Das Herz klopft und der Atem stockt

Das Lampenfieber in den Griff bekommen? Der Ratgeber von Renate Publig hilft vor allem mit praktischen Übungen.

Rampenlicht kann einschüchternd wirken. Foto: LENblR/depositphotos.com

Gross geschrieben steht es auf dem Umschlag: Lampenfieber. Der volle Titel lautet: Meistere dein Lampenfieber – Mit Mentaltraining zu einem gelungenen Auftritt. Das ist gleich auch die kürzestmögliche Zusammenfassung dieses praktischen und vergnüglich zu lesenden Buches von Renate Publig. Sie schreibt leicht und klar, grafische Elemente und Zeichnungen bringen vieles zusätzlich auf den Punkt und motivieren, das Problem hoffnungsvoll anzugehen.

Theoretisches bleibt meist im Hintergrund, im Zentrum stehen praktische Übungen von A wie Affirmationen bis Z wie Zehen berühren und atmen, allesamt abschliessend übersichtlich zusammengestellt in einem Register. Einerseits sind das Anleitungen zu «Akutinterventionen», wenn das Lampenfieber die Kehle unmittelbar vor dem Auftritt oder gar auf der Bühne zuschnürt. Andererseits helfen «Langzeitinterventionen», systematisch über eine ausgedehnte Phase einen positiven Umgang mit dem Lampenfieber einzuüben. Der Leitfaden eignet sich bestens zur Selbsttherapie. Wer jedoch über längere Zeit von Panikattacken geplagt wird, sollte, anstatt zu Betablockern zu greifen, Hilfe bei einer Fachperson suchen. Ein «Mittendrinwort des Schauspielers Max Müller» gleich zu Beginn und ein Schlusswort von José Cura bilden den stimmigen Rahmen.

 

Renate Publig: Meistere dein Lampenfieber. Mit Mentaltrainig zu einem gelungenen Auftritt. Gesang, Sprache, Schauspiel, 197 S., € 29.80, Doblinger, Wien 2021, ISBN 978-3-902667-84-7

 

 

Mebu – ein neuer Kunstraum im Goms

Eröffnung des «Münster Earports», eines Orts für zeitgenössische Musik in den Walliser Alpen.

Simone Conforti (IRCAM Paris) beim Einrichten des Mebu-Akusmoniums in Münster (Goms). Foto: zVg

Mitten im historischen Zentrum von Münster (Goms), unweit von Rhonegletscher und Finsteraarhorn, geht mit dem «Mebu» ein Kunstraum für zeitgenössische Musik auf. Der Name ist die Abkürzung für «Münster Earport by UMS ´n JIP» und verweist augenzwinkernd auf den benachbarten Flugplatz, den Münster Airport. Er macht aber auch klar, dass im Mebu das Spielen und Hören von Musik im Zentrum stehen. Gegründet und geführt wird er vom Neue-Musik-Duo UMS ´n JIP (Ulrike Mayer-Spohn und Javier Hagen), das als Folge der Pandemie – Probe- und Arbeitsstätten waren während der Lockdowns nicht mehr gegeben – in Münster seine Zelte aufgeschlagen und dort eine permanente Produktions- und Spielstätte eingerichtet hat.

Einmalig sind im Mebu ein dauerhaft installiertes 16-Kanal-Akusmonium zur Wiedergabe elektroakustischer (akusmatischer) Musik – eines der wenigen öffentlich zugänglichen seiner Art in ganz Europa – sowie eine bemerkenswerte Sammlung historischer Tasteninstrumente zur historisch informierten Wiedergabe von Alter Musik. UMS ´n JIP gehören zu den aktivsten Ensembles für Neue Musik der Gegenwart, mit Gastspielen an der Biennale Venedig, am Liceu Barcelona, am Colón Buenos Aires oder der Shanghai New Music Week und wurden mit über 30 internationalen Preisen ausgezeichnet.

Am Mebu gewähren sie als Nächstes den Konzerten der Ars Electronica Forum Wallis Selection 2022/23 mit akusmatischer Musik Gastrecht: am 10., 11. und 12. März 2023 im Rahmen des Festivals für Neue Musik Forum Wallis.

Cello allein und zu zweit

Kompositionen von Roland Moser, gespielt von seiner Partnerin Käthi Gohl Moser ergeben eine unprätentiöse, «atmende» CD.

Roland Moser. Foto: Louis Moser

Wann habe ich zuletzt eine derart intime Musik gehört?! Das liebevolle Miteinander ist gleichsam die Voraussetzung für die meisten Stücke auf dieser CD, denn der Komponist komponiert hier häufig für die Cellistin, mit der er schon seit Langem das Leben teilt, Roland Moser schreibt für Käthi Gohl Moser.

Das allerdings hat nichts Repräsentatives oder Repräsentabel-sein-Wollendes an sich, kein Klangfotoalbum. Vielmehr gewähren uns da zwei Einblick, Einhorch in ihren musikalischen Dialog. Gern zweistimmig, wodurch das Cellosolo zum Duo wird. Hier zusammen mit der Violine von Helena Winkelman, dort zusammen mit dem Blockflötisten Conrad Steinmann, dem Oboisten Matthias Arter oder dem Pianisten Anton Kernjak. Es gibt auch kurze Selbstgespräche, in denen Gohl zum Cello singt und summt. Darum herum finden sich noch weitere Gäste ein, Komponisten wie Schubert oder Offenbach, Dichter wie James Joyce, Paul Éluard oder Arthur Rimbaud, manchmal gut versteckt, manchmal offensichtlich. Denn Mosers Musik liebt die Allusion, sie geht gerne mit Worten um, bedächtig und sorgfältig, ohne Hast. Subtil beginnt sie immer wieder mal zu singen, mit romantischem Sentiment, ja fein sehnsüchtiger Hingabe. Und in … wie ein Walzer auf Glas … tanzt das Cello in den Flageoletttönen «vertrackt einfach», wie Roman Brotbeck in seinem schönen Booklettext schreibt. Andere Stücke führen auf die Grenzpfade der Mikrotöne.

So kurz die meisten Stücke sind, so hat jedes doch sein eigenes Gepräge. Grösseres Gewicht erhält hier nur eine Komposition von 1998, die gleich in zwei Versionen erklingt: zunächst in der neueren für Violine und Cello, am Schluss in der urspünglichen mit Oboe d’amore und Cello. … e torna l’aria della sera… basiert auf einer unhörbaren Ballata von Pier Paolo Pasolini und wandelt mit der Besetzung auch leicht den Charakter. Mal klingt dieser Abendgesang arkadisch, mal fast tristanhaft. Er bewegt sich frei und beharrlich, doch ohne Sturheit, und er entgeht dabei jedem allzu gängigen Innovationszwang. Die Musik atmet in diesen Interpretationen ganz selbstverständlich.

Roland Moser: Violoncello solo e in duo. Käthi Gohl Moser, Cello; Anton Kernjak, Klavier; Helena Winkelman, Violine; Conrad Steinmann, Flöte, Aulos; Matthias Arter, Oboe d’amore. Olinard Records

Das neue BWV3

Die dritte, erweiterte Neuausgabe des Bach-Werke-Verzeichnisses bezieht die Forschung der letzten 30 Jahre ein und schlägt eine neue Art der Differenzierung vor.

Foto: belchonock/depositphotos.com

Dass die BWV-Zahlen, mit denen Bachs Kompositionen identifiziert werden, aus dem Bach-Jahr 1950 stammen, ist selbst vielen professionellen Musikerinnen und Musikern nicht bewusst. Wolfgang Schmieder klassifizierte damals Johann Sebastian Bachs Schaffen nach Gattungen und vergab die Zahlen entlang der Reihenfolge der einzelnen Stücke in der alten Bach-Ausgabe (1851–1899). Schmieders epochemachende Leistung erfuhr 1990 eine aktualisierte Neuauflage. Schon 1998 legten die Bach-Forscher Alfred Dürr und Yoshitake Kobayashi ihre verknappte Alternative vor.

Seither ist viel passiert in der Bach-Forschung: Neue Quellen sind aufgetaucht, Echtheitszweifel wurden erhoben oder beseitigt, Datierungen bestätigt oder korrigiert usw. Die Bach-Literatur ist ins Unermessliche angewachsen, und das Internet gewährt Volltexte, Bibliografien und sogar Originaldrucke und -handschriften. Ein neuerlich revidiertes und auf den aktuellen Stand gebrachtes BWV konnte nicht mehr von einem Einzelnen geleistet werden, ein ganzes Institut, das Bach-Archiv Leipzig, stand hinter den drei Hauptautoren, und die Arbeiten zogen sich über mehr als zehn Jahre hin. Daraus entstand ein 880 Seiten starker Band, der immer noch Schmieders Gattungskategorien folgt, die längst eingebürgerten Zahlen übernimmt und neu aufgefundene Werke in fortlaufender Zählung dort einreiht, wo sie ihrer Funktion und Besetzung nach hingehören. Neu sind auch eine systematische, nicht konsequent den BWV-Zahlen folgende Übersicht über Bachs gesamtes Schaffen und diverse Konkordanzen und Kataloge, etwa von Bachs (rekonstruierbarer) Notenbibliothek. Neu an diesem Verzeichnis ist die Aufspaltung in verschiedene Fassungen eines einzelnen Werkes. So gliedert sich die Werkgeschichte der Kantate Schwingt freudig euch empor in die Stadien 36.1 bis 36.5, und die beiden Fassungen der Kantate 82 für Bass bzw. Sopran sind als 82.1 und 82.2 ausgewiesen. Damit soll dem Wildwuchs der Ergänzung von BWV-Zahlen um a-, b- bzw. r-Bezeichnungen Einhalt geboten werden.

An seine Grenzen stösst dieses Verfahren, wenn gewisse reinschriftliche «Brandenburgische» Konzerte beispielsweise als BWV 1046.2 zu bezeichnen sind, weil zu ihnen eine Frühfassung 1046.1 besteht, während für andere schlicht eine vierstellige Zahl gilt, etwa BWV 1047. Was gänzlich entfallen ist, sind die Literaturhinweise zu einzelnen Werken, da hier nun die Online-Kataloge einzuspringen vermögen. Dennoch geht auch ohnedies die Verknappung der wissenswerten Erläuterungen so weit, dass es in komplizierteren und deswegen auch interessanteren Fällen detailreicher Kenntnis bedarf, um sie überhaupt einigermassen nachvollziehen zu können. Ob damit in Sachen Benutzerfreundlichkeit Fortschritte erreicht worden sind, darf bezweifelt werden. Wie die in der Verlagswerbung angekündigte «Verschränkung mit den einschlägigen Online-Datenbanken» verwirklicht ist, wird nicht ersichtlich.

So bleibt auch dieses BWV3 angesichts seines Kaufpreises wohl eher Sache weniger Spezialistinnen, während für Praktiker heute die einfache Identifikation der Werke durch die allgemein üblichen Zahlen getrost mit Hilfe des Internets oder der gängigen Werkausgaben erfolgen kann.

Christine Blanken, Christoph Wolff, Peter Wollny: Bach-Werke-Verzeichnis. Dritte, erweiterte Neuausgabe (BWV3), XLIV + 835 S., € 459.00, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2022, ISBN 978-3-7651-0400-8

 

 

Nägeli, der Sängervater – welch ein Irrtum!

Miriam Roner zeigt in ihrem Buch, dass das landläufige Bild dem vielseitigen Hans Georg Nägeli nur unzureichend gerecht wird.

Hans Georg Nägeli, Stich nach Georg Balder um 1830. Quelle: Gallica

Hans Georg Nägeli (1773–1836) gilt als der Schweizer Sängervater. Mit dieser Vorstellung ist die Musikwelt seit fast zwei Jahrhunderten konfrontiert. Das zweifelhaft vaterländische Attribut hatten ihm die Schweizer Sängervereine verpasst und damit ein Bild des umtriebigen Nägeli kreiert, das keiner seriösen Betrachtung standhält. So wartet man seit vielen Jahren auf eine Biografie, auf ein Korrigendum dieser einseitigen, wahrheitswidrigen Darstellung des «Pioniers in allen Gassen».

Im Rahmen eines Nationalfondsprojekts hat sich die junge Musikwissenschaftlerin Miriam Roner der schier unlösbaren Aufgabe angenommen, Licht ins Dunkel zu bringen. Die bereits 2016 an der Universität Bern als Dissertation angenommene Arbeit hat sie nun gründlich überarbeitet, um sie als über vierhundert Seiten starkes Buch zu veröffentlichen. Schon nach kurzer Lektüre wird klar, welche Mammutarbeit dahintersteckt, denn ausser einigen lexikalischen Artikeln und Festschriften existiert nichts Umfassendes zu Nägeli.

Roner legt keine Biografie vor, aber sie zeigt eindrücklich, auf wie vielen Hochzeiten Nägeli getanzt hat: Er war Verleger, führte eine Noten(leih)bibliothek, komponierte Gebrauchsmusik, gründete und leitete ein Singinstitut, das nach pestalozzischen Regeln zur Bildung beitragen sollte und liess dabei auch Mädchen und Frauen zum Zug kommen.

Nur schon diese Vielfalt zeigt, wie umfassend Nägeli dachte. Roner versucht in diesem Dickicht aufzuschlüsseln, wie das «System Nägeli» funktionierte. Es gab um 1800 keine Vertriebskanäle, keine Banken, über die Zahlungen abgewickelt werden konnten. So entwickelte Nägeli verschiedene Vorgehensweisen, er vertrieb Noten von französischen oder deutschen Verlagen als Gegengeschäft für die Annahme seiner eigenen Werke, er bestellte Partituren zum Kauf, als Kommissionsverlag oder auf Leihbasis, um sie an Bürger weiterzuverleihen.

Nägeli hat nie eine umfassende Ausbildung als Musiker, Komponist oder Geschäftsmann genossen. Wohl war es neben den napoleonischen Kriegen diesem Umstand geschuldet, dass er viel anregte, aber auch scheiterte – sein Verlag ging Konkurs und er verkaufte an Adolf Hug. Der Hug-Verlag war geboren.

Trotzdem hat der Pionier Nägeli Eindrückliches geleistet, wie Roner aufzeigt. Im pädagogischen Bereich hat er die Jugend, bei der er auch die unteren Volksschichten berücksichtigte, systematisch mit klug aufgebauten Lehrbüchern an die Musik herangeführt. Oft vergessen wird auch, dass Nägeli den Frauen genauso viel Aufmerksamkeit schenkte, wie den Männern.

Am interessantesten in Roners Recherchen sind der zweite Teil, der «Nägeli als Musikalienhändler und Musikverleger» gewidmet ist, und der dritte Teil zum «Sing-Institut». Wertvoll ist der ausgedehnte Anhang mit einer ausführlichen Chronik und einem umfassenden Quellenregister. Die Grundlagen für eine weitere Erforschung und Belebung dieses Pioniers sind gelegt.

Miriam Roner: Autonome Kunst als gesellschaftliche Praxis. Hans Georg Nägelis Theorie der Musik, 427 S., € 73.00, Franz-Steiner-Verlag, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-515-12701-1

Frühe Werke von Eugène Ysaÿe

Acht Stücke, lange vor den berühmten sechs Solosonaten komponiert, vorgestellt mit den jeweiligen Entstehungsgeschichten.

Eugène Ysaÿe, Porträt von Emil Fuchs, 1900. Quelle: Wikimedia commons

Der belgische Geiger Eugène Ysaÿe (1858–1931), erst Schüler seines Vaters, gewann schon mit neun Jahren einen Preis, studierte bei Wieniawski in Brüssel und Vieuxtemps in Paris und spielte auf seiner ersten Konzertreise in Deutschland 1878 mit Clara Schumann die c-Moll-Sonate von Beethoven. 1882 nahm ihn Anton Rubinstein mit auf eine Tournee nach Russland und Norwegen. An seinem Hochzeitsfest mit der Sängerin Louise Bourdeau spielte er die ihm gewidmete Sonate von César Franck, zog dann als Professor nach Brüssel, wo er bis 1898 lehrte (berühmte Schüler: Gingold, Primrose, Persinger). Während des Ersten Weltkriegs lebte er in London, später in den USA, um schliesslich nach Brüssel zurückzukehren, wo er bis zu seinem Tod als Dirigent, Pädagoge und Konzertmanager wirkte.

Sein Leben lang nutzte er das Komponieren als Energiequelle und Refugium. Sein wichtigstes Vermächtnis sind die 1923 komponierten sechs Solosonaten op. 27. Das vorliegende Heft wirft ein Licht auf die Werke von 1882 bis 1905, entstanden an den verschiedenen Wirkungsorten. Es beweist seine stupende, vergeistigte Virtuosität. Von den acht abgedruckten Werken ist die Légende norvégienne eine lohnende Erstveröffentlichung. Das Vorwort von Marie Cornaz (d/f/e) erzählt spannend die Geschichte der Stücke. In den ausführlichen Bemerkungen (d/e) bietet der japanische, an der Juilliard School lehrende Geiger und auf Ysaÿe spezialisierte Musikwissenschaftler Ray Iwazumi seine Hilfe an. Aussergewöhnlich: In der Violinstimme sind Ysaÿes originale Fingersätze und Strichbezeichnungen schwarz, Iwazumis grau gedruckt.

Eugène Ysaÿe: Poème élégiaque op. 12 und andere Werke für Violine und Klavier, hg. von Ray Iwazumi, HN 1201, € 42.00, G. Henle, München  

Expressiv zwischen Klassik und Jazz

Five on Fire haben sich längst vom leicht verdaulichen Jazz früherer Tage verabschiedet. Mittlerweile hegt die Formation um Daniel Gubelmann höhere Ansprüche – und macht jetzt gemeinsame Sache mit der Klassik.

Five on Fire und das Musikkollegium Winterthur. Foto: zvg

Auf ihrem Debüt Struggle or play (2007) fokussierten Five on Fire auf leicht verdaulichen Jazz mit Funk-Einwürfen. Sechs Jahre später erfand sich die Formation um Daniel Gubelmann jedoch neu und begann mit einem Streichquartett zu kollaborieren. Für das neuste Album Eternal movement hat man diesen Ansatz weiter ausgestaltet und mit einer grossen Streicherbesetzung des Musikkollegiums Winterthur zusammengearbeitet.

Es ging Gubelmann darum, Jazz mit Klassik und Improvisation zu verbinden und dabei nach schlagkräftigen Melodien und grösstmöglicher Expressivität zu forschen. Der in Bern, Zürich und Buenos Aires ausgebildete Musiker und Komponist, bekannt insbesondere für sein lyrisches Saxofonspiel, lässt sein Jazzquartett gleichberechtigt mit dem Streichorchester spielen. Wodurch ein geradezu symbiotisches Klangbild entsteht, das sich um Genregrenzen foutiert.

Der Titel der Platte, auf Deutsch «Ewigkeit der Bewegung», lässt erahnen, dass das Projekt nicht für Understatement steht, im Gegenteil. Entsprechend präsentiert sich das Gebotene imposant und voller Dramatik. Wobei der Auftakt, das feingliedrige Preludio de Buenos Aires, das ganz in der Verantwortung des Streichorchesters liegt, zunächst überraschend zurückhaltend ausfällt. In Anschluss erklingt El rio de las estrellas, das von einer sublimen Konversation zwischen Saxofon und Piano geprägt wird und mit melancholischen Klangfarben aufwartet. Bei La flor del amor macht sich dann Gubelmanns Flair für den Tango endgültig bemerkbar – mit grosser Leidenschaft und teils furiosen Rhythmen.

Gemäss Gubelmann haben seine acht Kompositionen den Anspruch, auch ohne Bilder auszukommen. Dennoch kommt Eternal movement einer filmreifen Suite gleich, die sich unter anderen auf Astor Piazzolla, Stan Getz und John Coltrane bezieht. Das Resultat ist ein ebenso draufgängerisches wie eloquentes Album, das seinen ganz eigenen Weg geht und zu beeindrucken weiss.

Five on Fire feat. Musikkollegium Winterthur: Eternal movement. Solo Musica SM407

Clytus Gottwald ist gestorben

Der Welt abhanden gekommen: Der Komponist, Chorleiter, Rundfunkredakteur und Musikwissenschaftler Clytus Gottwald ist im Alter von 97 Jahren gestorben.

Clytus Gottwald. Foto: Carus-Verlag/privat

Als Redakteur für Neue Musik beim Südfunk Stuttgart sowie Gründer und Leiter der Schola Cantorum Stuttgart stand er in produktivem Austausch mit seinen, die Neue Musik begründenden Zeitgenossen Pierre Boulez, Mauricio Kagel, György Ligeti, Luigi Nono, Karlheinz Stockhausen und vielen anderen. Gottwald prägte mit seiner Schola Cantorum, einem 16-stimmigen Kammervokalensemble, massgeblich die heute selbstverständlich gewordene A-cappella-Chorkultur auf höchstem technischem Niveau. Seine Transkriptionen von Klavierliedern oder Instrumentalstücken für vielstimmigen Chor a cappella, die in ihrer an Ligeti geschulten Satzweise höchste musikalische Ansprüche stellen, werden von Chören auf der ganzen Welt geschätzt.

Clytus Gottwald wurde für seine Verdienste mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Kulturpreis Baden-Württemberg 2009, dem Preis der Europäischen Kirchenmusik 2012 und dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland 2014. Seine Bedeutung für die Entwicklung der zeitgenössischen Chormusik kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Mit Clytus Gottwald verliert der Carus-Verlag einen seiner wichtigsten Autoren.

Wenig Musik bei der Spurensuche

Barbara Beuys‘ Biografie von Emilie Mayer erzählt vor allem das Leben der Komponistin, über ihre Musik ist wenig zu erfahren.

Emilie Mayer war nicht nur Komponistin, sondern auch eine begabte Pianistin. Bild: wikimedia commons

Nachdem in den vergangenen Jahren sowohl zahlreiche Neuausgaben wie auch Einspielungen von Sinfonien und Kammermusik aus ihrer Feder erschienen sind, dürfte die Komponistin Emilie Mayer (1812–1883) keine ganz unbekannte mehr sein. Freilich ist dies auch als ein Zeichen der Zeit zu sehen: Obwohl der musikalische Nachlass bereits im 20. Jahrhundert an bester Stelle (Staatsbibliothek zu Berlin) öffentlich zugänglich war, blieb damals das Interesse eher gering. Heute steckt freilich unnötiger Überschwang in mancher reisserischen Überschrift wie «Der weibliche Beethoven» (NDR) – oder eben auch im Untertitel der neu erschienenen Biografie von Barbara Beuys: «Europas grösste Komponistin». Was diese «Grösse» ausmacht, wäre zu diskutieren: Ist es der Umfang des Œuvres? Oder der Schwerpunkt des Schaffens, der auf so gewichtigen Gattungen wie Streichquartett und Sinfonie liegt? Und wie wären diese Werke auch gegenüber jenen von Louise Farrenc einzuordnen?

Fragen, die Barbara Beuys nicht beantwortet, die aber auch gar nicht in ihrem Fokus stehen. Denn in ihrer «Spurensuche» erzählt sie das Leben von Emilie Mayer und die Aufführungen ihrer Werke mit zahlreichen historischen wie auch kulturgeschichtlichen Einbettungen nach. In diesem übergreifenden Blick liegt vielleicht die Stärke der Darstellung; was die eigentlichen Daten und Details angeht, so stützt sich die Autorin vor allem auf die umfangreichen Recherchen, die Almut Runge-Woll für ihre 2003 im Druck erschienene Dissertation über diese aussergewöhnliche Loewe-Schülerin unternommen hat. Auch wenn das Zielpublikum der aktuellen Biografie nicht allein im Bereich interessierter Musikliebhaberinnen und -liebhaber liegen mag, so verblüfft es doch, dass eine ansatzweise Charakterisierung von Emilie Mayers kompositorischem Schaffen ebenso fehlt wie eine auch nur summarische Werkliste. Hingegen finden sich Redundanzen («Ehefessel», S. 52 und 195), Ungenauigkeiten («Streichquartett» statt Streichquintett, S. 138) und mitunter allzu saloppe Formulierungen: «Posaunen und Streichinstrumente – da war doch etwas?» Und so reiht sich dieses Porträt eher als weitere Folge in die Reihe der kulturhistorischen Biografien der Autorin ein, ohne dass eine auch «musikalische» Spurensuche erfolgt wäre.

Barbara Beuys: Emilie Mayer, Europas grösste Komponistin. Eine Spurensuche, 220 S., € 22.00, Dittrich, Weilerswist-Metternich 2021, ISBN 978-3-947373-69-7

Mit zurückhaltender Eleganz

Für einmal macht die Schweizer Schauspielerin Viola von Scarpatetti nicht mit einem neuen Filmprojekt von sich reden, sondern mit Musik. Ihr Debütalbum «Fais un pont» bietet zwölf Chansons der entspannten Art.

Viola von Scarpatetti. Ausschnitt aus dem Albumcover

Die künstlerische Ader von Viola von Scarpatetti begann sich bereits früh abzuzeichnen: Als Kind besuchte sie eine Zirkusschule, später studierte die gebürtige Baselbieterin an der European Film Actor School in Zürich. Weil sie sich mit ihrer Arbeit vor der Kamera längst etabliert hat – etwa dank ihrer Hauptrolle in der Komödie 20 Regeln für Sylvie (2014) –, will sich die in Fribourg und Frankreich aufgewachsene Schauspielerin nun einer weiteren Kunstform widmen, dem Chanson.

Das Debütalbum der 34-Jährigen, Fais un pont, dreht sich um eigene Erfahrungen und Emotionen. Wozu auch passt, dass sie den von leichter Melancholie durchzogenen Titelsong bereits als Jugendliche kreiert hat – ursprünglich als Rap. Heute verbindet ihr Musikschaffen Folk mit frankofonem Chanson respektive Pop. Folgerichtig wartet denn auch einzig das abschliessende Hong Kong mit englischen statt französischen Lyrics auf.

Was die Platte auszeichnet, ist insbesondere die Leichtigkeit. Diese manifestiert sich auch in einer zurückhaltenden Produktion, die nicht auf Perfektion, sondern auf Stimmigkeit aus ist. Das gelingt und bringt mit sich, dass die während den Aufnahmen in Südfrankreich zirpenden Zikaden auch auf der Veröffentlichung zu hören sind. Während Laisser danser mit dahingeworfen wirkenden Gitarrenlicks sowie kurz mit gepfiffener Melodie aufwartet und in Erinnerungen schwelgt, dreht sich Momo’s chanson um Michael Endes Romanfigur und bedient sich dabei sanfter Akkordeonklänge und linder Bläserpassagen.

Weitere Tracks wie das elegische Marin, das verspielt wirbelnde Voyage dans le désert oder das karg arrangierte Je te sens verdeutlichen, dass Viola von Scarpatetti mit ihrem Material für anhaltende Entspannungsmomente besorgt ist. Gelungen sind ihr zwölf Soundpreziosen, die auf Pomp und Prunk verzichten und stattdessen mit Charme und zurückhaltender Eleganz gefangen nehmen.

Viola von Scarpatetti: «Fais un pont» (Eigenvertrieb) www.violavonscarpatetti.com

Aus dem Banksafe aufs Podium

Daniel Dodds hat mit den Festival Strings Lucerne Mozarts Haffner-Serenade eingespielt und zugleich eine Stradivari präsentiert.

Daniel Dodds. Foto: Fabrice Umiglia

Sie heisst «Sellière», wurde 1680 von Antonio Stradivari gebaut und ab 1934 bis Ende der 1970er-Jahre vom legendären Wolfgang Schneiderhan, dem Mitbegründer der Festival Strings Lucerne, gespielt. Danach verschwand das edle Instrument bis 2019 im Banksafe der Eigentümer. Seither steht sie den Festival Strings und Daniel Dodds als Dauerleihgabe zur Verfügung.

Dodds nutzt dieses «Himmelsgeschenk» nun zu einer Einspielung, aufgenommen im KKL Luzern. Bemerkenswerterweise entschieden sich die Macher beim Programm nicht etwa für Geigenkonzerte, sondern wählten Mozarts Haffner-Serenade, die im CD-Booklet mit etwas viel Understatement als «fast vergessen» bezeichnet wird. Man denke da an Konzerte mit Ton Koopman oder Thomas Zehetmair, um nur zwei zu nennen.

Wie dem auch sei, es ist eine kluge Wahl, denn in dieser Serenade kommt nicht nur die Geige in zahlreichen Soli zur Geltung, auch die Festival Strings können ihre Kunst ausgiebig demonstrieren. Das Resultat kann sich denn auch mehr als hören lassen, auch wenn die Tempi zum Teil etwas gewöhnungsbedürftig sind.

Gespielt wird fast durchwegs vibratolos, zupackend und schnell. Man wird den Verdacht nicht los, dass die Interpretationen der oben erwähnten Dirigenten als Vorgabe dienten, um sich davon abzusetzen. Natürlich kann Dodds mit seiner «Sellière» so mit virtuosen Soli brillieren, etwa im Rondo. Die eher langsamen, schmelzenden Sätze werden aber leider etwas «verhetzt», ein Menuett ist nun mal ein Schreittanz. Mozarts Serenade ist aber auch bei den Festival Strings beste Unterhaltungsmusik, die man sich gerne gefallen lässt.

Etwas zwiespältig wirkt die am Schluss figurierende Weltersteinspielung eines Werks von Vincenzo Righini (1756–1812). Die knapp sechsminütige Ballettmusik aus Gerusalemme liberata ist für Fagott, Horn, Violoncello und Sologeige komponiert, was eigenwillige Instrumentalfarben ergibt. An sich eine spannende Neuentdeckung, wirkt sie aber nach der Haffner-Serenade etwas verloren.

Mozart: Haffner Serenade. Festival Strings Lucerne, Daniel Dodds, violin & direction, Sony Classical 0196587250621

Hommage an sich selbst

In seinem «Guitar Book» beschenkt Altmeister Sigi Schwab Spielerinnen und Spieler mit den Stücken, die für ihn bedeutend sind.

Sigi Schwab am Tollwood-Festival 2010. Foto: Dieter Vaterrodt/wikimedia commons

Das Guitar Book von Sigi Schwab hebt sich von üblichen Notenausgaben in vielerlei Hinsicht ab. 100 Seiten festes Papier in einem Grossformat von rund 26 x 37 Zentimetern mit Spiralbindung; jedes der 30 Stücke auf je genau einer Doppelseite und, ebenso benutzerfreundlich, neben den blitzsauber gesetzten Noten sind die Akkordangaben in roter, die Fingersätze und übrigen spieltechnischen Angaben in grün gedruckter Handschrift gehalten. Dies ergibt ein informatives, differenziertes, aber trotzdem nicht überladenes Notenbild.

Warum aber 100 Seiten für die 30 Stücke? Weil der mittlerweile 72-jährige, vielseitige Studiomusiker, dieser Jazz-, Klassik- und World-Gitarrist, ausgiebig Kommentare sowie Bilder und Geschichten aus seinem Leben einstreut. Sigi Schwab zelebriert sich auf sympathische Weise selbst, indem er bestrebt ist, seine Begeisterung für polyfones Gitarrenspiel weiterzugeben. Er plädiert für grösstmögliche Offenheit sowohl in stilistischer Hinsicht als auch im Bereich der Interpretation. Seine Stücke und Arrangements sollen variiert, es soll auch darüber improvisiert werden. Er meint: «Beckmesserisches Einreden einer selbsternannten Geschmackspolizei höre ich an und denke nach. Als kreativer Künstler muss ich meinen eigenen Weg gehen.»

Der erste Teil des Notenbuchs besteht aus Bearbeitungen von Jazzstandards wie zum Beispiel Lullaby of Birdland oder Take Five, mit immer wieder ausgesprochen klangvollen Harmoniefolgen. Jeder Ton ist ausgeschrieben – wer gut Noten lesen kann, ist im Vorteil. Wer im Jazz zu Hause ist, kann über die Akkorde auch improvisieren. Trotzdem sei empfohlen, sich intensiv mit den angegebenen Fingersätzen auseinanderzusetzen, um Schwabs Intentionen nachzuvollziehen. Oft bewegen sich die Finger auf allen Saiten in hohen Lagen. Dies gilt auch für die Popnummern im zweiten, mittleren Teil, der vorwiegend Songs von den Beatles und von Michael Jackson enthält.

Schliesslich beschert uns Sigi Schwab Stücke «aus meiner eigenen musikalischen Welt»: zumeist Eigenkompositionen, aber auch Gospels und ein Bach-Präludium. Die selbst geschriebenen Nummern sind irgendwo zwischen Jazz und Weltmusik anzusiedeln, zum Teil mit indischen, aber auch afrikanischen Einflüssen. Sie sind eher etwas einfacher zu spielen als die Arrangements der anderen Titel. So lässt uns Sigi Schwab teilhaben an einigen Stationen seiner jahrzehntelangen Laufbahn – mit der grosszügig gestalteten Ausgabe einer Auswahl von Stücken, die für ihn bedeutend waren.

Sigi Schwab: Guitar Book, 30 Arrangements from Classical Music to Jazz, ED 23369, € 35.00, Schott, Mainz

 

Den Orchesterfarben auf der Spur

Gelungene Übertragung des Orchesterwerks «Tapiola» von Jean Sibelius für Klavier zu vier Händen.

Jean Sibelius‘ Wohnhaus Ainola mit dem Komponisten, seiner Frau und drei ihrer Töchter, 1915. Foto: Wikimedia commons

Die symphonische Dichtung Tapiola op. 112 ist das letzte grosse Werk, das Sibelius vollenden und veröffentlichen konnte. Es entstand als Auftragskomposition für die New York Symphony Society und wurde 1926 dort uraufgeführt. Nach der finnischen Mythologie ist der nordische Wald von Göttern und Göttinnen bewohnt, über die Tapio als König des Waldes herrscht. Sein tief im Wald verstecktes Heim wird «Tapiola» genannt.

In seinem Werk entfaltet Sibelius seine Vision des Waldes in unglaublich suggestiven Ostinati und delikaten Klangzaubereien. Wer diese Orchesterfarben etwas im Ohr hat, kann sich wohl kaum vorstellen, dass eine Wiedergabe auf dem Klavier da irgendwie mithalten kann. All diese langen Orgelpunkte, die vielen Streichertremoli und satten Klänge der Bläser … Wie soll das auf ein Tasteninstrument übertragen werden? Peter Lönnqvist hat sich dieser mutigen Aufgabe gestellt und Tapiola für Klavier zu vier Händen (bzw. für zwei Klaviere) bearbeitet. Diese Version, die 2021 bei Breitkopf und Härtel erschienen ist, basiert laut dem Herausgeber auf einer früheren Partiturabschrift von Einar Englund (1916–1999), der selber ein produktiver Komponist war und unter anderem sieben Sinfonien schrieb – genau wie Sibelius.

Das Resultat ist erstaunlich: Die Übertragung auf das Klavier funktioniert viel besser als gedacht. Dabei bleibt natürlich einiges dem Spieler und seiner Imagination überlassen, wie denn Lönnqvist im Vorwort auch schreibt: «Die Interpreten sollten die Balance zwischen Klaviernotation und Orchesterklang finden, indem sie die Orchesterpartitur studieren und das Werk in seiner ursprünglichen Form hören.» Das gilt es vor allem am Schluss zu bedenken, wo Sibelius seine Tapiola in zartestem H-Dur des mehrfach unterteilten Streicherkörpers ausklingen lässt. Die hier im Klavier vorgeschlagenen Tremoli werden diesen Klang wohl kaum suggerieren können. Vielleicht wären da durchgehende ruhige Arpeggien passender, wie sie etwa Liszt am Schluss seiner Bearbeitung von «Isoldes Liebestod» vorschlägt.

Abgesehen davon aber stellt Lönnqvists Transkription eine gelungene Version dar und ist sicherlich eine Bereicherung für all jene, die dieses faszinierende Orchesterwerk am Klavier noch besser kennenlernen oder es im Rahmen eines Kammermusikkonzertes aufführen möchten. Und sie wäre nicht zuletzt auch eine dankbare Aufgabe für Dirigierklassen …

Jean Sibelius: Tapiola für Orchester, transkribiert von Einar Englund, bearb. für Klavier zu vier Händen von Peter Lönnqvist, EB 9390, € 32.90, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden

Die Stimme – physiologisch betrachtet

Filmische Annäherungen an zahlreiche physiologische Vorgänge, die mit der Stimmproduktion verbunden sind.

Foto: S. Hofschlaeger/pixelio.de

Das Freiburger Institut für Musikmedizin hat eine äusserst informative DVD-ROM herausgegeben. Nicht nur der eigentliche Stimmapparat wird in anschaulichen und gut gegliederten Kurzpräsentationen unter die Lupe genommen, sondern viele damit verbundene Details werden übersichtlich in kurzen Filmsequenzen dargestellt. Die Vorgänge beim Atmen, Singen und Sprechen filmisch dargestellt zu sehen, ist um Vieles anschaulicher und leichter verständlich als das Studieren physiologischer Zeichnungen und Abbildungen, die das komplexe, weil dreidimensionale Modell des Atem- und Kehlraums nur begrenzt und vor allem nicht in seiner Funktion darstellen können.

Die DVD-ROM ist im Wesentlichen in drei Grossabschnitte gegliedert: Der Erste beschäftigt sich mit dem «Instrument Stimme». Hier gibt es Unterabschnitte über die Atmung, den Kehlkopf, den Vokaltrakt. Jeder dieser Abschnitte ist wieder in mehrere Unterkapitel aufgeteilt. Mit kernspintomografischen Aufnahmen und animierten 3-D-Modellen werden alle relevanten Vorgänge detailliert und anschaulich dargestellt. So können wir Sänger beim Singen beobachten, während begleitend verschiedene Aspekte kommentiert und erläutert werden, wir erfahren Details über Konsonanten- und Vokalbildung wie auch deren Schallausbreitung im Raum. Auch werden Informationen über Sprech-und Singatmung, messa die voce, subglottischen Druck und viele weitere interessante Details, die mit der Stimmproduktion verbunden sind, realitätsnah vermittelt.

Ein nächstes Kapitel widmet sich «stimmlichen Ausdrucksformen». Hier erfahren wir Näheres über die Prosodie (die musikalischen Elemente der Sprache), verschiedene Stimmgattungen und unterschiedliche Gesangsstile von Jodel über Kunstlied bis Pop und Musicalgesang. Wir finden Unterkapitel über Kinder- und Chorgesang, wie auch über Stimmäusserungen beim Lachen oder Weinen.
In einem letzten Kapitel kommt die Stimmwissenschaft zu Wort: Es stellt Untersuchungsmethoden, Vorgänge bei der Stimmmessung und Computerprogramme vor.

Für interessierte Sänger und Laien wie auch Gesangslehrer und Fachdidaktikstudierende ist diese DVD-ROM ein hilfreiches Tool, das wahlweise auf Deutsch oder Englisch in 160 Minuten umfassend und übersichtlich informiert!

Die Stimme. Einblicke in die physiologischen Vorgänge beim Singen und Sprechen, Freiburger Institut für Musikermedizin (Bernhard Richter, Matthias Echternach, Louisa Traser, Michael Burdumy, Claudia Spahn), DVD-ROM, 160 Min., Fr. 45.40, Helbling, Esslingen, ISBN 978-3-86227-258-7

Qualität, aber günstig

Studienpartituren von wichtigen Werken Tschaikowskys. – Und einige Überlegungen zum Wert einer Notenausgabe.

Tschaikowskys letzter Schreibtisch in Klin. Foto: SiefkinDR / wikimedia commons

Wer genau hinschaut, erkennt auf den ersten Blick die nicht gerade gering zu schätzenden Unterschiede zwischen dem raschen (oft auch legalen) Download von Partituren aus dem Internet und den beim Musikalienhändler erworbenen Neuausgaben: Auf der einen Seite stehen die alten, teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert stammenden gemeinfreien Ausgaben mit all ihren grafischen Unzulänglichkeiten und unkorrigierten Fehlern, auf der anderen Seite die anhand der Quellen editorisch neu aufgearbeiteten und bestens lektorierten Ausgaben, die dann auch mit den über Jahrzehnte munter fortgeschriebenen Fehlern aufräumen. Und wenn gegenüber den eigenen flatterigen und vergänglichen «Printouts» die auf gutes Papier gedruckten Ausgaben (noch dazu mit einem rundum informativen Vorwort) auch zu einem fairen Preis zu haben sind – wie die hier vorliegenden Studienpartituren –, dann dürfte die an Qualität orientierte Entscheidung eine leichte sein.

Mit seinen Urtext-Studienpartituren setzt der Verlag Breitkopf nicht nur auf eine bewährte Tradition, sondern blickt offenbar auch guten Mutes in die Zukunft. Neben Beethoven, Brahms, Schumann und anderen ist nun auch Tschaikowsky neu im Katalog vertreten – mit zweien seiner wichtigsten und meistgespielten Werke, dem Capriccio italien und dem Violinkonzert. Und gerade am vertrauten, leichtfüssig daher kommenden Capriccio zeigt sich im Detail, was solch eine Ausgabe zu leisten vermag. Denn im Gegensatz zum dicht gedrängten Erstdruck vom November 1880 (den man so noch in der gelben Eulenburg-Ausgabe reproduziert findet), ist der im Seitenumbruch identische Neustich graphisch viel weiträumiger und entspannter, ferner wurden fehlende Zeichen ergänzt und falsche Noten berichtigt (etwa Takt 590, Fl. III). Auch das Violinkonzert wird in dem für Breitkopf so charakteristischen Stichbild viel lesbarer und gewinnt schon rein optisch an Stringenz. Die gleichermassen für den schmalen Geldbeutel wie für das neugierige Selbststudium bestimmte Reihe wird hoffentlich bald fortgesetzt!

Peter Tschaikowsky, Capriccio italien op. 45, hg. von Polina Vajdman, Studienpartitur, PB 5515, € 10.50, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2006

id., Konzert für Violine und Orchester op. 35, hg. von Ernst Herrtrich, Studienpartitur, PB 15116, € 11.50, 2011

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