Der Nussknacker ist das letzte und auch erfolgreichste Werk des russischen Komponisten Peter Tschaikowsky. Basierend auf der Erzählung Nussknacker und Mäusekönig von E. T. A. Hoffmann geniesst das Werk auch heute noch grosse Popularität und wird vor allem in der Vorweihnachtszeit regelmässig aufgeführt. Die vorliegende Bearbeitung der Flötistin Jennifer Seubel verwendet als Grundlage die Nussknacker-Suite, in welcher der Komponist die bekanntesten Stücke zusammengefasst hat.
Das Arrangement für zwei Flöten zeichnet sich durch gekonnte Aufteilung des thematischen Geschehens auf beide Stimmen aus, was reizvolle Dialoge entstehen lässt, wie es bereits in der Ouvertüre und im Marsch zu hören ist.
Da die Flöte schon in den Orchesterstimmen eine führende Rolle einnimmt, war es zum Beispiel beim Tanz der Rohrflöten möglich, wie die Herausgeberin schreibt, «einige Takte direkt aus dem Original zu übernehmen». Stimmungsvoll klingt der Tanz der Zuckerfee, wo beide Flöten das Celesta-Solo spielen und sich deren Kadenz aufteilen. Der schnelle Tanz Trepak wird in den Randteilen in Terzen und Sexten geführt und erreicht so eine grosse Kompaktheit und Intensität. Auch die Bläsersoli der anderen Tänze eignen sich gut für zwei Flöten, so konnte auch das bekannte Flötensolo aus dem Chinesischen Tanz gut in ein Duett integriert werden. Im Blumenwalzer bleiben die bekannten Anfangsmotive von Horn und Klarinette in der ersten Flötenstimme, während die Begleitung der Streicher weitgehend als zweite Stimme übertragen worden ist.
In beinahe allen Sätzen ist ein gewisses technisches Können gefragt, beispielsweise in den Sechzehntel-Läufen. Auch der ganze Tonumfang der Flöte vom c‘ bis h“‘ (bei einer Ad-libitum-Oktavierungsstelle bis c““) kommt im Duo-Arrangement vor, was mit der Orientierung an der Originalpartitur zusammenhängt. Die Nussknacker-Suite für zwei Flöten ist eine gelungene und anspruchsvolle Bearbeitung der bekannten, eingängigen Melodien, die sich für fortgeschrittene Spieler eignet und bei der es sich lohnt, wie Jennifer Seubel im Vorwort schreibt, «die Herausforderungen anzunehmen».
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Nussknacker-Suite,für zwei Querflöten arr. von Jennifer Seubel, Spielpartitur, BA 10951, € 19.50, Bärenreiter, Kassel
Eine Bearbeitung, eine Neukomposition
Die «Italienische Serenade» von Hugo Wolf und Daniel Schnyders «Ritus» für Streichorchester.
Walter Amadeus Ammann
- 01. Dez. 2022
Daniel Schnyder. Foto: zVg
Hugo Wolf ist vor allem als Liederkomponist berühmt. Eines seiner wenigen Instrumentalwerke ist das Streichquartett Italienische Serenade, im Jahr 1887 in zwei Tagen vollendet, das er später für kleines Orchester mit Holzbläsern und Hörnern bearbeitet hat. Diese funkelnde Tarantella ist ein brillantes, schwieriges Achtminutenstück mit raffinierten Übergängen zu den Rondoteilen und einem emotionalen Cellorezitativ. Der Herausgeber Bruno Borralhinho ergänzt die Streichquartettfassung für Streichorchester mit einer Kontrabassstimme, die bei heiklen und hohen Cellopassagen pausiert.
Der 1961 geborene, in New York lebende Schweizer-Saxofonist und Komponist Daniel Schnyder hat mit Ritus ein mittelschweres Streichorchesterstück in e-Moll geschrieben. Eine immer wiederkehrende, an ein irisches Volkslied erinnernde Melodie, ertönt in allen Stimmen und auch in schnellen Variationen, begleitet von Gegenstimmen mit spannenden Rhythmen und ungewöhnlichen Tonproduktionen. Im «Tempestoso» werden die Celli und Kontrabässe chromatisch gefordert. Nach mehreren Piano-Anläufen steigert sich das Stück zu einem rassigen Fortissimo-Schluss. Auf der Website von Kunzelmann kann man das Werk anhören.
Das Orchestermaterial für beide Werke ist ausleihbar.
Hugo Wolf: Italienische Serenade, für Streichorchester bearb. von Bruno Borralhinho, Partitur, OCT-10357, Fr. 19.30, Edition Kunzelmann, Adliswil
Daniel Schnyder: Ritus für Streichorchester, Partitur, OCT-10348, Fr. 31.20
Schumanns schreiben in die Schweiz
Die Korrspondenzen mit Freunden und Künstlerkollegen geben einen ungeahnten Einblick in den Aufschwung des hiesigen Musiklebens ab 1850.
Verena Naegele
- 01. Dez. 2022
Robert und Clara Schumann 1847. Lithografie von Eduard Kaiser, Wikimedia commons
Die Schumann-Briefedition ist ausserordentlich umfangreich – es ist schier unglaublich, was Robert und Clara alles geschrieben haben. Soeben sind die «Briefwechsel mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz» erschienen, die einen spannenden Einblick in die Entwicklung der Musik hierzulande bieten.
Am umfangreichsten ist der Briefwechsel mit Theodor Kirchner, der auf Empfehlung von Mendelssohn und Schumann ab 1843 in Winterthur eine Organistenstelle bekleidete und den in späteren Jahren eine enge Freundschaft mit Clara Schumann verband. Der grösste Teil des über 100 Schriftstücke umfassenden Konvoluts stammt aus der Feder Clara Schumanns, leider sind viele Kirchner-Briefe verschollen. Dank Clara Schumanns Beiträgen erfährt man aber einiges zu Kirchners Wirken in der Schweiz sowie indirekt zu Jakob Rieter-Biedermann.
Der Winterthurer Verleger, bei dem Clara Schumann Werke ihres verstorbenen Mannes herausbrachte, gehört zu einer grossen Anzahl von Briefadressaten, deren Schreiben oft nur wenige Seiten umfassen. In Basel war es etwa das Ehepaar Riggenbach-Stehlin, das Clara Schumann 1857 bei einem Konzert dort kennengelernt hatte, worauf sich bald eine Freundschaft ergab. Insgesamt sind 58 Briefe nachzuweisen, von denen allerdings nicht alle erhalten sind.
Ein besonderes Beispiel ist der Komponist Wilhelm Baumgartner, von dem nur ein einziger Brief vom Dezember 1851 überliefert ist. Darin stellt er Robert Schumann als Widmungsträger seine Klavierlieder op. 10 vor. Es sind gerade solche «Kleinst-Korrespondenzen», die ein umfassendes Bild ergeben. Und zwar nicht allein durch die Briefe selbst, sondern durch die überaus hilf- und lehrreiche Editionsarbeit von Annegret Rosenmüller. Nicht nur der Anmerkungsapparat ist akribisch gestaltet, zu jeder Person gibt es eine Kurzbiografie, in der die Beziehung zu den Schumanns und zur Schweiz beleuchtet ist.
Damit schafft Rosenmüller eine wahre Fundgrube, man kann sich verweilen und lernt dank ihrer umfassenden Recherchen viel über den seit 1850 einsetzenden gewaltigen Aufschwung der Musik in der Schweiz. So etwa im kurzen Briefwechsel mit dem Basler Komponisten August Walter oder mit dem Musiker Heinrich Szadrowsky, der in St. Gallen für Clara Schumann ein Gastspiel ausrichtete, das offenbar durch Rieter-Biedermann vermittelt worden war. Oder vom Briefpartner Joseph Viktor Widmann, einem Weggefährten Brahms’. Letzterer hatte seine Freundin Clara 1889 in Baden-Baden mit dem Ehepaar Widmann bekannt gemacht.
Die «Schweizer Briefe» sind insgesamt so zahlreich, dass es zweier Teilbände mit insgesamt über 1000 Seiten bedarf, um alles darin unterzubringen.
Schumann-Briefedition, Serie II Briefwechsel mit Freunden und Künstlerkollegen, Band 10, Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Theodor Kirchner, Alfred Volkland und anderen Korrespondenten in der Schweiz, hg. von Annegret Rosenmüller, 2 Teilbände, 1121 S., € 158.00, Dohr, Köln 2022, ISBN 978-3-86846-021-6
Einfach, aber nicht simpel
Sven Birchs Stücke für die Mittelstufe ergänzen in ihrer Verschiedenheit und tänzerischen Grundhaltung das Unterrichtsmaterial.
Die bei Breitkopf & Härtel in der Reihe Pädagogik erschienenen Eleven Easy Pieces vereinen einen bunten Strauss von ansprechenden Klavierstücken für die Mittelstufe. Dem dänischen Pianisten und Dirigenten Sven Birch (*1960) gelingt es, Stücke zu schreiben, die bei aller Einfachheit nicht simpel sind und verschiedene musikalische und pianistische Ansprüche miteinander verquicken. So bieten die Stücke eine stilistische Vielfalt von Boogie und Blues über Tango bis Techno. Auch liedhaft-poetische Stücke fehlen nicht.
Ich erachte diese Sammlung als eine ideale Ergänzung zum «klassischen» Unterrichtsmaterial. Die klaren Hinweise zu Artikulation und Dynamik wie auch der sparsame Fingersatz helfen mit, dem Spiel ein klares Profil zu geben und das tänzerische Grundgefühl auf den Punkt zu bringen. Mich überzeugen die rhythmischen Feinheiten und die sich bietenden Möglichkeiten, im Unterricht diverse pianistische Aspekte exemplarisch zu beleuchten. So betrachtet sind die Stücke eine ideale Bereicherung für die Arbeit an der Klangkultur auf dieser Stufe.
Sven Birch: 11 Easy Pieces für Klavier, ED 9378, € 16.50, Breitkopf & Härtel, Wiesbaden
Wer war der zerstreute Dirigent?
Zwei Sprachen in einem Buch im Handumdrehen: Die Schweizer Musikzeitung feiert ihren 25. Geburtstag im Januar 2023 mit 125 Musikrätseln in 125 kurzen Geschichten.
SMZ
- 30. Nov. 2022
Das Rätselbuch ist eingetroffen! Foto: SMZ
Das Jubiläumsbuch mit dem Titel Wer war der zerstreute Dirigent? ist erschienen. Es enthält 125 Rätsel in 125 kurzen Anekdoten, die seit vielen Jahren den Schlusspunkt jeder SMZ-Ausgabe in Deutsch und Französisch bilden.
11 x 18 cm, broschiert, 264 Seiten
25 Franken (plus Versandspesen von 2 Franken 50 Rappen)
Über den schriftlichen Austausch unter Musikerinnen und Musikern gestern und heute, Lieblingsbriefe unserer Leserinnen und Leser sowie ihre ausführlichen Reaktionen auf eine Carte blanche von Alfred Brendel und andere Artikel.
SMZ
- 30. Nov. 2022
Titelbild: neidhart-grafik.ch
Über den schriftlichen Austausch unter Musikerinnen und Musikern gestern und heute, Lieblingsbriefe unserer Leserinnen und Leser sowie ihre ausführlichen Reaktionen auf eine Carte blanche von Alfred Brendel und andere Artikel.
Alle blau markierten Artikel können durch Anklicken direkt auf der Website gelesen werden. Alle andern Inhalte finden sich ausschliesslich in der gedruckten Ausgabe oder im E-Paper.
Focus
A qui ecrivaient les musiciens et musiciennes ? par Jean-Damien Humair
Der Empfänger muss mitgelesen werden Gespräch mit Beatrix Borchard, Herausgeberin bedeutender Korrespondenzen Interview: Verena Naegele
Chatten über elektronische «Brief»-Wechsel Iris Lindenmann, Fachreferentin für Musikwissenschaft an der Universitätsbibliothek Basel und Florian Besthorn, Direktor der Paul Sacher Stiftung in Basel
Komponierte Grüsse mit Aare-Töchtern Noten statt Worte auf Postkarten von Thomas Meyer
Vous avez une musique ? Tant pis pour vous ! La « Lettre sur la musique française » de Jean-Jacques Rousseau par Grégory Rauber
Lieblingsbriefe — lettres préfrées Giacomo Puccini, Henri Dès, Mauricio Kagel von Maja Enderlin und Ulrich Peter, Pablo Michellod, Urs Peter Schneider
Antworten an Alfred Brendel Reaktionen auf die Carte blanche «Dieser neue Streicherklang» von Thomas Burri, Aglaia Kellerhals, Simon Loosli, Bernhard Maurer, Lilo Schmidt
Seit Januar 2017 setzt sich Michael Kube für uns immer am 9. des Monats in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Link zur Reihe 9
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Das Forum Musikalische Bildung, Aushängeschild des Verbandes Musikschulen Schweiz, feiert Jubiläum. Anlass für eine Rückschau über 15 Jahre. Die 10. Ausgabe findet am 20. und 21. Januar 2023 im Trafo in Baden statt.
Niklaus Rüegg
- 30. Nov. 2022
Das erste FMB fand 2007 im Kultur- und Kongresszentrum Aarau statt. Foto: Niklaus Rüegg
Die Tagung 2023 steht unter dem Dachthema Transformation – Digitalisierung und Inklusion in der musikalischen Bildung. Erstmals hat der neue Präsident des Verbandes Musikschulen Schweiz (VMS), Philippe Krüttli, die Leitung inne. Neben zwei Keynote-Referaten am ersten Tag folgen am zweiten einige Input-Referate zu konkreten Bildungsthemen. Zum vierten Mal findet überdies der Best-Practice-Wettbewerb statt – eine Errungenschaft, die in den letzten Jahren bei vielen Musikschulen grossen Anklang fand. Der VMS hat dadurch an der «Basis» deutlich an Profil gewonnen.
Die Geschichte des Forums Musikalische Bildung (FMB) ist eng verknüpft mit jener des VMS. Die ersten 30 Jahre seiner Existenz funktionierte der Verband (gegründet 1975) als nationales Gremium für seine Mitgliedschulen mit einer jährlichen Mitgliederversammlung. Anfang der erjahre wird der Ruf nach neuen Strukturen laut. An der Klausur 2005 legt der Vorstand erstmals eine Strategie für den Verband fest. Die Einführung einer Dachverbandsstruktur wird beschlossen, und gleichzeitig beginnen die Vorarbeiten zur Initiative Jugend+Musik. In diesem Kontext ist auch die Gründung des FMB zu sehen. Der Verband brauchte eine Plattform, um die musikalischen Bildungsthemen im politischen und gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern. Die Vision des damaligen VMS-Präsidenten Hector Herzig war es, ein Forum zu gründen, an dem mindestens einmal jährlich nicht nur über die musikalische Bildung, sondern in erster Linie über Bildungsthemen im Allgemeinen breit diskutiert werden sollte. Dem Initianten schwebte ein neues Bildungskonzept vor, in dem die Kreativfächer einen prominenten Stellenwert bekommen sollten. Unter dem Motto «Bildung neu denken» wollte Herzig «die Gesellschaft dafür gewinnen, die musikalische Bildung im Gesamtkontext der Bildung neu zu positionieren» und im Hinblick auf die Volksinitiative argumentativ zu untermauern. In enger Zusammenarbeit mit der FMB-Verantwortlichen im VMS-Vorstand, Liliane Girsberger, wurden in den Folgejahren die Inhalte des Forums konzipiert.
Burgdorf und KuK Aarau
2005 fand ein «Forum Burgdorf – Internationales Forum für Musikerziehung» statt. Es blieb bei dem einen Mal. Hector Herzig, der zu den Initianten gehörte, übernahm das Konzept und setzte es im November 2007 neu als erstes «Forum Musikalische Bildung FMB» am Kultur- und Kongresszentrum Aarau (KuK) um. Nationalrätin und Präsidentin des Initiativkomitees Christine Egerszegi hielt das Eröffnungsreferat zum Thema «Musikalische Bildung im politischen Spannungsfeld»; Abt Martin Werlen vom Kloster Einsiedeln spannte in seinem bemerkenswerten Referat «Was bleiben muss, damit Wandel möglich wird» einen Bogen zwischen den Benediktinerregeln des 6. Jahrhunderts und der digitalen Gegenwart. Vier spannende Input-Referate liefen simultan ab. Unter den Vortragenden war kein Geringerer als Hans Günther Bastian, der mit seiner bekannten Langzeitstudie die Wirkung von vermehrtem Musikunterricht auf Grundschulkinder untersuchte und damit grundlegende Argumente für die Anliegen der musikalischen Bildung lieferte.
Der Aufbau der Tagung blieb all die Jahre grundsätzlich gleich – Keynote-Referate am ersten und am zweiten Vormittag, gefolgt von Podiumsdiskussionen und Input-Referaten. Zum Auftakt und zum Tagungsende waren jeweils musikalische Beiträge, meist von preisgekrönten jugendlichen Musikerinnen und Musikern zu hören. Die Moderationen besorgte übrigens (ausser 2016) in seiner lockeren und dennoch sachgerechten Art bis ins Jahr 2020 Jodok Kobelt.
Im Jahr 2008, wiederum im KuK, ging es um «Musikunterricht in Schule und Musikschule», und damit um eines der Kernthemen der Initiative. Ihm wurden stolze sechs Input-Referate gewidmet. Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, erläuterte in fesselnder Weise seine Forschungsergebnisse zum Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Schulleistungen. Beat Hofstetter, Studienleiter Schulmusik an der FHNW, warnte vor einer Abnahme des musikalischen Know-hows der künftigen Lehrpersonen, da das Fach Musik an den pädagogischen Hochschulen abgewählt werden könne – eine Vorhersage, die leider Wirklichkeit wurde. Das Diktum von Gerhard Wolters «Nicht darüber reden, was Kinder lernen sollen, sondern darüber, was Kinder dazu bringt, lernen zu wollen» blieb ebenso hängen wie Hector Herzigs radikaler Vorschlag: «die Strukturen aufzubrechen und die Schule auf der grünen Wiese ganz neu zu bauen».
Foto: Niklaus Rüegg
Jodok Kobelt moderierte bis 2020 (ausser 2016) alle Tagungen.
Diskussionsrunde am FMB 2011: v.l. Oskar Freysinger, Christine Egerszegi, Jodok Kobelt, Jean-Frédéric Jauslin
Die Trafo-Epoche I: auf der Suche nach Widerspruch
Ein FMB 2009 fand nicht statt. Der VMS-Vorstand entschied, das Forum vom mit Veranstaltungen reich befrachteten November ins «Januarloch» und gleichzeitig an den neuen Standort Trafo in Baden zu verlegen. Somit verstrich nicht viel mehr als ein Jahr seit der letzten Ausgabe. Zu den absoluten Highlights der frühen Trafo-Jahre gehörten die Auftritte des «Tageswanderers» Daniel Fueter. Er nahm nicht nur als Referent und Diskutierender an mehreren Foren teil, sondern setzte mit seinen sprachlich und inhaltlich vollendeten Tageszusammenfassungen unnachahmliche Höhepunkte.
Foto: Niklaus Rüegg
«Tageswanderer» Daniel Fueter am FMB 2011
Am FMB 2010 ging es noch einmal ein Stück politischer zu. Herzig wollte mehr kontroverse Diskussionen und Standpunkte, zu einig war man sich nach seinem Dafürhalten in den Vorjahren bei den zentralen Themen gewesen. Hochinteressant war unter diesem Gesichtspunkt das Zusammentreffen des Kinderpsychiaters Michael Winterhoff und des Kinderarztes Remo Largo, die von unterschiedlichen pädagogischen Grundsätzen ausgingen. Kontrovers verlief auch die politische Diskussion mit Vertretern des Bundesamtes für Kultur (BAK). Die Meinungsbildung im Hinblick auf die nahende Abstimmung nahm Fahrt auf. Der Philosoph Georg Kohler hob die Diskussion über die Bedeutung der Musik noch einmal auf eine entrückte Flughöhe. Darauf wurden die Teilnehmenden durch den Erziehungswissenschaftler Gerhard de Haan wieder auf den Boden der bildungspolitischen Realitäten geholt.
Noch politischer ging es 2011 zu. In der Person des Berner Regierungsrats Bernhard Pulver fand sich ein Freund der musikalischen Bildung. Nationalrat Ruedi Noser stellte sich gegen die Initiative, BAK-Chef Jean-Frédéric Jauslin gab sich konziliant, Christine Egerszegi legte sich ins Zeug und SVP-Populist Oskar Freysinger gefiel sich als Selbstdarsteller. Mister Expo 02, Martin Heller, diagnostizierte der Politik Mutlosigkeit bei der Finanzierung von Kulturprojekten.
Foto: Heiner Grieder/FMB/VMS
Hector Herzig initiierte das FMB 2007 und leitete fünf Tagungen bis 2012.
2012 verabschiedete sich Hector Herzig als VMS-Präsident, und das fünfte FMB war auch das letzte unter seiner Leitung. Es war logischerweise von der bevorstehenden Abstimmung geprägt. Ein gedämpfter Optimismus über die mittelfristigen Auswirkungen eines künftigen Verfassungsartikels war zu spüren. Den grössten Erfolg der Tagung verbuchte ein Referent, der gar nicht anwesend war. Der Neurobiologe Gerald Hüther musste kurzfristig absagen und liess stattdessen ein spannendes Video zum Thema «Was wir sind und was wir sein könnten» zeigen.
Foto: Heiner Grieder/FMB/VMS
Christine Bouvard übernimmt am Schluss des FMBs 2012 von Hector Herzig die Verantwortung für die Tagung.
Die Trafo-Epoche II: basisnahe Themen
Mit der Stabübergabe an die neue VMS-Präsidentin, Christine Bouvard Marty, und nach der gewonnenen Abstimmung verordnete man sich eine zweijährige FMB-Denkpause. Die Arbeit des VMS-Vorstands stand fortan im Zeichen der Umsetzung des neuen Verfassungsartikels 67a. An den Foren widmete man sich vermehrt den «basisnahen» Musikschul-Wirklichkeiten. Unter dem Dachthema «Schlüssel zum Erfolg» ging es am FMB 2014 um die Begabtenförderung – eines der Themen, die nun neu in der Verfassung verankert waren. Unter den Referierenden blieben einige in lebhafter Erinnerung: Graziella Contratto mit ihren scharfsinnigen Analysen, der Musikpsychologe Stefan Kölsch zum Thema Musikalität, die Erziehungswissenschaftlerin Annette Tettenborn zum Prozess des «Begabtwerdens», Hacı-Halil Uslucan, Professor für moderne Türkeistudien, zum Thema Musikalität und Migration. Der Präsident von Swiss Olympic, Jörg Schild, gewährte Einblicke in die Sportförderung, ermöglichte Quervergleiche und brachte die Musikförderer auf neue Ideen. Helga Boldt präsentierte eine vom Volkswagenkonzern finanzierte Schule, die auf der «grünen Wiese» nach neusten pädagogischen Grundsätzen errichtet wurde.
Erstmals wurden Best-Practice-Projekte aus den Musikschulen in einer grossen Posterausstellung präsentiert.
2016 lag der Fokus auf «Innovation und gelebtem Wandel». Der Erfinder Andreas Reinhard warb für eine Fehlerkultur in der Bildung, der Bildungsforscher Malte Petersen erläuterte das Prinzip des intuitiven Lernens, der Psychologe und Gitarrist Alan Guggenbühl gab sich als Gegner einer rein Output-orientierten Bildung zu erkennen. Timo Klemettinen gab ein Update zum finnischen Bildungssystem und schliesslich stellte Hector Herzig das neue Breitenförderungsprogramm des Bundes, «jugend+musik», vor. Aufgrund der guten Erfahrungen mit den Best-Practice-Projekten wurde diese zu einem Wettbewerb erweitert.
Foto: Heiner Grieder/FMB/VMS
Andreas Weidmann, damals zuständig für die Kommunikation beim VMS, am FMB 2016.
2016 konnten die FMB-Teilnehmenden die Best-Practice-Projekten erstmals bewerten.
Die Zukunft winkt
Die beiden letzten Foren – wiederum im Trafo – beschäftigten sich mit Zukunftsszenarien. Das FMB 2018 setzte sich unter dem Titel «Veränderung: Chance oder Bedrohung?» mit dem Einfluss von Megatrends auf die musikalische Bildung auseinander. Altersforscher Jonathan Bennett wies auf die steigende Bedeutung älterer Menschen im Unterrichtsmarkt hin, der Soziologe Ueli Mäder diagnostizierte der Bildung einen Rückfall in mechanistische Rezepte. Joël Luc Cachelin warb für einen bewussten und kritischen Umgang mit der Digitalisierung. Die deutsche und die österreichische Musikschulwelt wurden durch Michaela Hahn und Ulrich Rademacher vorgestellt. Andreas Doerne und Stefan Goeritz sorgten mit der Präsentation einer Musikschule als «Lernort» für grosse Aufmerksamkeit. Beim Best-Practice-Wettbewerb durften sich die Teilnehmenden an der Kür der Besten beteiligen. Für einen witzigen Kontrapunkt sorgte das umwerfende Duo Calva.
Das vorerst jüngste FMB 2020 suchte «Wege zum Ziel» und nach «Chancen einer Gesellschaft im Wandel». Das Politische nahm einen grösseren Stellenwert ein, da die Vorberatungen für die neue Kulturbotschaft (2021–2024) in die entscheidende Phase kamen. Der Erziehungswissenschaftler Max Fuchs sprach über ein «Menschenrecht Musik», Nationalrat Markus Ritter verriet Tricks, wie man es schafft, in Bern politisch erfolgreich zu sein, David Vitali vom BAK erläuterte die geplante Umsetzung der Begabungsförderung (Verfassungsartikel 67a, Abs. 3) und Start-up-Gründer Jan Rihak präsentierte seine webbasierte Unterrichts-App. Der Höhepunkt der Tagung war ohne Zweifel der Auftritt des Soziologen Armin Nassehi. Er stellte die Frage: «Für welches Problem ist die Digitalisierung die Lösung?» und wertete die Digitalität in einer Reihe mit epochalen Errungenschaften wie dem Buchdruck oder der Dampfmaschine. Man darf gespannt sein auf die nächste Ausgabe im Januar 2023 unter der Ägide des neuen VMS-Präsidenten Philippe Krüttli.
The Conference of Swiss High Schools of Music organized its Tag der Lehre on Friday, October 21, which brought together in Lausanne the extended management of the country’s high schools of music.
Musikzeitung-Redaktion
- 30. Nov. 2022
Antoine Gilliéron — The notion of freedom within Swiss higher music education courses has been questioned through concrete examples: this article aims to serve as a summary of the discussions by presenting the results of this day of educational exchange.
Freie Strukturierung von Lehrplänen: Welche Heraus-forderungen für die Zukunft?
The opening lecture given by Elisabeth Gutjahr, rector of the Mozarteum in Salzburg and vice-president of the European Association of Conservatories, highlighted the main areas of reflection that shaped the debates that followed:
Vision and values: what is a free person (at all levels)?
Didactics: what is our idea of learning?
Pedagogical engineering: what structure for curricula and teaching?
Institutionnel : quelle relation entre des individus libres et le collectif qui agit aussi librement ?
Évaluation et standards : quelle réussite à l’apprentissage ?
Équilibre : quel degré de liberté insuffler dans les cursus d’études ?
À l’instar des articulations du corps humain avec des mobilités différentes (un poignet ne bougeant par exemple pas de manière similaire à une épaule ou à un cou), la question du curseur a d’emblée été posée, et ce en contextualisant ce qu’il est possible ou non de réaliser dans le cadre de Bologne, à la lumière notamment des apports philosophiques de Jacques Rancière, auteur du livre « Le maître ignorant, cinq leçons sur l’émancipation intellectuelle ».
Herausforderungen / Nutzen
La cinquantaine de participant-e-s à cette journée a ensuite été répartie dans huit focus groups. Ceux-ci ont discuté durant la matinée sur les enjeux et bénéfices d’une structuration plus libres des curricula, que ce soit sous l’angle académique (tant du point de vue pédagogique qu’administratif) ou sociétal (selon l’impact social et l’employabilité recherchée).
Les résultats quant aux bénéfices ont mis en évidence ces éléments : changement de paradigme nécessaire ; responsabilisation administrative des étudiant-e-s renforcée ; esprit d’ouverture diffusé dans tous les secteurs de la communauté ; relations plus horizontales ; allègement de la charge administrative institutionnelle ; employabilité potentiellement accrue ; liens avec d’autres partenaires institutionnels facilités ; renforcement des projets concrets sur le terrain ; l’inclusivité et la diversité mises au cœur du dispositif d’enseignement ; transformation des crédits ECTS en du contenu encore plus artistiquement voire poétiquement libre ; moins de problématiques de ressources humaines liées à des missions porteuses de plus de sens ; affranchissement du cliché d’« écoles-musées » pour tendre à devenir des plateformes toujours plus vivantes ; pédagogie pouvant devenir encore davantage novatrice.
Konkrete Implikationen / Einschränkungen
À la suite d’une présentation de modèles déjà existants à la School of Commons de la ZHdK, Open Creation de la Musik-Akademie Basel et Freiform de la FHNW, le but des focus groups de l’après-midi a été cette fois de se concentrer sur les implications concrètes et les limitations à davantage de souplesse curriculaire, selon les mêmes deux angles du matin (i.e. académique pédagogie/administration et sociétal impact global/employabilité).
Le bilan quant aux limitations se présente ainsi : description délicate des modules libres pour ne pas perdre la qualité ; vigilance au niveau de la mobilité internationale (Erasmus) ; logiciels de gestion académiques pas encore suffisamment agiles ; évaluation des formes libres qui est à réinventer ; caractère évolutif et provisoire de l’organisation qui peut déstabiliser ; logique d’auto-entrepreneuriat au niveau de la société qu’il s’agit de questionner ; nécessité de former à la liberté (avec progressivité et différenciation) ; gestion des ressources humaines qui pourrait se complexifier ; individualisation des cursus plus compliquée a priori que la généralisation ; compétences métier à injecter aussi dans les formes libres en se rapprochant des milieux professionnels.
Zusammenfassende Gedanken
Enfin, une synthèse de la journée a vu les étudiant-e-s présent-e-s et Philippe Dinkel, ancien directeur de la HEM de Genève-Neuchâtel, clôturer ce Tag der Lehre. Les conclusions ont permis, tout en faisant l’éloge de l’artisanat, de la discipline et des excellences, de mettre en relief les tensions que doivent affronter les hautes écoles de musique du pays : patrimoine et création ; individu et collectif ; institution et innovation ; processus d’apprentissages et apprentissages spontanés ; dignité du métier de musicien-ne et autonomie ; créativité et assurance qualité ; autorité et horizontalité ; institutionnel et non-institutionnel ; tradition et nouveaux métiers ; fixité et fluidité ; marché du travail et volonté de changer ou réparer la société.
Le concept de liberté remontant à la Grèce antique et ayant essaimé dans tous les courants philosophiques depuis, il impose la responsabilité, la maturité, la confiance, l’esprit critique et le respect, ce qui est valable pour tout segment de la société. Les solutions pour les hautes écoles de musique suisses pourront alors se décliner notamment autour des idées de life long learning, d’une meilleure sélection des étudiant-e-s en ayant conscience des profils recherchés, des identités institutionnelles affinées, du développement de communautés artistiques élargies (physiquement et numériquement), de l’encouragement accru des initiatives estudiantines, ainsi que – même si « l’art naît de contraintes, vit de lutte, meurt de liberté » selon André Gide – de la… flexibilisation des parcours d’études.
Weiterführende Informationen:
Edition von Schumanns Werken
Ein neues gemeinsames Forschungsprojekt der deutschen Wissenschaftsakademien arbeitet an der Edition der Werke von Robert Schumann. Angelegt ist es auf eine rekordverdächtige Laufzeit von 25 Jahren, starten soll es am 1.April 2023.
Musikzeitung-Redaktion
- 30. Nov. 2022
Robert Schumann 1839. Porträt (Ausschnitt) von Josef Kriehuber (1800-1876),SMPV
Geplant sind 22 grossformatige Notenbände mit insgesamt über 6000 Seiten. Dazu sollen rund 3000 handschriftliche Seiten und etwa 6000 Druckseiten literarischer Publikationen kommen — als Grundlage einer digitalen Edition des dichterischen und schriftstellerischen Oeuvres von Schumann. Der offizielle Titel des Projektes lautet «Robert Schumanns Poetische Welt. Drama – Oratorium – Vokalsymphonik – Literarisches Werk. Historisch-kritische Hybrid-Ausgabe».
Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfolgen dabei einen interdisziplinären Ansatz zwischen Musik- und Literaturwissenschaft sowie den Digital Humanities. Auf einer Open-Access-Plattform, die den Arbeitstitel «Robert Schumann-digital» trägt, sollen seine publizistischen Arbeiten, die poetischen Werke inklusive der Libretti und der «Kritischen Berichte» samt deren Entstehungsgeschichte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Rein analog sollen Schumanns Kompositionen in klassischen Notenbänden erscheinen.
Auskunft erteilt: Prof. Dr. Ulrich Konrad, Lehrstuhl für Musikwissenschaft I, T: +49 931 31-82828, ulrich.konrad@uni-wuerzburg.de
Terry Riley rockig interpretiert
The Young Gods haben Terry Rileys «In C» mit verschiedenen weiteren Ensembles interpretiert. Aufgenommen haben sie es dann zu dritt, in einer einzigen Session.
Hanspeter Künzler
- 29. Nov. 2022
The Young Gods. Foto: Charlotte Walker
Unmittelbar nach dem Erscheinen ihres letzten Albums im Frühling 2019 – nach einer neunjährigen Funkstille war es einem Comeback gleichgekommen – begannen sich die Young Gods mit Terry Rileys Minimal-Music-Evergreen In C zu beschäftigen. Dies offenbar auf einen Anstoss von Benedikt Hayoz hin, dem Leiter des traditionsreichen Fribourger Blasorchesters Landwehr. Daraus erwuchsen mehrere Interpretationen des Stücks zusammen mit anderen Formationen, zum Beispiel an der Seite des Genfer Gegenwartsmusik-Kollektivs Ensemble Batida. Am Tag vor diesem Konzert, am 21. Oktober 2021, begaben sich die drei Götter – Franz Treichler (Multi-Instrumentalist, Stimme), Cesare Pizzi (Sampler, Computer) und Bernard Trontin (Drums) – in ein Genfer Studio, um in einer einzigen, intensiven Livesession ihre eigene Trio-Fassung einzuspielen.
Von dem 1964 komponierten Genre-Klassiker gibt es inzwischen Dutzende von Aufnahmen von so unterschiedlichen Ensembles wie Piano Circus, Shanghai Film Orchestra, Acid Mothers Temple und Africa Express. Das ist kein Wunder: Die Komposition besteht zwar recht konkret aus 53 Phrasen, deren Länge sich zwischen einem halben Beat und 32 Beats bewegt. Aber wie diese aneinandergehängt und wie oft sie repetiert werden, bleibt den Musikern und Musikerinnen überlassen. Nicht einmal die Anzahl oder Art der Instrumente, geschweige denn die Länge der Aufführung wird von Terry Riley vorgeschrieben.
Viele andere Interpretationen lassen die Repetitionen und den konsequent durchgezogenen Rhythmus in eine Zen-hafte Abgeklärtheit driften. Schon von der Instrumentierung her kitzeln die Young Gods eine deutlich rockigere Dynamik und damit auch ungeahnte neue Nuancen aus dem Stück heraus. Souverän steuert das traumwandlerisch aufeinander eingestellte Trio das Auf und Ab von Intensität und Lautstärke. Die bauchige Fülle der elektronischen Geräusche generiert eine klingende Tiefenmassage, perkussive Marimba-Riffs lassen verspielte Lichtkegel durchs Unterholz blitzen, die vielen fein ziselierten Details werden uns nie aufdringlich um die Ohren gehauen, sondern warten geduldig darauf, bis wir sie beim dritten, vierten oder gar fünfzigsten Anhören endlich entdecken. Die letzte Minute von «Part 6» ist allein schon das Ticket wert. Fazit: atemberaubend.
The Young Gods: Play Terry Riley In C. Two Gentlemen TWOGTL 101 (2 Vinyl-LP + 1 CD)
Horowitz-Wettbewerb findet 2023 in Genf statt
Der ukrainische Horowitz-Wettbewerb für junge Pianisten wird aufgrund der kriegsbedingten unsicheren Lage in seinem Heimtland 2023 unter der Schirmherrschaft des Weltverbandes der internationalen Musikwettbewerbe in Genf durchgeführt.
Musikzeitung-Redaktion
- 29. Nov. 2022
Undatiertes Bild des jungen Vladimir Horowitz, dem der Wettbewerb gewidmet ist. Nachweis: s. unten
Die World Federation of International Music Competitions (WFIMC) wird den Anlass in Genf unter dem Namen «Horowitz Competition Kyiv-Geneva» vom 13. bis 21 April 2023 realisieren. Die neunköpfige Jury wird unter dem Vorsitz des ukrainischen Dirigenten Kirill Karabits stehen, der im Finale des Wettbewerbs in der Victoria Hall auch das Orchestre de la Suisse Romande leiten wird.
Untersützt wird der Wettbewerb von der Stadt und dem Kanton Genf, der Stadt Kiew, dem Ministeriums für Kultur und Informationspolitik der Ukraine, dem Vere Music Fund, der Art Mentor Foundation Lucerne sowie dem Concours de Genève, dem Internationalen Klavierwettbewerb Ferruccio Busoni in Bozen, dem Internationalen Klavierwettbewerb Fryderyk Chopin in Warschau, dem Franz-Liszt-Wettbewerb in Utrecht und dem Van-Cliburn-Wettbewerb in Fort Worth, Texas.
Die deutschen Landesmusikräte haben die Mandoline zum Instrument des Jahres gekürt. Sie löst das Drumset ab, dem dieses Jahr diese Ehre zugekommen ist.
Musikzeitung-Redaktion
- 25. Nov. 2022
Foto: aboikis/depositphotos.com
Obgleich sie heute unter den Instrumenten eher einen Exotenstatus besitze, sei die Mandoline immer auch ein Instrument gewesen, das es geschafft habe, Brücken zu bauen, schreiben die Landesmusikräte.
Kommt die Mandoline als Nachfolgerin der Laute auf den ersten Blick eher aus dem höfischen Bereich, so war sie doch immer ein Volksinstrument, eine «Geige der Arbeiter», die zu den Mandolinenorchestern, den Sinfonieorchestern des kleinen Mannes führten. Sie war das Instrument der Wandervogelbewegung. Die Brücke in die Musik anderer Kulturkreise lässt sich leicht über die Verwandtschaft zu anderen Lauteninstrumenten wie der Bağlama schlagen.
Seit 2008 wird jedes Jahr ein Instrument des Jahres gekürt und zwölf Monate in den Fokus gestellt. Jedes Bundesland hat dabei seine eigene Vorgehensweise, um das länderübergreifende Ziel zu erreichen: Neugier und Aufmerksamkeit auf die vielen Facetten des Instrumentes zu lenken.
Neue Aufgaben für Baldur Brönnimann
Der Schweizer Dirigent Baldur Brönnimann ist zum Dirigenten und künstlerischen Leiter der Real Filharmonía de Galicia ernannt worden. Er wird das Amt ab Januar 2023 als Nachfolger von Paul Daniel antreten.
Musikzeitung-Redaktion
- 24. Nov. 2022
Baldur Brönnimann. Foto: Jorgos Tsolakidis
Mit Brönnimann erhalte die Real Filharmonía de Galicia einen künstlerischen Leiter «mit einem engagierten sozialen Ansatz und einer ausgeprägten Sensibilität für Themen wie Ausbildung und zeitgenössisches Schaffen», schreibt das Orchester. Das 1996 im spanischen Santiago de Compostela gegründete Ensemble wurde zunächst unter anderm von Helmut Rilling geleitet.
Baldur Brönnimann, 1968 in Basel geboren und in Pratteln aufgewachsen, ausgebildet an der Musik-Akademie Basel und am Royal Northern College of Music in Manchester, ist seit der Saison 2016/17 Principal Conductor der Basel Sinfonietta.
Bis 2020 war er Chefdirigent des Orquestra Sinfónica der Casa da Música in Porto und zuvor Künstlerischer Leiter des norwegischen Ensembles für zeitgenössische Musik BIT20 sowie Chefdirigent des Nationalen Sinfonieorchesters von Kolumbien in Bogotá. Brönnimann lebt in Madrid.
50 Jahre Jazzschule Luzern
1972 begann eine Handvoll junger Jazzmusikerinnen und -musiker in Luzern, ihr Können an Jugendliche und Erwachsene weiterzugeben. Aus dem damaligen Verein Jazzschule Luzern (VJSL) entstand das heutige Institut für Jazz und Volksmusik der Hochschule Luzern.
PM/SMZ_WB
- 23. Nov. 2022
Schulzimmer der früheren Jazz Schule Luzern (Bild: VJSL)
Als selbstorganisierte Schule ohne staatliche Unterstützung und Diplomanerkennung bot die damalige Jazzschule Kurse in Theorie- und Instrumentalunterricht an. Bereits im Gründungsjahr hatten sich 60 Schülerinnen und Schüler eingeschrieben und bald darauf kamen Interessenten aus der ganzen Schweiz. Die Schulgelder deckten die kleinen Gehälter der Lehrpersonen, die anfangs als Selbständigerwerbende noch ohne soziale Absicherungen arbeiteten.
Ab 1977 konnten 20 Lehrpersonen angestellt werden. Mit Erhalt des Vestag-Kulturpreises in Höhe von 10’000 Franken erhielt die Jazz Schule Luzern 1985 erstmals eine offizielle Anerkennung. 1990 konnte die erste Klasse mit zwölf Studierenden mit einem staatlich anerkannten Berufsabschluss starten. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in der allgemeinen Abteilung lag kurze Zeit später bei über 400.
1999 erhielt die Jazz Schule Luzern den Fachhochschul-Status. Gleichzeitig wurden die drei Musikinstitute Jazz Schule Luzern, Konservatorium und Akademie für Schul- und Kirchenmusik zur heutigen Hochschule Luzern – Musik zusammengeführt.
Nach zweijähriger Covid-bedingter Pause bot die diesjährige Ausgabe unter anderem eine Begegnung mit dem Werk des bedeutenden, hierzulande kaum bekannten tschechischen Komponisten Kabeláč.
Lucas Bennett
- 23. Nov. 2022
Eröffnungskonzert mit den Percussions de Strasbourg; Leitung: Manuel Nawri. Fotos: Benno Hunziker
Seit ihren Anfängen 1995 haben sich die Martinů-Festtage als fester Teil des Basler Musiklebens etabliert. Im Kern sind sie der Pflege und Verbreitung des grossen und vielgestaltigen Œuvres von Bohuslav Martinů verpflichtet, der ab 1956 als Gast von Paul Sacher auf dem Schönenberg in Pratteln bei Basel gelebt hatte, bevor er 1959 in Liestal verstarb. Unter der künstlerischen Leitung des Pianisten Robert Kolinsky gelang es, namhafte Künstlerinnen und Künstler für das Festival mit seiner vielseitigen Programmierung abseits ausgetretener Pfade zu gewinnen. Es dürften denn auch diese zwei konsequent verfolgten Qualitäten sein, die dem Festival in den letzten Jahren eine Ausstrahlung weit über Basel hinaus verschafft haben, wovon nicht zuletzt ein hochkarätiges Ehrenpatronat mit Bundesrat Alain Berset und der slowakischen Staatspräsidentin Zuzana Čaputová zeugt.
Die Zürcher Sing-Akademie zusammen mit dem Ukrainischen Rundfunkchor in der Kulturkirche Paulus in Basel
Miloslav Kabeláč im Mittelpunkt
Organist Sebastian Heindl
Einen spannenden Gegenpol zu Martinů bildete im diesjährigen Programm das hierzulande ausserhalb Kennerkreisen wohl nur wenig bekannte Werk des Komponisten und Dirigenten Miloslav Kabeláč (1908–1979). Zentrales Stück des Eröffnungskonzertes am 23. Oktober in der Kulturkirche Paulus war dessen achte Sinfonie Antiphonen op. 54 für Sopran, gemischten Chor, Schlaginstrumente und Orgel. Zwischen 1969 und 1970 auf Texte aus dem Alten Testament entstanden, ist sie eine anklagende Reaktion auf den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei 1968 und die Niederschlagung der Reformbemühungen des Prager Frühlings. Eine herbe, erweitert-modale Tonsprache, starke rhythmische Impulse und dynamische Extreme prägen das in fünf Sätze und vier Zwischenspiele gegliederte Werk. Grossartig war die Wiedergabe der überaus anspruchsvollen Sopranpartie durch Aphrodite Patoulidou; beeindruckend in Präzision und Präsenz die Realisierung der Schlagzeugpartien durch Mitglieder der Percussions de Strasbourg, jenes Ensembles, welches 1971 die Uraufführung in Strassburg bestritten hatte. Das Zusammengehen der Zürcher Sing-Akademie und des Ukrainischen Rundfunkchors – seine Präsenz verlieh der Thematik eine beklemmende Aktualität – gelang hier ebenso glänzend wie in Martinůs Vier Lieder über Maria für gemischten Chor H 235 und Der Berg der drei Lichter für Männerchor und Orgel H 349. Ebenso brillierte an diesem Abend der deutsche Organist Sebastian Heindl in Kabeláčs Zwei Fantasien op. 32 und Martinůs Vigilie H 382. Was der 1997 Geborene, der 2019 als jüngster Finalist den renommierten Longwood-Gardens-Orgelwettbewerb gewann und im Juli zum Kirchenmusiker der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin berufen wurde, an Transparenz und Farbenreichtum auf der für das Repertoire des 19. und 20. Jahrhunderts ideal disponierten Orgel der Pauluskirche darzustellen und auszuleuchten vermochte, war nichts weniger als sensationell.
Die Sopranistin Aphrodite Patoulidou brillierte in Miloslav Kabeláčs «Antiphonen»
Von Fee bis Film
Neben einem Konzert mit grossen Besetzungen umfassen die Martinů-Festtage traditionell ein Kammermusikkonzert, einen Kinoanlass sowie ein Jazz- und ein Familienkonzert. Letzteres liess, inspiriert von der Märchenerzählung Bětuška und die Waldfee (Božena Nĕmcová ), eine andere Seite Kabeláčs entdecken; auf dem Programm standen neben Dětem op. 22 (Kleine Orchestersuite für Kinder) die Suite Modré Nebe (Blauer Himmel) op. 19a für Kinderchor und Orchester, Kammerwerke von Martinů (Nonett Nr. 2 H 374 und Serenade Nr. 3 H 218) sowie die Kinderlieder H 184bis (Ausführende: Ensemble le raid merveilleux, Kinder der Primar- und Orchesterschule Insel; Stefano Mariani, musikalische Leitung). Dem Werk des legendären Songkomponisten Burt Bacharach (geb. 1928), der in den Fünfzigerjahren mit Marlene Dietrich auf Tournee war und unter anderem bei Martinů studiert hatte, war das Jazzkonzert am 30. Oktober im Bird’s Eye gewidmet (Martina Barta, Vocals; Matti Klein, Klavier; Niklas Lukassen, Bass; Genius Wesley, Drums). Martinůs Biografie stand im Mittelpunkt des am 1. November im Stadtkino Basel gezeigten Films Mein Leben mit Bohuslav Martinů (Regie: Jakub Sommer).
Gleich zwei Entdeckungen präsentierte schliesslich das Kammerkonzert am 6. November im Hans-Huber-Saal mit Steven Isserlis, Violoncello, und Connie Shih, Klavier: die Uraufführung von Kabeláčs im Manuskript überlieferten Drei Stücken für Violoncello solo sowie die Deux ritournelles pour violoncelle et piano op. 25 der hochbegabten, jung verstorbenen tschechischen Komponistin, Dirigentin und Martinů-Schülerin Vítězslava Kaprálová (1915–1940). Neben Martinůs Sonate für Cello und Klavier Nr. 1 H 277 stand weiter Schumanns Adagio und Allegro für Violoncello und Klavier op. 70 auf dem Programm.
Der Schreibende besuchte das Eröffnungskonzert Mene Tekel am 23. Oktober in der Kulturkirche Paulus, Basel.