Konzertantes Wetteifern in Basel
Wie man ein Ritornell im Stile Frescobaldis und ein Concerto im Stile Vivaldis improvisiert, dies und vieles mehr gab es bei den Studientagen Improvisation an der Schola Cantorum Basiliensis zu entdecken.
Historisch informierte Aufführungspraxis ist im Konzertleben angekommen. Fast jedes Festival, fast jeder Konzertveranstalter integriert heute Ensembles mit Alter Musik in die Programme. Noch immer ausgesprochen selten anzutreffen ist jedoch die Improvisation. So selbstverständlich sie über Jahrhunderte hinweg praktiziert wurde, so kurios mutet heute das freie Spiel mit Stilkopien an. Die diesjährigen Studientage Improvisation an der Schola Cantorum Basiliensis widmeten sich diesem Thema unter dem vieldeutigen Oberthema Concerto.
Improvisation – und damit verbunden vor allem Improvisationslehre – sei schon lange ein wichtiges Thema an der Schola gewesen, sagte der seit Januar diesen Jahres amtierende Leiter Pedro Memelsdorff in seiner Begrüssungsansprache. Er attestierte der Schola gar die weltweite Führung in diesem Bereich. Und verwies auf die vielen Anknüpfungspunkte zu anderen Wissenschaften, die eine Beschäftigung mit den Begriff der Improvisation bietet: Schrift und Gedächtnis, Text und Subtext, fixierte und fixierbare Ereignisse, Wahrnehmung der Zuhörer aus vergangenen Zeiten.
Schola-Dozent Sven Schwannberger richtete den Fokus auf das diesjährige Oberthema Concerto. Da alle heutigen Verwendungen des Begriffes – Instrumentalkonzert, ritualisierte (Live-)Aufführung, Titel eines Gemäldes – im 16. und 17. Jahrhundert nicht gebräuchlich waren, suchte er im historischen Umfeld und fand mannigfaltige Wortbedeutungen: Etienne Mouliniés (1599–1676) Concert des différents oiseaux bezeichnet die Übernatürlichkeit und die affektiv-tröstende Wirkung des Gesangs als «Concerto», Michael Praetorius verstand das «con-certare» als Scharmützeln zweier Kontrahenten, als «con-centus«, als gemeinsames Singen findet sich der Begriff schliesslich auf zahlreichen Titelblättern. Häufig wurden Werke, in denen mehrere instrumentale und vokale Stimmen agieren, als «Concerto» bezeichnet; ab 1761 schliesslich auch einen ganzer Klangkörper: das Orchester.
Der Blick in die Werkstatt …
Wie so oft, und das macht die wissenschaftlichen Veranstaltungen der Schola Cantorum Basiliensis so anschaulich, folgte den etymologischen Ausführungen ein Blick in die Werkstatt. Schwannberger zeigte, wie man solche Erkenntnisse im Unterricht nutzen kann. Er improvisierte mit seinen Schülern, einem Sänger und zwei Violinisten, ad hoc auf der Bühne: musikalisch im Stile Frescobaldis, in der Form an einem Concerto Monteverdis orientiert – und mit herrlich frischem Klang.
Einen solchen Workshop, in dem musikalische Darbietung und wissenschaftlicher Vortrag kunstvoll verbunden werden, hielten unter anderem auch Markus Schwenkreis (zu konzertanten Bausteinen in italienischen Partimenti), Rudolf Lutz (zu Ritornell und Episode in den Klavierkonzerten Wolfgang Amadeus Mozarts) und Dirk Börner. Letzterer unternahm den Versuch, Johann Sebastian Bachs Bearbeitungen vivaldischer Concerti als Improvisationsanweisung zu lesen. Seine Analyse legte die Bausteine der Komposition offen, sein Spiel setzte sie improvisierend wieder zu neuer Musik zusammen – ein eindrückliches Schauspiel praktischer Musikforschung.
… auf den musikalischen Wettstreit …
Dem Concertieren im lateinischen Wortsinn, dem musikalischen Wettstreit, widmete sich schliesslich Arthur Godel in seinem durch Rudolf Lutz musikalisch unterstützten Vortrag. Godel erinnerte an prominente Streitereien in der Musikgeschichte – etwa den Buffonistenstreit in Frankreich, den Disput zwischen Wagner und Brahms – und fragte nach dem heutigen Ort musikalischen Streitens. In der Komposition sei man heute bei einem «anything goes» angekommen; der musikalische Wettstreit habe sich auf die Ebene der Interpreten und des Starkults verschoben.
… und in die Zukunft
Der abschliessende runde Tisch mit allen Vortragenden stellte jedoch noch einen anderen Ort des Streitens fest: den Wettstreit der Improvisation mit den etablierten Strukturen der Musikerausbildung. Hier stünden noch immer der Interpret und das von ihm interpretierte Werk im Vordergrund, Improvisation und Stilkopie würden als zweitrangig angesehen. Doch wie kann man diese Strukturen, die in der Alten Musik einen Anachronismus darstellen, aufbrechen? Es brauche Hauptfachlehrer, die selbst in ihrer Ausbildung erfahren hätten, wie befruchtend Improvisationsunterricht für das eigene Spiel sei, so die einhellige Meinung. Und: Auch im Bereich der allgemeinen Musikschulen müsse Improvisation angeboten werden. Denn nur wer sie von klein auf als selbstverständliche Art des Musizierens erlebe, könne sich ohne Scheuklappen auf das schwierige Terrain wagen.