Nachlassplanung für Musikerinnen und Musiker

Neben dem gängigen Erbe hinterlassen Musikschaffende Kompositionen, Texte und Aufnahmen, die mit vielen Rechten verknüpft sind. Eine Broschüre des Zentrums für künstlerische Nachlässe schafft Orientierung.

Foto: Scott Graham/unsplash.com

Wichtig für Musikerinnen und Musiker sei, bereits am Anfang ihrer Karriere an die Nachlassplanung zu denken. Davon ist Florian Schmidt-Gabian, Autor der Broschüre Nachlassplanung für Musikerinnen und Musiker, überzeugt.

Die Broschüre ist die erste Publikation in der Reihe Nachlassplanung für … des 2019 gegründeten Zentrums für künstlerische Nachlässe (ZKN). Sie führt in die Terminologie ein, erläutert Planungsschritte, klärt finanzielle und rechtliche Fragen und skizziert die Erarbeitung und Umsetzung einer Nachlassstrategie.

Die 20-seitige Broschüre kann beim ZKN bezogen werden:

– für 18 Franken (inkl. Porto) als gedruckte Ausgabe über broschuere@zkn.ch 

– oder kostenfrei als PDF-Download von der ZKN-Website – Link zur Broschüre
 

Arbeitsstelle des RISM benennt sich um

Die Schweizer RISM-Arbeitsstelle (Répertoire International des Sources Musicales) hat sich nicht zuletzt dank der Entwicklung einer Erschliessungssoftware für musikalische Quellen einen Namen als digitale Infrastruktur gemacht. Der Verein Arbeitsstelle Schweiz des RISM benennt sich nun in RISM Digital Center um.

Screenshot der Website des RISM Digital Center,SMPV

Die Software Muscat wurde von der internationalen RISM-Gemeinschaft als Standardtool für die weltweite Erschliessung historischer Musikquellen ausgewählt. Entsprechend sind die Mitarbeitenden der Schweizer Arbeitsstelle nun auch für die Installation und Administration von Muscat auf den Servern der Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz verantwortlich.

Das Schweizer Knowhow zeigt sich ferner bei der Entwicklung weiterer Programme, etwa dem Notensatzwerkzeug Verovio.  Damit nehme die Schweizeer Arbeitsstelle auf der internationalen Ebene eine herausragende Stellung in der RISM-Gemeinschaft ein. Der Verein und die Arbeitsstelle tragen ab Januar 2021 deshalb neu den Namen «RISM Digital Center».

Die Namensänderung wird sowohl vom internationalen RISM-Trägerverein als auch vom Schweizerischen Nationalfonds mitgetragen. Von Letzterem wird RISM Schweiz bereits seit mehreren Jahren als Infrastrukturunternehmen gefördert. Auf der Schnittstelle zwischen geisteswissenschaftlichen und technologischen Disziplinen mit einer unmittelbaren Verbindung zur Schweizer Musikkultur ist das Projekt ein Paradebeispiel für ein Unternehmen der Digital Humanities.

Gratulationsmenuett

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf das Gratulationsmenuett Es-Dur für Orchester.

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Happy Birthday Mr. Beethoven! Was würde der Meister wohl sagen, wenn er von all den ihm zu Ehren für das Jahr 2020 geplanten Konzerten und Festivals, den Kongressen und Festvorträgen erfahren hätte? Wundern würde er sich vermutlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die Nachwelt seinen 250. Geburtstag begeht – oder doch besser: das 250. Geburtsjahr. Denn wann genau Klein-Ludwig das Licht der Welt erblickt hat, das bleibt im Dunkeln. Gesichert ist lediglich der am 17. Dezember 1770 erfolgte Eintrag im Taufregister von St. Remigius in Bonn.

Sehr wahrscheinlich war die Geburt am Vortag, dem 16. Dezember, gewesen; wegen der hohen Kindersterblichkeit taufte man zu jener Zeit meist umgehend am nächsten Tag. Beethoven selbst sah wohl den 16. als seinen Geburtstag an, und dieser war auch dem näheren Umfeld bekannt. Das geht aus einem Brief von Johann Georg Albrechtsberger hervor, der am 15. Dezember 1795 ausdrücklich zum «morgigen Namenfest» gratulierte – aber natürlich den Geburtstag meinte.

Erstaunlich ist jedoch, dass Beethoven lange im Unklaren über sein Geburtsjahr war, und damit auch sein Alter nicht genau feststand: Sein Vater hatte ihn bei den ersten öffentlichen Auftritten als zwei Jahre jünger angekündigt (1778 als mit «6 Jahren») – eine Angabe, die sich in den folgenden Jahren entsprechend fortschrieb und auch noch im 19. Jahrhundert durchaus üblich war. Nachdem Beethoven im Frühjahr 1810 in Bonn um eine Kopie aus dem Taufregister ersucht hatte (das Familienbuch war verloren gegangen), korrigierte er sogar «1770» in «1772». Der Irrtum muss sich in den folgenden Jahren aufgelöst haben; jedenfalls wird in der Todesanzeige das korrekte Alter angegeben.

Ein wirkliches Geburtstagsfest wird Beethoven aber wohl in keinem Jahr gefeiert haben: Der heute so wichtige Tag erlangte erst zu späterer Zeit seine Bedeutung, als der kirchliche Namenstag durch den säkularen Geburtstag abgelöst wurde. Insofern wird es auch nicht verwundern, in Beethovens Instrumentalmusik nur ein einziges Ständchen zu finden: das Gratulationsmenuett WoO 3. Es erklang erstmals am 3. November 1822 bei einer ambitionierten Freiluftserenade am Vorabend des Namenstages von Karl Friedrich Hensler (1759–1825), dem Direktor des Josephstädter Theaters.

Darüber wurde sogar in der Wiener allgemeinen Theaterzeitung berichtet – allerdings mit einer falsch verstandenen Nobilitierung des Menuetts: «… kaum war Herr Hensler in seine Wohnung getreten, so begann unter den Fenstern auf der Strasse von dem gesammten Orchester-Personale die schöne Ouverture des Herrn Kapellmeister Prof. Drechsler …, auf dieses folgte ein trefflich gespieltes Flötenconcert, darauf eine sehr gute Ouverture des Hrn. Kapellmeister Gläser, und endlich eine eigends für diesen Abend von Ludwig van Beethoven herrlich neu komponirte Simphonie sic.» Den Abschluss bildeten Marsch und Chor aus Mozarts Oper Titus mit neu unterlegtem Text.

Auch wenn das mit leichter Hand geschriebene, erstmals 1832 unter dem neutralen Titel Allegretto gedruckte Gratulationsmenuett heute selbst unter Kennern weitgehend unbekannt sein dürfte, so zeigen einzelne harmonische Wendungen wie auch die Instrumentation unverkennbar den wahren Meister.

Taufregister von St. Remigius


Hören Sie rein!

Volksmusik für Klarinette

In neuen Publikationen des Mülirad-Verlags Altdorf meldet sich Fritz Dünner mit Stücken für Anfänger und Dani Häusler mit Kompositionen für Fortgeschrittene. Auch Ensembles sind angesprochen.

Fritz Dünner mit Enkel Leon. Foto: Mülirad-Verlag,SMPV
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In der Schweizer Volksmusikszene muss man ihn nicht vorstellen: Fritz Dünner. Nicht wenige bezeichnen ihn als einen der besten Klarinettisten, welche die Schweizer Volksmusik je gesehen hat. Insbesondere mit seiner Hauptformation, der Kapelle Dünner-Nauer, veröffentlichte er zahlreiche eigene Kompositionen. Umso mehr fehlt er in der hiesigen Musiklandschaft, seit er 2010 seine Musikerkarriere beendete und nach Mallorca ausgewandert ist. Aus der Ferne gibt Dünner aber nun ein kompositorisches Comeback, und zwar mit dem Notenband Volksmusik für Anfänger, ein Spielheft für Einsteiger und Schülerensembles.

Die 23 zweistimmigen Eigenkompositionen entstanden ab 2017, als Dünners Enkel begann, Klarinette zu spielen. Solch einfache Stücke sind im Fachhandel äusserst rar. Zudem sind sie trotz ihrer Einfachheit meisterhaft komponiert und eigenen sich bestens, junge Klarinettistinnen und Klarinettisten für die Volksmusik zu begeistern.

Auf Anregung des Verlegers Peter Gisler hat Fritz Dünner seine Kompositionen für Musikensemble erweitert. So sind zwei Hefte für Melodie-Instrumente in C und Bb sowie zwei Begleithefte für Klavier und Kontrabass entstanden. Dazu gibt es MP3-Dateien zum Mitspielen, die Fritz Dünner im Playback eingespielt hat. Diese Tondateien stehen als Playalong-Files auf der Website des Mülirad-Verlags zum Download zur Verfügung. Die verschiedenen Heftausgaben ermöglichen das Zusammenspiel unterschiedlicher Instrumente wie Klarinette, Violine, Akkordeon, Klavier, Cello, Bass, etc. Dadurch eignet sich Volksmusik für Anfänger hervorragend für Hausmusiken und Schulformationen.

Klarinetten-Quartette von Dani Häusler

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Zeitgleich bringt der Mülirad-Verlag auch Literatur für Fortgeschrittene Klarinettisten heraus. Der wohl derzeit gefragteste Schweizer Klarinettist Dani Häusler versammelt in Klarinetten-Quartett – 14 schweizerische Tänze seine liebsten Eigenkompositionen, die teilweise noch zu seiner Studienzeit entstanden sind. Während die führenden Stimmen manchmal sehr anspruchsvoll sind, hat Häusler Mittel- und Bassstimmen bewusst einfacher gehalten. Somit sind Niveaudurchmischungen möglich, wodurch beispielsweise Musikschulensembles besonders profitieren. Ferner hat Häusler in den Partituren mit Akkordangaben auf genaue Artikulationshinweise verzichtet, um den Interpreten volle künstlerische Freiheit zu lassen. Zum Notenheft ist die CD Dani Häusler im Quadrat erhältlich, auf der er jede der vier Stimmen zu allen Stücken eigenhändig eingespielt hat. Die Aufnahmen der einzelnen Stimmen sind ebenfalls als Playalong-Files auf der Homepage des Verlags erhältlich. Auf diese Weise können die Stücke gewissermassen gemeinsam mit Dani Häusler geübt werden.
 

Der Mülirad-Verlag

Der Mülirad-Verlag wurde 1991 gegründet und beschäftigt sich vor allem mit Raritäten, Ungewöhnlichem und Vergessenem in der Schweizer Volksmusik. Peter Gisler führt den Verlag seit 2006. Seither hat sich der Verlag zum nationalen und internationalen Geheimtipp im Volksmusikbereich entwickelt.


Dani Häusler: Klarinetten-Quartett – 14 schweizerische Tänze, Artikel-Nr. 1119, Fr. 39.00

Fritz Dünner: Volksmusik für Anfänger – 23 zweistimmige Kompositionen für zwei Klarinetten oder andere Melodie-Instrumente

  • Für Bb-Instrumente: Artikel-Nr. 1123Bb, Fr. 29.00
  • Für C-Instrumente: Artikel-Nr. 1123C, Fr. 29.00
  • Klavier-Begleitheft: Artikel-Nr. 1123Kl, Fr. 29.00

Mülirad-Verlag, Altdorf

 

David Virelles wird ZHdK-Dozent

17.12.2020

David Virelles (Bild: zVg)

David Virelles wird ZHdK-Dozent

Der kubanische Jazzpianist David Virelles wird an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ab Frühlingssemester 2021 neuer Hauptfachdozent Klavier Jazz.

David Virelles (Bild: zVg)

Der 1983 geborene David Virelles stammt aus einer kubanischen Musikerfamilie und studierte Piano am Humber College in Toronto. 2009 zog er nach New York, um bei Henry Threadgill Komposition zu studieren. Seit Jahren ist er ein weltweit gefragter Pianist und Komponist. 2014 veröffentlichte er beim Label ECM das Album «Mbókò – Sacred Music for Piano, Two Basses, Drum Set and Biankoméko Abakuá».

Jazz wird an der ZHdK im Bachelor-Studium als Vertiefung mit den Schwerpunkten Instrumental/Vokal Jazz, Instrumental/Vokal Pop angeboten. Das Studium vermittelt, «aufbauend auf den individuellen Begabungen und Interessen der Studierenden, Kenntnisse und Fähigkeiten um in den wechselnden Szenarien der internationalen Musikszenen als eigenständige und kreative Jazz-respektive Pop-Persönlichkeiten erfolgreich agieren zu können».

«unvermittelt» – Projekte gesucht

Im Jahr 2022 findet das Musikfestival Bern vom 7. bis 11. September statt. Das Thema lautet «unvermittelt». Projekte können bis am 14. März 2021 eingegeben werden.

Foto: Jeremy Thomas/unsplash.cm

Für das Festival 2022 sind Projektskizzen zum Thema «unvermittelt» gefragt. Programmeingaben von Ensembles, Musikschaffenden, Veranstaltern und Institutionen werden, falls sie dem Kuratorium geeignet scheinen, gemeinsam verfeinert oder als Kooperation ins Festival integriert.

Die Festivalleitung hat folgende Bedingungen festgelegt:

1. Projektskizze: Projektidee, Projektform und Umsetzung des Festivalthemas. Die unterschiedlichen Bedeutungsebenen des Themas dürfen berücksichtigt werden.

2. Bernbezug: Die Ausschreibung richtet sich an Berner Musikschaffende, Veranstalter und Institutionen, resp. an Musikerinnen und Musiker, die ein Projekt zusammen mit Berner Musikschaffenden, Veranstaltern oder Institutionen entwickeln.

3. Kurzbeschreibung der Ensembles, Veranstalter, Künstlerinnen und Künstler inklusive Links zu aktuellen Tonaufnahmen.

4. Weitere Komponenten sind erwünscht und können Teil des Projekts sein:

  • geplante Kooperationen mit Berner Ensembles oder Veranstaltern
  • geplante Kooperationen mit internationalen Ensembles, Komponistinnen und Komponisten oder Veranstaltern
  • szenischer oder interdisziplinärer Ansatz
  • unkonventionelle Räume
  • ungewohnte Zeitschienen
  • Vermittlungsaspekte

5. Kosten- & Finanzierungsplan inkl. Angaben zum Anteil der Finanzierung durch andere Förderstellen, Stiftungen und Eigenleistungen sowie des erwünschten Finanzierungsbeitrags durch das Musikfestival Bern (nur subsidiäre Finanzierung möglich).

Die Projektskizze (PDF, max. 6 Seiten) kann bis spätestens am 14. März 2021 ausschliesslich digital eingereicht werden über: info@musikfestivalbern.ch

Weitere Details zu dieser Ausschreibung finden sich auf der Website des Musikfestivals Bern:
Link zur Ausschreibung
 


Kollegium Brig mit renoviertem Musikgebäude

Am Musikhaus des Kollegiums Spiritus Sanctus in Brig-Glis sind Um- und Ausbauarbeiten abgeschlossen worden. Das 50-jährige Gebäude ist heutigen Anforderungen angepasst worden.

Blick ins Innere des Hauses (Bild: Kanton Wallis)

Aus konstruktiven und energetischen Überlegungen habe sich eine Gesamtsanierung aufgedrängt, schreibt der Kanton. Das gesamte Gebäude wurde im Inneren auf den ursprünglichen Zustand zurückgebaut. Mit einer in sich reversiblen Sichtholzkonstruktion wurde anschliessend der Innenraum neu definiert. Zwei Klassenzimmer zu je 72 Quadratmetern und zwei Gruppenräume zu je 18 Quadratmetern sowie mehrere Nebenräume verteilen sich auf zwei Ebenen.

Die gesamten Auslagen beliefen sich auf 1.4 Millionen. Das neue Musikgebäude erfüllt nun laut der Mitteilung die Anforderungen an einen zeitgemässen Musik- und Gesangsunterricht. Nebst dem Schulunterricht wird das Musikhaus auch kulturellen Vereinen zur Verfügung stehen.

Partyka wird Leiter des Zurich Jazz Orchestra

Der Amerikaner Ed Partyka übernimmt ab der Saison 2021/2022 die musikalische Leitung des Zurich Jazz Orchestra (ZJO).

Ed Partyka leitet das ZJO bei einem Konzert 2019. Foto: ZJO

Der in Chicago geborene Bassposaunist und Tubist Ed Partyka lebt seit fast 30 Jahren in Europa und ist Preisträger vieler internationaler Wettbewerbe. An der Musikhochschule in Köln studierte er Jazzposaune bei Jiggs Whigham und Komposition unter der Leitung von Bob Brookmeyer.

Partyka hat bei zahlreichen bedeutenden Big Bands gespielt und war als Komponist, Arrangeur und Bandleader für prominente internationale Jazz-Orchester tätig. Heute lebt der 53-Jährige in Österreich, arbeitet an der Grazer Uni und an der Hochschule Luzern und leitet ausserdem das UMO Helsinki Jazz Orchestra.

Er gilt laut der Mitteilung des ZJO als erstklassiger Bandleader, der ein Orchester weiterbringt, ohne die vorhandene Tradition zu vernachlässigen. Einer seiner Pläne für die Arbeit mit dem ZJO ist es denn auch, historisch relevanter Big-Band-Musik einen festen Platz im Jahresprogramm zu geben.

Die gesamte übrige Leitung des ZJO bleibt unverändert: Bettina Uhlmann kümmert sich weiterhin um die Geschäftsleitung, Daniel Schenker bleibt nach zwei Jahren interimistischer Leitung Co-Leader an der Schnittstelle zwischen musikalischer und programmtechnischer Leitung und Steffen Schorn arbeitet weiterhin als Composer in Residence.

Ein Gefäss, der Willkür zu frönen

Mit «Rezital» verleiht der Pianist und Komponist Werner Bärtschi dem Zürcher Konzertleben seit 40 Jahren neue Impulse. EinTelefonat und ein Konzertbesuch machen klar, warum die Konzertreihe so langlebig ist.

Werner Bärtschi. Foto: zVg

«Ich finde, für einen Künstler, einen Musiker, ist es unbedingt notwendig, seiner Willkür freien Lauf zu lassen.» Ein starker Satz, den Werner Bärtschi am Telefon anlässlich des Jubiläums seiner Konzertreihe «Rezital» äussert. Und zentral, stand doch der Wunsch nach unbedingter künstlerischer Freiheit an ihrer Wiege. Durch nationale und internationale Erfolge mit genügend Selbstvertrauen ausgestattet, wagte er vor 40 Jahren den Schritt, sich sein eigenes Podium zu schaffen. Ein Ort, an dem er tun kann, was immer er künstlerisch für richtig hält, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Nicht vor Veranstaltern, und nicht vor seiner eigenen Vergangenheit.

Ein Konzept also, das eigentlich gar nicht als solches bezeichnet werden kann. Man könnte es wohl eher den Entschluss nennen, seinen Instinkten zu vertrauen und zu folgen. Eines aber, das durchaus funktioniert, wie man am langen Bestehen der Reihe sieht. Ein Nicht-Konzept, das Rezital zu einer kleinen Institution in Zürich werden liess. Das sieht man unter anderem schon daran, dass die Stadt Zürich der Reihe jährlich einen kleinen, aber fixen Förderbeitrag ausrichtet. Eine seltene Ehre, die sonst nur Institutionen wie der Tonhalle oder dem Collegium Novum gewährt wird.

Und ein Nicht-Konzept, das Zürich einige denkwürdige Momente bescherte. So zählt für mich der Besuch Karlheinz Stockhausens bei Rezital samt der Aufführung von Momente zu den eindrücklichsten Konzerterlebnissen meines Lebens. Werner Bärtschi selbst mag keine Höhepunkte hervorheben, denn «zuletzt zählt, was ein gelungenes Konzert ist», und das könne ja auch ein einfacher Klavierabend mit Schubert sein. Auf Nachhaken nennt er dann aber doch das Cage-Satie-Festival oder seine vierjährige, intensive Beschäftigung mit Carl Philipp Emanuel Bach.

Hierin zeigt sich nun durchaus eine Konstante im Wirken des Interpreten Bärtschi. Immer wieder setzt er sich für die Werke unbekannter Komponisten ein. So propagierte er zum Beispiel Erik Satie, noch bevor dieser zum inzwischen populären Sonderling mutierte. Dabei geht es jedoch nie darum, originell zu sein. Die Engagements entspringen der Überzeugung, dass es sich dabei um gute Musik handelt. Und der Lust, diese Musik zu spielen. Er wolle aber keinesfalls ein «Experte für Unbekanntes sein», denn am häufigsten hätte er ja doch Beethoven und Chopin gespielt. Die Klassiker der Klaviermusik schlechthin.

Die Kunst des Programmierens

All dies zeigte sich im Konzert vom 1. Dezember erneut eindrücklich. Und auch wenn es nicht das Jubiläumsfestonzert war, das am 30. Oktober hätte stattfinden sollen, genau 40 Jahre und einen Tag nach dem ersten Rezital, wurde das zweite Saisonkonzert dennoch zum durchaus würdigen Jubiläumsakt. Denn es vereinigte einiges, das für Rezital typisch ist. So bildete es den Auftakt zu einer Reihe von Konzerten, die dem Komponisten César Franck gewidmet sind. Ist es hierzulande schon ungewöhnlich, überhaupt ein Stück Francks im Konzert zu hören, so erstaunt eine ganze Konzertreihe umso mehr. Aber Bärtschi erklärt die aussergewöhnliche Programmidee lapidar mit der Feststellung, er halte Franck ganz einfach für einen der ganz grossen Komponisten. Um dann noch hinzuzufügen, er bewundere, «wie César Franck Hörer und Interpreten in einen Strom von Leidenschaft mitnimmt». Jede grosse Musik nehme einen natürlich gefangen, aber «bei Franck geht das näher». Das war nicht zu viel versprochen, denn das an diesem Dienstagabend gespielte Klavierquintett in f-Moll erwies sich dann tatsächlich als ein Werk, das durch seine Leidenschaftlichkeit heraussticht. Selbst der entspannt einsetzende langsame Satz schraubt sich zu ergreifender Intensität empor.

Wie durchdacht Bärtschi seine Programme konzipiert, zeigte sich daran, wie er den das Konzert abschliessenden Franck kombinierte. Im ersten Teil wurde nämlich Beethovens ebenfalls in f-Moll stehendes Streichquartett op. 95 mit Anton Weberns Sechs Bagatellen op. 9 für Streichquartett verflochten. Und zwar in der Art, dass die Webern-Stücke zweimal gespielt wurden, vor und nach Beethoven. So wurde Webern zum Ohrenöffner für Beethoven – und umgekehrt. Das erstaunliche dabei: Weberns «moderne» Musik wirkte in dieser Konstellation romantischer als die Beethovens. Zu diesem Eindruck trug sicher auch die Interpretation bei. Das Merel-Quartett spielte Beethoven modern, mit akzentuierten Kontrasten, die umso radikaler erschienen, weil die feineren, gefühlvollen Stellen eher silbern als warm dargeboten wurden. Hier wurde der Avantgardist Beethoven hervorgehoben, durch Interpretation und Programmgestaltung.

Willkür darf man also nicht mit Zusammenhangslosigkeit verwechseln. Das zeigt sich auch am Programm des auf den 11. Juni 2021 verschobenen Jubiläumskonzerts: 40 Miniaturen aus 400 Jahren, ein Stück aus jeder Dekade. Auf den ersten Blick eine dem Augenblick geschuldete Schnapsidee. Doch bei genauerem Hinsehen macht hier jemand mit einem Augenzwinkern ernst, wo andere Veranstalter lediglich Behauptungen aufstellen: Das Publikum wird auf eine Reise durch 400 Jahre Musikgeschichte mitgenommen.

Vierzig Jahre Rezital
Neues Datum: Freitag 11. Juni 2021, 18.30 Uhr – Konservatorium Zürich
Ein Jubiläumskonzert mit 40 Miniaturen aus 400 Jahren mit Werner Bärtschi, Klavier
https://wernerbaertschi.ch

«… ich singe, also bin ich» (aktualisiert)

Die IG CHorama wünscht eine Lockerung des Chorsingverbots, eine Online-Petition zahlreicher Chorverbände unterstreicht dieses Anliegen. Unterzeichnen ist noch bis am 18. Dezember möglich.

Symbolbild: Miguel Bautista / unsplash.com

Seit dem 29. Oktober ist das Singen in nichtprofessionellen Chören verboten, professionelle Chöre dürfen zwar proben, jedoch nicht auftreten. Die IG CHorama schreibt in ihrer Mitteilung vom 4. November, das Verbot von Choraktivitäten betreffe mehr als 4000 Verbandschöre und Ensembles mit über 120 000 Sängerinnen und Sängern sowie über 600 Chorleitende. Planungssicherheit fehle. Die Chorwelt helfe mit, die Pandemie in den Griff zu bekommen und die Infektionszahlen zu senken, indem für das Singen in Gruppen strenge Schutzkonzepte angewendet werden. Die IG CHorama wünscht die Verordnung so anzupassen, dass Singen in Gruppen unter bestimmten Voraussetzungen möglich wird und dass professionelle Chöre unter Auflagen auch konzertieren dürfen. Sie ist bereit, an einer Strategie mitzuarbeiten, damit die gesamte Chorszene «zu ihrer Strahlkraft zurückfinden kann».

Petition

«… ich singe, also bin ich/Chorsingen in Zeiten von Corona» ist eine Online-Petition zahlreicher Chorverbände, initiiert vom Schweizerischen Katholischen Kirchenmusikverband. Sie richtet sich an Parlament, Bundesrat und Bundesamt für Gesundheit. Die Verbände sind überzeugt, «dass das Singen im Chor das soziale Leben und die Gesundheit positiv beeinflusst, gerade in Krisenzeiten». Deshalb soll das Singen im Chor oder kleinen Ensembles auch für Laien wieder möglich sein, sofern strenge Schutzkonzepte eingehalten werden.

Die Petition ist noch bis am 18. Dezember online. Am 21. Dezember wird sie dem Parlament, dem Bundesrat und dem BAG übergeben.

Die Initianten schreiben am 14. Dezember, sie hofften, dass sie «bei den diversen Lockerungsschritten nicht erst als letzte berücksichtigt werden.»

Beteiligte Verbände

Die IG CHorama besteht aus:
A cœur joie ACJ
Association de Soutien aux Chœurs d‘Enfants et de Jeunes ASCEJ Association Vaudoise des directeurs de chœurs AVDC Europäisches Jugendchor Festival Basel EJCF
Reformierter Kirchenmusikverband Schweiz RKV Schweizerische Chorvereinigung SCV Schweizerischer Berufsdirigentenverband SBDV Schweizerische Föderation Europa Cantat SFEC
Schweizerischer Katholischer Kirchenmusikverband SKMV Schweizerische Kinder- und Jugendchorförderung SKJF Schweizerischer Kirchengesangsbund SKGB
Verband Chorleitung Nordwestschweiz VChN

Mit der Unterstützung vom Verband Musikschulen Schweiz VMS

Vier Berner Musikpreise

Der Kanton Bern zeichnet das Akku Quintett, den Komponisten Xavier Dayer, den Chansonnier Stephan Eicher sowie Sabina Schärer und Felix Rohner, die die Hang Skulptur erfunden haben, mit dem Musikpreis 2020 aus. Die Preise sind mit je 15’000 Franken dotiert.

Akku Quintett. Foto: zVg

Gegründet wurde die Formation Akku Quintet vom Berner Schlagzeuger und Komponisten Manuel Pasquinelli. Neben ihm spielen der Saxophonist Michael Gilsenan, die Pianistin Maja Nydegger, der Gitarrist Markus Ischer und der Bassist Andi Schnellmann. Seit 2010 erarbeiteten die fünf unzählige Stücke und veröffentlichten bisher vier Alben, welche auch international für Resonanz sorgten.

Xavier Dayer, 1972 in Genf geboren, studierte Komposition in seiner Heimatstadt bei Eric Gaudibert, anschliessend bei Tristan Murail und Brian Ferneyhough in Paris am legendären IRCAM, dem Institut de recherche et coordination acoustique/musique. Für seine Kompositionen wurde er unter anderem von der Bürgi-Willert-Stiftung und der Sandoz-Stiftung (FEMS Preis) ausgezeichnet.

Stephan Eicher, in Münchenbuchsee im Kanton Bern aufgewachsen, hat das «Bärndüütsch» in die Konzertsäle der Welt getragen – und zwar so, dass Ende der 1990er Jahre auch ein Pariser Publikum seine Cover-Version von Mani Matters «Hemmige» begeistert mitsang, ohne den Text genau zu verstehen.

Sabina Schärer und Felix Rohner sind die Schöpfer der Klangskulptur Hang, die rund um den Erdball gespielt wird. Ihre jahrelange Zusammenarbeit begann in der Steelband «Berner Ölgesellschaft», der ersten Steelband im Kanton Bern, und umfasst das Musizieren, das Forschen am Blechklang und die plastische Arbeit mit dem Hammer.

Der Nachwuchsförderpreis «Coup de cœur» in der Höhe von 3000 Franken geht dieses Jahr an Marie Delprat. Die in Bordeaux geborene Musikerin, Komponistin und Performerin absolvierte 2015 ihre Ausbildung zur Blockflötistin an der Hochschule der Künste in Bern unter der Leitung von Michael Form. Sie hat einen Master in Komposition und Theorie wie auch einen Master in Pädagogik in der Tasche.

Mehr Infos:
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.html/portal/de/meldungen/mm/2020/12/20201211_1704_kanton_vergibt_viermusikpreise?utm_source=rss&utm_medium=Medienmitteilungen&utm_campaign=Kanton+vergibt+vier+Musikpreise

Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria

Jeden Freitag gibts Beethoven: Zu seinem 250. Geburtstag blicken wir wöchentlich auf eines seiner Werke. Heute auf «Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria».

Mit Verlegenheit blickten einst viele Beethoven-Biografen auf die Partitur von Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91 – nach Alfred Einstein wäre sie gar «der Tiefpunkt im Schaffen». Erfolg und Popularität liessen das musikalische Schlachtengemälde (bestehend aus den zwei «Abteilungen» Schlacht und Siegessinfonie) nicht zuletzt wegen seiner programmatischen Darstellung verdächtig erscheinen. Aus dem Blick gerieten dabei die historischen Rahmenbedingungen, unter denen das Werk entstanden ist.

Mehr als ein Jahrzehnt hatte Napoleon mit seinen Truppen in ganz Europa Militär und Zivilgesellschaft in Unruhe versetzt, als am 27. Juli 1812 die Kunde vom Sieg bei Vitoria endlich Wien erreichte: Lord Wellington hatte bereits am 21. Juni die napoleonischen Truppen nahe der baskischen Stadt in die Flucht geschlagen und die französische Herrschaft über die iberische Halbinsel beendet. Mit diesem Erfolg kehrte unter den angeschlagenen Koalitionskräften der Mut zurück, mit dem sie dann im Oktober des Jahres die Schlacht bei Leipzig gewannen – der Anfang vom Ende Napoleons.

Als am 8. und 12. Dezember 1813 im Wiener Universitätssaal Beethovens Battaglia gemeinsam mit der 7. Sinfonie erstmals erklang, waren zwar längst nicht alle, wohl aber die entscheidenden Schlachten geschlagen. Nur so sind die repräsentative Aufführung und der Erfolg dieses Konzerts zu verstehen, das zum Benefiz der in der Schlacht bei Hanau invalid gewordenen österreichischen und bayrischen Soldaten veranstaltet worden war. Im ca. 100 Mann starken Orchester waren die besten Kräfte der Stadt mit Schuppanzigh als Konzertmeister versammelt, Beethoven dirigierte, der Beifall soll «unbeschreiblich» gewesen sein: «Herrn von Beethovens Ruhm hat sich dadurch aufs neue gegründet; er wurde bei jeder Vorstellung mit Enthusiasmus aufgenommen.» (Wiener allgemeine musikalische Zeitung)

Unrühmlich war indes das Nachspiel. Ursprünglich hatte Beethoven die Siegessinfonie (den zweiten Teil des Werkes) nämlich für Johann Nepomuk Mälzels Panharmonica geschrieben, einen für damalige Verhältnisse sensationellen mechanischen Spielautomaten. Nun hatte Mälzel das Werk aber ohne vorhergehende Rücksprache in München mit Orchester zur Aufführung gebracht und stand auch mit London in Verhandlungen. Da strengte Beethoven ein Gerichtsverfahren über die rechtmässige Urheberschaft an und machte seinen Anspruch in einem Abriss der Entstehungsgeschichte deutlich.

Erst habe er «aus eigenem Antriebohne Geld» die Siegessinfonie für Mälzels Panharmonika geschrieben. Dann wäre dieser auf ihn zugekommen mit dem Wunsch nach einer Ausarbeitung «für ganzes Orchester», was auch umgesetzt worden sei. Er, Beethoven, hätte allerdings schon zuvor die Idee für eine vorangestellte grosse Schlachtmusik gehabt, die musikalisch auf der Panharmonica gar «nicht anwendbar» sei. Mälzel meine fälschlicherweise, Anspruch als «ausschließlicher Eigenthümer dieses werkes» anmelden zu können, da er – sozusagen als Abgeltung – «gehör Maschinen», also Hörgeräte, angefertigt hatte. Diese seien aber «nicht brauchbar genug für mich».

Das Verfahren kam nicht zum Abschluss, zudem haben sich Beethoven und Mälzel später offenbar ausgesöhnt. Wie lange die Schlachtmusik tatsächlich in der öffentlichen Diskussion eine Rolle spielte, zeigt noch 1826 die Besprechung eines Klavierauszugs durch Gottfried von Weber, in der die Siegessinfonie als ein bedeutendes «Tonwerk, – in einem Tonstück von grossen Ansprüchen» bezeichnet wird. Beethoven indes machte während seiner Lektüre genau hier ein Zeichen und merkte fragmentarisch unentschieden an: «gar nicht, nichts als gelegenheitsstück, welches jedoch –»


Hören Sie rein!

Berner Kulturpreis geht an Helvetiarockt

Der Kanton Bern zeichnet den Verein Helvetiarockt, der sich für einen höheren Frauenanteil in der Schweizer Musikbranche einsetzt, mit dem Kulturpreis 2020 aus. Johannes und Katrin Günther, die Leiter des Berner Münster Kinder- und Jugendchors, erhalten den kantonalen Kulturvermittlungspreis.

Foto: Erriko Boccia / Unsplash

Die Schweizer Koordinationsstelle und Vernetzungsplattform für Musikerinnen Helvetiarockt macht sich seit 2009 für eine signifikante Erhöhung des Frauenanteils in der Schweizer Musikbranche stark und setzt sich für mehr Diversität im Musikgeschäft, insbesondere im Jazz, Pop und Rock, ein. Im professionellen Musikschaffen sind Frauen kaum vertreten, und zwar auf allen Ebenen. Gemäss Zählungen liegt der Frauenanteil auf Schweizer Festivalbühnen bei rund 15 Prozent, in der Musikproduktion bei rund 2 Prozent.

2003 wurde der Berner Münster Kinder- und Jugendchor zunächst als Projektchor gegründet; seit 2012 ist er als Verein organisiert. Heute zählt er rund 100 Sängerinnen und Sänger, die zwischen 5 und 21 Jahre alt sind. Gemeinsam mit ihnen haben Johannes und Katrin Günther ein Repertoire aufgebaut, das von Gregorianischem Choral über die Werke bekannter Meister (Bach, Mendelssohn) bis zu Uraufführungen und Spirituals reicht.

Der Kulturpreis des Kantons Bern ist mit 30’000 Franken dotiert, der Kulturvermittlungspreis mit 10’000 Franken.

Kompletter Kulturlockdown?

Im Zuge der aktuellen Debatte um einen erneuten kompletten Kulturlockdown pocht die Task Force Culture auf klare Ansagen des Bundesrates und erwartet ein lückenloses Unterstützungssystem samt Revitalisierungsstrategie. Sie bedauert, dass die Kulturbranche nicht in die Diskussionen über die geplanten Massnahmen einbezogen ist.

Foto: dylan nolte/unsplash.com (Nachweis siehe unten)

Da sich die Kulturbranche erneut nicht zu den aktuell diskutierten Massnahmen äussern kann, hat sich die Taskforce Culture am 9. Dezember mit einem Schreiben an den Gesamtbundesrat gewandt. In der Folge werden hier die sechs springenden Punkte sowie die Aufstellung der momentan bestehenden Unterstützungslücken zitiert:

«1. Wir begrüssen, dass der Bund das Heft wieder in die Hand nimmt. Wir erwarten das aber auch bezüglich Entschädigungen. Eine schweizweit einheitliche Politik zur Bewältigung dieser Krise fordern wir seit Beginn. Faktisch herrscht aus Sicht des Bundesrates offenbar wieder die ausserordentliche Lage. Der Bundesrat sollte sie konsequenterweise auch formell beschliessen und entsprechend handeln.

2. Im vielfältigen Schweizer Kultursektor wird die Frage eines Lockdowns genauso diskutiert wie in anderen betroffenen Wirtschaftsbranchen, wie in den Skiorten oder im Bundesrat: Die einen möchten auch mit vielen Auflagen und Einschränkungen weiter Kultur anbieten, viele andere schliessen bereits von sich aus, weil kostendeckendes Veranstalten unter diesen Umständen nicht mehr möglich ist.

3. Aber eines ist klar: Im Fall eines weiteren Kulturlockdowns müssen taugliche Unterstützungsmassnahmen ohne Einschränkungen für alle Kulturakteure zugänglich sein. Wir haben bereits letzte Woche darauf hingewiesen, dass dies mit dem aktuellen Covid-19-
Gesetz nicht der Fall ist. Diese Lücken müssen jetzt geschlossen werden. Auch
hier muss der Bund das Zepter übernehmen. Im Vollzug der Unterstützungsmassnahmen zeigten sich die Grenzen des Föderalismus deutlich.

4. Zur Zeit sind die Kantone offenbar eingeladen, neue, aus ihrer Sicht nötige Unterstützungsmassnahmen vorzuschlagen. Wir bedauern einmal mehr, dass sich die betroffenen Branchen dazu nicht äussern können, obwohl sie wohl am besten wissen, welche Massnahmen ihnen helfen würden.

5. Wir vermissen nach wie vor eine zumindest mittelfristige Strategie des Bundesrates für zukünftige Massnahmen (z. B nach definierten Massnahmenstufen) sowie zur Wiederaufnahme kultureller Tätigkeiten. Auch wenn unklar ist, wie sich die Zahlen entwickeln, so brauchen der Schweizer Kultursektor, die Schweizer Wirtschaft und die Schweizer Bevölkerung klarere Ansagen, statt einem allwöchentlichen Adrenalinschub anlässlich der bundesrätlichen Pressekonferenzen.

6. Teil einer solchen Strategie muss auch ein Revitalisierungsfonds sein, der im Falle von Absagen von Kulturanlässen die volle Schadloshaltung sicherstellt. Andernfalls wird nichts mehr geplant werden und die Kultur kommt nicht mehr in Gang. Beispielsweise kündigt der deutsche Finanzminister Olaf Scholz im Tagesspiegel eine staatliche Übernahme der Kosten für alle Veranstaltungen an, die für die zweite Jahreshälfte 2021 geplant werden, aber wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden müssen.

Sofort zu schliessende Unterstützungslücken:

  • Ausfallentschädigung auch für Kulturschaffende: Zahlreiche Kulturschaffende arbeiten in Aufträgen und Werkverträgen für die Privatwirtschaft. In diesen Vertragsverhältnissen gibt es kein Kulturunternehmen, das Ausfallentschädigung verlangen und Ausfallgagen zahlen kann oder will. Rechtsstreitigkeiten um Vertragsauslegungen sind die Folge! Dabei wurde das Budget für die Ausfallentschädigungen bei weitem nicht aufgebraucht.
     
  • Senkung der Hürden beim Corona-Erwerbsersatz für Selbstständige: Wenn Selbstständige erst ab einer Umsatzeinbusse 55% Erwerbsersatz erhalten, setzt das erstens falsche Anreize (nämlich eine möglichst hohe Umsatzeinbusse beizubehalten) und bestraft zweitens die Geringverdienenden. Auch hier hätte der Bund die Mittel, um den Kleinstunternehmenden unter die Arme zu greifen und die Hürden tiefer zu legen.
     
  • Härtefallentschädigung für Kulturunternehmen: Ein Anspruch auf Ausfallentschädigung schliesst nach dem Willen des Parlamentes die Möglichkeit einer ergänzenden (nicht doppelten) Härtefallentschädigung aus. Das ist problematisch, weil die Ausfallentschädigung oft nur einen kleinen Teil des Ausfalls deckt. Selbst wenn alle bestehenden Beihilfen in Anspruch genommen wurden, bleiben viele Kulturunternehmen auf Schäden sitzen.
     
  • Erhöhung der Kurzarbeitsentschädigung für Geringverdienende (100% statt nur 80%)
     
  • Arbeitslosenversicherung: Verlängerung der Rahmenfrist auf vier Jahre für den Leistungsbezug und für die Beitragszeit für Angestellte in befristeten Arbeitsverhältnissen und mit häufig wechselnden Arbeitgebern.»
     

Die Mitglieder der Taskforce Culture:

Olivier Babel (LIVRESUISSE), Stefan Breitenmoser (SMPA – Swiss Music Promoters Association), David Burger (MMFS – MusicManagersForum Suisse), Regine Helbling (Visarte – Berufsverband visuelle Kunst Schweiz), Liliana Heldner (DANSE SUISSE – Berufsverband der Schweizer Tanzschaffenden), Christian Jelk (Visarte – Berufsverband visuelle Kunst Schweiz), Sandra Künzi (t. Theaterschaffende Schweiz), Alex Meszmer (Suisseculture), Marlon Mc Neill (IndieSuisse – Verband unabhängiger Musiklabels und – produzent*innen, SMECA – Swiss Media Composers Association), Jonatan Niedrig (PETZI – Verband Schweizer Musikclubs und Festivals), Nicole Pfister Fetz (A*dS – Autorinnen und Autoren der Schweiz, Suisseculture Sociale), Rosmarie Quadranti (Cultura), Nina Rindlisbacher (SMR – Schweizer Musikrat), Beat Santschi (SMV – Schweizerischer Musikerverband, die Schweizer Musiker*innengewerkschaft), Christoph Trummer (SONART – Musikschaffende Schweiz)


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