Musik tut gut

Eine inspirierende Rundschau über frühkindliche Musikpädagogik von der ersten Schweizer Musik-Kita bis zu Education-Konzerten. Bericht von der Luzerner Tagung «Musiklernen von klein auf».

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Wie müssen Bildungserlebnisse gestaltet werden, damit sich das individuelle Potenzial der Kinder entfalten kann? Das ist die Kernfrage jeglichen pädagogischen Bemühens, und es war auch die Kernfrage der Vorträge und Workshops an der Luzerner Fachtagung Musiklernen von klein auf. Über hundert Instrumentalpädagoginnen und -pädagogen waren gekommen, um ihr Wissen zu erweitern, um Anregungen für ihre tägliche Arbeit zu bekommen, oder um endlich einmal zu hören, wie man denn mit ganz jungen Kindern am besten arbeitet. Denn nahezu alle – das wurde in den Kaffeepausen kontrovers diskutiert – stellten diesbezüglich Defizite in ihrer Berufsausbildung fest.
Nach dem «Sprung ins kalte Wasser» des Unterrichtens folgte bei vielen der teilnehmenden Instrumentalisten das Bedürfnis, ihre pädagogischen Kenntnisse zu vertiefen. Im Gegensatz zu verschiedenen CAS-Angeboten an Schweizer Hochschulen bot die Luzerner Tagung mit Vorträgen und Workshops ein konzentriertes, dabei ausgesprochen breites und zeitlich eng begrenztes Angebot an Ansätzen, Themen und Fallbeispielen zur frühkindlichen Musikpädagogik.
Zunächst einmal galt es, über die aktuellen Unterrichtssituationen nachzudenken. Der Luzerner Gastgeber Walter Hess stellte fest, dass Kinder heute deutlich mehr Zeit in Tagesbetreuungen statt in Kleinfamilien verbringen. In welcher Weise dadurch überhaupt noch Raum für frühkindlichen Instrumentalunterricht zur Verfügung steht oder ob stattdessen vielmehr die Instrumentalpädagogen ihrerseits in die Kindertagesstätten und Schulen Einzug halten müssten, blieb eine offene Frage.

Brabbeln …
Bereits Kleinkind-Betreuerinnen können durch einen bewussten Umgang mit Musik das natürliche Interesse der Kinder fördern, wie Stefanie Stadler Elmer vom Psychologischen Institut der Universität Zürich erklärte. Sie zeigte auf, wie eng Sprachentwicklung und Singenlernen miteinander verknüpft sind. Während des ersten Lebensjahres ist beides nicht zu unterscheiden; die kindliche Vokalisation – das typische Baby-Gebrabbel – tendiert mal mehr zur Imitation von Silben, mal eher zur Intonation verschiedener Tonhöhen und melodischer Verbindungen. Erst im zweiten Lebensjahr lernt das Kind, zwischen beiden Modalitäten zu unterscheiden, wobei das Nachahmen von Melodien deutlich leichter fällt als das Nachahmen von Silben. Die Regelhaftigkeit des Singens entspricht viel eher den natürlichen Wahrnehmungs- und Produktionsfähigkeiten des Säuglings und des Kleinkindes. Daher sollten Kindertagesstätten ihren Schützlingen vielseitige Hörangebote machen und Stimme, Motorik und Sensorik dabei gleichermassen einbeziehen. Schon eine eintägige Weiterbildung könne einen deutlich bewussteren Umgang der Erziehungspersonen mit den meist ohnehin schon in Kitas anzutreffenden Liedern und musikalischen Ritualen nach sich ziehen, meinte Stadler Elmer. Konkrete Vorschläge hat sie in ihrem Buch Kind und Musik zusammengetragen, das 2014 erscheint.

… toben …
Die Bewegungswissenschaftlerin Renate Zimmer betonte, wie elementar es für Kinder sei, über den eigenen Körper einen Zugang zur Musik zu finden. Ihr Buch Toben macht schlau!? spielt auf die in den Medien immer wieder geäusserte These an, Musik mache schlau. Dass beides im Kindesalter die Synapsenbildung anregt – und damit salopp gesagt «schlau» macht – zeigte Zimmer anhand zahlreicher Bilder. Zimmer verwies auf die Anthropologie, die den Menschen als ein auf Bewegung und Erfahrung angelegtes Wesen sieht, das des Einsatzes aller Sinne bedarf, um sich ein Bild von der Welt und sich selbst zu machen. Für Kinder heisst dies konkret, dass Bildung ein aktiver Prozess sein muss, in dem das Kind seine eigene Selbstwirksamkeit erlebt. Eigenwille und Eigensinn prägen die Grundhaltung des Kindes; beides muss im Bildungsprozess gefördert und gefordert werden. So soll etwa ein Kind selbst herausfinden können, ob man mit einem Pfirsich genauso klangvoll auf den Tisch schlagen kann wie mit einer Rassel. Erst das intensive Erleben über alle Sinne macht wirkungsvolles Lernen aus. Dass es dabei auch die Begleitung durch Erwachsene braucht, bestritt Zimmer nicht – schliesslich ist Bildung auch ein sozialer Prozess. Elementar sei jedoch die Bewusstmachung der Verhältnisse. Den anwesenden Instrumentalpädagoginnen empfahl sie, auf die oft gestellte Frage nach ihrem Beruf nicht etwa zu antworten: «Ich unterrichte Geige.» Sondern: «Ich unterrichte Kinder.»

… und spielen
Wie man ganz konkret den Instrumentalunterricht bereichern kann, zeigte Madeleine Zulauf von der Formation Musique Recherche Zulauf. Sie bemerkte, dass die pädagogische Anwendung des Spiels im Kindergarten sehr verbreitet, im frühkindlichen Instrumentalunterricht des sechsten und siebten Lebensjahres aber kaum anzutreffen sei. Selbst die jüngsten Kinder lernten ganz traditionell, wie man vorgegebene Musik reproduziere. Die Didaktik ziele stark auf Imitation und Wiederholung und vernachlässige die Kompetenzbildung zur Entwicklung einer eigenen Musiksprache. Hier könnten spielerische Improvisationen in den Instrumentalunterricht integriert werden. Zulauf zeigte Beispiele, in denen Kleinkinder dazu ermuntert werden, eine Bilderbuchgeschichte mit dem Instrument ihrer Wahl musikalisch zu begleiten. Wichtig für das Kind sind dabei die Bereitstellung verschiedener Instrumente bzw. Klangerzeuger und die Wertschätzung der musikalischen Produktion durch die Erwachsenen. Instrumentalpädagogen können diese Unterrichtseinheiten dann durch Aufnahme, Abhören und Selbstanalyse des Kindes begleiten; sie können anhand der Improvisation musikalische Termini einführen und zur Notation der Improvisation anregen.

Auch in den anschliessenden Workshops kam die Improvisation immer wieder zum Einsatz: Sei es als Rhythmusspiel im Workshop Wechselwirkungen elementarer musikalischer Erfahrungen durch Bewegung in der Rhythmik von Sabine Hirtler von der technischen Universität Kaiserslautern, sei es als musikalisches Response auf ein Ligeti-Stück im Workshop Zwischen Konzert und Education-Projekt: Konzertpädagogische Veranstaltungen mit Kindern, Jugendlichen und einem jungen Publikum mit Barbara Stiller von der Hochschule der Künste Bremen. Andrea Holzer-Rhomberg stellte ihre Streicherschule Fiedel Max vor, bei der das Spiel mit Zaubertönen, Bogengeist und Reisen ins Ohrenspitz-Land Elemente des ganzheitlichen Lernens darstellen, und Susan Young von der University of Exeter machte auf die vielfältigen musikalischen Alltagserfahrungen und -aktivitäten von Kindern aufmerksam.
Wie denn die Eltern für das frühkindliche Musizieren zu überzeugen seien, wurde in der abschliessenden Podiumsdiskussion gefragt. Neben all den wissenschaftlichen Studien, die die Vorteile mittlerweile belegten, gab Aron Braun, Geschäftsführer der Musikalischen KiTa Zimballo, der ersten und bisher einzigen Musik-Kita der Schweiz, den Grund seines Engagements an: «Weil Musik gut tut.»
 

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