Lübecker Professur für Musikergesundheit

Die Musikhochschule Lübeck (MHL) und die Universität zu Lübeck (UzL) schreiben erstmals eine gemeinsame Professur für Musikergesundheit aus. An der UzL soll dabei eine öffentliche Sprechstunde eingerichtet werden.

Musikhochschule Lübeck. Foto: Arnold Paul/WikiCommons,SMPV

Das Lübecker Modell zur Musikergesundheit umfasst mehrere Bausteine, die hier Hilfestellung und Prophylaxe anbieten wollen: An der UzL soll eine öffentliche Sprechstunde mit dem Ziel etabliert werden, diesen Beschwerden mit Lernstrategien und Schulungen zum Thema Körperwahrnehmung zu begegnen. Betroffen von gesundheitlichen Problemen sind dabei nicht nur Profi-Musiker und -Musikerinnen, sondern auch Kinder und Jugendliche, für die Prävention und Aufklärung im Fokus stehen sollen.

An der MHL wird ein theoretisches und praktisches Lehrangebot zur Musikergesundheit und Musikmedizin aufgebaut. Die Professur bietet dort ausserdem Beratung und Weiterbildung nicht nur für Studierende und Dozierende an, sondern auch für die Öffentlichkeit. Weiterhin soll an beiden Hochschulen zu Musikmedizin und Musikphysiologie geforscht werden.

Das Lübecker Modell zeichnet aus, dass es sich nicht nur an Hochschulangehörige richtet, sondern mit Weiterbildungsangeboten und Beratung auch an Lehrkräfte der Musikschulen, freischaffende Musikunterrichtende, Orchestermusikerinnen und -musiker sowie singende und musizierende Laien. Es fusst auf einer engen Kooperation der MHL, der UzL und dem UKSH mit seinen Kliniken. Andere Lübecker Kulturinstitutionen sind Kooperationspartner wie die Lübecker Musikschulen und das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck.

Originalartikel:
https://www.uni-luebeck.de/universitaet/aktuelles/artikel/erste-gemeinsame-luebecker-professur-fuer-musikergesundheit.html
 

Sonart kritisiert Kulturabbau bei der SRG

Sonart, der Verband für freie Musikschaffende in der Schweiz, beobachtet «die von der SRG angekündigten Umstrukturierungen im Kulturbereich mit grosser Sorge». Eine erkennbare Strategie im Transformationsprozess für die Kultur sei nicht ersichtlich

Foto (Ausschnitt): EinDao/WikiCommons

Wichtige Kulturformate würden ersatzlos gestrichen, im Musikbereich bestehe kein zukunftsorientiertes Entwicklungsprojekt, schreibt der Verband. Für die bereits gebeutelte Kulturszene, welche die SRG in der NoBillag-Kampagne massgeblich unterstützt habe, sei dieser Abbau ohne Perspektiven ein harter Schlag und gleiche «einem Verrat an den vielen Unterstützer*innen vor knapp drei Jahren».

Der Abbau komme mitten in der Corona-Krise wirklich zum falschen Zeitpunkt. Sonart steht der Entwicklung zeitgemässer Formate grundsätzlich offen gegenüber, fordert aber eine damit verbundene Neuausrichtung der Kulturberichterstattung und den Einbezug der entsprechenden Branchenverbände. Zudem verlangt der Verband von der SRG, dass sie weiterhin die Konzessionsauflagen einhält und ihrem gesetzlichen Förderauftrag nachkommt.

Mehr Infos: www.sonart.swiss
 

Best Swiss Video Clip 2021

m4music, das Popmusikfestival des Migros-Kulturprozent, die Solothurner Filmtage und die Fondation Suisa verleihen zum neunten Mal die Awards für den «Best Swiss Video Clip». Der Jurypreis geht an die kenianische Künstlerin Muthoni Drummer Queen für das Musikvideo zur feministischen Hymne «Power».

Regie für das Video «Power» führte die Lausannerin Mei Fa Tan. Muthoni Drummer Queen ist in Nairobi aufgewachsen und hat sich in Zusammenarbeit mit der Westschweizer Musikszene als Rapperin, Sängerin, Produzentin und Unternehmerin einen Namen gemacht. Der Musikstil ihrer drei herausgebrachten Alben enthält sowohl Hip-Hop- als auch Elektroelemente.

Bastien Bron und Laetitia Gauchat gewinnen mit ihrer Filmagentur den Publikumspreis . Das Publikum wählte «Une autre Chanson» von My name is Fuzzy zum Best Swiss Video Clip 2021. Die Auszeichnungen sind mit je 5000 Franken dotiert und werden im digitalen Rahmen übergeben. Insgesamt 195 gab es für den «Best Swiss Video Clip» 2021 Einreichungen.

Originalartikel:
https://www.m4music.ch/de/best-swiss-video-clip/winner-2021

Geringstes Ansteckungsrisiko in Konzert und Oper

Eine Berliner Studie zeigt: In geschlossenen Kulturräumen infiziert man sich viel weniger mit dem Corona-Virus als in Supermärkten, Fitnesstudios oder im Zug.

Possessed Photography / unsplash.com,SMPV

Die Studie beurteilt das Infektionsrisiko aufgrund der eingeatmeten Dosis. Diese wiederum hängt ab von Faktoren wie Emissionsrate, Atemaktivität, Aerosolkonzentration und Aufenthaltsdauer. Die Forscher sind bei ihrer Beurteilung der Ansteckungswahrscheinlichkeit davon ausgegangen, dass sich in allen untersuchten geschlossenen Räumen eine infizierte Person befindet. Zusammenfassend wird festgehalten, der situationsbedingte R-Wert in Kulturstätten sei geringer als in Klassenzimmern oder Büroräumen.

Anhand eines Beispiels kommt die Studie zum Schluss: Ein Theaterbesuch ist «in einer Versammlungsstätte mit 30% Belegung und mit Tragen einer Maske auch auf dem Sitzplatz nur halb so risikoreich wie im Supermarkt.» Die illustrierende Grafik zeigt ausserdem, dass in Innenräumen von Konzertgebäuden, Theatern, Kinos und Museen die Ansteckungsgefahr am geringsten ist. 

Die Neue Zürcher Zeitung stellte die Studie am 15. Februar ausführlich vor. Dabei werden  einige Beispiele detailliert durchgespielt.
Link zum NZZ-Artikel

Zur Studie

Martin Kriegel, Anne Hartmann: Covid-19 Ansteckung über Aerosolpartikel – vergleichende Bewertung von Innenräumen hinsichtlich des situationsbedingten R-Wertes. Hermann-Rietschel-Institut der Technischen Universität Berlin, 11. Februar 2021
 

Die Studie kann über diesen Link heruntergeladen werden:

http://dx.doi.org/10.14279/depositonce-11387

 

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Link zum Bild
 

Zeitstrukturen und kreative Prozesse

Ein Team deutscher und österreichischer Unis untersucht, wie Zeitstrukturen jede Form kreativer Aktivität, sei es im Labor bei der Entwicklung eines neuen Medikaments oder bei Musikaufnahmen im Studio, beeinflussen.

Nick Fewings / unsplash.com,SMPV

Mitglieder eines kreativen Teams bringen unterschiedliche Zeithorizonte mit, arbeiten nach verschiedenen Rhythmen und Taktungen. Die Kreativitäts- und Organisationsforschung ging bisher davon aus, dass eine Synchronisierung, das sogenannte Entrainment, die Erfolg versprechende Strategie ist: Um möglichst effizient zu sein, wird der zeitliche Rahmen genau bestimmt. In einem solchen Zeitkorsett ist für Kreativität allerdings nur wenig Platz.

Freiräume für kreative Prozesse entstehen laut dem Team häufig durch zeitliche Spannungen und Leerläufe, beispielsweise wenn im Studio in Aufnahmepausen zu Improvisieren angefangen wird und daraus etwas Neues, Unvorhergesehenes entsteht. Diese Interdependenz zwischen Entrainment und Disentrainment auf der einen und Kreativität wollen die Forschenden systematisch untersuchen. Die Deutsche Forschungsgesellschaft DFG und der österreichische Wissenschaftsfonds FWF fördern das Projekt mit jeweils rund 225’000 Euro.

Mehr Infos:
https://www.hcu-hamburg.de/fileadmin/documents/01_Startseite_HCU_Website/Presse_News/2021/210128_PM_HCU_Hamburg_DFG-Forschungsprojekt_Welche_zeitlichen_Strukturen_beguenstigen_kreative_Prozesse.pdf

Musiktheoretiker treffen sich in Basel

Der diesjährige Kongress der Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH) wird auf dem Campus der Hochschule für Musik / Musik-Akademie Basel stattfinden in Zusammenarbeit mit den drei Instituten Klassik, Jazz und der Schola Cantorum Basiliensis.

Musikhochschule Basel. Foto: FHNW/Weisswert, C. Morin & M. Indermaur

Der 21. Jahreskongress der GMTH in Basel möchte vom 1. bis 3. Oktober 2021 dazu einladen, über Ton- und Stimmungssysteme neu nachzudenken. Je breiter das Spektrum der Themen und Bereiche sein werde, heisst es in der Medienmitteilung, desto besser. Als Keynote-Speaker sind eingeladen: die Komponistin Catherine Lamb, der Musiktheoretiker Alexander Rehding und der Spezialist für arabische und türkische Musiktheorie Michalis Cholevas.

Die Musikhochschule geht momentan davon aus, dass der Kongress als Präsenzveranstaltung in Basel durchgeführt werden kann. Für den Fall der Fälle seien jedoch auch Online-Formate angedacht.

Mehr Infos und Call of Paper:
https://www.gmth.de/veranstaltungen/jahreskongress.aspx

Ein Musikfürst der Renaissance

Zum bevorstehenden 500. Todestag von Josquin Desprez spricht Roland Wächter, Programmverantwortlicher des Festivals Alte Musik Zürich, mit Max Nyffeler über Leben und Werk sowie das zeitliche Umfeld des Komponisten. Zu seinen Lebzeiten war er eine europäische Koryphäe. Und was hat er uns heute noch zu sagen?

Josquin Desprez. Holzschnitt von Petrus Opmeer, 1611. Quelle: wikimedia commons

Max Nyffeler: Am 27. August jährt sich der Todestag von Josquin Desprez zum 500. Mal, und dazu gibt es jetzt im März beim Festival Alte Musik Zürich einen Programmschwerpunkt. Von welchen Überlegungen habt ihr euch dabei leiten lassen?
Roland Wächter: Gedenktage bringen immer eine erhöhte Aufmerksamkeit mit sich. Da bietet es sich für einen Veranstalter an, darauf einzugehen. Bei Beethoven wäre das nicht unbedingt nötig gewesen, den kennen alle. Aber bei dem vielleicht grössten Komponisten der Renaissance, der im heutigen Musikleben wenig bekannt ist, ist das etwas anderes.

Wie schlägt sich das konkret im Programm nieder?
Man kann natürlich nicht ein Festivalprogramm nur mit Josquins Musik bestreiten. Deshalb haben wir im begrenzten Rahmen unserer Konzerte auch sein Umfeld skizziert und etwa die Missa «Et ecce terrae motus» von Antoine Brumel, einem Zeitgenossen Josquins, hineingenommen. Mit ihren zwölf Stimmen – die Norm war damals vier – ist sie eines der spektakulärsten Werke der Renaissance, und manchmal erinnert sie an amerikanische Minimal Music. Zum Beispiel an Steve Reich.

Ein kühner Vergleich.
Der ist nicht so weit hergeholt, wenn man bedenkt, dass Reich sich ausdrücklich auf das dritte Agnus Dei aus Josquins Missa «L’homme armé sexti toni»  bezieht, wo die vier Oberstimmen paarweise im Kanon geführt sind und Tenor und Bass die Melodie der Chanson L’homme armé gleichzeitig vorwärts und im Krebs singen. Solche Kanonkunststücke haben Reich inspiriert.

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«L’homme armé» im «Mellon Chansonnier», 1470, 45r

Max Nyffeler: Euer Programm enthält auch zahlreiche Chansons von Josquin und anderen.
Roland Wächter: Diese weltlichen polyfonen Lieder sind ein wichtiger Schaffenszweig Josquins. An ihn haben dann französische Komponisten wie Clément Janequin und Claude Le Jeune angeknüpft und die Gattung der polyfonen Chanson auf einen Höhepunkt geführt.

Worin besteht die viel zitierte historische Bedeutung Josquins?
Er knüpft einerseits an Vorgänger wie Guillaume Dufay und Johannes Ockeghem an, die das damals neuartige Gebilde eines harmonischen Satzes mit gleichberechtigten Stimmen geprägt haben. Diesen Vokalsatz bereichert er andererseits mit einer Ausdruckskraft, die es vordem nicht gegeben hat. Bei Dufay und Ockeghem steht noch das Konstruktive, etwa die kanonische Stimmführung, im Vordergrund, während bei Josquin nun auch die Wortbedeutung eine Rolle spielt. In vielen Werken kann man einen direkten Zusammenhang zwischen Wort und Musik beobachten. Das rückt ihn uns näher. Aber die Frage ist natürlich, wie weit wir heute noch ein Ohr für diese Ausdrucksvaleurs haben.

Wege zu einer neuen Klangsinnlichkeit

Max Nyffeler: Josquins Musik ist auch sehr viel konsonanter als die seiner Vorgänger, und die Harmonik wird flächiger.
Roland Wächter: Bei Dufay und Ockeghem hat die Harmonik noch etwas Herbes, Harsches. Josquin war viele Jahre in Italien, und vermutlich ist durch den italienischen Einfluss auch eine neue Art von Transparenz und Geschmeidigkeit in seine Musik hineingekommen. Sie hat manchmal geradezu etwas Süffiges, was man von Dufay oder Ockeghem nicht sagen kann. Etwa Tu solus qui facis mirabilia oder Ave Maria virgo serena: Solche Stücke haben einen unmittelbaren Effekt, und die Frottola El Grillo  ist fast ein Schlager.

Da zeigt sich eine Parallele zur bildenden Kunst seiner Zeit, die ebenfalls eine ganz neue sinnliche Ausstrahlung entwickelt, auch bei religiösen Motiven.
Absolut. Seine unmittelbaren Nachfahren haben diesen Bezug auch hergestellt und gesagt: Josquin mit seiner Sinnlichkeit und Ausdruckskraft ist sozusagen der Michelangelo der Musik.

Verlief Josquins künstlerische Entwicklung geradlinig oder sprunghaft? Er führte ja ein eher unstetes Leben.
Das ist schwierig zu beantworten, denn nur wenige Werke lassen sich datieren. Einen Anhaltspunkt liefern zwar die Druckausgaben von Ottaviano Petrucci in Venedig, die ab 1502 erscheinen. Da sie aber keine Entstehungsdaten der Werke enthalten, tappt man mehr oder weniger im Dunkeln. Die Musikwissenschaft versucht deshalb die stilistische Entwicklung auf der Basis der vorhandenen Daten zu rekonstruieren. Danach beginnt Josquin in der Tradition seiner Vorgänger Dufay und Ockeghem: Es gibt einen Cantus firmus im Tenor, bestehend aus einem Fragment des gregorianischen Chorals oder einer Chanson, und um dieses Gerüst herum ranken sich die Kanons der anderen Stimmen. Diese Kanontechnik mit ihren Varianten der Ausgangsmelodie – Krebs, Umkehrung, Krebs der Umkehrung, Verkürzung, Dehnung etc. – ist ein wesentliches Merkmal der früheren Renaissancemusik. Davon löst sich Josquin offensichtlich in seiner mittleren Phase, denn hier taucht der Cantus nicht nur im Tenor auf, sondern kann auch durch die anderen Stimmen wandern, wobei es zu imitatorischen Verfahren kommt. Die Stimmen partizipieren also an einer gemeinsamen Motivik. In seiner letzten Schaffensphase entwickelt sich das alles in die Richtung einer relativ freien Kompositionstechnik, wo er das Material nach eher subjektiven Gesichtspunkten ordnet.

Komponist in kriegerischer Epoche

Max Nyffeler: Josquin Desprez (oder des Prez) wurde vermutlich 1450 in der Nähe von Saint-Quentin im heutigen Nordfrankreich geboren und starb 1521. Er lebte in der sogenannten Hochrenaissance, einer Zeit der Extreme: einerseits eine Blütezeit der Künste und Wissenschaften, andererseits eine Zeit der grossen Umbrüche und Kriege. 1477 besiegen die Eidgenossen bei Nancy Herzog Karl den Kühnen und bringen damit das mächtige Burgunderreich, eine wirtschaftliche und nebenbei auch musikalische Grossmacht, zum Einsturz. 1492 entdeckt Kolumbus Amerika, 1517 formulierte Luther seine 95 Thesen, die den Beginn der Reformation markieren. Da stellt sich die Frage: Finden diese Konflikte einen Widerhall in Josquins Musik? Oder ist sie einfach «zeitlos»?

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Die Basilika von Saint-Quentin. Foto: Pierre Poschadel/WikiCommons

Roland Wächter: In der religiösen Musik geht es um die ewigen Wahrheiten und eben gerade nicht um das Zeitliche mit Krieg, Pest und Hungersnot. Das Zeitliche hat sich allenfalls in seiner weltlichen Musik niedergeschlagen, vor allem in den Chansons. Sie haben eine deutlich melancholische Grundhaltung und handeln meist von seelischem Schmerz und unerfüllter Liebe. Man sieht es schon in den Titeln: Mille regretz  und Adieux mes amours. Oder Fortuna desperata, verzweifeltes, hoffnungsloses Schicksal. Über die Melodie dieser Chanson hat Josquin auch eine Parodiemesse geschrieben, ebenso über die Chanson Malheur me bat von Ockeghem.

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«Melencolia I», Kupferstich 1514 von Albrecht Dürer

Max Nyffeler: Die Melancholie scheint wirklich ein Zeitgeistphänomen gewesen zu sein, man denke nur an Dürers Kupferstich «Melencolia I» von 1514.
Und dann gibt es ja auch das damals populäre Lied L’homme armé, das auf Krieg verweist und von Josquin und vielen anderen als Vorlage für Cantus-firmus-Messen genommen wurde. Man darf nicht vergessen: Es war damals die Aufgabe der Fürsten, Krieg zu führen, so merkwürdig das heute klingt. Es ging um die Absicherung und Erweiterung des Machtbereichs.

Und um die Kontrolle der Handelsrouten, also um wirtschaftliche Macht. Gerade für Burgund spielte das eine grosse Rolle. Es war schon eine Form von frühbürgerlicher Wirtschaft, die sich im 15. Jahrhundert in den niederländischen Besitztümern der Herzöge entwickelte.

Vom Burgund nach Italien und zurück

Roland Wächter: Es ist bemerkenswert, dass fast alle führenden Renaissancekomponisten, die sogenannten «Niederländer», aus einem Kerngebiet dieser burgundischen Ländereien kommen, nämlich aus dem heutigen Grenzgebiet zwischen Frankreich und Belgien, dem Hainaut, auf Deutsch Hennegau. Man kann das mit dem damaligen Reichtum dieser Region erklären, und davon konnten wahrscheinlich auch die kirchlichen Singschulen, die sogenannten Maîtrisen, profitieren. Die hier ausgebildeten Musiker wurden häufig nach Italien engagiert. Zu den wenigen Ausnahmen gehört Ockeghem. Aber Dufay ist gleichsam zwischen seiner Heimat und Italien hin- und hergependelt, Josquin war in seinen früheren Jahren lange in Italien, und Komponisten wie Adrian Willaert sind gleich dortgeblieben und hatten wie Cipriano de Rore sogar einen italianisierten Namen.

Max Nyffeler: Vermutlich folgten die Komponisten den Handelswegen, die von den führenden Handels- und Geldhäusern im Burgund, den Medici in Florenz und anderen quer durch den Kontinent installiert wurden. Da liegt der Schluss nahe, dass sie von ihren Förderern auch als kulturelle Zugabe zu den Geschäftsbeziehungen auf Reisen geschickt wurden.
Viele dieser Komponisten – es waren im damaligen Verständnis eigentlich Sänger, den Beruf des Komponisten gab es noch nicht – waren auch hochgestellte Sekretäre von Fürsten und Kirchenleuten und oft in diplomatischer Mission für ihre Brotherren unterwegs. Andererseits war an den italienischen Fürstenhöfen viel Geld vorhanden, und damit wurden die kulturellen Repräsentationsbedürfnisse bedient.

Von Fürsten umworben und hoch bezahlt

Max Nyffeler: Jacob Burckhardt weist in seiner grundlegenden Schrift «Die Kultur der Renaissance in Italien» darauf hin, dass es unter den Fürsten einen richtiggehenden Wettstreit in der Prunkentfaltung gab. Die berühmten Künstler wurden mit hohen Gagen und Privilegien an die Höfe gelockt.

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Ercole d’Este (1431–1505). Dosso Dossi (1469–1542)

Roland Wächter: Es gibt die Anekdote vom Fürsten Ercole I. von Ferrara, der einen neuen Musiker sucht und seine Agenten durch Europa schickt. Einer schreibt ihm: «Da nur das Beste gut genug ist, kommen nur entweder Heinrich Isaac oder Josquin Desprez in Frage. Isaac ist sehr umgänglich mit den Musikern, er komponiert das, was man bei ihm bestellt, und er kommt für 120 Dukaten. Josquin hingegen ist ein schwieriger Typ, er komponiert nur, wenn er will, und verlangt 200 Dukaten.» Für den Fürsten ist aber ganz klar: Er muss Josquin haben. Musik hatte damals eine Repräsentationsfunktion, wie wir uns das heute gar nicht mehr vorstellen können. Heute besitzen die Superreichen Fussballklubs.

Den Gehaltszahlungen nach zu schliessen, war er nur kurz in Ferrara, von 1503 bis 1504. Davor war er längere Zeit Mitglied der päpstlichen Kapelle in Rom, vielleicht in Mailand bei den Sforza und wohl ab 1501 zwei Jahre lang im Dienst des französischen Königs. Viele Daten im Leben Josquins sind ungesichert. Ferrara verliess er 1504 vermutlich wegen der Pest und reiste zurück in seine Heimat, nach Condé-sur-l’Escaut im Hennegau, wo er bis zu seinem Tod 1521 ein hohes kirchliches Amt bekleidete.

Ein Beethoven des 16. Jahrhunderts

Max Nyffeler: Wie wurde Josquin nach seinem Tod wahrgenommen?
Roland Wächter: Für die nächsten zwei bis drei Generationen von Komponisten war er eine unangefochtene Autorität.

Das erinnert ja fast an Beethovens Wirkung im 19. Jahrhundert.
Der Vergleich trifft durchaus zu. Allerdings übte Beethoven auf die nachfolgenden Generationen eine einschüchternde Wirkung aus. Bei Josquin ist es geradezu umgekehrt: Das Modellhafte, das man seinen Werken zusprach, forderte die Späteren zur Nachahmung heraus.

Eine wichtige Rolle bei dieser Etablierung zum «Klassiker» spielten die Notendrucke von Petrucci.
Josquin ist der erste Komponist der Musikgeschichte, dem exklusiv ein ganzer Band gewidmet wurde; Petruccis Druck von 1502, Missae Josquin, enthält fünf seiner Messen. Daraus lässt sich die Bedeutung ablesen, die man ihm schon zu Lebzeiten beimass. Josquin war zweifellos in das Vorhaben einbezogen und hat das neue Medium Notendruck gezielt verwendet, um seine Musik zu verbreiten. Der Messe-Band erfuhr drei Auflagen, und das heisst: Er wurde verkauft und fand ein Publikum. Dann erscheint Josquin aber auch in den Schriften von Theoretikern wie dem in Basel wirkenden Glarean, der in Josquins aufgelockerter Polyfonie das exemplarische Kompositionsmodell erblickt.

Bereits Martin Luther sagte von ihm: «Josquin ist der noten meister; die habens müssen machen, wie er wolt.»
Auch von Autoren ausserhalb der Musik wird Josquin als der grosse Komponist gefeiert. Sein Einfluss reicht bis Palestrina, Orlando di Lasso und Tomás Luis de Victoria, also bis an die Schwelle des Barock.

Dann verliert seine Rezeption offensichtlich an Kraft. Wie kommt das? Das war doch bei seinen Zeitgenossen aus der bildenden Kunst wie Leonardo, Raffael und Michelangelo nicht der Fall.
Das hat vermutlich zwei Gründe. Um 1600 gibt es den grossen Paradigmenwechsel von der Polyfonie zum begleiteten Sologesang, der Monodie, wo der leidenschaftliche Ausdruck des Subjekts im Zentrum steht, und zum Generalbass. Für diesen Wechsel steht exemplarisch Monteverdi, der noch beide Stile beherrschte. Der andere Grund liegt im flüchtigen Wesen der Musik selbst. Ein Bild, einmal gemalt, bleibt lange Zeit bestehen. Aber eine Partitur verschwindet ganz einfach in der Schublade, wenn sie nicht immer wieder neu zum Klingen gebracht wird. Denn nicht zu vergessen: In der Vergangenheit wurde immer nur «Neue Musik» aufgeführt, also Stücke, die für das Hier und Jetzt komponiert wurden. Dass Orlando di Lasso in München die berühmte (und nun auch von uns programmierte) Missa «Et ecce terrae motus» von Antoine Brumel aufführte, ist eine grosse Ausnahme. Damit hat er das Werk überhaupt für die Nachwelt gerettet, denn seine Abschrift ist bis heute die einzige Quelle.

Josquin aufführen und hören

Max Nyffeler: Es waren die Komponisten, die später auch die Erinnerung an Josquins Musik wachgehalten haben.
Roland Wächter: Aber aufgeführt wurden seine Werke wie überhaupt die Musik der Renaissance nicht mehr. Dem stets grösser werdenden Publikum der neuen Epoche konnte oder wollte man das offensichtlich nicht zumuten. Erst im 19. Jahrhundert mit dem aufkommenden Historismus rückt diese Musik langsam wieder ins Blickfeld.

Heute scheint Josquin noch immer ein Fall für Spezialensembles und ein Spezialpublikum zu sein.
Absolut. Die ganze Epoche der Renaissance bildet noch immer ein Randgebiet des Musiklebens. Die letzte grosse Aneignung von alter Musik betraf Monteverdi in den Siebziger- und Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Das geschah hauptsächlich über die Oper, was die Wahrnehmung erleichterte. Doch die Musik vor 1600 ist noch immer eine Spezialangelegenheit. Die Interpreten müssen sich erst einmal in sie hineinarbeiten.

Was die Aufführungspraxis angeht, so ist ohnehin vieles noch immer unklar und bleibt es wohl auch. Neuerdings ist oft von vokal-instrumentaler Mischbesetzung die Rede, aber im Detail weiss man es offenbar nicht so genau.
Von den älteren führenden Interpreten wie dem Hilliard Ensemble, den Tallis Scholars oder Philippe Herreweghe kennen wir diese Werke in rein vokalen Versionen. Das ist sicher die hauptsächliche Möglichkeit, aber nicht die einzige. Es gibt wohl auch unterschiedliche lokale Traditionen, zum Beispiel wurde in der Sistina in Rom immer a cappella gesungen. An anderen Orten waren Instrumente dabei, es gibt entsprechende Abbildungen und Hinweise in den Quellen. Aber wie sie im Detail eingesetzt wurden, weiss man nicht. Jüngere Ensembles arbeiten heute mit Mischbesetzungen, zum Beispiel die Gruppen thélème oder The Earle His Viols von Elisabeth Rumsey, die auch bei uns auftreten.

Auch das Publikum muss erst ein Ohr für diese Musik entwickeln.
Wir haben, abgesehen von ein paar wenigen Stücken, meist keinen unmittelbaren Zugang zu ihr, ausser man geniesst einfach ihren Wohlklang und gibt sich damit zufrieden. Aber wo man Josquin heute am häufigsten findet, und zwar auf hervorragende und auch unterschiedliche Weise interpretiert, das sind die Tonträger. Hier gibt es ein grosses Angebot.

Und das verkauft sich offensichtlich. Also existiert dafür doch ein grösseres Publikum.
Nur reicht es nicht für kontinuierliche Konzertreihen. Aber der CD-Markt funktioniert. In den letzten Wochen ist mindestens ein halbes Dutzend CDs mit Musik von Josquin erschienen, was natürlich mit seinem 500. Todestag im Sommer zusammenhängt.

Eine Inspirationsquelle für die heutigen Komponisten

Max Nyffeler: Erfreulicherweise zeigen auch die Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts ein wachsendes Interesse an der Renaissancemusik.
Roland Wächter: Einer der ersten war Anton Webern, der 1906 seine Doktorarbeit über Heinrich Isaac schrieb, was sich zweifellos auf sein Strukturdenken in den späteren zwölftönigen Werken ausgewirkt hat. Zu erwähnen ist sodann das grosse Chorwerk von Ernst Krenek, Lamentatio Jeremiae Prophetae, das im Geist der alten Vokalpolyfonie komponiert ist.

Ungewöhnlich oft hat sich Klaus Huber auf Komponisten der Renaissance bezogen: 1979 in «Beati pauperes II», einer – nach seinen eigenen Worten – «Kontrafaktur» der Motetten «Beati pauperes» und «Beati pacifici» von Orlando di Lasso, 1992 in «Agnus Dei cum recordatione», einer «Hommage à Jehan Okeghem», aufbauend auf dessen «Missa prolationum», 1997 in «Lamentationes Sacrae et Profanae ad Responsoria Iesualdi» mit Bezugspunkt Gesualdo und 2006 mit dem in Luzern uraufgeführten «Miserere hominibus», das nicht nur arabische Skalen verwendet, sondern mit seinem polyfonen, instrumental/vokal gemischten Satz auch erkennbar auf Josquin rekurriert. Dies sind nur einige der von Renaissancetechniken beeinflussten Werke von Klaus Huber.

Auch Steve Reich mit seinem Bezug auf Josquins Missa «L’homme armé sexti toni» sollte nochmals erwähnt werden. Er betrachtet die hier praktizierten Verfahren als modellhaft für die Minimal Music.

In England waren es die Komponisten der sogenannten Manchester School, vor allem Peter Maxwell Davies, die die Partituren der Renaissancemeister studiert und für die eigene Musik fruchtbar gemacht haben. In diesem Fall allerdings die englischen Komponisten des 16. Jahrhunderts wie John Taverner und Thomas Tallis.

Und auch Ralph Vaughan Williams hat sich direkt auf Tallis bezogen. Man könnte wahrscheinlich in der Musik unserer Zeit noch viele solche Traditionsbezüge finden. Das zeigt, dass die Renaissance keineswegs eine historisch tote Epoche ist.

Diskografie

Neuaufnahmen 2020/21, die auch die aktuellen unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten spiegeln.

1. Rein vokale Interpretationen

The Golden Renaissance: Josquin des Prez
Missa «Pange lingua» und Motetten
Stile antico
Decca 485 1340
Josquin: Motets and Mass Movements (Motetten und einzelne Messsätze)
Brabant Ensemble
Hyperion CDA 68 321

Josquin des Prez: Missa Hercules Dux Ferrarie, Missa D’ung aultre amer & Missa Faysant regretz
The Tallis Scholars, Peter Phillips (Dirigent)
Gimell CDGIM051
(Auf der Longlist 1/2021 – Preis der deutschen Schallplattenkritik)

2. Vokal-instrumentale Interpretationen

Josquin des Prez: Adieu mes Amours
Romain Bockler (Bariton solo) und Bor Zuljan (Laute)
Ricercar RIC 403
Josquin Desprez: Stabat Mater
Motetten und instrumentale Chansons
Cantica Symphonia
Glossa GCD P31909
Le Septiesme Livre de Chansons – Chansons von Josquin Desprez
Ensemble Clément Janequin
Ricercar RIC 423

3. Rein instrumentale Interpretationen von Vokalwerken
Josquin des Prez: Inviolata
Motetten und Messsätze in Fassungen für Laute solo
Jacob Heringman, Laute und Vihuela
Inventa INV 1004

 

WEITERER LINK
Ein Youtube-Video von vielen
Hier wird die Krebsform des III. Agnus Dei aus Josquins Missa «L’homme armé sexti toni» visualisiert, indem der Zoom mit dem Bild von Raffael in der 2. Hälfte wieder rückwärts geht (siehe die Analyse im Kommentar zum Video).

Egmont verbindet Jugendliche

Il Mosaico, eines der führenden und traditionsreichsten Jugendorchester der Schweiz, und sein New Yorker Partnerorchester produzieren ein transatlantisches Onlinekonzert.

Die beiden Orchester 2018 in New York Foto: zVg

Es gibt in der Musikwelt unterschiedliche Formen der Pandemiebewältigung. Während die einen im Nichtstun verharren und mit dem Lockdown hadern, versuchen andere, die Möglichkeiten, die noch bleiben, zu nutzen. Il Mosaico, das erfolgreiche Schweizer Jugendorchester, gehört zu den Letzteren. Es tat sich mit seinem Partnerorchester CMC (Chamber Music Center of New York) zusammen, mit dem es in den vergangenen Jahren wiederholt Austauschprogramme durchgeführt hatte, und nahm nicht nur die Egmont-Ouvertüre auf, sondern verarbeitete die besondere Entstehungsgeschichte online als Video unter dem Titel A Virtual Orchestra Across the Ocean. Die Idee dazu hatte Mary Jo Pagano, die Direktorin des CMC.

Goethe hat in seinem Egmont den Freiheitskampf der Niederländer gegen Spanien im 16./17. Jahrhundert thematisiert. Der Gedanke des Auflehnens gegen einen Unterdrücker passt gut zum gegenwärtigen Kampf der Menschheit gegen das Virus. Der Geiger Hermann Ostendarp, Gründer und seit nunmehr 31 Jahren Leiter des Mosaico, meint dazu: «Ich bin nicht so Fan von diesen Onlineformaten, aber die Jugendlichen müssen ein Ziel haben. Es geht darum, die Musik nicht verstummen zu lassen in dieser schwierigen Zeit.» Im vergangenen Jahr war unter anderem eine Konzertreise in die Ukraine geplant, doch der überraschende Lockdown im März machte die Pläne zunichte. Nichtstun war keine Option, denn die jugendlichen Musikerinnen und Musiker bleiben im Schnitt nur drei bis vier Jahre im Orchester, da wiegt ein Ausfall von einem Jahr sehr schwer.

Professionelle Technik

Im April/Mai wurde aufgezeichnet. Im fertigen Video sind amerikanische und Schweizer Orchestermitglieder zu sehen und zu hören, wie sie allein für sich in ihren Zimmern ihre Stimmen spielen. Wie kann es sein, dass alles absolut synchron daherkommt und erst noch toll klingt? Ostendarp erklärt: «Wenn beispielsweise das Concertgebouw-Orchester eine solche Produktion macht, nimmt es eine frühere, eigene Aufnahme des Stücks und spielt dazu.» Eine eigene Aufnahme der Egmont-Ouvertüre des Mosaico oder des CMC existierte nicht. Deshalb hat Sibylle Johner, die Dirigentin des CMC, bei einer anderen, bestehenden Aufnahme die Anfänge und Übergänge so eingezählt, dass saubere Einsätze möglich wurden – ein Dirigent war somit nicht notwendig. «Unsere Orchestermitglieder haben sich mit viel Enthusiasmus eingebracht, mit grosser Hingabe alleine die oftmals anspruchsvollen Parts sehr gut geübt. Sie erlebten die digitale Zusammenarbeit sowohl als spannend wie auch als bereichernd.» Nach einem Monat – jede Woche wurden zwei Minuten aufgenommen – wurden die Aufnahmen nach New York geschickt und durch das Spiel der amerikanischen Jugendlichen ergänzt. Der Audio Engineer und Video Editor Sean Brekke besorgte den Rest, korrigierte Fehler, optimierte den Sound und stimmte Videobilder und Ton aufeinander ab. Das eigentliche Musikvideo wurde ergänzt durch ein Making-of, realisiert vom mehrfach Emmy-gekrönten Kameramann Martin Taube. Ihm gelang ein höchst emotionales Porträt mit intensiven Bildern und zu Herzen gehenden Interviews vor dem Hintergrund eines seuchengeplagten New York.

Strukturierter Aufbau

Im Jahr 1990 gründete Hermann Ostendarp das Orchester Il Mosaico und positionierte es gleich von Anfang an als Gemeinschaftsprojekt der Musikschule und der Kantonsschule von Wattwil. Er war damals schon an beiden Schulen als Lehrer tätig und baute gut funktionierende, aufeinander abgestimmte Strukturen auf. Heute gibt es insgesamt fünf niveaumässig abgestufte Ensembles. Die drei Basisformationen werden von einem Kollegen der Musikschule geleitet. Ostendarp selber betreut neben dem Hauptorchester mit ca. 60 Mitgliedern, 35 davon Streicher, auch das Streicherensemble Vivaldissimo, in dem 15 bis 25 Jugendliche musizieren. Die Anforderungen für einen Beitritt bemessen sich an der der Skala der Stufentests. Für Vivaldissimo wird Stufe 4 bis 5, für Il Mosaico Stufe 6 verlangt.

Gemeinsame Zeit

In den wöchentlichen Proben, den jährlichen Musiklagern und den Konzertreisen verbringen die Jugendlichen sehr viel Zeit miteinander. Sie tun etwas, das sie verbindet, entdecken Musik, erleben gemeinsam Emotionen. Ostendarp hält das für das Wesentliche: «Das Soziale ist ein ganz wichtiger Punkt, fast noch wichtiger als das Musikalische. Das habe ich an meinen eigenen Kindern gesehen, die alle auch Musik machen.» Viele der weit über 300 Ehemaligen begleitet das Musikmachen ein Leben lang. Zwei bis drei pro Jahr entscheiden sich für ein Musikstudium. Neben der sozialen Integration ist dem Orchesterleiter das Übernehmen von Verantwortung sehr wichtig. Die Erfahreneren betreuen die Neuen, übernehmen Registerproben oder, bei Abwesenheit des Dirigenten, gar die ganze Probenarbeit.

Planen ist schwierig in diesen Zeiten. Nächsten Juni ist das Brahms-Doppelkonzert mit Esther Hoppe, Violine, und Christian Poltéra, Cello, geplant. Das renommierte Solistenduo bietet den Jugendlichen vorgängig einen Workshop an. Das Datum für eine Konzertreise nach Florenz steht noch in den Sternen, ebenso für die im letzten Jahr versäumte Reise in die Ukraine.

A Virtual Orchestra Across the Ocean

Dokumentation
https://www.youtube.com/watch?v=Q2F9jRrYEgM
Egmont-Ouvertüre
https://www.youtube.com/watch?v=9SuLQavgji0
www.ilmosaico.ch

Zürcher Förderpreis für #workoutjazz

Der Zürcher Regierungsrat hat die kulturellen Auszeichnungen und Preise des Kantons Zürich für 2021 vergeben. Der Kulturpreis geht an den Lichtkünstler Christian Herdeg, die beiden Förderpreise an das Experi Theater und das Musikertrio «#workoutjazz».

#workoutjazz. Foto: Xaver Rüegg

Die drei Zürcher Musiker Florian Kolb (*1991), Pablo Lienard (*1994) und Philipp Saner (*1991) vereinigen im Kollektiv «#workoutjazz» (ehemals White Pulse) eine Vielfalt stilistischer Hintergründe und künstlerischer Herangehensweisen. Das Trio zeichnet sich durch eine Mixtur aus Elementen freier Improvisation, Neuer Musik, Jazz sowie experimental Rock und Punk aus und kreiert so eine eigene musikalische Sprache.

«#workoutjazz» gehöre zu den spannendsten jungen Jazzformationen der Zürcher Szene, schreibt der Kanton. Darüber hinaus seien die Mitglieder als Vernetzer und organisieren Konzerte wie den legendären White Pulse-Marathon: Rund sechzig Musikerinnen und Musiker aus allen möglichen Stilbereichen spielen da Schlag auf Schlag dreiminütige Sets. Das Konzept der radikalen Verdichtung durch hochqualitative Musik unterschiedlicher Genres sorgt für ein faszinierendes Musikerlebnis. Der Förderpreis ist mit 30’000 Franken dotiert.

Originalartikel:
https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2021/02/christian-herdeg-erhaelt-den-kulturpreis-des-kantons-zuerich.html

Kulturabbau bei SRF

Der Schweizer Musikrat findet es nicht akzeptabel, dass die Sparmassnahmen des Unternehmens mit Servic-public-Auftrag ohne Einbezug der Musikbranche verhängt wurden.

Die SRF Kulturabteilung arbeitet im Basler Meret-Oppenheim-Hochhaus. Foto: EinDao/WikiCommons

In seiner Mitteilung vom 11. Februar schreibt der Musikrat: «Das Kulturleben und insbesondere auch der Live-Musikbereich liegen im behördlich verordneten Winterschlaf. Wann dieser endet, ist derzeit noch gänzlich unklar. Gerade in dieser ohnehin äusserst prekären und unsicheren Situation ergreift SRF Sparmassnahmen insbesondere in den Bereichen Klassik, Jazz und Film.

Dabei scheint völlig vergessen gegangen zu sein, dass der Schweizer Kultursektor und insbesondere die Kulturverbände massgeblich dazu beigetragen hatten, dass die NoBillag-Abstimmung nicht zum Desaster für die SRG wurde. Die zentrale Rolle der SRG hinsichtlich der Verbreitung und der Produktion schweizerischer Kultur wurde von den Akteurinnen und Akteuren im Kulturbereich damals anerkannt und mit dem Engagement gegen die Initiative gewürdigt.

Es ist für den Musikrat unverständlich, dass SRF vor dem Ergreifen solch einschneidender Sparmassnahmen die betroffenen Kreise aus der Branche nicht mit einbezieht. Ein Unternehmen, welches einen Service public-Auftrag hat, sollte nicht ohne die Betroffenen agieren. Dazu die Präsidentin des Schweizer Musikrates, Rosmarie Quadranti: ‹Es ist stossend, wenn man als Betroffene über so wichtige Entscheide immer erst im Nachhinein informiert wird. Das schadet einer Partnerschaft sehr.›»
 

Chailly verlängert Luzerner Vertrag

Riccardo Chaillys Vertrag als Chefdirigent des Lucerne Festival Orchestra wird bis Ende 2026 verlängert. Als Nachfolger Claudio Abbados hatte er die Leitung des traditionsreichen Orchesters von Lucerne Festival im Sommer 2016 übernommen.

Riccardo Chailly. Foto: Lucerne Festival / Marco Borggreve

Bei Lucerne Festival war Riccardo Chailly seit 1988 konti­nuierlich zu Gast, als Chefdirigent des Royal Concertgebouworkest und des Gewandhausorchester Leipzig. Seit 2016 steht er an der Spitze des Lucerne Festival Orchestra.

Das im August 2003 gegründete Orchester setzt sich aus international renommierten Solisten, Kammermusikern und Musikprofessoren sowie Mitgliedern des Mahler Chamber Orchestra und der Filarmonica della Scala zusammen. Claudio Abbado hatte bis zu seinem Tod im Januar 2014 die künstlerische Leitung dieses «Orchesters der Freunde» inne, wie er es selbst nannte.

«Musik in Krisenzeiten»

Für die erste Neuauflage des digitalen Schweizer Jahrbuchs für Musikwissenschaft ruft das Herausgeberinnen-Team zur Einreichung von Beitragsvorschlägen mit dem Schwerpunkt «Musik in Krisenzeiten» sowie Miniartikeln zu aktuellen Schweizer Forschungsprojekten abseits des Oberthemas auf.

Foto: Robert Metz / unsplash.com,SMPV

«Krisenzeiten und -situationen gehören zu den wesentlichen menschlichen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Erfahrungen. Obwohl sie Ausnahmesituationen darstellen, sind sie dennoch permanent vorhanden und dies nicht nur in Gebieten, die ständig von Hunger, Krieg und Krankheiten heimgesucht werden, sondern auch in Überflussgesellschaften. Krisen zeigen sich dabei in unterschiedlichsten Ausformungen, werden auf verschiedene Weisen wahrgenommen und verarbeitet.

Angesichts der fundamentalen Wesenhaftigkeit von Krisen ist es nur folgerichtig nach ihren Beziehungen zur Musik zu fragen. Bereits die grundsätzliche gesellschaftliche Bedingtheit der beiden Phänomene Musik und Krise lässt die Behauptung zu: Musik und Krise stehen in einem komplexen wechselseitigen Verhältnis. (…)

Beitragsvorschläge mit einem Umfang von max. 300 Wörtern (in deutscher, italienischer, französischer, rätoromanischer oder englischer Sprache) sind bis zum 1. März 2021 an info(at)smg-ssm.ch zu senden. Die Rückmeldung mit der Entscheidung über die Aufnahme erfolgt voraussichtlich Anfang April 2021, die Abgabe der fertigen Beiträge wird bis zum 15. Juli 2021 erbeten.»

Weitere Informationen:
https://www.smg-ssm.ch/smg-ssm/aktuell/newsarchiv/details/news/call-for-contributions-musik-in-krisenzeiten-schweizer-jahrbuch-fuer-musikwissenschaft-sjm-2021/
 

Mit Neurolinguistik gegen Tinnitus

Neuere Erkenntnisse von Neurolinguisten der Universität Zürich erlauben möglicherweise innovative Therapieansatz gegen Tinnitus. Eine Rolle spielt dabei der Abgleich von Hirnarealen mit Hilfe von Gamma-Wellen.

Foto: Franco Antonio Giovanella/unsplash.com (s. unten),SMPV

Unsere Ohren sitzen auf gegenüberliegenden Seiten des Kopfes und die meisten Töne erreichen die Ohrmuscheln zeitlich leicht versetzt. Obwohl beide Hälften also die Informationen zeitlich verschoben erhalten und unterschiedliche Sprachmerkmale verarbeiten, integriert das Gehirn das Gehörte zu einem einzelnen Sprachlaut.

Der genaue Mechanismus hinter diesem Integrationsprozess war bis jetzt nicht bekannt. Eine Rolle spielen aber sogenannte Gamma-Wellen. Den Neurolinguisten ist es nun gelungen, einen direkten Zusammenhang zwischen der Integration des Gehörten und der Synchronisierung durch Gamma-Wellen nachzuweisen. Neben der der UZH waren an dem Projekt auch Forschende aus den Niederlanden und Frankreich beteiligt.

Die Resultate unterstützen die Idee, dass die durch Gamma-Wellen vermittelte Synchronisation zwischen verschiedenen Hirnarealen ein grundlegender Mechanismus für die neuronale Integration ist. Frühere Studien zeigen, dass Störungen der Verbindung zwischen den beiden Hirnhälften mit auditiven Phantomwahrnehmungen wie Tinnitus und Stimmenhören einhergehen. Somit könnte die elektrische Hirnstimulation einen vielversprechenden Weg für die Entwicklung von therapeutischen Interventionen darstellen.

 

Literatur:
Preisig BC, Riecke L, Sjerps M, Kösem A, Kop BR, Bramson B, Hagoort P, Hervais-Adelman A. Selective modulation of interhemispheric connectivity by transcranial alternating current stimulation influences binaural integration. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2015488118

Die neue Art, Noten zu vertreiben

«Scodo» heisst ein neues Publishing-Tool der Universal Edition. Es ermöglicht Komponierenden weltweit, ihre Werke digital oder gedruckt einem grossen Kreis von Interessierten zugänglich zu machen.

Foto: Universal Edition,SMPV

Komponistinnen und Komponisten stehen gegenwärtig auf dem engen Markt der klassischen Musik vor vielen Herausforderungen. Neben den innermusikalischen Erwägungen zu ihren Werken stellt sich die Frage, wie ihre Stücke den Weg zu potenziellen Interpreten finden. Gleichzeitig müssen sie sich um administrative Notwendigkeiten und um das Rechtemanagement kümmern.

Mit Scodo hat die Universal Edition auf diese Situation reagiert: Der internationale Wiener Musikverlag bietet mit diesem Publishing-Tool allen Komponierenden die Möglichkeit, in seinem weltweit etablierten Katalog zwischen namhaften Musikgrössen wie Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Pierre Boulez und Arvo Pärt zu erscheinen.

Den Komponistinnen und Komponisten wird ein neues, einfach zu bedienendes und flexibles Webtool zur Publikation ihrer Noten zur Verfügung gestellt. Mit nur wenigen Klicks können Musikschaffende jederzeit ein neues Werk veröffentlichen, das weltweit über die Webseite der Universal Edition bezogen werden kann. Alle über Scodo publizierten Noten können nicht nur gedruckt werden, sondern werden über UE now auch digital angeboten.

Der Musikverlag mit über 100-jähriger Geschichte bleibt mit Scodo am Puls der Zeit und bietet die ganze Vielfalt des modernen Musikvertriebs an.

Mehr Informationen finden Sie unter www.universaledition.com/scodo
 

Impulse für die Musikwissenschaft

Die Uni Heidelberg, die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim und die Heidelberger Akademie der Wissenschaften haben ein Forschungszentrum ins Leben gerufen, das die Weiterentwicklung der universitären Lehre im Fach Musikwissenschaft, etwa im Bereich der Digitalen Edition, weiterentwickeln soll.

Palais Hirsch in Schwetzigen, Standort des neuen Forschungszentrums. Foto: Hermann Luyken (s. unten),SMPV

Das Forschungszentrum «Hof – Musik – Stadt» hat zu Jahresbeginn seine Arbeit aufgenommen. Unter dem Dach der gemeinsamen Einrichtung werden Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftler der Frage nachgehen, wie sich höfische und städtische Musik im südwestdeutschen Raum entwickelt und wechselseitig beeinflusst haben.

Zentraler Bestandteil der Aktivitäten ist ausserdem die Weiterentwicklung der universitären Lehre im Fach Musikwissenschaft, etwa im Bereich der Digitalen Edition. Das in Schwetzingen angesiedelte Zentrum wird von Christiane Wiesenfeldt (Heidelberg) und Panja Mücke (Mannheim) geleitet.

Mehr Infos:
http://www.hofmusikstadt.de/

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