die Schlaginstrumente agierten. Gespielt wurden Werke von Teo Aparicio-Barberán und Amir Malookpour – ein Programmblatt dazu gab es leider nicht. Erstaunlich auch die Akustik des Saals, der für das LSO optimale Bedingungen bietet.
Kleinere Brötchen backt die Musikschule. Ihre beiden Säle sind akustisch nicht optimal, bieten dafür vielfältige Nutzungsmöglichkeiten. Im Kleinen Saal wurden am Fest Schnupperkurse für «Eltern-Kind-Singen» angeboten, die allerdings wenig Beachtung fanden. Die Musikschule war abwechslungsreich präsent, so mit ihrer Band A-la-Ska, die aus erwachsenen Laienmusikerinnen und -musikern besteht. In der kleinen Halle präsentierte Monica Faé-Leitl zwei Blockflötengruppen und demonstrierte, wie sie auch weniger musikalische Kinder mitziehen kann.
«HörRaum» im Gebäude der Hochschule Luzern – Musik. Foto: HSLU/Ingo Höhn
Im Salquin-Saal des Hochschulgebäudes spielten das Klarinettenquartett der Hochschule, aber auch Jugendliche der «Talentförderung Musik Kanton Luzern». Mit erstaunlicher Unerschrockenheit präsentierten diese jeweils ihr Stück unter Profibedingungen. Hier konnte man auch den High-end-«HörRaum» bewundern, der mit einer riesigen Vinyl-Sammlung bereichert ist und von Studierenden rege genutzt wird. Wenig bekannt ist allerdings, dass der «HörRaum» genau wie die Bibliothek auch Nicht-Studierenden offensteht.
Ausstellung im Haus der Instrumente. Foto: Gudrun Föttinger
Neu eröffnet wurde das Haus der Instrumente (bis 2022 Musikinstrumentensammlung Willisau) in der Nähe des Kampus, das der Leiter Adrian Steger als Ort für «Musik und Handwerk» etablieren will. Eine Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern ist bereits angedacht, ein Masterstudent soll im Atelier des Hauses experimentelle Instrumente bauen.
… im Hinblick aufs Publikum
Es ist gerade dieses Mit- und Nebeneinander von Klein und Gross, von Profi und Laien, was diesen Kampus so speziell macht und Potenzial hat. Nachwuchs im Konzertwesen gibt es genug, aber zu einer blühenden Konzertlandschaft gehört auch das Publikum, das dazu hingeführt werden sollte. Konzertsäle wie der Proberaum des LSO oder die drei Säle der Musikhochschule bieten die Gelegenheit, ohne Schwellenangst ein Konzert zu hören.
Insgesamt finden auf dem Kampus derzeit etwa 700 Veranstaltungen pro Jahr statt. Zu dieser Zahl beigetragen hat auch die Zusammenarbeit der Institutionen, die weiter ausgebaut werden soll.
Vom Zauber der Chormusik
Die Zürcher Sing-Akademie im Porträt (Publireportage)
Zürcher Sing-Akademie
- 07. Sep. 2023
Die Zürcher Sing-Akademie, ein professioneller, flexibler Chor, führt im Oktober zusammen mit dem Orchestra La Scintilla das Brahms-Requiem auf. Foto: Priska Ketterer
Ohne die Magie, welche den Chorgesang umgibt, in irgendeiner Weise antasten zu wollen: Dass das gemeinsame Singerlebnis äusserst positive Auswirkungen auf Ausführende und Zuhörende hat, ist mittlerweile durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegt worden. Ein Blick hinter die Kulissen der Zürcher Sing-Akademie, eines professionellen Schweizer Chores, zeigt unzählige Beispiele dafür, was diese Musikgattung und ihre Pflege für uns so wertvollmacht.
Chorgesang ist Gemeinschaft
Anne-Kristin Zschunke, klassisch ausgebildete Sängerin, gehört seit mehreren Jahren zum Kern des Zürcher Ensembles und zum Vorstand. Für sie bedeutet Chorgesang in erster Linie Gemeinschaft: «Es bedeutet, gemeinsam Emotionen zu durchleben, ein Erlebnis mit anderen teilen zu können. Als Sängerin auf der Bühne während eines Konzertes die Reaktionen im Publikum zu erkennen, zu sehen und zu spüren, was unser Gesang bei den Leuten bewirkt, ist einfachwunderschön!» Die Momente, in denen eine spürbare Nähe zu den Zuhörerinnen und Zuhörern aufgebaut werden kann, sind für sie als Künstlerin besonders wertvoll.
Florian Helgath, künstlerischer Leiter, legt grossen Wert auf eine gute Arbeitsatmosphäre. Foto: Christian Palm
Aber auch die Chormitglieder müssen sich untereinander verstehen. Für Florian Helgath – künstlerischer Leiter der Zürcher Sing-Akademie – ist eine gute Arbeitsatmosphäre unerlässlich, um ein aussergewöhnliches Ergebnis zu erzielen. «Es braucht Einfühlungsvermögen und Sensibilität, damit sich die Sängerinnen und Sänger frei fühlen.» Denn kein Instrument ist so direkt wie die menschliche Stimme; allein schon, weil man als Sängerin oder Sänger immer mit Text arbeitet.
Dabei ist die Zürcher Sing-Akademie ein äusserst flexibles Ensemble, welches ganz unterschiedliches Repertoire auf die Bühne bringt. Für Yves Brühwiler, Bass, einer der grossen Pluspunkte des Chores: «Es gibt so viel gute Musik! Das eine Mal singen wir a cappella im intimen, fast familiären Rahmen, ein anderes Mal wieder mit grossem Orchester, bekannten Solisten und Dirigenten. Jedes Projekt ist neu und einzigartig. So bleibt nicht nur die Arbeit spannend, auch das Resultat ist immer frisch und lebendig.»
In Kooperation mit verschiedenen Orchestern sind die Sängerinnen und Sänger der Zürcher Sing-Akademie nicht nur innerhalb der Schweiz unterwegs, auch im Ausland hat sich das Schweizer Ensemble einen vorzüglichen Ruf erarbeitet. «Natürlich ist uns in erster Linie wichtig, die Chormusik innerhalb der Schweiz zu pflegen», sagt Franziska Brandenberger, PR-Managerin des Ensembles. Die internationale Konzerttätigkeit, CD-Einspielungen bei renommierten Labels und die Zusammenarbeit mit grossen Dirigenten und Orchestern seien aber unter anderem auch ein Weg, dem heimischen Publikum zu zeigen: «Was ihr in unseren Konzerten hört, ist von Rang und Qualität.»
Herbstsaison 2023
In der Herbstsaison hat das Ensemble zwei grössere Projekte geplant. Ein Programm aus romantischen Werken mit dem Titel «Herzgedanken», welches auch einige unbekanntere Komponisten aus der Schweiz in den Fokus rückt, kommt im September zur Aufführung. Dabei ist der Chor mal a cappella, mal mit Klavierbegleitung zu hören, manche Stücke sind lediglich mit zartem Damenchor besetzt, manche mit kraftvollem Männerchor. Ein solches Programm ist dem Dirigenten Florian Helgath ein Anlass, seinen Chor zu fordern, aber natürlich auch strahlen zu lassen mit Musikstücken, die seinen Sängerinnen und Sängern am besten liegen.
Im Oktober steht eines der ganz grossen chorsinfonischen Werke auf dem Programm: Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms. Das Besondere an dieser Aufführung ist, dass sie in Kooperation mit dem Orchestra La Scintilla vom Opernhaus Zürich stattfinden wird. Eine romantische Komposition, interpretiert mit einem historisch informierten Orchester? «Ich freue mich sehr auf die Transparenz der Instrumente und die damit einhergehenden Gestaltungsmöglichkeiten, die das Orchestermitbringt», so Helgath. Für Anne-Kristin Zschunke wird das Brahms-Requiem aus anderen Gründen ein ganz spezielles Projekt. «Man durchläuft Trauer und ihre unterschiedlichen Emotionen ganz direkt, erlebt aber letztlich eine Metamorphose hin zu so unglaublich viel Hoffnung und Trost. Durch dieses Werk wird spürbar, dass der Tod nichts Furchtbares oder Schlimmes ist, sondern zum Leben gehört – Trauer hingegen aufgelöst oder umgewandelt werden kann!»
Die Hitparade: Karrieretreiberin, Kult und Kommerz
Adrian Weyermann, Andreas Rohrer, Andreas Ryser, Annakin, Brandy Butler, Daniela Sarda, Luca Bruno, Michael von der Heide, Stefan Künzli und Toni Vescoli geben Auskunft über ihr Verhältnis zu den Charts.
Interviews: Hanspeter Künzler
- 06. Sep. 2023
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Für seinen Artikel bekam Hanspeter Künzler aus der Musikszene mehr oder weniger ausführliche Antworten auf einige Fragen. Da der Platz in der gedruckten Schweizer Musikzeitung beschränkt ist, konnte er nur einen Teil der Rückmeldungen in seinem Text veröffentlichen. Hier nun die kompletten Feedbacks in alphabetischer Reihenfolge.
Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?
Meine grossen Hightimes mit den «Bestsellern auf dem Plattenteller» hatte ich so zwischen 1978 und 1982, also im Alter von 4 bis 8 Jahren. Da konnte ich den Sonntag kaum erwarten:
Boney M. mit Rivers of Babylon, Blondie Call Me, Stevie Wonder Master Blaster, Robert Palmer Johnny and Mary. Das ist für mich tiefste musikalische Kindheit.
Als 12- bis 18-Jährigem war mir die Hitparade dann bereits sehr egal, mein Herz klopfte bereits unabhängiger. Obwohl ich als Musiker ja schon damals immer irgendwie dazwischenstand. Für die Hitparade zu sperrig, für die Indies zu poppig.
Vor 7 Jahren, als ich an meinem bisher letzten Album für die Weyers schrieb, habe ich einmal versucht, die Top 40 durchzuhören, nur um zu wissen, was man heute so hört. Es zog sich mir leider bei 99 % der Songs alles zusammen. Schade. Ich kam also zum Schluss, dass das wohl nichts (mehr) für mich ist. Heute höre ich aus den Zimmern meiner Töchter immer auch mal aktuelle Hits, die mir irgendwie gefallen.
In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?
Manchmal vielleicht wie meiner Töchter, oft ganz anders, denke ich.
Inwieweit war/ist die Hitparade ein Antrieb für dein Schaffen mit The Weyers?
Ich würde behaupten, dass die Messbarkeit des Erfolgs (Klicks, Likes, Social Media, Hitparadenpositionen) mir die Freude an der Musik fast vermiest hätte. Ich habe deshalb nach einem Burnout das Profi-Musikbusiness vor fünf Jahren als Artist/Songwriter bewusst verlassen und bin seither begeisterter Musiklehrer.
Sind Klick-Zahlen heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?
Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?
Mit 12: Grosser Unterhaltungs- und Informationswert. Jeden Winter-Sonntag auf der Heimfahrt aus den Bergen im Auto gehört.
Mit 18: Rund um die Matura war die Hitparade Gradmesser für das, was im Allgemeinen für musikalisch relevant und gut gehalten wurde. Wurde aber durch Alternativen relativiert.
Heute: irrelevant
In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?
Wie Alexander Blunschi
Falls Du einmal Musik gemacht hast, war die Hitparade eine Art Leuchtturm oder wirkte sie eher abschreckend?
Für meine nicht weiter nennenswerten Gitarren- und Gesangskünste hatten der Grunge und Pop-Punk der 90er grossen Einfluss, also Sachen, die damals in den Charts zu finden waren.
Sind Klick-Zahlen und Likes heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?
Ich denke ja. Die Hitparade als Gatekeeper existiert nicht mehr. Verbreitung ist wichtiger als Verkauf. Dass die Hitparade Streams miteinbezieht, ändert an ihrem heutigen Status nichts.
Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?
Ich habe mir die Hitparade als 12-Jähriger auf Kassette aufgenommen, eigene Cover dazu gebastelt mit Fotos aus Bravo oder Pop Rocky, mit 18 ging es mir dann schon ziemlich am A… vorbei, da waren dann Beastie Boys und Living Colour angesagt. Die Hitparade heute schaue ich mir nur noch an, wenn uns jemand mitteilt, dass wir wegen ein paar verkauften Tonträgern in den Album-Charts sind mit unseren Acts … Singles-Hitparade, nee …
In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?
Da die Hitparade mit Tiktok-Virals gefüllt ist, die dadurch auf den Streaming-Services sehr gut performen und somit dann eben die Charts bestimmen, ist dies nicht so unsere Baustelle, Hitparaden sind dann halt einfach die Top 100 der Welt.
Inwieweit war/ist die Hitparade ein Antrieb für dein Schaffen mit Filewile heute?
Kein Antrieb. Die Singles-Hitparade ist so global geworden, dass du eigentlich keine Chance hast, da stattzufinden. Dies hat natürlich in erster Linie damit zu tun, das Streaming-Services, wie z. B. Spotify, sehr wenig für die lokalen Musikmärkte machen. Somit sind die Charts viel globalisierter als früher.
Sind Klick-Zahlen heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?
Hitparaden sind natürlich immer noch der Treiber, um in die kommerziellen grossen Radios zu kommen. Die Hitparade unterscheidet sich ja sehr wenig von den Spotify-Charts. Somit sind all die Charts bei den Streaming-Services oder Tiktok und Youtube viel relevanter, auch weil dort dann nochmal viel zusätzliche Nutzung passieren kann, wenn der Song in den Charts stattfindet. Das Radio war ja früher so etwas wie die Kommunikation der meisten Verkäufe, also eigentlich ein Produkt der Musikindustrie, um mit der Musik, die sich eh schon sehr gut verkauft, noch mehr zu verkaufen …
Wir merken natürlich, dass es einen grossen Impact hat, wenn wir Resultate haben, zum Beispiel in grossen Playlists auftauchen, Konzerte ausverkauft sind oder die Gruppen viele Followers haben. Weil: Der Mensch ist halt einfach sehr langweilig gewickelt, und was viel gehört und gesehen wird, wird automatisch als gut erachtet.
Dies ist ein Phänomen, das sich lustigerweise auch in der Indie-Szene durchsetzt. Wir können auch für noch so experimentelle Musik mit Reichweite-Argumenten noch mehr Reichweite kriegen und so einen Artisten hochschaukeln. Also genau so, wie dies ja der Zweck der Hitparade ist. Eine der besten Strategien überhaupt, wenn es um Live-Auftritte geht, ist diese: Es ist superwichtig, einige Shows schnell auszuverkaufen, dies dann immer und immer wieder zu kommunizieren, so verkaufst du dann weitere Tickets viel schneller und besser, da sind natürlich Social Media sehr hilfreich.
Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jährige – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?
In meiner Teenagerzeit war die Hitparade natürlich schon ein wöchentlich mit Spannung erwartetes Ereignis. Ich verfolgte die Deutsche Hitparade jeden Samstagabend im TV und machte mich gleichzeitig mit viel Haarspray parat für den Ausgang. Die Hitparade läutete quasi das Wochenende ein, denn wir hatten früher noch Schule am Samstagmorgen. Etwas später kam die Hitparade am Sonntag auf DRS 3. Es war die Zeit, als Depeche Modes Enjoy the Silence und Sinéad O’Connors I do not want what I havent’t got in den Charts waren, beides sind noch heute grosse Idole für mich. Heute interessiert mich die Hitparade noch, weil ich bislang die Ehre hatte, mit all meinen Alben darin vertreten zu sein. Aktiv hören tue ich sie aber nicht mehr.
In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?
Ich denke, das hat sich alles massiv verändert. Die Kids von heute sehen anders aus, weil sie andere Idole haben. Heute ist es der Billie-Eilish-Schlabber-Look, wie es mein Göttibub mal formuliert hat, und früher war das Äquivalent vielleicht der Punk und dann der Grunge. Früher waren es die Popper mit den gelierten Haaren und heute liebt man die Nerds, wie Ed Sheeran oder Lewis Capaldi. Eine schöne und vor allem tolerante Entwicklung, finde ich.
Vielleicht war die Hitparade früher auch ein spezielles Ereignis, weil es eine Art erste Playlist war, die man zu hören bekam. Ausser in der Disco gab es damals ja noch keine einfache Möglichkeit, alle Lieblingssongs der Reihe nach zu hören. Man musste immer zuerst das Tape, die CD oder die Platte wechseln. Eine erste Form von Playlist war wahrscheinlich auch das Aufnehmen auf Kassette. Aber da kam man ja immer zu spät und hat den Recordingknopf meistens erst gedrückt, wenn der Song bereits angefangen hatte.
Inwieweit war/ist die Hitparade ein Antrieb für deine Arbeit heute?
Sie ist kein eigentlicher Antrieb, aber ich finde es jeweils trotzdem cool, wenn ein Album oder ein Song von mir charted.
Sind Klick-Zahlen heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?
Das mag sein. Ich finde diese Tendenz aber problematisch, da die Klick-Zahlen oft nicht die Wahrheit abbilden und wirklich Geld generieren tun sie auch nur, wenn man unendlich viele Klicks hat.
How was your relationship with the «hit parade» as a 12- and an 18-year-old? And today? Are you interested in the charts at all today?
When I was 12, I would come home every day after school and watch MTV live. I wouldn’t say that I recognized that what I was watching was more or less the charts, but I definitely was interested in what music was popular at that time for social reasons. By the time I was 18, I was in college and no longer watching MTV for the charts. The internet was still in its baby form but downloading platforms like Napster had just started. And so, the charts were more like what was everyone downloading off of the platforms.
Today I am no longer interested in the charts as we have known them at all, except that I watch a lot of old chart-reruns (like Soul Train and Dick Clark’s Bandstand) with my dad who has dementia. These days I understand that the charts were/are basically a tool run by the major labels to advertise their products. Even streaming platforms. The major playlists have secret curators, and often they are the major labels. I do think what is interesting is how social media can make a song jump to internet stardom based on how people interact with a song. But still, the charts are just a curated playlist. I prefer to make my own.
During the «glorious» 60s up to the mid-70s, we all (I mean people my age, not you!) followed the charts, even if we had long hair and smoked dope. Who follows the charts today?
I don’t think people actively follow the charts anymore. The charts were a kind of reference to what you should be listening to and therefore buying. With the start of streaming apps and curated playlists, this lost its relevance. You can listen to literally all the music all the time for 15.- CHF a month, and if you don’t know what you like an algorithm will just automatically pick it for you.
Have the charts ever been a motivational force in your work?
Never ever. I think to make a chart hit in most cases your goal has to be to appeal to the most amount of people possible. In my case I make music for myself, simply because I love to, so that doesn’t really give me a lot of mass appeal. (It does give me really true fans, but I think I would fall more under niche music than anything).
Is the number of clicks more important today than the charts? If so, what are the consequences?
Are clicks more important than plays? I think already there you’re showing your age. 😉 Most people don’t have mouses anymore, so clicks is not a term from the most current generation. Streams and likes are much more important. They are the currency of social media, and in that world, they are worth a lot. You can translate it into sponsorships and ads all which have the potential to generate revenue. However, they also come with barriers. You need access to the playlists or have platform algorithms that push your music (like the major labels do). And still even with all that, it doesn’t necessarily translate outside that world to money. The average payment for a stream is .00002.
I think it could be interesting in today’s world to redefine what charts are and how they could be calculated. But I think the day of charts are kind of over. The internet makes its own recommendations based on the trends, but this can last literally from a day to a few weeks. Usually within a month it is no longer cool to even like that song.
Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jährige – und heute?
Als 12- bis 18-Jährige habe ich generell sehr viel Musik gehört. Da ich mich grundsätzlich für Musik interessiert habe, hatte ich natürlich meine Lieblingsalben, welche ich unabhängig von der Hitparade immer hörte. Die Hitparade hatte mehr Einfluss auf bestimmte Trends und dass man einzelne Songs eine Zeit lang sehr mochte. Meinen persönlichen Musikgeschmack hat sie aber nicht beeinflusst. Heute höre ich keine Hitparade mehr, wenn, dann höre ich mir auf Spotify Pop Brandneu oder Fresh Finds an, um Neuerscheinungen zu entdecken.
Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?
Die Hitparade interessiert mich aktuell nicht.
In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?
Ich denke, der Musikgeschmack ist viel individueller geworden. Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen, die Musik beiläufig konsumieren, noch Hitparaden hören, aber junge Menschen stellen sich auf Spotify ihre eigenen Playlists zusammen. Ich habe einen kurzen Blick auf die aktuelle Schweizer Hitparade geworfen, ich kenne davon noch zwei, drei Namen (Billie Eilish, Olivia Rodrigo).
Inwieweit war/ist die Hitparade ein Antrieb für deine Arbeit heute?
Für meine aktuelle Arbeit war die Hitparade nicht so relevant, evtl. mehr für das Zusammengehörigkeitsgefühl, das man hatte, wenn alle denselben Song singen und dazu tanzen konnten. Meine Arbeit war bereits als junge Sängerin von Soul, R’n’B oder Canzoni inspiriert, diese Musik war nicht immer in den Charts präsent.
Sind Klick-Zahlen heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?
Beides ist wichtig. Versuchen nicht immer noch viele Künstlerinnen und Künstler in die Hitparade zu kommen? Oder ist dies vielleicht immer noch ein Werkzeug der Majorlabels, um von der grossen Masse konsumiert und gekauft zu werden? Klick-Zahlen (Likes?) stellen wieder mehr das Interesse der einzelnen Musikhörerinnen und -hörer dar, den individuellen Geschmack, und geben speziellen Musikstilen und Nischen eine Plattform, die es in den Charts nicht gäbe.
Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?
Als 12- und 18-Jähriger hat mich die Hitparade überhaupt nicht interessiert. Ich war vorher, so etwa im Alter zwischen 6 und 10 Jahren ein riesiger Fan und habe jeden Sonntagnachmittag vier Stunden lang vor dem Radio geklebt. Sogar einen Walkman mit Radio-Tuner habe ich mir schenken lassen, dass ich auch von unterwegs mithören konnte. Ich habe einige Ausgaben auf Kassette aufgenommen und wieder und wieder gehört. Der Hitparadenmoderator auf DRS 3 war auch etwa der grösste Star, den ich mir vorstellen konnte.
Heute ist mir die Album-Hitparade ziemlich egal, auch weil die physischen Verkäufe ja so weit zurückgegangen sind, dass bereits dreistellige Verkaufszahlen für eine Top-10-Platzierung ausreichen. Die Single-Charts finde ich nach wie vor durchaus interessant, weil sie eigentlich noch immer ein relativ guter Gradmesser dafür sind, was gerade populär ist.
In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?
Es schauen wohl nur noch Hip-Hop-Fanatikerinnen und -Fanatiker und Ultra-Fans von Popstars regelmässig auf die Hitparade. Kreise, in denen hohe Chartplatzierungen noch wirklich Eindruck schinden – und sich die verschiedenen Fanbases darum Streaming-Kriege und -Wettrennen liefern. Noch immer «bluffen» Hip-Hop-Acts mit Chartplatzierungen – im alternativen Kreis ist das natürlich komplett egal.
Sind Klick-Zahlen und Likes heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?
Definitiv. Wobei es ja eigentlich das Ziel der Hitparade sein müsste, deckungsgleich mit den Streamingzahlen zu sein. Trotzdem finde ich die Spotify-Charts, wo man auf dem Stream genau sehen kann, wie oft ein Song gestreamt wurde, um einiges transparenter als die Hitparade, deren Berechnungsschlüssel ja noch immer ziemlich nebulös ist.
Wie war dein Verhältnis zur Hitparade als 12- und 18-Jähriger – und heute? Interessiert dich die Hitparade überhaupt noch?
Ich habe natürlich als Teenager die Hitparade geliebt. Habe sie jeden Sonntag aufgenommen und mich wie die meisten genervt, wenn dann der Moderator oder die Moderatorin noch dreingeschnorrt hat ins Intro oder Outro. Viele von den Kassettli habe ich noch. War natürlich immer wahnsinnig spannend. Wie beim Eurovision Song Contest, man ärgert sich, wenn der Lieblingssong nicht aufs Eins kommt oder wieder aus den Top 10 hinauskippt und, und, und! Aber die Zeit hat mich total geprägt.
Habe lange als interessierter Musiker die Hitparade noch mitverfolgt, um zu sehen, was da noch geht. Aber ich würde sagen, in den letzten vier, fünf Jahren habe ich aufgegeben. Es hat halt viel Musik gehabt, die mich überhaupt nicht angesprochen hat, und ich habe dann doch gemerkt, dass ich aus dem Rennen hinausgefallen bin, was mich auch entspannt.
Für meine Musik war es eigentlich nie ein grosses Thema. Wie man auf meinem ersten Album hört, bin ich musikalisch nie dem Mainstream hinterhergerannt. Ich habe sicher einmal das eine oder andere Lied gehabt, von dem ich dachte, es könnte radiotauglich sein. Und ich habe mich dann natürlich schon gefreut, als mein Album Tourist im Jahr 2000 auf Platz 5 gekommen ist. Oder dass ich in den letzten Jahren doch immer wieder in die Charts gekommen bin, obwohl ich ganz unabhängig unterwegs bin, was die Plattenfirmen betrifft, denn ich habe meine eigene. Das freut mich, aber es ist eigentlich irrelevant. Das Publikum an den Konzerten interessiert es nicht, ob das Album in den Charts ist oder nicht.
Sind Klick-Zahlen und Likes heute wichtiger als die Hitparade? Falls ja, welche Konsequenzen hat das?
Das mit den Klickzahlen tangiert mich nicht gross. Ich habe gerade jetzt eine Single mit Eve Gallagher, wo wir wunderbare Klickzahlen haben, worüber sich alle freuen, ich mich auch, aber das ist auch wirklich für mein Schaffen, für meine Musik, momentan total unwichtig.
In den gloriosen Sixties bis weit in die Seventies hinein haben wir ja alle die Hitparade verfolgt, auch wenn wir lange Haare hatten und kifften. Wie sieht das Hitparadenpublikum heute aus?
Ich nehme an, vom Aussehen her ähnlich wie in den 80ern, ähnlich gestylt, wie ich in den 80ern gewesen bin. Heute kenne ich ja nicht so viele junge Leute, aber die hören die Hitparade nicht. Ich weiss nicht, wer da wirklich noch dran hängt. Die hören doch Spotify und Playlists.
Hatte die Hitparade für dich eine Bedeutung als Knirps?
Unbedingt! Ich bin im Jahr 71 eingestiegen, da war ich 9, blutjung, das hat mich schon geprägt, war fast das einzige, was man damals am Schweizer Radio hat hören können. Da war die Hitparade für mich sehr wichtig und prägend. Heute natürlich nicht mehr.
Wann hat sich das geändert?
Schleichend, in den 70er-Jahren, als ich Richtung Jazz ging. Dann war ich schon nicht mehr so interessiert. Aber nebenher habe ich immer noch mitgenommen, was da lief. Es war ja auch noch relevant zu jener Zeit, insofern als es abgebildet hat, was wirklich die erfolgreichsten Songs waren, was sich wiederum auf den Verkauf der Alben auswirkte. Das kann man heute nicht mehr. Es ist ziemlich schwierig geworden, das alles nachzuvollziehen.
Und man hat sich riesig gefreut, wenn mal eine Schweizer Band in den Charts war.
Davon habe ich wenig mitbekommen. Pepe Lienhard, Sheila Baby, Swiss Lady. Und natürlich Heavenly Club, das war glaub ich im ersten Schweizer Hitparadenjahr.
Hast du Erinnerungen an bestimmte Hitparadenstücke?
Ziemlich genau kann ich mich erinnern. Ich habe es richtig aufgesogen. Suzi Quatro zum Beispiel, grandios, Sweet, Slade, das war damals auf der Linie als Teenie. Und Deep Purple, Black Night, die ersten harten Sachen – finde ich übrigens heute noch gut …
Wie war das damals für euch, als «Heavenly Club» auf Platz 1 kam?
Das war natürlich ein verrückter Sommer. Wir waren auf Tournee, als Sauterelles, zusammen mit Arlette Zola, an einem Abend sie zuerst, am anderen wir. Natürlich waren wir gespannt, ob Heavenly Club in die Hitparade käme. Und tatsächlich, es ging nicht lang, da waren wir drin, und die Platte ist gestiegen und gestiegen und auf einmal war es so weit, Platz 1. Da hat Christoph Schwegler gesagt: «well, well, well, und auf Platz 1, Les Sauterelles!» War natürlich gewaltig für uns. Wir haben Christoph persönlich gut gekannt, er kam immer ins Atlantis, wenn wir dort gespielt haben.
Es war eine verrückte Sache, und dass wir dann sechs Wochen auf Platz 1 blieben, war damals eine kleine Sensation. Hat uns sehr gefreut. Auf der anderen Seite hat es mich auch ein bisschen auseinandergerissen, denn meine Tochter Natalie kam zu genau der Zeit auf die Welt, als wir in der Hitparade waren. Ich wusste bald nicht mehr, was ich jetzt lässiger finden sollte, hahaha! Aber lässiger war dann halt schon die Geburt meiner Tochter!
Inwieweit war die Hitparade für euch ein Antrieb, vor und nach dem Hit?
Antrieb – natürlich hatte man als Band das Gefühl, es wäre schon lässig, wenn man in die Hitparade käme. Aber wir wollten ja eigentlich nur Platten machen. Heavenly Club war nicht einmal unser Favorit. Eigentlich hätten wir Montgolfier als Hit gewollt. Aber klar denkt man dran, dass man gern einen Hit hätte.
Gab es nach dem Hit Druck von der Plattenfirma, die Formel zu wiederholen?
Unter Druck von der Plattenfirma sind wir nicht gestanden. Es war aber sowieso leicht tragisch, denn bald nach der Tournee, die wir dann machten, fing die Band an, auseinanderzubröckeln. Düde Dürst, der Drummer, hat mit Hardy Hepp zu jammen angefangen, und irgendwann ist er dann ausgestiegen, 1968. Schade, wir hätten in Deutschland gross einsteigen können nach einer Plattenkonferenz in Hamburg. Ist dann halt nichts draus geworden. Ich habe weitergemacht mit den Sauterelles, dann aber bald einmal allein. Auch finanziell war es nicht mehr interessant. Die ganze Szene hatte sich verändert. Die Klubs. Es gab keine wochenlangen Engagements mehr, man musste Einzelauftritte machen.
Galt es in der progressiven Umgebung nicht als uncool, in den Charts aufzutauchen?
Naja, 1968 waren wir eigentlich nicht in einer progressiven Szene. Ich würde eher sagen, das wäre dann Düde mit Krokodil gewesen. Aber die Sauterelles waren eh eher eine kommerzielle Sache, da war es gar nicht uncool, einen Hit zu haben. Viel schwieriger ist es geworden, als ich Mitte der 70er-Jahre in die Charts kam, zuerst mit dem Pfäffli, dann Scho root. Da hat es dann schon von ein paar Leuten getönt (mimt Berner Akzent): «Aha, du bist ja halt jetzt in der Hitparade, gell?»
Die Berner Troubadours fanden das ziemlich daneben, dass jetzt ein sogenannter Liedermacher in die Hitparade kommt. Das war ja damals sehr ungewöhnlich. Mani Matter und all die anderen kamen nie in die Hitparade. Dann kommt dieser Vescoli mit der Züri-Schnure daher und fegt alles weg, hahaha. Die Hitparade habe ich in den 60er-Jahren verfolgt, in der Zeit von Heavenly Club, später dann nicht mehr so. Als ich meine eigenen Lieder auf Schweizerdeutsch machte, war die Hitparade nicht mehr so wahnsinnig wichtig.
Ausgabe 9_10/2023 – Focus «Ansporn»
SMZ
- 06. Sep. 2023
Inhaltsverzeichnis
Focus
Sich trauen und andere ermutigen Interview mit Nicole Johänntgen
Das innere Feuer am Brennen halten Antriebslosigkeit beim Musiklernen verhindern