Kommunikation im Dienste der Musik?
Joachim Reiber, Chefredakteur der österreichischen Zeitschrift «Musikfreunde», erzählte bei der Reihe «Musik & Mensch» über seine Arbeit. Die eingeladene Gesprächspartnerin, Regina Kuratle vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt, kam kaum zu Wort.
Am Ende dieses Abends weiss man: Joachim Reiber erzählt gern, erzählt poetisch, spielt mit der Sprache wie ein Jongleur mit seinen Bällen. Und erklärt dabei den Gegenstand seines Schreibens, die Musik, fast zur Nebensache.
Beziehungsweise. Begegnungen beim Schreiben über Musik lautete der Titel des Vortrags, den Reiber am 13. Dezember im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Basel hielt. Es war der vierte Abend der Konzert- und Kolloquiumsreihe Musik & Mensch, die von der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) veranstaltet wird. Sie richtet sich vornehmlich an Lehrkräfte und Studierende der Musikpädagogik, möchte Denkanstösse geben, sensibilisieren für neue Themen im Musikunterricht. Das Schreiben über Musik scheint jedoch zu weit entfernt vom schulischen Alltag – Reiber sprach nur vor einer kleinen Zuhörerschaft. Das tat seinen so unterhaltsamen wie anregenden Ausführungen keinen Abbruch. Reiber nahm das diesjährige Oberthema der Reihe, Begegnung – Dialog – Beziehung, beim Wort und reflektierte, wie in seiner Arbeit Begegnungen zustande kommen, unter welchen Voraussetzungen sich Dialoge ereignen, welche längerfristigen Beziehungen entstehen können.
Innere Angelegenheit
In der Zeitschrift der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien werden nicht nur alle Konzerte verzeichnet, die im Wiener Musikverein stattfinden, sondern es erscheinen auch grosse Porträts von Dirigenten und Solisten, lange Interviews, musikgeschichtliche Aufsätze. Das Blatt wurde bereits sechs Mal prämiert – in der Kategorie Kundenmagazin. «Verkaufe ich Musik mit den Mitteln der Sprache?», fragte sich Chefredakteur Reiber angesichts der Laudatio zu seinen Artikeln.
Er spricht lieber von «gelungener Kommunikation im Dienste der Musik». All das Zweckorientierte, das solch einem Kundenmagazin zu Grunde liegen sollte, ist ihm ein Gräuel. Da mögen die Preisrichter noch so oft die erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensphilosophie, den adäquaten Medieneinsatz, die hervorragende Kundenbindung loben – Reiber schert sich dem Vernehmen nach um all das nicht. Ihm geht es schlicht um das Schreiben.
«Schreiben ist etwas Einsames, von Anfang an», sagt er und holt weit aus. Erzählt, wie er als Teenager heimlich den Musikkritiker in seiner Heimatstadt Stuttgart bewunderte, wie er im Studium von den Linguisten in die Dienstleistungsfähigkeit der Sprache eingeweiht wurde, wie er anderntags von den Philosophen lernte, dass es auch etwas anderes mit der Sprache auf sich haben kann. Wie etwa kleine Kinder das Sprechen lernen, Plappern aus Lebenslust, Raunzen aus Lebensfrust: sprechen, um sich auszudrücken.
Auch Reiber schreibt, um sich auszudrücken, um sich mitzueilen – nicht, um etwas mitzuteilen. Das ist ihm wichtig und durchzieht den Abend wie ein roter Faden. «Schreiben über Musik – steht die Musik aussen? Ist sie ein Gegenstand, der darauf wartet, übersetzt zu werden?», fragt Reiber, und wendet sich dezidiert gegen all jene Programmheftschreiber, Werkbesprecher, Einführungsgeber, Näherbringerwoller, die sich mit ihrem Wissen über den Leser stellen. Er sieht es anders: «Schreibend mit der Musik in Berührung kommen, eine Begegnung in mir selbst suchen, mit dem, was die Musik in mir auslöst – eine innere Angelegenheit also.»
Wenig Sachdienliches
So geistreich Reibers Vortrag war, so hörens- und lesenswert sich seine Sprache zeigte, so sehr drehte er sich auch im Kreise. So war es nicht verwunderlich, dass sich die anschliessende Diskussion mit Regina Kuratle einmal mehr an einer sprachlichen Spitzfindigkeit entzündete: Analog zu einem Komponisten, der höre, wohin das Stück wolle, so höre Reiber, wohin der Text wolle. Kuratle, selbst Musikerin und derzeit mit der Projektleitung der Schulharmonisierung des Erziehungsdepartements in Basel-Stadt betraut, verstand dies als «warten, wohin der Text wolle» – etwas, das sie sich in ihrem zweckorientierten Beruf nicht erlauben könne. Und schon drehte sich der Wortekreisel um warten, hören, sagen, meinen …
Auch ein Einwurf aus dem Publikum konnte dies nicht aufbrechen. Die Autorin fragte, wie es um das Thema der Vermittlung bestellt sei, schiessen doch die Studiengänge, die Kunstvermittlung, Musikvermittlung, Kulturvermittlung im Namen tragen, wie Pilze aus dem Boden. Sie markieren also zumindest ein gewisses Bedürfnis nach einer herzustellenden Beziehung zwischen Kunst und Rezipient – nicht zuletzt aufgrund der immer geringeren Ressourcen für Musik an den Schulen. Auch diese Frage wurde auf sprachlicher und anekdotischer Ebene traktiert: Reiber findet das Wort Vermittlung «schrecklich», bestätigte aber, dass auch der Wiener Musikverein etwas mehr Neugierde zeigen könne, andere Konzertformen auszuprobieren. Für eine Antwort von Regina Kuratle blieb nach Reibers umfangreichen Ausführungen keine Zeit mehr.
Dabei wäre ein Austausch mit einer Verantwortlichen für die Gestaltung zukünftiger Lehrpläne ganz im Sinne der Veranstaltung gewesen. Man möchte Ideen sammeln, um den Schulunterricht zu bereichern. Die Konzert- und Kolloquiumsreihe umfasst daher unter anderem Vorträge über Olivier Messiaens Vogelmusik (mit dem Ornithologen Stefan Heller und dem Organisten Tobias Willi), Konzerte mit Begegnungen zwischen traditionellen japanischen Shakuhachi-Flöten und zeitgenössischer elektronischer Musik, in Solothurn führen Mojca Gal und das Barockensemble Les Eléments mit Werken von François Couperin ein in die Musik und Denkweise im 18. Jahrhundert.
Gesammelte Ideen
Damit die Ideen mit dem flüchtigen Augenblick des Vortrags nicht verloren gehen, ist eine Website in Planung, die die Vorträge der vergangenen acht Jahre archiviert und zum Gedankenaustausch einlädt – explizit auch Schülerinnen und Schüler. Ab Februar 2013 sollen erste Inhalte einsehbar sein.
Vielleicht lässt sich auf dieser Plattform eher realisieren, was Markus Cslovjecsek, Leiter der Professur für Musikpädagogik an der FHNW, eigentlich mit der Reihe initiieren wollte: Herausfinden, wie man Jugendliche nachhaltig für Musikthemen interessieren kann.
Cslovjecsek forscht dahingehend auch auf anderen Ebenen. Das Lernspielzeug «Creafon» etwa hat er mitentworfen; aber auch die Einbindung der Musik in andere Fächer ist ihm ein Anliegen. Musik als integrales Fach der Schule zu verstehen, die Sensibilisierung des Hörens, der Verschriftlichung des Hörens etwa beim Sprachenlernen – da seien andere Länder schon weiter. Er verweist auf das europäische Musikportfolio, bei dem man Projekte zur integrativen Musikdidaktik einsehen kann.
Bleibt zu hoffen, dass sich der Dialog nicht nur online, sondern auch von Angesicht zu Angesicht einstellt. Zehn weitere Abende bieten im kommenden Jahr dazu Gelegenheit.
Zeitschrift «Musikfreunde» der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien:
www.musikverein.at
Zur Reihe:
www.fhnw.ch/ph/kultur-und-sport/musik
Plattform im Aufbau:
www.musikundmensch.ch
Foto: wandersmann – pixelio.de