An der Luzerner Musikhochschule (HSLU-M) sind 166 Bachelor- und Master-Diplome vergeben worden. Auf Stufe Weiterbildung gab es 45 Abschlüsse. Zudem wurden drei Bachelor-Absolvierende mit dem Strebi-Gedenkpreis ausgezeichnet.
PM/Codex flores
- 24. Sep. 2020
Die Diplomfeier fand erstmals im Luzerner Neubau statt. (Foto: Priska Ketterer)
Im Studium Bachelor of Arts in Music erhielten 61 Absolventinnen und Absolventen ihre Diplome, davon 43 im Profil Klassik und 18 im Profil Jazz. Im Master of Arts in Music wurden insgesamt 45 Diplome vergeben, die meisten davon im Profil Performance Klassik (16). Im Master of Arts in Musikpädagogik haben 53 Absolventinnen und Absolventen ihre berufliche Qualifikation für das Unterrichten an Musikschulen oder Maturitätsschulen erworben, auch hier gab es die meisten Diplome im Profil Klassik (31). Weiter schlossen 45 Berufspersonen ihre Weiterbildung mit einem Diploma of Advanced Studies (DAS) oder einem Certificate of Advanced Studies (CAS) ab.
An der Diplomfeier wurden zudem drei, mit je 2000 Franken dotierte Preise der Strebi Stiftung für besonders herausragende Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen verliehen. Gewonnen haben Nils Fischer (Bachelor of Arts/Musik und Bewegung), Flora Karetka (Bachelor of Arts in Music, Profil Klassik, Hauptfach Querflöte) und Luca Koch (Bachelor of Arts in Music, Profil Jazz, Hauptfach Gesang).
Ein Team der Charité und der Technischen Universität Berlin haben eine Studie durchgeführt, die die potenzielle aerogene Virusübertragung beim Singen von Kindern untersucht. Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, die Hygienemassnahmen für den Musikunterricht zu spezifizieren.
Die Ergebnisse zeigen laut Dirk Mürbe, Direktor der Klinik für Audiologie und Phoniatrie der Charité, dass die Aerosolemissionen auch bei Kindern beim Singen signifikant höher sind als beim Sprechen, aber stark variieren und deutlich unter den Emissionen von Erwachsenen liegen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen dazu genutzt werden, die Hygienekonzepte für das Singen im schulischen oder ausserschulischen Bereich zu spezifizieren und so auch das Singen von Kinder- und Jugendchören unter bestimmten Bedingungen wieder zu ermöglichen.
An der Untersuchung nahmen vier Jungen und vier Mädchen des Berliner Staats- und Domchores und des Mädchenchores der Singakademie Berlin teil, die über langjährige Erfahrungen im Kinderchor verfügten. Die Untersuchungen wurden im Forschungs-Reinraum des Hermann-Rietschel-Instituts durchgeführt. Die Kinder absolvierten verschiedene Testaufgaben, wobei mit einem Laserpartikelzähler die Anzahl der gebildeten Aerosole im Grössenbereich von 0,3 bis 25 Mikrometer bestimmt wurde.
Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung will Kulturbesuche erst wieder aufnehmen, wenn die Corona-Krise endgültig vorbei ist. Dies hat eine Befragung ergeben, die im Auftrag des Bundesamts für Kultur (BAK) und der Konferenz der kantonalen Kulturbeauftragten (KBK) Ende August 2020 durchgeführt wurde.
Musikzeitung-Redaktion
- 22. Sep. 2020
Symbolbild: Petra Schmidt / pixelio.de
Damit habe die Zurückhaltung zugenommen, schreibt das BAK. Anfang Juni wollte lediglich ein Viertel der Bevölkerung mit Kulturbesuchen bis zum Ende der Krise zuwarten. Die Umfrage zeige auch, dass die beschlossenen Schutzmassnahmen sowie die Unterstützung des Kultursektors durch die öffentliche Hand auf breite Zustimmung stossen.
Anfang Juni 2020 waren noch 24 Prozent der Befragten bereit, kulturelle Institutionen oder Veranstaltungen «ohne grosse Bedenken» wieder zu besuchen. Der Anteil sank bis Ende August auf 18 Prozent. 42 Prozent der Befragten geben an, dass sie Kulturbesuche nicht vor 2021 wieder aufnehmen wollen; bei der ersten Befragung waren es 22 Prozent.
Gewisse Unterschiede zeigen sich hierbei hinsichtlich der Art der Kulturangebote: Während 36 Prozent der Befragten angeben, nicht vor 2021 ein Museum oder eine Ausstellung besuchen zu wollen, beträgt der Anteil in Bezug auf die «Vorstellungen wie Konzert, Theater, Oper, Tanz usw.» 43 Prozent.
Diverse Mieter ziehen zurzeit in das neue Kultur- und Gewerbehaus ELYS an der Basler Elsässerstrasse 209/215 ein. Hier befinden sich unter anderem Vereinslokale und Band-Proberäume, Auch die Klingentalkirche ist fertig saniert und bietet Raum für 30 kantonale Förderateliers.
Musikzeitung-Redaktion
- 21. Sep. 2020
ELYS (Bild: Catherine Gritti)
Der Name ELYS ist eine Wortkreation und setzt sich aus den Anfangsbuchstaben Elsässerstrasse und Lysbüchelstrasse zusammen. Die zwei Gebäude wurden in den letzten drei Jahren umgebaut und oberirdisch voneinander getrennt. Der entstandene Hof zwischen den Gebäuden, Esplanade genannt, lädt zum Verweilen und Begegnen ein. ELYS ist mit dem ÖV gut erreichbar, bietet aber auch ein unterirdisches Parkhaus mit über 100 öffentlich zugänglichen Parkplätzen.
Nebst dem Kultur- und Gewerbehaus entstehen auf dem mehr als 26’000 Quadratmeter grossen kantonalen Teil des Lysbüchel-Areals zudem Genossenschaftswohnungen, preisgünstige Wohnungen im Rahmen des kommunalen Wohnbauprogramms «1000+», eine Primarschule mit zwei Kindergärten und Tagesstruktur, neue Arbeitsplätze, öffentliche Grünflächen und ein Quartierplatz.
Die Klingentalkirche ist fertig saniert und bietet Raum für 30 kantonale Förderateliers für bildende Künstler. Ausserdem beherbergt sie mit dem Ausstellungsraum Klingental eine Plattform für das zeitgenössische Kulturschaffen.
Die Wiedereröffnung und Inbetriebnahme der Klingentalkirche ist eine wichtige Wegmarke in der Entwicklung des Kasernenareals. Der Umbau des Hauptbaus ist immer noch in vollem Gang. Dort werden ab Herbst 2021 rund 5000 Quadratmeter Fläche für Kultur, Soziokultur, Kreativwirtschaft und quartierbezogene Nutzungen zur Verfügung stehen, ergänzt durch eine innovative Gastronomie.
Der Klang der Bilder
Das Musikkollegium Winterthur präsentierte am Preisträgerkonzert der Rychenberg Competition eine eindrückliche Werkschau. Fotoserien bildeten den Ausgangspunkt für die Kompositionen.
Simon Bittermann
- 21. Sep. 2020
Cecilia Arditto wurde mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Standbild aus der Aufnahmeübertragung / Musikkollegium Winterthur
Vorbei die Zeiten, in denen Kritiker Schmähschriften über Konzerte verfassen konnten, die sie gar nicht mit ihrer Anwesenheit beehrt hatten. Contact Tracing heisst das Zauberwort, eine ungeliebte Gilde in die Schranken zu weisen. So nützte es dem Rezensenten denn auch nichts, dass das Preisträgerkonzert der Rychenberg Competition am 9. September live aus dem Stadthaus Winterthur gestreamt wurde. Seine fehlende physische Präsenz wäre trotz seines Wissens über den Verlauf des Abends aufgefallen.
Ein Glücksfall war das Streaming hingegen für die beiden Komponistinnen Annachiara Gedda und Verena Weinmann, die dem Konzert aus quarantäne-technischen Gründen fernbleiben mussten. Junge Tonsetzer haben zu selten Gelegenheit, ihre im stillen Kämmerlein ausgebrüteten Klangkombinationen und dramaturgischen Abläufe einem Realitätstest auszusetzen, insbesondere bei Orchesterwerken. Digitale Technik erlaubte den beiden nun, die Chance zumindest nicht ganz ungenutzt verstreichen zu lassen, auch wenn das Erlebnis nicht mit dem vergleichbar ist, was man vor Ort mitbekommt.
Gedda und Weinmann sind zwei von fünf Preisträgern, die an der Rychenberg Competition prämiert und am Schlusskonzert aufgeführt wurden. Der internationale Kompositionswettbewerb war 2018 vom Musikkollegium Winterthur gemeinsam mit dem Fotomuseum Winterthur lanciert worden, mit der Besonderheit, dass sich die Teilnehmer mit ihrem Orchesterwerk auf eine von drei Fotoserien beziehen müssen, die das Museum ausgesucht hat. Eine nicht alltägliche Aufgabe, zu der sich 191 Komponistinnen und Komponisten aus über 30 Ländern angemeldet haben. Eingereicht bis Ende März 2019 wurden schliesslich 85 Werke, von denen zehn durch eine Jury um Präsident Alfred Zimmerlin für das Schlusskonzert nominiert wurden. Für diese zehn Stücke leistete das Musikkollegium dann einen Effort, der nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Innert kürzester Zeit wurden sie einstudiert, unter wechselnder Leitung von Thomas Zehetmair und Pierre-Alain Monot letzten Sommer aufgenommen und für ein Publikums-Voting ins Netz gestellt. (Sie sind noch immer zu hören unter www.rychenbergcompetition.ch.)
Erstaunliche Publikumswahl
Gewonnen wurde der Publikumspreis vom Thurgauer Fabian Künzli. Sein Werk Die liegende Sanduhr ist ein Spezialfall, da die am Preisträgerkonzert gespielte Fassung nicht der online präsentierten Version entsprach. Diese wurde nämlich bei gleichbleibenden Tonhöhen um den Faktor 8 beschleunigt. Etwas nachdenklich stimmt einen dieser Umstand schon. Denn die Schnelldurchlauf-Version, die also das Publikum am häufigsten als besten Beitrag ausgewählt hatte, wirkt gegenüber dem live gespielten Stück wie die Karikatur von Musik, flach und blass. Wie diese im Ergebnis doch kalt wirkende Versuchsanordnung das Publikum zu erwärmen vermochte, ist rätselhaft. Eventuell war es das aussergewöhnliche Konzept?
Zum Nachdenken brachte einen auch die Aufgabenstellung selbst. Doch waren es keine Reflexionen über das Verhältnis von visueller und klanglicher Kunst, die sich aufdrängten. Es wollten sich auch keine Exkurse zum Thema «Kunst über Kunst» Luft verschaffen. Aufmerksamkeit erregte schlicht die Tatsache, dass sich acht der zehn Nominierten dieselbe Fotoreihe als Gegenstand ihres Gestaltungswillens ausgesucht hatten. Find a way or make one der in Genf lebenden Fotografin Anastasia Mityukova ist von der Geschichte des Nordpolforschers Robert Peary inspiriert. Der selbsternannte Erstbegeher des Nordpols hatte Route und Erfolg seiner Reise fingiert. Daran angelehnt ist Mityukovas Fotoserie eine fiktive, in der Schweiz entstandene Dokumentation einer Polarexpedition. Bezeichnend war nun, wie die am Schlusskonzert beteiligten Komponisten ihre Wahl begründeten. Bei allen kristallisierte sich als Quintessenz heraus, sie seien vom Gegensatz Bewegung – Statik fasziniert gewesen. Eine Mehrzahl der Teilnehmer näherte sich der Aufgabe also vom allgemeinsten möglichen Punkt her. Bewegung – Statik ist ein Gegensatz, der unsere Existenz (Leben – Tod) durchzieht und jeglicher Kunst sowohl als Problem als auch Antrieb innewohnt. Es wurde demnach kein spezifischer Anknüpfungspunkt gesucht, sondern diejenige Fotoserie gewählt, die dem eigenen Komponieren die grösstmögliche Freiheit gewährt. Das ist nicht grundsätzlich zu kritisieren, stellt aber die Relevanz der Aufgabe in Frage.
Von Verletzungen oder Proportionen ausgehen
Wie auch immer, im Endergebnis gewannen die Werke zu Mityukovas Schelmenstück den Publikumspreis und die Plätze zwei und drei. Mit ICE_one_h des italienischen Malers und Komponisten Valerio Rossi schaffte es eine Musik zuunterst aufs Podest, deren zarte Unaufgeregtheit einer weniger aufmerksamen Jury vielleicht entgangen wäre. Rossis feine, durchs Orchester wandernde und sich wandelnde Klangwesen wirkten im Umfeld eines Wettbewerbs dann aber wohl doch zu versponnen, um sich ganz oben durchsetzen zu können. Ganz im Gegensatz zum zweitplatzierten Favoriten des Rezensenten. Chasing Ice der 1986 in Turin geborenen Annachiara Gedda überzeugt durch eine ungemeine Farbigkeit, einen starke Gegensätze vereinenden Reichtum. «Neue» Klänge treffen auf Zirkus, Aggression auf Zärtlichkeit, Schalk auf Pathos. Dass das breite Ausdrucksspektrum dabei nicht auseinanderfällt, ist dem Klangsinn der Komponistin zu verdanken, welche die Möglichkeiten des Orchesters treffsicher einzusetzen weiss.
Es ist am Ende bezeichnend, dass der erste Preis an eine Komponistin ging, die eben gerade nicht Mityukovas Bilder ausgewählt hatte. Adél Koleszárs Fotoserie Wounds of Violence, in der die idyllische Landschaft Mexikos mit den sichtbaren Narben von Missbrauch und Kartellgewalt kontrastiert wird, lässt eine Annäherung in abstrakten Kategorien nicht zu. Die Bilder von Verletzung und Schmerz werden von der in Buenos Aires geborenen Cecilia Arditto in Tissue denn auch unmittelbar in Klang übersetzt. Mikrotonale Schwingungen lassen ihn brüchig erscheinen und öffnen die Ohren für feinste Regungen. Eine kommunikative, den Hörer direkt ansprechende Komposition, der man die höchste Auszeichnung gönnt.
Und zuletzt ging auch der Sonderpreis der Jury an eine der beiden Ausnahmen von der Regel. Die junge, aus Frauenfeld stammende Verena Weinmann widmete sich einem einzelnen Bild aus Koleszárs Serie, den Hills of Torreón. Dabei zeigte sie wiederum einen anderen Ansatz, wie man mit einer Bildvorlage umgehen kann. Sie übertrug die Proportionen der Fotografie auf ein Millimeterpapier, um daraus Vorgaben für die formale Gestaltung zu gewinnen. Offenbar setzte sie dieses Konzept mit angemessenen künstlerischen Freiräumen um, denn konstruiert wirkte ihr Werk nie.
Der Musiksektor befürchtet einen Kahlschlag im Ökosystem Kultur.
Wolfgang Böhler
- 18. Sep. 2020
Die Parlamentarische Gruppe Musik (PGM) konnte an ihrem zweiten Treffen dieses Jahres gar nicht anders. Sie musste sich wohl oder übel mit den Folgen der Coronakrise beschäftigen. War das Thema im Frühjahr zwar präsent, aber noch nicht wirklich traktandiert gewesen, hiess das Motto nun «5 Monate Covid-19-Sturm: Folgen und Folgerungen für den Musiksektor». Und letztere sind nun wirklich drastisch, wie Stefano Kunz, der Leiter der politischen Arbeit des Schweizer Musikrates, eingangs ausführte. Die Umsätze der Branche dürften – mit Blick auf die heuer um rund zwei Drittel geringer ausfallenden Lizenzeinnahmen aus den Aufführungsrechten (aus Konzerten, Musik im Gastgewerbe oder Unterhaltungsanlässen) der Suisa – dieses Jahr massiv einbrechen. Auch 2021 rechnet die Suisa mit markant tieferen Umsätzen im Vergleich zu 2019.* Das wird empfindliche langfristige Konsequenzen für die Musikschaffenden haben, die in den kommenden Jahren mit deutlich kleineren Ausschüttungen der Urheberrechtsgesellschaft rechnen müssen.
Freischaffende am Abgrund
Damit nicht genug. Ein weiterer wichtiger Teil der Einnahmen bricht ebenfalls weg: Die Musikschulen berichten von einem Rückgang der Schülerzahlen von bis zu 20 Prozent. Vor allem freischaffende Musiklehrpersonen bekommen dies zu spüren. Für den Musikrat war deshalb klar, dass die bisherigen Finanzhilfen durch den Bund weitergeführt werden müssen – was der Nationalrat am selben Tag denn auch beschloss, der Ständerat am Tag darauf vorerst erneut verwarf. Freischaffende und Selbständige sollten überdies endlich Zugang zu Arbeitslosenversicherung (ALV) und Erwerbsausfallentschädigung (EO) erhalten.
Nicht viel Besseres hatte Beat Santschi, der Vertreter des Schweizerischen Musikerverbandes (SMV) mitzuteilen. Die festangestellten Orchestermitglieder sind durch die Gesamtarbeitsverträge zwar nach wie vor geschützt und mussten bislang teilweise «nur» Lohneinbussen von bis zu 20 Prozent hinnehmen. Auch in der Orchesterlandschaft leiden die Freischaffenden am meisten, sind sie doch die ersten, auf welche die Orchester verzichten. Wie sich das Konzertleben und damit die Einnahmen der Orchester entwickeln werden, ist allerdings völlig unklar. Die Veranstalter verlangen deshalb immer dringender, dass sie im Falle von Konzertabsagen von jeglichen Verpflichtungen befreit werden. Nach sieben Monaten Krise stünden viele Freischaffende nun definitiv am finanziellen Abgrund, betonte Santschi.
Christoph Trummer, der Leiter politische Projekte bei Sonart, dem Berufsverband der Freischaffenden, zeigte auf, was das für ihn selber bedeutet: Die meisten seiner Konzerte wurden abgesagt oder auf nächstes Jahr verschoben, für die ab Dezember geplante neue Tour ist seit April ein einziges Booking eingegangen. Auftritte mit Eintrittsbeteiligung seien finanziell unberechenbar geworden. Die geschäftlichen Fixkosten – vornehmlich eine Miete von 650 Franken – werde von 750 Franken EO gerade so gedeckt. Die Planung der Saison 2021 sei, so Trummer, praktisch unmöglich. Querfinanzierungsmodelle würden wegfallen, grössere Festivals werde es kaum geben, damit stünden auch die Agenturen vor dem Nichts. Zu befürchten sei ein Kahlschlag im Ökosystem Kultur.
Umsatzeinbrüche bei den Veranstaltern
Den Vorstellungen vieler Politiker, das Gröbste sei für die Kultur ja nun ausgestanden, weil Veranstaltungen – auch grössere – wieder möglich seien, widersprachen die ebenfalls anwesenden Vertreter der Musikclubs, Festivals und Labels sowie Musikmanager. Ein typischer Musikevent hat einen Vorlauf von rund einem halben Jahr. Bereits in der Programmgestaltung zeigen sich noch immer hohe Hürden: prohibitive Auflagen, Planungsunsicherheit aufgrund wechselnder Einreisebestimmungen und unberechenbarer kurzfristiger Bewilligungsentzüge machen die Organisation zur Lotterie. Die Ticketverkäufe sind ganz und gar nicht wieder auf Vor-Corona-Niveau. Dies alles führt dazu, dass die meisten Veranstalter nach wie vor mit Umsatzeinbrüchen von 80 bis 100 Prozent konfrontiert sind. Ihre Liquidität reiche durchschnittlich noch für ein halbes Jahr, dann heisse es bei vielen: Lichterlöschen.
Die Taskforce Culture des Schweizer Musikrates hat nach den Ständeratsentscheiden bei den Parlamentariern intensiv lobbyiert. Schliesslich ist eine Woche nach dem Treffen der PGM auch der Ständerat weitgehend auf die Nationalratslinie eingeschwenkt. Die Unterstützungsmassnahmen für Selbständige und Freischaffende werden mit Vertrauen auf die Selbstdeklarationen der Betroffenen weitergeführt, wenn auch nicht bis Ende 2021, wie es die Taskforce Culture gefordert hatte, sondern vorerst bis Mitte Juni nächsten Jahres.
*
Passage zur Suisa am 21. September 2020 geändert aufgrund einer Präzisierung durch die Kommunikationsabteilung der Suisa.
Coriolan-Ouvertüre
Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf die Coriolan-Ouvertüre c-Moll.
Michael Kube
- 18. Sep. 2020
Dem Topos vom unwirsch aufbrausenden Beethoven scheint der mächtig dreinfahrende Beginn der Ouvertüre zu Coriolan op. 62 mustergültig zu entsprechen. Allerdings handelt es sich bei dieser Komposition nicht um eine Studie des eigenen Charakters, sondern um ein Werk, das die Dramatik und Tragik des gleichnamigen Trauerspiels von Heinrich Joseph von Collin (1772–1811) widerspiegelt: Der römische Feldherr Coriolan, einst umjubelt und geehrt, fällt bei einem politischen Machtwechsel in Ungnade und wird verbannt. In seinem Stolz verletzt, führt er im Bund mit den einstigen Feinden ein Heer gegen seine Heimatstadt. Vor den Toren angelangt, wird der Abtrünnige von Mutter und Gattin um Schonung der Stadt gebeten, um Umkehr. Ausweglos gefangen im Konflikt zwischen Vaterlandsliebe und Hochmut stürzt sich der gescheiterte Held ins eigene Schwert. Eine archetypische, zeitlose Handlung.
Um sie wirklich als Eröffnung des Schauspiels zu verwenden, entstand die Ouvertüre Anfang 1807 allerdings zu spät: Bei der Premiere am 24. November 1802 behalf man sich mit einer Zwischenaktmusik, die Abbé Stadler aus Mozarts Idomeneo arrangiert hatte. Abgesetzt wurde das erfolgreiche Drama am 3. März 1805. Somit handelt es sich bei Beethovens Coriolan-Ouvertüre von Anfang an um eine (wenn nicht gar die erste) «Konzertouvertüre» – eine Ouvertüre, die zwar auf einen dem Publikum vertrauten literarisch-dramatischen Vorwurf zurückgeht, jedoch vom Theater vollkommen abgelöst im Konzertsaal erklingt. Wenn eine solche Partitur dann auch selbständig bestehen kann, ohne dass die Zuhörer die zugrunde liegende Thematik kennen, dann liegt das in ihrer musikalischen Qualität begründet, in der Art und Weise wie sinfonische Formen und Proportionen verwendet werden. Das Werk wirkt nurmehr «charakteristisch» im Sinne seines Affektgehalts.
Aufgeführt wurde Beethovens Opus 62 erstmals in einem der Privatkonzerte beim Fürsten Lobkowitz, der auch führendes Mitglied der Wiener Theater-Unternehmungs-Gesellschaft war. Es ist naheliegend, dass auf diesem Wege Collins Trauerspiel noch einmal und für eine einzige Vorstellung auf die Bühne gelangte – am 24. April 1807, nun mit Beethovens Ouvertüre.
Von einer Langzeitstudie der Universität Hamburg liegen die Ergebnisse von insgesamt sechs Befragungswellen vor. Danach sind in Corona-Zeiten die monatlichen Ausgaben für Musik in nahezu allen Formaten stark eingebrochen.
Musikzeitung-Redaktion
- 17. Sep. 2020
Foto: SMZ
Lediglich die Ausgaben für Streaming zeigen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Wachstum von 22 Prozent. Demgegenüber ist jedoch insbesondere der Absatz physischer Tonträger drastisch zurückgegangen, bei CDs fielen die Ausgaben um 25 Prozent. Noch härter traf es den Live-Bereich: Die Ausgaben für Konzerte sanken um 80 Prozent.
Beim Blick auf die Zeit, die die Menschen in Deutschland mit dem Konsum von Musik verbringen, ist ebenfalls ein Rückgang zu verzeichnen. Seit dem Start der Studie im August 2018 hat der wöchentliche Musikkonsum um acht Prozent (eine Stunde und 46 Minuten) abgenommen: Er fiel von 21 Stunden und 29 Minuten auf mittlerweile 19 Stunden und 43 Minuten.
Als konstant rückläufig schlägt hier insbesondere das herkömmliche Radio mit einem Minus von 15 Prozent zu Buche, was allerdings teilweise durch starke Zugewinne der Online-Radios kompensiert wird. Letztere verzeichnen einen Zuwachs von 73 Prozent. Eine mögliche Erklärung für den rückläufigen Musikkonsum ist aus Sicht der Forscher in der eingeschränkten Mobilität und dem Fokus auf Nachrichten in Zeiten der Corona-Pandemie zu suchen.
Die von DIW Econ durchgeführte Studie «Musikwirtschaft in Deutschland» basiert auf einer zwischen dem 11. Mai und dem 29. Juni 2020 getätigten Online-Befragung, an der sich 861 Unternehmen und Selbstständige beteiligt haben.
Auf dem Campus der Musik-Akademie Basel wird mit Hilfe eines umfassenden Schutzkonzeptes (Hygiene- und Abstandsregeln, Maskenpflicht) die Kultur des Präsenzunterrichts und der Live-Aufführungen sichergestellt.
PM/Codex flores
- 17. Sep. 2020
Talentförderung an der Musik-Akademie Basel (Bild: Lucía de Mosteyrín)
Auch unter den gegebenen schwierigen Umständen planen Hochschule für Musik FHNW und Musik-Akademie Basel laut ihrer Mitteilung eine ganze Reihe musikalischer Highlights für das kommende Herbstsemester: ein Symposium zum Thema Tanz als Musik, Podiumskonzerte mit jungen Nachwuchstalenten, ein Kooperationsprojekt mit dem Theater Basel, die Konzerte der neuen Focusyear Band im Jazzcampus Club und nicht zuletzt den traditionsreichen Tag der Offenen Tür der Musikschule Basel.
Die Musikhochschulen eröffnen das Herbstsemester, schweizweit koordiniert, Mitte September. Zurzeit finden wegen des Lockdowns vom Frühling noch verschobene Abschlussprüfungen, Konzerte und Rezitals statt. Oberstes Ziel der Leitung Hochschule für Musik FHNW/Musik-Akademie Basel ist es, den Lehr- und Konzertbetrieb und somit die wertvolle Kultur des Miteinanders vor Ort unter Einhaltung eines ständig aktualisierten Schutzkonzepts aufrecht zu erhalten.
Im Wiener Theater an der Gumpendorfer Strasse, an der mutmasslich eine unzulässige Vermischung zwischen Publikum und Bühne erfolgte, ist es zum Corona-Cluster gekommen. Die Ansteckungen haben auch Auswirkungen auf die Staatsoper.
Musikzeitung-Redaktion
- 16. Sep. 2020
Das TAG – Theater an der Gumpendorfer Strasse in Wien. Foto: Manfred Werner (s.unten)
Offenbar habe sich während der Proben im Theater an der Gumpendorfer Strasse (TAG) innerhalb des Produktionsteams das Corona-Virus unbemerkt verbreitet, schreibt die Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK) . Erst im Anschluss an die Premiere habe der im Theater anwesende Geschäftsführer des TAG erfahren, dass es in der Produktion im Probenzeitraum einen Verdachtsfall gegeben habe, der später positiv getestet worden sei.
Laut Wiener Medien hätten im TAG unter anderem Tanzszenen im Zuschauerraum stattgefunden, also eine unzulässige Vermischung zwischen Bühne und öffentlichem Bereich. Eine Mitarbeiterin der Staatsoper, die nur als Publikumsmitglied mit Maske anwesend gewesen sei, sei zu spät verständigt worden, um sie sofort zu isolieren. Sie wurde später positiv getestet. Aufgrund dessen mussten an an der Staatsoper Umbesetzungen vorgenommen werden.
Nicht betroffen von den Vorfällen ist die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw).
Musikinstrumente sind keine Virenschleudern, dass haben Studien mit Lasertechnik eines Team am Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik der Universität der Bundeswehr München ergeben.
Musikzeitung-Redaktion
- 15. Sep. 2020
Foto: Wim van ‚t Einde / unsplash (s. unten)
Gleichwohl wurde vor allem bei Flöten, Oboen und Klarinetten ein abweichendes Strömungsverhalten festgestellt, was Mitglieder des Bundesverbandes der deutschen Musikinstrumentenhersteller (BDMH) veranlasst hat, zusammen mit dem Teamleiter Christian Kähler nach Schutzvorrichtungen zu suchen, um Abhilfe zu schaffen, mit dem Ziel jegliche Infektionsgefahr auszuschliessen.
Im Rahmen weiterer Studien haben die Forschenden herausgefunden, dass Raumluftfilter es ermöglichen, Musikunterricht durchzuführen; eine wichtige Erkenntnis zum Start nicht nur der allgemeinbildenden Schulen, sondern auch Musikschulen und so weiter und mit Blick auf die Systemrelevanz der Musik, der Kultur allgemein.
In diesem Zusammenhang wurde eine ausgesprochen hohe Kohlendioxyd-Belastung bereits nach kurzer Unterrichtsdauer festgestellt. Diese führt zu Konzentrationsproblemen und hat Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit wie Effektivität; ebenso betroffen sind zahlreiche, ähnlich geartete Bereiche des öffentlichen Lebens. Damit einher geht die Forderung durch Einsatz von modernen Raumluftfiltern nicht allein dem Coronavirus, sondern darüber hinaus und in Zukunft der Kohlendioxyd-Problematik entgegenzuwirken.
Morgen nehmen 697 Studierende ihr Studium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) auf dem Toni-Areal auf. Aufgrund des Covid-19-Schutzkonzepts ist dieses Jahr vieles neu.
PM/Codex flores
- 14. Sep. 2020
ZHdK auf dem Toni-Areal. Foto: Micha L. Rieser / wikimedia commons
Von den Studienanfängerinnen und -anfängern an der ZHdK haben sich 292 für einen Bachelor- oder Masterstudiengang im Bereich Musik immatrikuliert, 114 in Design, 83 in Fine Arts, 109 in Art Education und Transdisziplinarität sowie 99 in Darstellenden Künsten und Film.
Die ZHdK führt das Herbstsemester 2020 Corona zum Trotz im Präsenzunterricht durch. Dafür gilt im Herbstsemester in den öffentlichen Zonen sowie in den Lehrveranstaltungen, beim Arbeiten in Gruppen oder in den Werkstätten eine generelle Maskenpflicht. Zusätzlich wird es einige digitale Lehrangebote geben. Masken für den Gebrauch an der ZHdK werden allen ZHdK-Angehörigen und Gästen zur Verfügung gestellt.
Die Richtlinien und Vorgaben der ZHdK können jederzeit ändern. Aufgrund der Erfahrungen im Frühlingssemester 2020 könnte der Anteil an digitalem Unterricht falls nötig schnell ausgebaut werden.
Insgesamt studieren an der ZHdK 2194 Personen. Davon absolvieren 1246 einen der acht Bachelor- und 948 einen der elf Masterstudiengänge. Die Studierendenzahl ist gegenüber den letzten Jahren konstant geblieben.
Schweizer Kulturpolitik international vernetzt
Die Schweiz ist in das Zwischenstaatliche Komitee der UNESCO für die Bewahrung des immateriellen Kulturerbes gewählt worden. Zum ersten Mal wird sie während vier Jahren in diesem Komitee aus 24 Staaten Einsitz nehmen.
Musikzeitung-Redaktion
- 11. Sep. 2020
Foto: Alina Grubnyak / Unsplash (s. unten)
Als zentrales Organ für die Umsetzung des Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes von 2003 legt das Zwischenstaatliche Komitee die Strategien zur Bewahrung und Vermittlung des lebendigen Kulturerbes fest. Es ist zuständig für die Umsetzung des Übereinkommens und entscheidet insbesondere über die Aufnahmen in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit.
Mit dem Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes will die UNESCO ein Kulturerbe schützen, das weniger mit Bauten oder Räumen zusammenhängt, sondern in erster Linie mit der Zeit sowie mit gemeinschaftlichen Praktiken und gesellschaftlichen Interaktionen. Aus der Schweiz auf der Liste sind bisher unter anderem die Basler Fasnacht und der Jodel.
Vom 2. bis 6. September fand das Musikfestival Bern statt. Das Thema «Tektonik» hätte aktueller nicht sein können. Dank der grossen Flexibilität aller Beteiligten wurde ein dichtes und vielseitiges Programm realisiert.
Wer sich im Festivalkalender umschaut, hat längst bemerkt, dass Anfang September in Bern seit Jahren ein programmatisch dichtes, diskursives, ideenreiches und klangbuntes Musikfestival über traditionelle wie unkonventionelle Bühnen geht. Das diesjährige Festivalthema «Tektonik» spürte gross- und kleinräumigen Verschiebungen, Schichtungen, Faltungen und Rissen nach. Da sich indes der Grundgedanke des Kuratoriums, «So trittfest uns die Erdkruste scheint, so birgt sie doch Ungewährtes», durch die Corona-Krise auf eine derart radikale Weise bewahrheitete, wurden die Leitungsgremien des Musikfestivals Bern vor schwierige Entscheide gestellt. Kuratorium, Geschäftsstelle und Vorstand waren sich jedoch schon während des Lockdowns im Grundsatz einig gewesen, das Festival auf jeden Fall mit einem je nach Entwicklung der Dinge strengen Schutzkonzept durchzuführen. Allenfalls sollte das Programm in fragmentierter oder auch sehr reduzierter Form realisiert werden – unter Umständen gar in Splittern, das Thema gleichsam paraphrasierend. Eine Absage stand nicht zur Debatte, gerade mit Blick auf die Situation der freischaffenden Musikerinnen und Musiker. Dass die neue Lage partielle Programmumstellungen, grössere Räume und insbesondere eine grosse Flexibilität aller Beteiligten erforderte, ist naheliegend. Die Dichte und Vielseitigkeit der beinahe vierzig Veranstaltungen innerhalb von fünf Tagen tangierte dies erstaunlicher- und erfreulicherweise nicht. Einzig auf die Anwesenheit von Toshio Hosokawa, den Composer in Residence, musste verzichtet werden, nicht jedoch auf seine Musik und seine Präsenz via Videozuschaltung. Der mit ihm geplante Interpretationskurs für die Studierenden der Hochschule der Künste Bern wurde durch das Arditti-Quartett übernommen. Dass ein Ensemble von diesem Renommee sich für dieses zusätzliche Engagement zur Verfügung stellte, war ein einzigartiger Glücksfall, aber auch ein Zeichen der Sympathie des Ensembles, hatten sich doch die vier Musiker bereits bei ihrem letztjährigen Auftritt begeistert zu Konzept und Programm des Festivals geäussert.
Die Auftritte des Quartetts prägten denn auch die diesjährige Ausgabe deutlich. Die Kooperation mit jungen Musikerinnen und Musikern in der Aufführung von Toshio Hosokawas Monodram The Raven (Text E. A. Poe) liess ein wesentliches Kennzeichen des Festivals Wirklichkeit werden: Die Zusammenarbeit hiesiger Interpreten und Interpretinnen mit hochkarätigen Gästen. Das Eröffnungskonzert in der grossen Halle der Berner Reitschule mit der Mezzosopranistin Christina Daletska (Hosokawa) und der Basel Sinfonietta (Ives) bildete einen wunderbaren Einstieg.
Toshio Hosakawa: «The Raven». Christina Daletska, das Arditti-Quartett und das Festivalensemble
Ausdruck einer aktuellen Wirklichkeit
Mit der grossen Halle ist ein weiteres Charakteristikum des Festivals angesprochen: die Verbindung thematisch gebundener Projekte mit speziellen, mitunter auch überraschenden Spielorten. So trat die neuentwickelte Contrabassclarinet extended (Ernesto Molinari) im Klingenden Museum in den Dialog mit Live-Elektronik, so liessen performative Interventionen im Inneren der Monbijoubrücke seismografische Aktivitäten erfahrbar machen und so interpretierte das Trio Tramontana Kaija Saariahos New Gates im Blutturm an der Aare. Eine zauberhafte wie bedenkenswerte Konstellation erwartete das Publikum mitten im Dählhölzliwald, wo das Kollektiv Mycelium gemeinsam mit Brane Project (akustische Installation) und Idéehaut (Bauten) in den Bäumen ein schwebendes Netz zum Konzertort gestaltete und in einem komponierten Programm zeitgenössische Musik mit Gesängen der Penan aus dem Regenwald von Borneo verband.
Wer sich in die Schichtungen der Erdkruste begibt, kann sich den unterschiedlichen Steinklängen nicht entziehen. In den Steinateliers der Firma Bernasconi demonstrierten das Mondrian-Ensemble und Erika Öhmann (Perkussion) die mal schwebende, mal elektrisierende Klangwelt der Serpentinsteininstrumente Orgalitho und Lithofon in Werken von Edu Haubensak, Hans-Jürg Meier, Matthias Steinauer sowie in einer Uraufführung von Samuel Cosandey. Wie bernische Baumaterialien, seien es Sandstein oder Granite, naturbelassen klingen, war durch Peter Streiff und das Ginger-Ensemble in der Nydeggkirche und im Stadttheater zu erfahren.
Nicht allein eine «grandiose Katastrophe», eine buchstäblich erschütternde Erfahrung machte das Publikum in der Krypta der Kirche St. Peter und Paul, als René Waldhauser zu Peter Conradin Zumthors gehämmerter Flügelperformance das Instrument bis zum saitenbullernden Geräusch runterstimmte.
Die einzigartige Vielseitigkeit des Festivals verbietet beinahe, von Main Acts zu sprechen. Das Konzert im Berner Münster mit dem Ensemble BernVocal (Leitung Fritz Krämer), dem Arditti-Quartett und einem Perkussionsquartett auf der Orgelempore (Mihaela Despa, Peter Fleischlin, Pascal Viglino, Sacha Perusset) ruft indessen nach Erwähnung. Die Gegenüberstellung von Antoine Brumels Messe Et ecce terrae motae mit Werken von Hosakawa war ein Raum-Klang-Ereignis der besonderen Art. Auch hier bildeten klangliche Dichte, Kontrast und ein Perspektivenwechsel des Hörens ein unverkennbares «Markenzeichen».
Von Schichtungen ganz anderer Art erzählt der aus Nigeria stammende St. Galler Komponist Charles Uzor in Mothertongue, wenn er Texte der Igbo (Ethnie in mehreren äquatorialafrikanischen Regionen), von Novalis, Celan, Rauhavirta und Beckett mit alter europäischer Musik sowie Musik der Gbaya-Völker übereinanderschichtet. Hier entsteht ein Kultur- und Klangkonglomerat, das uns fremd erscheinen mag, aber auch Ausdruck einer aktuellen Wirklichkeit ist. Generationenübergreifende Textschichtungen gerieten in einem Projekt von Elina Bächlin und Noel Schmidlin gemeinsam mit den Spoken-Word-Gästen Guy Krneta und Marco Gurtner zu Sprachklang.
Umschichtungen
Als eigenwilliges Raumklangprogramm erwies sich das Konzert des Quintetts für Rohrblattinstrumente mit Matthias Arter, Martin Bliggenstorfer, Valentine Collet, Béatrice Laplante und Béatrice Zawodnik. Eigenwillig, weil das Programm mit Musik von Daniel Glaus, Barblina Meierhans, Heinz Holliger, Toshio Hosokawa und Matthias Arter in den Räumen der Berner Kunsthalle vom Gesang der Oboe d’amore bis zur Schärfe des Ensembleklangs wucherte.
Eine beunruhigende Realität thematisierte der Zyklus 5vor12um6, wo Komponierende sowie Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Umschichtungen in unseren Köpfen thematisierten, nämlich drängende Fragen zu Klimawandel, Nachhaltigkeit oder sozialen Diskrepanzen.
Soll und darf in einem derart geballten Angebot von einem Glanz- oder Höhepunkt die Rede sein? Vor der Intensität und technischen Souveränität im Konzert des Arditti-Quartetts mit zwei Quartetten von James Clarke, dem dritten Streichquartett von Ferneyhough und Tetras von Xenakis verblassen Umschreibungen. Die Präsenz, die scheinbare Leichtigkeit und die Virtuosität der vier Streicher, rissen das Publikum hin zu Standing Ovations – zu Recht.
Die Schweizer Musikzeitung ist Medienpartnerin des Musikfestivals Bern.
Drei Equale für vier Posaunen
Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf die drei Equale für vier Posaunen.
Michael Kube
- 11. Sep. 2020
Was wäre die Musikgeschichte ohne den schöpferischen Augenblick? Oder auch schlichtweg ohne die aufführungspraktische Gelegenheit? So war es auch eher ein Zufall, der zur Entstehung der Equale WoO 30 für vier Posaunen führte, die heute schon hinsichtlich der Besetzung etwas seltsam anmuten. Zu verdanken haben wir die knappen Sätze einem Aufenthalt Beethovens in Linz im Jahre 1812, bei dem er sich mit dem damaligen Domkapellmeister Franz Xaver Glöggl (1764–1839) anfreundete. Dieser soll ihn schliesslich darum gebeten haben, «für den Aller-Seelen-Tag (den 2. November) sogenannte Equale für 4 Posaunen zu componiren, um solche in herkömmlicher Weise an diesem Feste von seinen Musikern abblasen zu lassen». So lautet jedenfalls eine durch Ignaz von Seyfried mitgeteilte Erinnerung. Da Beethoven die Anlage dieser bloss lokal tradierten Stücke nicht kannte, bat er darum, «ein Aequal, wie es in Linz bei den Leichen geblasen wurde, zu hören». Und der damals erst 16-jährige Sohn des Domkapellmeisters, Franz Glöggl, fährt in seiner viel späteren Aufzeichnung fort: «So geschah es, daß mein Vater an einem Nachmittage 3 Posaunisten bestellte, da Beethoven ohnedies bei uns speiste, und ein solches Aequal blasen ließ.»
Unterstützt wurden die drei Posaunisten vermutlich von Vater Glöggl selbst, und gespielt wurden Stücke, die wohl zu jenen 1200 Instrumentalpiecen zählten, auf die der Domkapellmeister beim Abblasen vom Turm zurückgreifen konnte. Der weitere Verbleib dieser Sammlung ist allerdings vollkommen ungeklärt. Auch die sonderbare Werkbezeichnung «Equal» scheint dieser lokalen Tradition homofon konzipierter Sätze zu entstammen. Sie findet sich auch in Stücken eines gewissen Wenzel Lambel (vierstimmig, vor 1844) oder beim jungen Anton Bruckner (nur dreistimmig, 1847). Somit dokumentieren die an einem Nachmittag im Herbst 1812 entstandenen Gelegenheitsstücke einen einst lebendigen Brauch, der sonst im Strudel der Geschichte versunken wäre. – In Wien hingegen konnte man mit den drei knappen Sätzen offenbar nur wenig anfangen; sie wurden für Beethovens eigenes Leichenbegräbnis sowie zur Einweihung des Grabsteins mit Texten versehen und mit einem Männerchor aufgeführt.