Bewertungsmodell für Musikkritiken
Forschende der Hochschule Luzern haben eine Vielzahl an Kritiken zu Beethoven-Aufnahmen untersucht und ein Bewertungsmodell entwickelt, das es erlaubt, sich sicherer in der komplexen Welt der Musikkritiken zu bewegen.
Nach welchen Kriterien beurteilen Kritiker die Leistung eines Künstlers? Bislang fehlte es an entsprechenden empirischen Untersuchungen. Die Doktorandin Elena Alessandri hat an der Hochschule Luzern mit einem Team 845 Rezensionen von Beethovens Klaviersonaten analysiert, die zwischen 1923 und 2010 im britischen Klassikmagazin «Gramophone» erschienen sind.
Die Textmenge von über 400’000 Wörtern ordneten die Forschenden in drei Kategorien: Die erste beinhaltet ästhetische Kriterien wie Intensität oder Komplexität. «Kritiker diskutieren unter anderem, wie elegant, kontrastreich oder in sich stimmig eine Aufnahme ist», so Alessandri. Die zweite Kategorie beschreibt die Leistung: wie viel technische Kontrolle der Pianist hat, wie risikobereit oder sorgfältig er bzw. sie spielt. Sogar ethische Fragen, wie die Ehrlichkeit oder Integrität eines Musikers, würden dabei bewertet. Drittens wurde untersucht, ob das Spiel zum musikalischen und kulturellen Kontext passt.
Zwei Resultate waren für Alessandri und ihr Team überraschend: «In einem Zeitraum von über 90 Jahren hat sich die Art und Weise der Kritiken kaum verändert.» Zudem würden professionelle Musikkritiker den Leistungskriterien viel mehr Aufmerksamkeit schenken als das in Prüfungs- und Wettbewerbssituationen üblich ist. Die Analyse des Kritikerwortschatzes und das Bewertungsmodell soll Musikern, Musikwissenschaftlern und Kritikern Unterstützung bieten. Es zeigt, auf welche Aspekte Kritikerinnen und Kritiker starken oder weniger starken Wert legen und wie sie diese Aspekte im Einzelnen beurteilen.
«Die Bewertung eines Musikstückes ist sehr komplex und hängt von vielen Faktoren ab. Die relevanten Kriterien zu kennen und zu verstehen, ist enorm wertvoll für die Reflexion der eigenen musikalischen Arbeiten, aber auch für die Art, wie wir Musik hören, einschätzen und beschreiben», so Alessandri.
Die Forschung wurde vom Schweizerischen Nationalfonds und vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation unterstützt. In einem Folgeprojekt, das vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird, werden die Hochschule Luzern und die University of Sheffield die Funktion von Musikkritik (deutsch- und englischsprachig) im Klassik-Musikmarkt untersuchen. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, inwiefern und durch welche Sprachmittel Musikkritiken die Wahrnehmung und das Kaufverhalten von Musikliebhabern beeinflussen können.
Mehr Infos: journal.frontiersin.org/article/10.3389/fpsyg.2016.00391/full