Kämpferischer Idealist

Nicht nur mit der Gründung des Kammerorchesters Zürich hat Alexander Schaichet die Schweizer Musikszene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bereichert. Die von Irene Forster und Esther Girsberger herausgegebene Biografie beeindruckt auch durch die Zeugnisse ehemaliger Schülerinnen und Schüler.

Irma Löwinger und Alexander Schaichet auf dem Zürichsee, 1918. Foto: Zentralbibliothek Zürich, Musikabteilung, Mus NL 38

Eine Biografie ist immer heikel: Hier die Person, die natürlich im Mittelpunkt stehen sollte. Dort die gesellschaftlichen, damit auch kulturellen Verhältnisse, die Handlungsmöglichkeiten eröffnen, aber auch einschränken. Alexander Schaichet (1887–1964) war eine starke Persönlichkeit. Aber selbst dem herausragenden Dirigenten, Geiger und Bratschisten waren so manches Mal die Hände gebunden, wenn die harte Realität zuschlug.

Der kurzweilige Sammelband Zivilstand Musiker – Alexander Schaichet und das erste Kammerorchester der Schweiz liest sich wie der kämpferische Weg eines unermüdlichen Idealisten. Schaichet «strandete» 1914 in Zürich. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhinderte die Rückkehr nach Jena, wo er schon mit 25 Jahren eine Stelle als Konzertmeister hatte. Für die Musikszene Zürichs wurde Schaichet zum Glücksfall, vor allem durch die Gründung des Kammerorchesters Zürich im Jahr 1920.

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Fröhliche Feier des Kammerorchesters Zürich nach einer Aufführung vom 29.November 1928 mit dem Wunderkind Annie Fischer im Zunfthaus zur Waag. Vorne sitzend in der Mitte, zwischen Irma und Alexander Schaichet Annie Fischer. Foto: Zentralbibliothek Zürich, Musikabteilung, Mus NL 38

Unter widrigen Bedingungen spielte das kleine Orchester selbst sperrige Werke der damaligen Avantgarde. Dass Schaichet aufgrund ständiger Finanzierungsprobleme mit Amateuren Vorlieb nehmen musste, war für damalige Kritiker kein Grund, ihre Verrisse zu relativieren. Ernst Isler, ein Rezensent der NZZ, ging 1925 offenbar so weit, die Existenzberechtigung des Kammerorchesters in Frage zu stellen. Völlig zu Recht wehrte sich Schaichet gegen solche Übergriffe. In seinem Brief an Isler stellte er eine beredte Frage, die auch sein eigenes Engagement pointiert: «Glauben Sie, dass ein Erlebnis sich von der technisch vollkommenen Beherrschung leiten lässt?»

Trotz einer unbändigen Energie ihres Gründers war es 1943 vorbei mit dem Kammerorchester. Der auch gegen Schaichet gerichtete Antisemitismus sowie die Konkurrenz mit dem ungleich reicheren Collegium Musicum liessen in Zürich im wahrsten Sinne kaum noch Spielräume.

Der gründlich lektorierte und reich atmosphärisch bebilderte Sammelband besticht durch einen persönlichen Ton. Nicht nur die abgedruckten Erinnerungen ehemaliger Schüler und Schülerinnen tragen dazu bei; auch die Texte von Verena Naegele, Michael Eidenbenz, Dieter Ulrich und Peter Hagmann sind sehr anschaulich, bieten Musikgeschichte als Kulturgeschichte und weben die Person Schaichet geschickt ein. Neben weiteren Informationen sind sämtliche Konzertprogramme aus den 23 Jahren des Bestehens des Zürcher Kammerorchesters auf der Website https://schaichet.ch/de/ einzusehen.

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Zivilstand Musiker – Alexander Schaichet und das erste Kammerorchester der Schweiz, hg. von Esther Girsberger und Irene Forster, 216 S., 60 Abb., Fr. 39.00, Verlag Hier und Jetzt, Zürich 2020, ISBN Druckausgabe 978-3-03919-481-0

Tramontana – Auf Pirsch 2021

Das Trio Tramontana sucht neue Werke für seine Besetzung. Projekte können bis am 28. Februar gemeldet werden.

Open Call 2021 des Trio Tramontana. Foto: Tramontana,SMPV

Mathilde Bernard (Harfe), Aurora Pajón Fernández (Querflöte) und Alejandra Martín Hernández bilden seit einigen Jahren das Trio Tramontana. Für das diesjährige Projekt suchen sie mannigfaltige Ideen und Formate, die einen musikalischen Kern vorweisen und die Besetzung des Trios berücksichtigen. Bedingung ist: 2021 Wohnsitz in der Schweiz. Die gemeinsame kreative Arbeit ist eines der Hauptziele. Bewerbungen sind bis spätestens am 28. Februar einzureichen.

Detaillierte Informationen:

https://tramontanamusik.ch/fr/tap-21/

Wegweisende (Neu-)Kontextualisierung

Leila Zickgraf setzt in ihrer Dissertation zum ersten Mal Strawinskys epochemachendes Choreodrama in Bezug zur sogenannten Theaterreform um 1900 und eröffnet so einen interdisziplinären Zugang.

Elemente aus dem Buchcover

Es mag den disziplinären Grenzen von Musik- und Theater- resp. Tanzwissenschaft geschuldet sein, dass sowohl Igor Strawinskys Musik als auch Vaclav Nijinskis Choreografie von Le Sacre du Printemps zwar in ihren Fachdisziplinen unbestritten als epochale Novitäten gelten, das «Gesamtkunstwerk» und seine Entstehung jedoch nie umfassend in einen kulturhistorischen Kontext gestellt wurden. Leila Zickgraf hat in ihrer Dissertation nun eine Gesamtschau unternommen. Die Verbindungen von führenden Figuren der Ballets Russes zu den treibenden Kräften der (pan-)europäischen Theaterreform um 1900 und deren Reformideen – besonders zu Georg Fuchs und Edward Gordon Craig – sind durch eine Vielzahl an Dokumenten belegt. Daher ist Zickgrafs Erstaunen, dass es bisher nicht zu einer entsprechenden Kontextualisierung gekommen ist, nur allzu verständlich.

In akribischer Detailarbeit baut die Autorin ihre Argumentation auf und erzählt so eine – verglichen mit der bisher angenommenen – mindestens so plausible und in ihrer Informationsfülle anschaulich nachvollziehbare Geschichte der Entstehung des Sacre und der ihm zugrunde liegenden ästhetischen Bestrebungen. Viel Hintergrundwissen zu den Ballets Russes und ihren Bezügen zur Theaterreform sowie wichtige Exkurse in die Theaterreformbewegung machen die Lektüre zwar zunehmend komplex, doch führt die Autorin die Lesenden meistens gekonnt. Der sehr umfangreiche Fussnotenapparat mag auf den ersten Blick abschrecken und den Lesefluss ins Stocken bringen, er stützt die Argumentation jedoch mit zahlreichen Brief- und Rezensionsauszügen auch auf Russisch (inkl. Übersetzung). Am Schluss konstatiert Zickgraf: «Der Sacre kann ohne die Theaterreform nicht vollständig verstanden werden. Nicht nur hatten sich Strawinsky und Nijinski hierfür dezidiert mit einigen ihrer zentralen Forderungen auseinandergesetzt; auch die oft beschworene radikale Modernität des Werks muss zwingend auf sie zurückgeführt werden.» (S. 210) So setzt die Autorin einen beachtlichen Teil des Puzzles zum Verständnis des Sacre zusammen und schafft ein zukunftsweisendes Beispiel interdisziplinärer Forschung zwischen historischer Musik-, Tanz- und Theaterwissenschaft.

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Leila Zickgraf: Igor Stravinskijs Theater der Zukunft. Das Choreodrama «Le Sacre du Printemps» im Spiegel der Theaterreform um 1900, 280 S., € 99.00, Wilhelm Fink, Paderborn 2020. Open Access: https://doi.org/10.30965/9783846764596

Sonate eines 19-Jährigen

Diese handwerklich erstaunlich reife Komposition des jungen Hermann Suter bereichert den schmalen Fundus an schweizerischen Orgelwerken aus jener Zeit.

Hermann Suter (1870-1926). Foto: wikimedia commons

Sein grosses Oratorium Le Laudi di San Francesco d’Assisi erscheint hie und da auf Konzertprogrammen, andere Werke sind hingegen selten zu hören. Umso verdienstvoller also, dass zum 150. Geburtstag des Schweizer Spätromantikers Hermann Suter (1870–1926) dessen frühe Orgelsonate in D-Dur zum ersten Mal im Druck erscheint. In Kaiserstuhl geboren und in Laufenburg aufgewachsen, wirkte Suter zunächst in Zürich, u.a. als Organist der Kirche Enge und als Lehrer am Konservatorium. 1902 führte ihn sein Weg nach Basel, wo er Chöre und Orchester leitete und als Direktor von Konservatorium und Musikschule amtete. In jungen Jahren trat Suter noch relativ regelmässig als Organist in Erscheinung; so war er massgeblich an der Konzeption der ersten Orgel im Basler Stadtcasino beteiligt und hatte dort 1906 auch seinen letzten Auftritt als Konzertorganist. Seine D-Dur-Orgelsonate brachte der erst 19-Jährige während seines Studiums in Stuttgart in erstaunlich kurzer Zeit zu Papier; ein ausgezeichnetes Vorwort des Herausgebers Matthias Wamser skizziert die Entstehungsgeschichte des dreisätzigen Werks.

Auch wenn die Sonate noch ganz dem klassischen Vorbild folgt und wenig Eigenständigkeit zeigt, staunt man doch über das satztechnische Handwerk des jungen Komponisten, der im ersten Satz aus einer kurzen Einleitungsgeste das Material für die beiden kontrastierenden Themen gewinnt und in der abschliessenden Fuge auch Engführungen, Umkehrung und Augmentation des Themas einsetzt. Besonders schön: der zweite Satz, den Suter und einige seiner Kollegen nachgewiesenermassen auch einzeln aufführten und von dem die Neuausgabe auch eine in den Vortragsbezeichnungen abweichende zweite Abschrift wiedergibt.

Das Werk bietet keine besonderen spieltechnischen Schwierigkeiten und lässt sich auch für Instrumente adaptieren, die nicht zwingend den Registerfundus einer grossen spätromantischen Orgel aufweisen. Da das Autograf bei der Universitätsbibliothek Basel online konsultierbar ist, wurde auf die Wiedergabe der darin überlieferten Registrierungshinweise verzichtet; der Herausgeber kommentiert diese aber kurz und verweist auf die entsprechenden Quellen. Fazit: eine bereichernde Ergänzung des relativ schmalen schweizerischen Orgelrepertoires aus jener Zeit.

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Hermann Suter: Sonate D-Dur für Orgel solo, hg. von Matthias Wamser, 36 S., Fr. 28.00, Verlag SKMV, Freiburg

Vielfalt als Förderkriterium

Die Abteilung Kultur Basel-Stadt macht sich ab März 2021 mit vier Basler Kulturinstitutionen, darunter das Neue Orchester Basel, auf den Weg, Kultur divers zu gestalten. Erstmals wird die Öffnung von Kulturbetrieben umfassend angegangen.

Foto: Kristina Kruzkova/unsplash.com (s. unten)

Von 2021 bis 2023 werden das Kunstmuseum, die Kaserne, das Literaturhaus und das Neue Orchester Basel mit externen Fachpersonen an ihrer Öffnung für die diverse Basler Stadtgesellschaft arbeiten. In Basel leben derzeit rund 75‘000 Menschen ohne Schweizer Pass. Damit verfügt ein Grossteil der Bevölkerung über eine familiäre Migrationsgeschichte in der Biographie. Diese Facette der Diversität spiegelt sich jedoch kaum wider, wenn es um die Gestaltung der Kultur geht. Der Fokus des Projekts liegt entsprechend auf Programm, Kuration, Kommunikation, Publikumsentwicklung und Personalschulungen.

«Kultur divers gestalten» ist ein Partnerprojekt der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia im Rahmen der Initiative «Interkulturelle Gesellschaft». Im Oktober 2019 konnten interessierte Kantone und Städte Pilotprojekte vorschlagen, die im Sinne einer kooperativen Förderung während einer definierten Frist (eins bis drei Jahre) durch Pro Helvetia mitunterstützt werden. Die Projektidee der Abteilung Kultur wurde als eine von schweizweit vier Initiativen zur Umsetzung ausgewählt.

Originalartikel:
https://www.bs.ch/nm/2021-vielfalt-als-potential-im-kulturbetrieb-pd.html

Lieder von Komponistinnen der Romantik und Spätromantik

Die Mezzosopranistin Mojca Vedernjak und die Pianistin Stefka Perifanova zeigen auf der CD «Intoxication» ein breites Spektrum an Liedschaffen von Frauen.

Luise Greger (1862-1944), deutsche Pianistin, Komponistin und Sängerin. Foto: Fotograf unbekannt / wikimedia commons

Die Lieder, die das Duo Mojca Vedernjak (Mezzosopran) und Stefka Perifanova (Klavier) für das Label Pianoversal aufgenommen hat, zeigen ein faszinierendes Panorama der Kreativität von Komponistinnen der Romantik und Spätromantik.

Fanny Hensel, Clara Schumann und Pauline Viardot, die zu den bekanntesten Komponistinnen des 19. Jahrhunderts zählen, haben ein umfangreiches Liedschaffen hinterlassen: Fanny Hensel hat ihre feinsinnigen Vertonungen von Gedichten Lord Byrons in der englischen Originalsprache belassen; dadurch sind sie eine Ausnahme in ihrem Œuvre. Man kann nur bedauern, dass Clara Schumann nach dem Tod ihres Mannes das Komponieren aufgegeben hat, wenn man ihre eindrücklichen Lieder auf Texte von Rückert, Heine und Burns hört. Pauline Viardot schätzte Mörikes Lyrik als «die grösste und echteste in der gesamten deutschen Poesie nach Goethe». Die drei hier aufgenommenen Lieder sind gute Beispiele für ihre sensible Charakterisierungs- und Psychologisierungskunst.

Luise Gregers kraftvolle Musik ist noch wiederzuentdecken, nachdem sie bis in die 1930er-Jahre oft aufgeführt wurde. Im Unterschied zu anderen Komponistinnen geniesst Dora Pejačević in ihrer Heimat Kroatien grosses Ansehen. Das kroatische Musikinformationszentrum hat alle ihre Werke, darunter auch ihre zahlreichen Lieder, in vorbildlichen Editionen neu herausgegeben. Der weiteren Verbreitung ihrer Lieder, gerade auch der hier aufgenommenen Drei Gesänge op. 53 von 1919/20 nach Gedichten von Friedrich Nietzsche, sollte eigentlich nichts im Wege stehen. Pejačevićs raffinierte Harmonik leuchtet die Texte subtil aus. Von Alma Mahlers Kompositionen sind die meisten verschollen. Die Fünf Lieder der Schülerin von Josef Labor und Alexander Zemlinsky wurden 1910 auf Initiative von Gustav Mahler veröffentlicht. Sie sind dem Wiener Fin-de-siècle-Stil verpflichtet.

Die Lieder der sechs Komponistinnen sind schon öfters eingespielt worden. Die vorliegende Aufnahme ist keine Alternative dazu, obwohl sich die Interpretinnen hörbar intensiv mit den Werken beschäftigt haben. Manche agogischen Freiheiten, die sich die Künstlerinnen nehmen, sind vom Text her nicht angezeigt. Kleine Intonationstrübungen und gelegentlich nicht ganz korrekte Aussprache sieht man der Sängerin gerne nach, aber ihr Vibrato hätte sie ganz entschieden zügeln müssen. Leider klingt die Stimme auch ab der oberen Mittellage angestrengt und scharf. Stefka Perifanova begleitet die Lieder profiliert und klangschön, sie kann aber die Defizite der Aufnahme nicht wettmachen. Der Abdruck der Liedtexte im Booklet wäre wünschenswert gewesen, vielleicht auf Kosten der umfangreichen vergleichenden Zeittafel mit Fakten aus dem Leben der Komponistinnen.

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Intoxication: Lieder von Fanny Hensel, Clara Schumann, Pauline Viardot, Luise Greger, Dora Pejačević und Alma Mahler. Mojca Vedernjak, Mezzosopran; Stefka Perifanova, Klavier. Pianoversal PV105

Poetisch und spielerisch

Rezitativische Klangrede prägt «Airs» von Heinz Holliger; dialogische Episoden und ein Rufmotiv bestimmen «Duett» von Rudolf Kelterborn.

Foto: Birger Strahl / unsplash.com

Sieben Gedichte von Philippe Jaccottet aus dessen Gedichtzyklus Airs vertont Heinz Holliger in seiner gleichnamigen Sammlung für zwei Oboeninstrumente. Im Vorwort erklärt der Komponist, dass die Texte auf mannigfache Weise «zum Klingen gebracht werden», dass sie «wie von einer Singstimme gesungen» sein sollen. Und weiter: «Oboe und Englischhorn deklamieren den Text», «eine rezitativische Klangrede» oder «dem Inhalt nach von Oboe und Englischhorn in Klang verwandelt».

Die Ausgabe wurde vom Schott-Verlag mit grosser Sorgfalt und in übersichtlichem Druck gestaltet. Die Gedichte sind als Untertitel oder im Notentext integriert abgedruckt, wodurch die Textausdeutung in jedem Stück einleuchtend vermittelt wird.

Die Stücke führen die Ausführenden in praktisch sämtliche denkbaren Extreme (Dynamik, Ambitus, Klangfarben, Espressivo) und fordern dazu auf, die Grenzen der Instrumente zu erforschen. Die Arbeit lohnt sich, denn man erhält dafür einen 25-minütigen Hochgenuss an poetischem Ausdruck, magischen Klängen und eindrücklichen Momenten.

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Spielerischer und leichter zugänglich ist demgegenüber das neue Duett für Oboe und Englischhorn von Rudolf Kelterborn. Der lakonische Titel bezeichnet ein episodisch-unterhaltsames Stück, das zunächst durch ein immer wieder auftretendes «Rufmotiv» der Oboe geprägt ist. Abwechselnde dialogische Situationen werden durchgespielt, melodisch imitierend, kontrastierend, oftmals mit violente, espressivo und furioso bezeichnet und auch ins Unisono führend. Eine geräuschhafte Passage in der Mitte der Komposition wird beendet mit dem letztmals auftretenden Rufmotiv. Mehrfach wird man danach in die Irre geführt, weil man den Beginn einer Fuge zu erkennen glaubt, und gegen das Ende hin wird es auch noch richtig virtuos.

Schade, dass das 9-minütige Stück vom Bärenreiter-Verlag eher lieblos editiert wurde: Zwei Stapel von Einzelblättern als Manuskriptkopien in mittlerer Qualität, das ist weniger, als man heutzutage erwarten darf. In ungefähr drei Tagen könnte jemand, der sich professionell mit Notensatz beschäftigt, eine perfekte Ausgabe herstellen, die sich als blätterbares Heft edieren liesse. Der Schott-Verlag hat (bei ungleich grösserem Satzaufwand) vorgemacht, wie es gehen könnte!

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Heinz Holliger: Airs. Sieben Gedichte, Lesung für Oboe und Englischhorn, OBB 55, € 19.00, Schott, Mainz

Rudolf Kelterborn: Duett für Oboe und Englisch Horn, BA 11409, € 37.50, Bärenreiter, Kassel 

Standardwerke neu herausgegeben

Kompositionen für Horn mit Orchester oder Klavier von Richard Strauss, Carl Maria von Weber und Johann Baptist Georg Neruda sind bei G. Henle erschienen.

Richard Strauss um 1888. Fotograf unbekannt / wikimedia commons

Dass Richard Strauss in allen seinen Orchesterwerken und Opern dem Horn zentrale Aufgaben zuwies, ist sicher damit zu erklären, dass er mit dem Klang dieses Instruments seit seiner Kindheit vertraut war. Sein Vater Franz Strauss war Solohornist im Münchner Hoforchester und in dieser Zeit einer der hervorragendsten Vertreter des Waldhornspiels. Der 18-jährige Komponist schrieb also das vorliegende Hornkonzert zuerst in der Fassung für Horn und Klavier für seinen Vater, der es aus Gesundheits- und Altersgründen nicht mehr aufführen konnte. Nach Fertigstellung einer Orchesterpartitur interessierte sich der Dirigent Hans von Bülow, ein grosser Förderer des jungen Strauss, für dieses Werk. Bei der Druckausgabe der Orchesterfassung widmete Richard Strauss das Hornkonzert Oscar Franz, dem Ersten Hornisten der » königlichen musikalischen Kapelle» in Dresden und selbst Verfasser eines heute noch gebräuchlichen Unterrichtswerks , der Grossen theoretisch-practischen Waldhorn-Schule, der es in Dresden spielte. Die vorliegende Ausgabe, samt Vorwort, wurde nach akribischen Quellenstudien von Peter Damm betreut.

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Zur silbernen Hochzeit seiner Eltern am 29. August 1888 schrieb Richard Strauss das Andante C-Dur für Horn und Klavier op. posth., das zeitlich in der Periode der ersten sinfonischen Dichtungen Don Juan, Macbeth und Tod und Verklärung anzusiedeln ist und die klanglichen Möglichkeiten des Horns voll zur Geltung bringt.

Drei- oder vierstimmige Akkorde auf dem Horn zu spielen, indem man einen Ton anbläst und gleichzeitigt in höherer Lage dazu singt und damit weitere Akkordtöne zum Klingen bringt: eine Technik des zwanzigsten Jahrhunderts? Diese «Effekthascherei», wie Kritiker damals monierten, wurde von Hornvirtuosen schon in der klassischen Zeit angewendet. Sie wird, nebst Beherrschung weiterer technischer Kapriolen, von den Spielenden in Carl Maria von Webers Opus 45 verlangt. Man darf gar nicht daran denken, dass der Komponist, der Ventilhörer nicht goutierte, dieses Werk für das damals gebräuchliche ventillose Horn geschrieben hat. Weber komponierte dieses Concertino e-Moll für den Hornisten der Münchner Hofkapelle Sebastian Rauch. Daneben verfasste er weitere Solokonzerte für die Bläsersolisten dieses Orchesters: «… das ganze Orchester [ist] des Teufels und will Concerte von mir haben.»

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Benda, Koželuh, Dussek und eben Neruda waren die führenden böhmischen Komponisten im Europa des achtzehnten Jahrhunderts. Nach Verlassen seiner Heimat war Johann Baptist Georg Neruda als Violinist der Dresdener Hofkapelle tätig und lernte dort die hervorragenden Hornisten Hampel, Houdek und Knechtel, allesamt aus Böhmen stammend, kennen. Für Letzteren schrieb er sein Hornkonzert. Johann Georg Knechtel, ebenfalls Verfasser eines Hornkonzerts, konzentrierte sein Spiel vorwiegend auf die hohen Register des Instruments. Er musste aber seine Tätigkeit als Hornist, vielleicht auch deshalb, relativ früh aufgeben und wurde als Violoncellist weiter beschäftigt. Die Solostimme des Hornkonzerts von Neruda bewegt sich ebenfalls in extrem hohen Lagen, und das Stück wird wohl noch heute von wenigen Hornspielenden ausgeführt werden. Aber zum Glück legt der Verlag eine Trompetenstimme bei.

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Richard Strauss: Hornkonzert Nr. 1 Es-Dur op.11, hg. von Peter Damm; Klavierauszug von Johannes Umbreit: HN1253, € 20.00; Studienpartitur, HN 7253, € 17.00

Richard Strauss: Andante C-Dur für Horn und Klavier, hg. von Dominik Rahmer, HN 1332, € 12.00

Carl Maria von Weber: Concertino e-Moll op.45 für Horn und Orchester, hg. von Dominik Rahmer, Klavierauszug von Johannes Umbreit, HN 1179, € 15.00

Johann Baptist Georg Neruda: Konzert für Horn (Trompete) und Streicher Es-Dur, hg. von Dominik Rahmer, Klavierauszug von Christoph Sobanski, HN 561, € 15.00

Alle Ausgaben: G. Henle, München

 

Von Abel bis Zolotareff

Spielmöglichkeiten für Streichquartett jenseits der hundert gängigen Werke finden sich im neuen Buch von Konrad Ewald.

Foto: David Pisnoy/unsplash.com

Wie schon das Handbuch Musik für Bratsche. Das reiche Repertoire von Aaltonen bis Zytowitsch, dessen vierte Fassung 2013 erschien, ist auch das jetzt der Musik für Streichquartett gewidmete und ebenfalls selber herausgegebene Werk eine Sammlung von sehr persönlichen Erfahrungen und Empfehlungen. Der Gymnasiallehrer Konrad Ewald wirkte als Geiger und Bratschist bereits mit siebzehn Jahren in einem örtlichen Orchester mit. Später gehörte der äusserst entdeckungsfreudige Amateur mehreren Streichquartetten an, wobei er in sechs Jahrzehnten an die 1000 Werke von annähernd 400 Komponistinnen und Komponisten spielte.

Der Hauptteil des mit Titelblättern von Partituren illustrierten Buches erweist sich als eigenwilliger Führer durch die wenig bekannte Quartettliteratur. Einleitend bemerkt der Autor zu den kommentierten Werken: «Dass sie unbekannt sind, hat nichts mit ihnen zu tun, sondern mit uns. Wir kennen sie nicht. Alle haben uns etwas geschenkt (oder schenken wollen), wir haben es nicht zur Kenntnis genommen.» Zum Schreiben angeregt wurde Ewald durch die Frage: «Warum spielen die meisten Streichquartett-Formationen stets nur dieselben 100 Werke von bloss 20 Komponisten?»

Der Buchtitel bezieht sich auf das erstmals 1936 erschienene Standardwerk Das stillvergnüge Streichquartett von Ernst Heimeran, das seit der 17. Auflage von 1969 neu formulierte Werkbesprechungen von Bruno Aulich enthält. Ewald untermauert seine Empfehlungen häufig mit Zitaten aus Kammermusikführern von Wilhelm Altmann und aus Friedhelm Krummachers dreibändiger Geschichte des Streichquartetts. Er geht in den alphabetisch geordneten Beiträgen nicht nur auf spieltechnische Probleme und den musikalischen Gehalt der Kompositionen ein, sondern auch auf Neuausgaben längst vergriffener Werke und auf CD-Einspielungen.

Mit seinem fundierten Fachwissen beschämt Ewald viele ahnungslose Kammermusikprofessoren, die weder Entdeckergeist noch Leidenschaft kennen. Besonders viel Spannendes gibt es in den klugen Werkkommentaren zu entdecken, etwa bei Elfrida Andrée, Carl Czerny, beim Schweizer Frühromantiker Friedrich Theodor Fröhlich, bei Friedrich Gernsheim, Louis Théodore Gouvy, Alexander Gretschaninow, Emilie Mayer, bei den Brüdern Lachner, Friedrich Lux, Louis Massonneau, Bernhard Molique, Nikolai Mjaskowski, Ignaz Joseph Pleyel, Carl Gottlieb Reissiger, beim Beethoven-Schüler Ferdinand Ries, bei Anton Rubinstein, Anton Ferdinand Titz und Wenzel Heinrich Veit.

Ewalds Buch lässt jenen unerschöpflichen Reichtum an Quartetten erahnen, welchen Hermann Walther in seinem Verzeichnis des Streichquartetts. Streichquartettkompositionen von 1700 bis heute (Schott, Mainz 2017, vergl. Schweizer Musikzeitung 3/2020, S. 21) mit Werken von über 11 000 Komponistinnen und Komponisten ausbreitet. Wer sich eingehend mit der internationalen Streichquartettmusik beschäftigen will, kommt um beide Bücher nicht herum.

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Konrad Ewald: Was nicht im «Heimeran» steht. Weitere Spielmöglichkeiten aus dem reichen Streichquartett-Repertoire (von Abel bis Zolotareff), 224 S., Fr. 36.00, Selbstverlag Konrad Ewald, Liestal 2020, Auslieferung: Schlöhlein GmbH, Basel, ISMN 979-0-50274-999-6

Conductors

Women conductors are increasingly present in the world of classical music. This article aims to awaken vocations by reflecting on this phenomenon with the conductor Graziella Contratto.

Antoine Gilliéron – After almost twelve intense years at the head of the music section of the HKB, Graziella Contratto has just left this position. She tells us about her vision of the feminization of the profession as well as support for the next generation of women.

Graziella Contratto, wie blicken Sie auf Ihre Jahre an der KMHS zurück?

Als ich vor bald 12 Jahren in der Nachfolge von Romand Brotbeck die Leitung des Fachbereichs Musik an der HKB übernommen habe, wusste ich – und das erging wahrscheinlich vielen Kolleg*innen meiner Generation so – nicht präzise, ​​was mich erwarten würde: Ich traf auf eine eher kleine, dafür hochindividualisierte Hochschule mit mehreren Nischenangeboten, auf eine Kunsthochschule, in der Transdisziplinarität von Anfang an als eine Basis für künstlerisches Arbeiten und Ausbilden angelegt worden war. Aber ich spürte auch, dass viele der genialen Visionen meines Vorgängers noch der Umsetzung harrten. Ich selbst war damals vor allem als Dirigentin und Festivalleiterin unterwegs, hatte einige Doziererfahrungen als Musiktheoretikerin vorzuweisen und während mehr als zehn Jahren in Berlin und in Frankreich gearbeitet – es war also ganz persönlich betrachtet gleichzeitig eine Heimkehr und eine Ankunft in offenem Terrain. Dasselbe galt auch für meine Mitwirkung an der KMHS.

Quel regard portez-vous sur les femmes cheffes d’orchestre aujourd’hui et les défis qu’elles doivent encore affronter ?

Die aktuelle Dirigentinnengeneration erlebt gerade eine fantastische Förderphase – von Dirigierdozierenden höre ich sogar, dass junge Orchesterleiterinnen sofort eine Agentur finden, während gleichaltrige junge Männer sich zum ersten Mal um eine schärfere Profilierung kümmern müssen. Aber wie auch schon in früheren Jahren möchte ich diese Frage nicht auf die Genderebene reduzieren – wir sehen, dass Diversität auch in der Dirigierwelt angekommen ist. Noch nie war die kulturelle Herkunft der Dirigent*innen so vielfältig, nach einer längeren südamerikanischen ‚Dudamelisierung‘ und einer starken baltischen Generation werden neuerdings Chef*innen mit afrikanischen, indischen, maorischen Wurzeln viel stärker wahr- und ernstgenommen – dies belebt das interpretatorische Feld ungemein, ist aber auch eine schwere Hypothek. Für mich persönlich gilt auch in diesem Kontext, die Würde der Musik soll im Zentrum stehen, nicht die kulturelle Zugehörigkeit des oder der Dirigentin; das dirigentische Metier ist und bleibt eine Herausforderung – psychologische, ästhetische, technische und leadership-Kompetenzen bilden einen komplexen Mix, getragen von einer künstlerischen Reife, die sich nicht abkürzen lässt…..auch nicht durch ein aggressives Management….

Sie waren die erste Frau in der Konferenz: Wie zufrieden sind Sie mit den Fortschritten, die die KMHS in dieser Hinsicht gemacht hat?

Ich habe mich als weibliches Mitglied der KMHS immer sehr akzeptiert gefühlt, aber es gab natürlich Themen, in denen ich oftmals mit einer mediterranen Emotionalität reagierte – ob dies nun besonders weiblich war, müssten die Kollegen beantworten. Die Diskussionen waren belebt, anregend, auch wenn wir uns einmal nicht einig wurden. Man darf auch nicht vergessen, dass viele meiner Kollegen schon seit über zehn, zwanzig Jahren in der KMHS gewirkt hatten – ich war wirklich Anfängerin und musste mir zuerst einmal einen Überblick verschaffen. Die Ansprüche an eine Hochschulleitung sind seit Bologna immens gewachsen – die Komplexität der Verantwortlichkeiten, auch als eine Art Zwischengremium mit Interaktionen zwischen Bund, Kanton und den Swiss Universities, zwischen den sozialen und kulturellen Wirklichkeiten der Studierenden und den Finanzierungsgrundlagen der Hochschulen, zwischen den Anbindungen an Fachhochschulen und dem künstlerischen Wunsch nach einem akademieähnlichen free-floating Dasein – ich war oft froh, dass jedes KMHS- Mitglied sich in spezifischen Fragen besonders gut auskannte, und das Vertrauen ineinander ist ständig gewachsen. Noémie L. Robidas – und neu ganz frisch auch Béatrice Zawodnik – besitzen genau jene Qualitäten als engagiert und souverän ( sicher bedächtiger als ich) agierende Künstlerinnen und Leitende, die sie zu idealen Kolleginnen der KMHS machen – und ich wünsche beiden, dass sie sich wie ich auch vor zwölf Jahren als neue, kraftvolle Stimmen im Gremium einbringen.

Worauf blicken Sie mit Stolz zurück, wenn Sie an Ihre Arbeit als Fachbereichsleiterin Musik an der HKB denken?

Besonders stolz bin ich auf vier Entwicklungen und Studienangebote, die ich gemeinsam mit meinem fantastischen Team realisieren durfte: Einerseits die Etablierung des europaweit ersten Master Specialized Performance Studiengangs mit Vertiefung Music in Context, was einer spezifischen Berner Variante der Musikvermittlung entspricht, andererseits das PreCollege Bern HKB für Klassik, sound arts und Musik&Bewegung mit einer 100%igen Erfolgsquote. Als drittes Herzensprojekt würde ich die Weiterentwicklung des Opernstudios erwähnen, das mit den Bühnen in Biel und Bern einen Kooperationsvertrag eingehen durfte und in naher Zukunft die Opernregie als einmaliges Angebot für Opernsänger*innen anbieten wird. Auf der Ebene der Hochschule der Künste Bern freue ich mich, dass immer mehr Studierende der Musik anschliessend ein Doktoratsstudium in der Kooperation zwischen der Universität Bern und der HKB Forschung / SINTA in Angriff nehmen. Die SINTA ist ein schweizweit einzigartiges, künstlerisch-gestalterisches und wissenschaftliches Doktoratsprogramm der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern HKB.

Quels ont été les plus grands accomplissements réalisés et les principaux défis relevés par l’association durant ce temps-là ?

Die KMHS hat sich als Gremium etabliert, in allgemeinen Fragen im Hochschulkontext immer stärker für eine gemeinsame Positionierung und Kommunikation eingesetzt, hat politisch anspruchsvolle Themen intelligent, teilweise innerhalb von Task Forces, Arbeitsgruppen oder aber auch durch die einzelne Initiativen von Mitgliedern zu synergetisch getragenen Visionen gewandelt. Auf dieser KMHS- Seite der smz kann man jeden Monat nachlesen, dass Themenkomplexe wie Forschung, Dritter Zyklus, Berufspraxis, Talentförderung und Vorbilung, neue Mastermodelle und Fragen zu Interkulturalität, Diversity, Digitalität und Künstler*innenprofilen der Zukunft als Vielfalt und Diversifikation im Gremium der KMHS gestaltet, kommuniziert und weiterentwickelt wurden und werden. Aktuell entfaltet die KMHS auch intern neue Strategien, nicht zuletzt durch die Schaffung eines Generalsekretariats und einer durch das Präsidium von Noémie L. Robidas und dem Vizepräsidenten Valentin Gloor angestossenen Weiterentwicklung der Aktivitäten und Ziele der KMHS. Mir ist aufgefallen, wie agil die KMHS in der Pandemie gearbeitet hat – es war bei aller Belastung wirklich beeindruckend zu beobachten, wie rasch, effizient und kooperativ die früheren Konkurrent*innen sich um Lösungen bemüht haben.

Avec votre riche expérience à la direction du département musique de la HKB, quelle vision avez-vous quant au développement de l’enseignement supérieur de la musique en Suisse pour les prochaines années ?

L’enseignement supérieur semble se développer à merveille où l’on trouve un mélange équilibré entre qualité et ouverture, pratique et recherche, conscience artistique et socioculturelle, analogue et digitale. Sense and sensibility – un magnifique titre d’un roman de Jane Austen, souvent mal traduit d’ailleurs – reflète pour moi exactement cette tension positive et pleine d’inspiration de l’enseignement du futur. Le sens en tant que perception multisensorielle de notre existence pour rendre audible notre art comme musique/son/installation/improvisation/mouvement/geste/vision sonore, etc. La sensibilité comme raison, réflexion et miroir de la réalité qui entoure nos étudiant.es et dans laquelle les musicien.nes futur.es vont exprimer leur art et rendre leurs idées à la société plus tard. Pour la tradition, je crois que les exigences de la musique classique liées à l’interprétation à haut niveau des œuvres du canon musical devraient continuer à être respectées, elles font partie de notre patrimoine, certes, mais offrent toujours une base magnifique pour développer autre chose, un autre monde musical, plus tard.

Quels conseils donneriez-vous à de jeunes musicien.nes désirant réaliser des études supérieures de musique ou étant en train de les accomplir actuellement ?

Actuellement, la génération Z entre aux Hautes Ecoles – souvent d’une incroyable ouverture d’esprit, de connaissance de plein de tendances même éphémères, fortement formées par une multiperspective diverse, nourrie par une volonté de communication permanente, je me sens évidemment un peu vieille en proposant ceci : pour suggérer à votre public futur un narratif qui tienne la route, il faut essayer de se connaître et de connaître les racines de l’art, de la culture et de la musique dans lesquelles on aimerait exceller un jour. Un narratif se développe – à mon avis – grâce à une recherche et une critique permanente des sources – et un questionnement ludique, mais pertinent, du message que vous voulez faire passer. Un philosophe allemand vient de dire que le zapping et le swiping nous empêchent de développer un narratif parce que nous nous laissons sans cesse distraire par différentes options, par des étincelles qui disparaissent après avoir illuminé pour deux secondes notre attention… Donc : le sens critique, l’introspection silencieuse pour approfondir l’enquête de votre Art, et après la joie inouïe de partager le narratif avec d’autres êtres humains – c’est ce que je souhaite à la nouvelle génération de musicien.ne…

À votre avis, que peuvent faire les Hautes Écoles de Musique suisse pour favoriser encore davantage l’égalité des genres dans les formations qu’elles dispensent et peut-être aussi dans leur articulation avec les formations initiales et préprofesionnelles ?

Ich persönlich erlebte die Durchmischung der Geschlechter an der HKB als selbstverständlich, obwohl z.B. in der Rhythmik immer noch mehr Frauen, im Jazz mehr Männer das Studium antreten. Die aktuelle Generation der Millennials, die das Musikstudium aktuell von innen her mit ganz neuen Ansprüchen, Erfahrungen und – ich nenne es so – postdialektischen Erwartungen füllt, überlagert ja den alten Genderdiskurs mit einer Art Diversity-Hyperbel, mit einer neuer Alertness, die blitzschnell auf mögliche Benachteiligungen, Ungerechtigkeiten oder nicht mehr vertretbare Haltungen im politkünstlerischen Kontext reagiert. Diese spezifische Energie ist für die Hochschulen eine Herausforderung (und die KMHS wird sich strategisch intensiv mit diesem Phänomen auseinandersetzen) und eine Chance. Wenn ich ganz ehrlich sein darf, erschloss sich für mich die Lösung in Genderfragen nur selten im ideologischen Entwirren von teils diffusen Anschuldigungen, sondern viel eher in der Ermutigung für Studierende, die Thematik künstlerisch anzugehen – in transdisziplinären Settings, kreativen Prozessen, in Momenten des Scheiterns ebenso wie des Erfolgs, und immer: in der Begegnung mit dem Anderen, vorher Verdächtigen, dann Nahen.

“Musicians conquering their image”, published in Hémisphères, a Swiss review of research and its applications.

Eisige, unheimliche Stimmungen

David Philip Hefti hat eine «Schneekönigin» mit flirrender Vierteltönigkeit und seriellen Techniken geschaffen, die Erwachsene und Kinder ansprechen soll.

Ausschnitt aus dem CD-Cover

Es war ein prestigeträchtiger Jubiläumsauftrag, den das Tonhalle-Orchester Zürich 2018 zu seinem 150. Geburtstag vergab. Und er sollte dem Nachwuchspublikum zugutekommen, also Kindern und Jugendlichen. David Philip Hefti liess sich darauf ein, obwohl er bis dahin noch nie für Jugendliche komponiert hatte. Er schrieb sein zweites Musiktheater, Die Schneekönigin nach dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen. Die Liveaufnahme der halbszenischen Uraufführung ist nun auf CD erschienen.

Er sei, erzählt Hefti, als junger Vater mit mehreren Musikproduktionen für Kinder in Berührung gekommen. Dabei habe er gute, aber auch sehr unverbindliche Aufführungen erlebt. «Und ich bin der Meinung, dass die Erwachsenen in den Familienkonzerten oft zu kurz kommen.» Warum also nicht für einmal ein Märchen für Erwachsene komponieren, das auch Kinder verstehen können? Kommt dazu, dass Die Schneekönigin in jüngster Zeit nicht nur als Trickfilm von Disney herauskam, in Deutschland und Dänemark haben den Stoff gleich mehrere Komponisten musiktheatralisch umgesetzt.

Dem Kunstmärchen des dänischen Autors Andersen wurde allerdings vorgeworfen, es sei zu lang und zu komplex für Kinder, und es fehle ihm an «Naivität und Naturechtheit». Es ist die Geschichte zweier Kinder, Gerda und Kay, die in die Fänge der Schneekönigin geraten. Kay wird deswegen eiskalt und gefühllos, Gerda vermisst und sucht ihn. Die Schneekönigin erscheint ihr dabei in verschiedenen Figuren, um sie aufzuhalten. Die warmen Tränen, die Gerda beim Wiedersehen mit Kay weint, tauen auch seine Gefühle wieder auf.

Der Autor Andreas Schäfer hat das Libretto eingerichtet, schlicht und gut verständlich, doch das «Abstrakte» von Andersens Vorlage bleibt. Versteht ein Kind, wenn «die Poesie» die Schneekönigin bezwingt? Es ist Heftis Musik, die das Märchen plastisch werden lässt. Er weiss die Atmosphäre des Eisigen und des Unheimlichen mit flirrender Vierteltönigkeit und seriellen Techniken packend umzusetzen.

Das Musiktheater hat nur eine einzige Gesangspartie, das andere sind Sprechrollen. Die Sopranistin Mojca Erdmann muss gleich vier verschiedene Figuren verkörpern: neben der Schneekönigin auch deren Erscheinungen als alte Frau, als junger Mann und als Räuberbraut. Erdmann singt diese herausfordernde Partie mit eindrücklichen Farbwechseln, sie meistert die tiefe Lage genauso souverän wie die virtuos in die Höhe getriebene Partie der Schneekönigin. Doch bei aller geforderten Dramatik bleibt sie ihrer lyrischen Stimme treu.

Viel zum Gelingen dieser Produktion tragen auch die beiden Schauspieler Delia Mayer und Max Simonischek bei. Sie erzählen die Geschichte mit viel Empathie, wissen lustvoll zwischen Lebendigkeit und Trostlosigkeit zu wechseln und geben den beiden Kindern sympathisch-authentische Stimmen. Heftis Partitur ist sehr genau notiert und fordert hohe Aufmerksamkeit und Musikalität (erhältlich ist sie, ebenso wie der Klavierauszug und das Libretto, bei der Edition Kunzelmann). Das vom Komponisten dirigierte Tonhalle-Orchester vermag die geheimnisvolle Aura dieser Musik auch in der Aufnahme vielschichtig zu vermitteln.

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David Philip Hefti: Die Schneekönigin. Libretto: Andreas Schäfer nach Hans Christian Andersen. Mojca Erdmann, Sopran; Delia Mayer, Sprecherin; Max Simonischek, Sprecher; Tonhalle-Orchester Zürich; Leitung David Philip Hefti. Neos Music NEOS 12028

Ausflüge allein oder zu zweit

Die beiden Klarinetten-Hefte von Charles Reskin bieten überaus abwechslungsreiche Solo-Stücke und Duette.

Ausschnitt aus dem Cover

Die beiden Bände Easy Clarinet Outings und Intermediate Clarinet Outings aus der Feder des US-amerikanischen Komponisten und Trompeters Charles Reskin, die im Schweizer Verlag Editions Bim erschienen sind, beinhalten je 12 Solo-Etüden und 12 Duette. Die Stücke sind stilistisch äusserst vielfältig und widmen sich jeweils ganz unterschiedlichen Themen. Mal geht es um einen bestimmten Komponisten, mal um eine rhythmische oder stilistische Herausforderung oder dann um eine spezifische technische Schwierigkeit. Alle Stücke im Heft werden eingeleitet durch eine kurze Einordnung und Tipps zur Herangehensweise.

Zu den Solo-Etüden im ersten Teil des Heftes gibt es jeweils eine MP3-Demo- und Begleitversion, welche von der Website des Verlags heruntergeladen oder über SoundCloud gestreamt werden kann. Diese Begleitungen sind ebenfalls sehr abwechslungsreich und haben einen gewissen Filmmusik-Touch. Bedauerlich ist, dass die Solostimme nicht live eingespielt wurde. So klingen die Audios leider recht synthetisch.

Während die Solo-Etüden musikalisch einiges hergeben und durchaus auch als Vortragsstücke verwendet werden können, kommen die Duette im zweiten Teil eher didaktisch daher, sind aber nicht weniger abwechslungsreich gemacht. Insgesamt sind die Duette deutlich leichter zu beherrschen als die Solos.

Abgerundet wird das interessante Lehrmittel durch ein Glossar. Darin werden die vorkommenden musikalischen Ausdrücke übersetzt und erklärt, welche jeweils passend zum Stil verwendet werden (bei der von Debussy inspirierten Etüde beispielsweise auf Französisch). Die Etüden aus dem Easy-Band richten sich nicht an blutige Anfänger, sondern setzen doch bereits einiges an Sicherheit auf dem Instrument voraus. Analog dazu stellt auch das Intermediate-Heft teils bereits recht hohe technische und/oder rhythmische Anforderungen, insbesondere wenn die Stücke in vollem Tempo mit Begleitung gespielt werden sollen.

Auf der Website der Editions Bim können sämtliche Stücke angehört werden und beim Kauf der Hefte beim Verlag erhält man zusätzlich Zugang zu einer Online-Version der Noten und Aufnahmen über die Newzik-App.

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Charles Reskin: Easy Clarinet Outings, 12 Etudes & 12 Duets, für 1 oder 2 Klarinetten mit MP3-Begleitung, CL37, Fr. 22.00, Editions Bim, Vuarmarens

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 Charles Reskin: Intermediate Clarinet Outings, CL38, Fr. 24.00

Händels geistliche Oper

Die neue Carus-Ausgabe von «Belshazzar» vereint drei Fassungen in einer Publikation.

Rembrandt: Das Gastmahl des Belsazar (um 1636). Quelle: National Galery / wikimedia commons

Wer kennt sie nicht, die Geschichte aus dem Buch Daniel, in der König Belshazzar durch das «Menetekel» der Untergang Babylons ankündigt wird und damit die Befreiung des jüdischen Volkes. Einerseits der ideale Stoff für eine geistliche Oper mit ausführlichen Szenenanweisungen und Accompagnati, andererseits aber herrschte damals Bühnenverbot für biblische Handlungen. So machte Händel aus der Not eine Tugend und schuf vier Jahre nach seinem Messias mit dem Belshazzar eines seiner vielen Oratorien, die England letztlich emanzipierten von der bis dahin herrschenden Dominanz der italienischen Oper.

Dem Carus-Verlag ist es nicht hoch genug anzurechnen, dass er mit dieser vorbildlichen Urtextausgabe erstmals alle drei aufführbaren Fassungen des Oratoriums in einer Edition vereint: die der Uraufführung von 1745 sowie die Umarbeitungen von 1751 und 1758, die konsequent der Dirigierpartitur Händels folgen. Eine echte Empfehlung, denn es muss nicht immer der Messias sein.

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Georg Friedrich Händel: Belshazzar HWV 61, Versionen 1745, 1751 und 1758, hg. von Felix Loy; Partitur: CV 55.061, € 129.00; Klavierauszug: CV 55.061/03, € 32.95; Carus, Stuttgart

Migros Zürich gratuliert ZKO

Kürzlich war das Zürcher Kammerorchester auf Tausenden Einkaufstaschen der Migros Zürich präsent.

Foto: Natasa Angov,SMPV

Auf den Taschen ist der Migros-Jingle zu sehen, den das Zürcher Kammerorchester in einer Orchesterversion eingespielt und digital aufgenommen hat. Ausserdem zieren die Konturen der von Konzertmeister Willi Zimmermann gespielten Stradivari-Geige die 50 000 Einkaufstaschen, die in 110 Filialen der Migros Zürich zum Einsatz kamen. Damit und mit einem speziellen Clip, der die Orchesterversion des Jingles zu Gehör brachte, gratulierte die Migros dem Zürcher Kammerorchester zum 75-jährigen Bestehen.

Suisseculture fordert vielfältige SRG-Kultur

Suisseculture, der Dachverband der Schweizer Kulturschaffenden, fordert von der SRG, sich für einen starken Service public mit einem qualitätvollen Kulturprogramm einzusetzen. Der Verband will in diesen Prozess auch mehr einbezogen werden.

Foto: Christian Walker/unsplash.com (s. unten)

Die strategischen Änderungen bei der SRG stellen laut Suisseculture «neben dem neuerlichen Abbau der Kulturproduktion einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel dar, dessen Auswirkungen auf die Kulturbereiche in mehrfacher Hinsicht nicht absehbar sind». Einerseits, weil der Prozess der Erarbeitung dieser Strategien intransparent sei. Andererseits weil die Vertreterinnen der Kulturverbände, insbesondere Suisseculture als Vertretung der Kulturschaffenden und ihrer Urheberrechtsgesellschaften, nicht aktiv in den Prozess involviert seien.

Suisseculture ist sich bewusst, dass «der technologisch bedingte Wandel der Verbreitungs- und Konsumationsformen von Medien (‚Digitalisierung‘) für die SRG und ihre Kulturabteilungen einen wichtigen Prozess der Neuausrichtung darstellt». Dieser Prozess werde weitreichende Folgen haben und bedeute, dass sehr viele grundlegende Überlegungen und Abklärungen gemacht werden müssten, was die langfristigen Folgen betreffe.

Suisseculture erkennt in der Digitalisierung grundsätzlich grosse Chancen, besteht aber darauf, dass damit kein Qualitätsabbau erfolgt und die Kulturschaffenden aktiv in diesen Prozess involviert werden.

Originalartikel:
https://www.suisseculture.ch/index.php?id=23&tx_ttnews%5Byear%5D=2021&tx_ttnews%5Bmonth%5D=02&tx_ttnews%5Btt_news%5D=212&cHash=3c52cb7306852d608f0357e50b41c111

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